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Inhaltsverzeichnis


Online-Lehrbuch Demokratie

Einleitung

Was ist Demokratie?

Entwicklung

 Antike

 Mittelalter

 Neuzeit

Staat

Gesellschaft

Probleme

 


Entwicklung der Demokratie

Demokratie in der Neuzeit

[Autor: Dr. Ragnar Müller, Mail an den Autor]


Die Entwicklung der Demokratie in der Neuzeit ist entscheidend für das Verständnis der heutigen Demokratieformen und -probleme. Auf dieser Seite wird die Entstehung der modernen Demokratie aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet:

  • Der erste Text gibt einen einführenden Überblick über wichtige Meilensteine dieser Entwicklung. Ausgehend von den Ideen der Aufklärung kommen die Kerngedanken von Locke, Montesquieu und Rousseau zur Sprache. Wie sich diese Ideen in der Realität niedergeschlagen haben, zeigt ein Blick auf die Entwicklung der amerikanischen Verfassung und der Menschen- und Bürgerrechte.
     

  • Der anschließende Text beschäftigt sich mit den zentralen Grundlagen und Elementen der politischen Philosophie der Neuzeit. Was hat sich geändert mit dem Beginn der Neuzeit? Welche Denkfiguren sind hinzugekommen? Welches Weltbild liegt der Neuzeit zugrunde? Neben Descartes´ Philosophie der Subjektivität geht es unter anderem um das Gedankenexperiment vom Naturzustand und die Vertragstheorie.
     

Der folgende Textauszug von Hans-Helmuth Knütter geht von den Ideen der Aufklärung aus und vermittelt einen ersten Eindruck von der Entstehung der neuzeitlichen Demokratie.
 




Weitere Informationen bei Wikipedia:
- Aufklärung
- Descartes

Die Aufklärung

Die Emanzipation des Menschen von gesellschaftlichen und religiösen Bindungen begann im 17. Jahrhundert. Im "Zeitalter der Vernunft" beschäftigte sich die Philosophie mit der Existenz des Menschen als vernunftbegabtem Wesen (René Descartes [1596 bis 1650]: cogito ergo sum, ich denke, also bin ich). Das neue Menschenbild führte zwangsläufig zu der Frage, wie eine politische Ordnung aussehen solle, die Freiheit des einzelnen und öffentliche Ordnung so miteinander verbindet, dass obrigkeitsstaatliche und gesellschaftliche Unterdrückung vermieden wird. Besonders in den Werken von John Locke (1632 bis 1704), Charles de Secondat Montesquieu (1689 bis 1755) und Jean-Jacques Rousseau (1712 bis 1778) finden wir dem gleichen Ziel verpflichtete, jedoch unterschiedliche Antworten auf die Frage nach einer vernunftgemäßen politischen Ordnung.





[Wikimedia Commons]


John Locke

Locke wendet sich in seiner Schrift "Two Treatises of Government" (Zwei Abhandlungen über die Regierung, 1690) gegen die Rechtfertigung der absoluten Monarchie. Die politische Ordnung beruht für ihn auf dem Zustand völliger Gleichheit und Freiheit, die durch Rücksicht auf andere und die Notwendigkeit friedlichen Zusammenlebens begrenzt wird. Zum Staate schließen sich Menschen zusammen, um ihr Eigentum zu sichern.

Die Aufgaben der Staatsgewalt sind begrenzt, folglich dürfen auch die Machtmittel der Regierung nicht unbeschränkt sein. Deshalb soll die Macht auf verschiedene Träger verteilt werden: die Legislative (das Parlament) als gesetzgebende, die Exekutive als ausführende und die Föderative, die für die äußere Sicherheit zuständig ist. Die beiden zuletzt genannten Gewalten befinden sich in der Hand des Monarchen und seiner Regierung. Alle Macht findet ihre Grenze an der Zustimmung der Bürger. Eine Herrschaft, die sich gegen das Recht auf Unversehrtheit der Person und des Eigentums vergeht, ist Tyrannei und fordert Widerstand heraus.

Die Wirkung John Lockes auf die politischen Ideen der folgenden Jahrhunderte kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die von ihm entwickelten Vorstellungen über Machtbegrenzung und -kontrolle, Verantwortlichkeit der Machtträger dem Volke gegenüber, die Bedeutung des Privateigentums machen Locke zu einem Vorläufer der liberalen Demokratie, auch wenn ihm und seiner Zeit diese Begriffe noch nicht geläufig waren.





[Wikimedia Commons]


Montesquieu: Gewaltenteilung

Montesquieu betrachtete England als Vorbild, wenn er schreibt, es sei die "Nation..., die als unmittelbaren Zweck ihrer Verfassung die politische Freiheit hat". In seinem Hauptwerk "De l'Esprit des Lois" (Vom Geist der Gesetze, 1748) bezeichnet er die Despotie als die schlechteste aller Staatsformen. Die beste sei jene freiheitliche, in der die Bürger das Recht haben, alles zu tun, was die Gesetze erlauben. Er sieht durchaus die Gefahr, dass auch in einer Demokratie diese Freiheit gefährdet sein kann. Der menschlichen Neigung zum Machtmissbrauch — ähnlich wie bei John Locke — soll durch Machtverteilung und -kontrolle Schranken gesetzt werden.

Montesquieus Lehre von der Gewaltenteilung weicht von der John Lockes ab. Er kennt neben der Legislative und Exekutive die richterliche Gewalt (Judikative). Zukunftweisend war auch Montesquieus Bejahung der Repräsentation. Das Volk als Ganzes könne weder in kleinen noch in großen Staaten die gesetzgebende Gewalt direkt ausüben. Deshalb müsse das Volk durch Repräsentanten (also Abgeordnete) tun lassen, was es selbst nicht könne. Die Lehre Montesquieus hat die Entwicklung der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika stark beeinflusst und seit der Französischen Revolution die Ausbildung des modernen Verfassungsstaates in erheblichem Maße mitgeprägt.

Während Locke und Montesquieu zu den geistigen Vätern der repräsentativen Demokratie zählen, hat Rousseau die direkte Demokratie theoretisch begründet. Er ist einer der umstrittensten Denker, dessen unmittelbare Wirkung bis in die Gegenwart reicht. Noch in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts haben sich Kritiker der parlamentarischen Demokratie auf ihn berufen, wenn sie eine direkte Demokratie forderten und Gruppeninteressen bekämpften. Andere haben in Rousseau einen Vorläufer des modernen Totalitarismus gesehen, der die Menschen zu ihrem Glück zwingen will.






[Wikimedia Commons]


Rousseau: Gesellschaftsvertrag

Seine politische Theorie beruht auf der Annahme, dass der Mensch von Natur aus gut sei und in öffentlichen Angelegenheiten tugendhaft handeln müsse. Die menschliche Gesellschaft hindere den Menschen, sich seinen Anlagen entsprechend zu verhalten, der Mensch ist durch die Gesellschaft, ihre Institutionen und Konventionen sich selbst "entfremdet". Zwar benutzt Rousseau den von Hegel geprägten und vom Marxismus popularisierten Begriff der Entfremdung noch nicht, die Vorstellung stammt jedoch von ihm. Mit seinen politischen und pädagogischen Schriften will Rousseau eine Ordnung der Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit schaffen.

In seinem in diesem Zusammenhang wichtigsten Werk, dem "Du contrat social" (Gesellschaftsvertrag, 1762) entwickelt Rousseau eine Ordnung, die auf Vereinbarung beruht. Alle schließen sich zum gemeinsamen Schutz zusammen. Da jeder dies frei tut und alle gleich sind, hat keiner einen Nachteil. Jeder stellt seine Person unter die oberste Leitung eines allgemeinen Willens (volonté générale), so dass ein geistiger Gesamtkörper entsteht. Da es möglich ist, dass einzelne Bürger einen gegen den Gemeinwillen gerichteten Partikularwillen entwickeln, das heißt ein Sonderinteresse vertreten; muss der Staat Zwang bis hin zur Todesstrafe anwenden, um dieses zu unterdrücken.

Parteien, Gewerkschaften und sonstige Verbände wären mit Rousseaus Lehre unvereinbar. Die Menschen müssen notfalls gezwungen werden, das Gute und Richtige zu wollen, da sie es nicht immer selbst erkennen. Sie müssen ihr Urteil der Vernunft anpassen, damit aus der allgemeinen Einsicht ein Zusammenwirken aller entsteht. Rousseaus Idealvorstellung ist die direkte Demokratie ohne Gewaltenteilung und Repräsentation, die er für unfreiheitlich hält. Es liegt nahe, dass diese Konzeption in der Gegenwart sehr umstritten ist. Einerseits wird der freie Mensch gefordert, der nur dem Gesetz gehorcht, das er sich selbst gegeben hat, andererseits kann aus Rousseaus Vorstellungen eine politische Ordnung abgeleitet werden, in der die Bürger vom Staate total beansprucht werden und in der sogar die "richtige" Gesinnung kontrolliert wird.






[Wikimedia Commons]


Die amerikanische Verfassung

Die Staats- und Gesellschaftstheorien des 17. und 18. Jahrhunderts haben — so widersprüchlich sie sind — die demokratischen Bewegungen gefördert und theoretisch fundiert. Zuerst fanden sie in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 ihren Niederschlag. Thomas Jefferson (1743 bis 1826), später Präsident der USA, formulierte die Unabhängigkeitserklärung in enger Anlehnung an die Ideen John Lockes. Der Gedanke, dass es keine Regierung ohne die Billigung der Regierten geben dürfe, wurde zur Grundlage der Verfassung der USA von 1787/91.

Der Grundrechtsgedanke erwuchs aus der naturrechtlichen Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts. Seit John Locke führte die Auffassung von der sittlich begründeten Autonomie und dem Eigenwert des Menschen zur Forderung nach einer der Staatsgewalt entzogenen Rechts- und Freiheitssphäre für den einzelnen. Bereits 1679 hatte das britische Parlament mit der Habeas-Corpus-Akte den Schutz der persönlichen Freiheit gegen staatliche Willkür durchgesetzt. Die weiteren Stationen auf dem Wege der Durchsetzung waren die britische "Declaration of Rights" (1689), die amerikanische Unabhängigkeitserklärung (1776), die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika (1787/91) und die "Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte" durch die Franzosische Nationalversammlung (1789).

Die Menschen- und Bürgerrechte

Die Erklärung der Menschenrechte erfolgte auf Antrag Lafayettes (1757 bis 1834), des Kommandanten der Nationalgarde, der als Teilnehmer am amerikanischen Unabhängigkeitskrieg populär war. Die Erklärung bildet eine der wichtigsten Grundlagen für die liberalen und demokratischen Vorstellungen des 19. und 20. Jahrhunderts.

  • Menschenrechte, die jedem aufgrund seiner menschlichen Existenz zustehen,

  • Bürgerrechte, die ihm aus seiner Staatszugehörigkeit erwachsen.

Will man eine inhaltliche Unterscheidung treffen, so kann man die Grundrechte drei Hauptgruppen zurechnen:

  • Die Freiheitsrechte oder liberalen Grundrechte sind negativ formuliertes subjektives Recht. Sie gewähren dem einzelnen Anspruch auf Unterlassung staatlicher Eingriffe in seine persönliche Freiheitssphäre.

  • Die Staatsbürgerrechte oder politischen Grundrechte sind positiv formuliertes subjektives Recht. Sie sichern dem einzelnen Mitwirkungsbefugnis im Gemeinwesen (Recht auf Staatsangehörigkeit mit aktivem und passivem Wahlrecht, Recht auf Zugang zu öffentlichen Ämtern).

  • Die Leistungsrechte oder sozialen Grundrechte sind ebenfalls subjektives Recht und ergeben sich aus der Entwicklung vom liberalen Rechtsstaat zum Sozial- und Vorsorgestaat. Sie verbürgen das Recht auf Teilhabe am wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt (zum Beispiel das Recht auf Arbeit und gerechte Entlohnung, Recht auf öffentliche Fürsorge in Notfällen, Recht auf Wohnung).

Grundrechte sind heute in vielen nationalen und internationalen Dokumenten als positives Recht verbürgt. (...) International gelten die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" der Vereinten Nationen von 1948 sowie die (Europäische) "Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten" von 1950. Die Garantie der Grundrechte in diesen Dokumenten sagt nichts über ihre tatsächliche Verwirklichung im internationalen Rahmen aus. Immer wieder hat sich erwiesen, dass das Völkerrecht keine wirksamen Sanktionen gegen Menschenrechtsverletzungen kennt.

[Autor: Hans-Helmuth Knütter, aus: Bundeszentrale für politische Bildung: Demokratie, Informationen zur politischen Bildung Nr. 165, Neudruck 1992]





Video als Einstieg in das Thema Menschenrechte



Den Menschenrechten ist auf D@dalos ein eigenes Online-Lehrbuch gewidmet. Dort wird unter anderem die Entwicklung der Menschenrechte aus den naturrechtlichen Wurzeln sowie deren Ausgestaltung und Weiterentwicklung im Völkerrecht näher erläutert (...zum Online-Lehrbuch Menschenrechte). Das folgende Video bietet einen hervorragenden Einstieg in das Thema Menschenrechte. Es wurde vom Verein /e-politik.de/ e.V. (www.e-politik.de) entwickelt, der seit Anfang 2010 das Projekt "WissensWerte- Animationsclips zur politischen Bildung" betreibt:












neue Grundlegung der politischen Philosophie in der Neuzeit













Vom Staunen zum Zweifel



Grundlagen der neuzeitlichen politischen Philosophie

Der folgende Textauszug arbeitet die zentralen Grundlagen und Elemente der politischen Philosophie der Neuzeit heraus. Was hat sich geändert mit dem Beginn der Neuzeit? Welche Denkfiguren sind hinzugekommen? Welches Weltbild liegt der Neuzeit zugrunde?

Vom Kosmos zur Baustelle

Aristoteles hat die politische Philosophie als eigenständige Disziplin begründet. Seine Grundlegung hat schulbildende Kraft entfaltet, deren Fortwirken bis in die Gegenwart zu beobachten ist. Viele der aristotelischen Begriffe kehren auch in der Neuzeit wieder. Dennoch darf man nicht übersehen, dass die politische Philosophie der Neuzeit einen entscheidenden Wandel in der Grundlegung vollzogen hat. Dabei verändert sich auch die Bedeutung des Politischen.

Der Mensch ist für Aristoteles von Natur aus ein politisches Lebewesen; denn das beste Werk menschlichen Handels ist die polis, der Staat. Das Wesen des Menschen liest Aristoteles am vollkommenen Werk des menschlichen Wirkens ab. Dieses Werk ist der Endzweck menschlichen Strebens, dasjenige, worumwillen der Mensch existiert. Aristoteles bestimmt das menschliche Handeln von seinem Ende her. Er fragt nicht: Was vermag der Mensch zu leisten? Wo liegen die Grenzen seines Leistungsvermögens? Seine Frage ist vielmehr: Welches Werk ist dem Menschen kraft seiner Natur vorgegeben? Welche Bedingungen fördern oder behindern das Erreichen dieses Endzwecks? Aristoteles geht also vom vorgegebenen Werk als Ziel des Handelns aus. Hieraus leitet er die menschlichen Vermögen her, die zur Erreichung dieses Ziels erforderlich sind.

Das entgegengesetzte Verfahren geht von einer Analyse der menschlichen Vermögen aus, um dann hieraus das Ziel, das erstrebenswert und erreichbar erscheint, abzuleiten. Im ersten Fall werden vom vorausgesetzten Werk her die gebotenen Leistungen erschlossen; im zweiten Fall werden die menschlichen Vermögen in ihren Möglichkeiten ausgemessen, nicht um sie auf ein spezifisches Werk festzulegen, sondern um den Umkreis, die Grenzen des Machbaren abzustecken. Das Wesen des Menschen bestimmt sich dann nicht mehr aus dem Werk, das er kraft seiner Natur vollbringt, denn auf ein spezifisches Werk lässt er sich gar nicht festlegen. Es bestimmt sich vielmehr aus den Möglichkeiten, die realisierbar sind; sie sind abzugrenzen gegen das Unmögliche, das unerreichbar bleibt.

Die erste Frage unterstellt, dass die Welt ein wohlgeordnetes Haus ist, in dem alles in der Welt Vorfindliche seinen natürlichen Platz findet. Dieser natürliche Ort ist ihm vorgegeben durch sein Werk, das es kraft seines Wesens vollbringt. Dies ist in der Tat die aristotelische Konzeption vom Kosmos.

Die zweite Frage dagegen geht davon aus, dass menschliches Vermögen sich an kein spezifisches Werk binden lässt; dieses ist immer endlich und kann deshalb überschritten, verbessert, erweitert werden. Die Welt ist dann kein fertiges, in sich vollendetes Haus, sondern eine Baustelle, auf der beständig gearbeitet wird, und zwar nicht allein an der Vollendung, sondern vor allem an der beständigen Verbesserung des Projekts. Die Grenzen dieses Arbeitens sind in der Endlichkeit der menschlichen Fähigkeiten und in der Gesetzmäßigkeit des Baumaterials zu suchen. Innerhalb dieser Grenzen sind ein beständiger Fortschritt und ständige Verbesserungen möglich. Dem Bauherrn geht es wie dem Eroberer, der sich im Feindesland bewegt: Jede neue Grenze, die er siegend erreicht, ist für ihn nur Schranke seines Tuns, Aufforderung, sie kämpfend zu überschreiten — die Grundeinstellung der neuzeitlichen Philosophie. Für Aristoteles ist der Grundaffekt, der zum Philosophieren Anlass gibt, das Staunen, die Verwunderung über die gute und schöne Ordnung der Welt. In der Neuzeit aber ist es der Zweifel an den eigenen Fähigkeiten des Menschen, um deren Möglichkeiten und Grenzen auszuloten, damit sie zu immer größerer Entfaltung gebracht werden können.






 


Cogito ergo sum: Philosophie der Subjektivität

René Descartes (1596-1650) hat als erster die neuzeitliche Begründungsweise der Philosophie dargestellt, und zwar in seinen "Meditationen über die Erste Philosophie" (1641).

(...) Alles vorhandene menschliche Wissen muss daher einer kritischen Prüfung unterworfen werden. Die Methode dieses Prüfens ist der Zweifel, das Infragestellen des Anspruchs gegebenen Wissens, gewiss und wahr zu sein. Was aber ist das Fundament der Gewissheit und Wahrheit menschlichen Wissens? Auf diese Frage sucht Descartes eine Antwort.

(...) Nur ein Fall sei vorgeführt. Wenn ich etwa behaupte, der Kreis sei viereckig, so kann ich mit gutem Grund den Wahrheitsgehalt dieser Aussage bezweifeln. Was aber in dieser Aussage selbst nicht unsinnig sein kann, ist die Tatsache, dass ich selbst es bin, der diese Behauptung aufgestellt hat. Das Ich, das Aussagen macht, gleichviel ob diese wahr oder falsch sein mögen, ist der Ursprung und Grund allen Aussagens und damit auch von Gewissheit und Ungewissheit, Wahr und Falsch. Damit ist der Grund, das unerschütterliche Fundament alles Wissens entdeckt: die Selbstgewissheit des denkenden Ichs. Diese Selbstgewissheit des sich als denkendes Wesen wissenden Ichs ist — so Descartes — schlechterdings unbezweifelbar; denn sie ist der Boden, die Bedingung der Möglichkeit allen Zweifels. Das "Ich denke, also bin ich" (cogito, ergo sum) ist das Prinzip allen menschlichen Wissens und damit auch der Philosophie.

Die Methode der neuen Grundlegung der Philosophie ist die Rückwendung des Menschen auf sich selbst, die Ausmessung der eigenen Leistungsfähigkeit, um hieraus die Grenzen zwischen dem Erreichbaren und dem Unerreichbaren zu ziehen, ein Vorgehen, das Reflexion, Zurückwendung auf sich selbst heißt.

Das Ich, das sich als denkendes Wesen weiß, liegt allem Wissen zugrunde. Ein solches erstes Zugrundeliegendes heißt lateinisch sub-iectum. Die neuzeitliche Philosophie, welche von dem Ich als dem Zugrundeliegenden ausgeht, nennt man daher zu Recht: Philosophie der Subjektivität.








Warum braucht man einen Staat?














Konzeption des Staates abhängig vom Menschenbild







Legitimation des Staates: Sicherheit


Das Gedankenexperiment vom Naturzustand

(...) Bei Descartes steht die theoretische Philosophie, die Metaphysik, im Mittelpunkt. Die neue Begründungsform im Geist der Philosophie der Subjektivität betrifft auch die praktische Philosophie. Aus dem Menschen als Ich, das sich selbst reflektiert im Hinblick auf sein Leistungsvermögen, muss auch die praktische und die politische Philosophie begründet werden.

(...) Die politische Philosophie der Subjektivität geht auf den Menschen zurück und fragt, was ihn nötigt, sein Zusammenleben mit anderen Menschen staatlich zu regeln. Sie beantwortet diese Frage in einem Gedankenexperiment. Von allem, was der Mensch dem staatlichen Zusammenleben verdankt, sieht sie ab und versetzt ihn in einen Zustand ohne Staat, in einen Naturzustand. In ihm verhält sich der Mensch frei von allen staatlichen Beschränkungen und Zwängen; er zeigt hier sein eigentliches Wesen, das Streben nach Selbsterhaltung. Als sich selbst erhaltende Wesen sind alle Menschen einander gleich. Im Unterschied zu Aristoteles, der eine natürliche Ungleichheit der Menschen annimmt und Gleichheit nur unter Bürgern desselben Staats bestehen lässt, unterstellt die Neuzeit, dass alle Menschen von Natur aus gleich sind; die Tatsache, dass die Individuen mit körperlichen und geistigen Kräften nicht in demselben Maß ausgestattet sind, ändert nichts an der prinzipiellen Gleichheit der Lebenssituation, am Streben nach Selbsterhaltung. Wenn aber alle Menschen ohne jegliche Beschränkung nach der Sicherung und Optimierung ihrer Selbsterhaltung streben, so treibt diese fessellose Konkurrenz in einen Zustand völliger Unsicherheit und Gefahr. Sie sehen sich genötigt, dieses Streben in wechselseitige Grenzen zu bannen, um einen Zustand der Sicherheit und des Friedens herzustellen: den staatlichen Zustand.

Ausgangspunkt der Ableitung des Staats bildet also eine Wesensbestimmung des Menschen, wobei die Selbsterhaltung im Mittelpunkt steht. Je nachdem, ob der Mensch pessimistisch als ein aggressives oder optimistisch als ein eher geselliges Wesen eingeschätzt wird, fällt die Konzeption des Staats aus. In jedem Fall aber muss der Staat die Einhaltung der einmal eingegangenen Übereinkünfte durchsetzen, und sei es mit physischer Gewalt. Eine pessimistische Anthropologie baut auf einen Staat, der mit allumfassender Gewalt ausgestattet ist. Eine optimistische Anthropologie hingegen setzt auf das Vertrauen der Bürger zum Staat, der sie gerecht regiert, so dass nur ein Minimum an Staat für geboten erachtet wird.

Die politische Philosophie der Subjektivität geht aus von einer Wesensbestimmung des Menschen, von einer politischen Anthropologie. Aus ihr wird die Notwendigkeit des Staats als Garant der Sicherheit der Selbsterhaltung, als Garant der Friedlichkeit des Zusammenlebens der Menschen begründet, wobei der Grad der Ausstattung des Staats mit Macht direkt von den anthropologischen Grundannahmen abhängt.

Hatte Aristoteles das gute Leben der Menschen als Zweck des Staats bestimmt, so ist in der Neuzeit das Ziel des Zusammenlebens der Menschen in staatlich organisierter Form die Sicherung der individuellen Selbsterhaltung, die Sicherung des Friedens. Diese Friedenssicherung ist der fundamentale Legitimationsgrund des Staats in der Neuzeit: zunächst die Sicherung des Friedens im Inneren, während die Sicherung des Friedens nach außen nur bedingt in die Kompetenz des einzelnen Staats fällt.







Naturrecht auf Selbsterhaltung















Staat als neutraler Richter

Bedingungen:
Herrschaft des Gesetzes,
Gewaltmittel zur Rechtsdurchsetzung





Zwei Verträge


Gesellschaftsvertrag

Wie aber wird der Übergang vom Naturzustand in den Staatszustand bewerkstelligt? Die einhellige Antwort der neuzeitlichen politischen Philosophie lautet: durch Abschluss eines Vertrages. In diesem Vertrag wird die unumschränkte Freiheit der Selbsterhaltung des einzelnen eingeschränkt, und zwar so, dass die individuelle Freiheit aller friedlich zusammen bestehen kann. Jeder verzichtet auf sein schrankenloses Recht, akzeptiert Einschränkungen und erhält dadurch Sicherheit sowie Friedlichkeit des Zusammenlebens. Jeder Mensch hat ein Naturrecht auf Selbsterhaltung. Dieses Recht kann nicht aufgehoben werden; denn das würde die Vernichtung der Existenz bedeuten. Es kann aber eingeschränkt werden, so dass die unveräußerlichen Rechte aller Menschen nebeneinander bestehen können. Diese Einschränkungen werden kodifiziert in Gesetzen. Es gibt von Natur aus ein unveräußerliches Recht der Menschen, es gibt aber kein Naturgesetz; denn das Gesetz, die Einschränkung der Freiheit, geht auf freie und gleiche Übereinkunft zurück, kurz — auf einen Vertrag.

Im Naturzustand strebt jeder nach optimaler Sicherung seiner Selbsterhaltung, was zu Konflikten zwischen den Beteiligten führt, weil jeder nur seine eigene Sache vertritt. Die Beteiligten können unmittelbar ihre Interessenkonflikte nicht schlichten. Deshalb sehen sie sich genötigt, sich auf folgendes zu einigen:

erstens auf die allgemeinen Regeln der Schlichtung, auf Gesetze;

zweitens auf eine interessenneutrale Instanz, die in der Lage ist, einen interessenneutralen Schiedsspruch zu fällen, der den streitenden Seiten Rechnung trägt.

In der Neuzeit wird der Ursprung des Staats nach diesem Richtermodell gedacht: Der Staat wird als eine neutrale Gewalt eingerichtet, die Konflikte schlichtet und so den Frieden im Zusammenleben garantiert. Zwei Bedingungen sind also vonnöten: Es bedarf zum einen der Herrschaft des Gesetzes; zum andern muss die Herrschaft des Gesetzes Institution werden in Gestalt der Monopolisierung des Rechts auf Anwendung physischer Gewalt. Dieser Institution fällt die Aufgabe zu, die Durchsetzung des Richterspruchs nach Gesetzen zu garantieren; dazu bedarf es der Gewaltmittel. Die neuzeitliche Konstruktion des Staats muss daher eine Rechtskonstruktion sein: Politische Philosophie wird Rechtslehre, der legitime, mit Vernunftgründen gerechtfertigte Staat ist Rechtsstaat.

Die Gründung des Staats durch Vertrag fußt auf zwei rechtlichen Akten. Im Naturzustand herrscht ein soziales Chaos, das keinerlei ordnender Regel unterworfen ist. Die Menschen müssen sich deshalb einigen, dass sie in einer Gemeinschaft leben wollen, die durch Gesetze geregelt ist. Es muss also ein Vereinigungsvertrag (pactum unionis) zustande kommen, wodurch die Menschen sich zu einem politischen Körper vereinigen. Dies reicht jedoch noch nicht aus. Es muss noch eine staatliche Gewalt eingerichtet werden, die über die Einhaltung der beschlossenen Regeln oder Gesetze wacht und dies auch durchzusetzen vermag. Dem Vereinigungsvertrag muss noch ein Unterwerfungsvertrag (pactum subiectionis) folgen und diesen ergänzen. Es ist nun schwer, das Verhältnis beider Verträge zu fassen, und in der Geschichte der politischen Philosophie der Neuzeit sind sehr heterogene Lösungsmodelle entworfen worden, wobei die Konstruktionen zwischen der Betonung der Unterwerfung und der Einigung schwanken, zwischen einem eher autoritären und einem eher demokratischen Staatsmodell.

[aus: Eberhard Braun/Felix Heine/Uwe Opolka, Politische Philosophie. Ein Lesebuch. Texte, Analysen, Kommentare, Reinbek 1984]




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