Inhaltsverzeichnis
Online-Lehrbuch Demokratie:
Einleitung
Was ist Demokratie?
Entwicklung
Staat
Wahlen
Parlament
Regierung
Opposition
Gewaltenteilung
Rechtsstaat
Gesellschaft
Probleme
|
Kernelemente eines demokratischen Staats:
Opposition
[Autor: Dr. Ragnar Müller,
Mail an den Autor]
Im Abschnitt "Was ist Demokratie?"
haben wir uns dieser Frage mit einem Vergleich genähert. Derjenige mit
der Fernbedienung regiert und entscheidet, welches Fernsehprogramm
eingeschaltet wird, aber er benötigt von den Regierten Batterien, damit
seine Fernbedienung funktioniert. Stellt er sie nicht zufrieden, geben
sie ihm bei der nächsten Wahl ihre Batterien nicht mehr, sondern wählen
einen anderen Regenten, von dem sie erwarten, dass er ihren Wünschen und
Bedürfnissen eher entgegenkommt.
Wenn wir uns nun fragen, was Opposition im demokratischen Staat
bedeutet, so können wir sagen, dass die Opposition die Aufgabe hat, den
Regenten mit der Fernbedienung zu kontrollieren. Das heißt, die
Opposition achtet darauf, dass der Regent auch die Interessen der
Regierten vertritt, von denen er die Batterien auf Zeit bekommen hat.
Sie kritisiert seine Programmwahl und versucht aufzuzeigen, welches
andere, bessere Programm sie eingeschaltet hätte, wenn die Regierten ihr
die Batterien gegeben hätten. Das heißt, sie formuliert eine Alternative
zum gegenwärtigen Regierungsprogramm in der Hoffnung, dass sie der
Mehrheit der Wähler besser gefällt, so dass sie sich bei der nächsten
Wahl gegen die gegenwärtige Regierung und für sie, die gegenwärtige
Opposition, entscheidet.
Der folgende Text von Waldemar Besson und Gotthard Jasper
stellt Funktionsweise, Aufgaben und Probleme der Opposition im
demokratischen Staat dar. Ein zweiter Text
weiter unten auf der Seite
widmet sich den verschiedenen Formen der Opposition. Die beiden
Grundformen, kompetitive und kooperative Opposition, werden kurz
erläutert und bewertet. In der demokratischen Realität findet man in
aller Regel Mischformen.
Ganz unten auf der Seite finden Sie unsere
Empfehlungen zum Weiterlesen (Lexikonartikel, Texte zur politischen
Beteiligung und zu Bürgerinitiativen)...
Regierung und Opposition
Dass die Regierung einer Demokratie in der Führung der Innen- und
Außenpolitik immer Parteiregierung ist, wird nirgendwo sinnfälliger
demonstriert als in der Existenz einer parlamentarischen Opposition, die
der Regierungsmehrheit im Parlament gegenübertritt. Erst Regierung und
Opposition zusammen bilden im Normalfall die Gesamtheit der politischen
Kräfte einer Nation. Die Opposition — so hat man mit Recht gesagt — sei
neben der Regierung der andere Beweger der Politik. Das Vorhandensein
einer Opposition verhindert, dass sich die Regierungspartei mit dem
Staate identifiziert, zur Staatspartei wird und ihre Interpretation des
Allgemeinwohls zur absolut und allein gültigen erklärt. |
Schutz vor Machtmissbrauch |
Zwei Grundüberzeugungen, die zum Kernbestand demokratischer
Staatsgestaltung gehören, haben die Institution der parlamentarischen
Opposition geprägt. Da ist zunächst die Überzeugung, dass die Demokratie
ihre Dynamik durch politische und soziale Konflikte empfängt. Erst im
dauernden Kampf der Meinungen und Interessen wird die Fülle der
politischen Gesichtspunkte zur Sprache kommen, mit deren Hilfe die
anstehenden Probleme gemeistert werden können (...).
Opposition als Gegengewalt
Die von der Demokratie ermöglichte und für notwendig erachtete
Opposition geht aber auch noch auf eine andere Grunderfahrung des
politischen Lebens zurück. Wer von einer prinzipiell verderblichen
Wirkung uneingeschränkten Machtbesitzes überzeugt ist, muss in der
Demokratie die Summe von Vorkehrungen sehen, diesen Gefahren durch eine
systematische Kontrolle der Macht zu begegnen. Das wirkungsvollste und
wichtigste Gegengewicht gegen die staatliche Macht war von jeher die
parlamentarische Opposition.
Nach der Vorstellung der angelsächsischen Parlamentstheoretiker des 18.
Jahrhunderts, der eigentlichen Erfinder der parlamentarischen
Opposition, unterschieden sich Regierung und Opposition in der Spannung
zwischen Machtbesitz und Machtlosigkeit auch moralisch. Die Dämonie der
Macht bedrohe nur die Regierung, die im Besitz der Macht in der Gefahr
der Korruption stehe. Dieser Entwicklung zu wehren, sei Aufgabe der
Opposition. Durch die Institutionalisierung der Opposition sollte die
Freiheit gesichert werden, indem man der verführbaren Natur des
Menschen, speziell des Mächtigen, eine Zuchtrute beigab, die sie daran
zu hindern hatte, dass Freiheit in Anarchie oder Despotismus umschlage.
Die Idee der parlamentarischen Opposition stellt deshalb einen Versuch
dar, die gleichsam kreatürlichen Mängel des Menschen zu überwinden und
dem Gemeinwesen gleichzeitig Tat und Kritik, Handeln und Wägen zu
verschaffen. Opposition wird so ihrerseits zu einer Funktion der
politischen Führung, was sich in England durch die staatliche Besoldung
des Oppositionsführers und die Bezeichnung der Opposition als "Her
Majesty's Opposition" ausdrückt. Mit Recht hat man deshalb die
Institutionalisierung der Schranken politischer Macht im
parlamentarischen Regime durch die Schaffung einer Opposition als "eine
der glücklichsten Erfindungen des ja nicht allzu reichen Inventars an
politischen Institutionen" (Otto Kirchheimer) bezeichnet. |
Aufzeigen von Alternativen zur Regierungspolitik
Wählerin als Schiedsrichter |
Opposition als Alternative
Es ist gewiss kein Zufall, dass sich die Idee der parlamentarischen
Opposition in England, dem Land des klassischen Zweiparteiensystems,
ausgebildet hat. Denn im Zweiparteiensystem kann das Spiel zwischen
Regierung und Regierungspartei einerseits und der Oppositionspartei
andererseits besonders unmittelbar und wirkungsvoll funktionieren. Die
Opposition hat zwar in einem solchen System in der Regel nicht die
Chance, während der Legislaturperiode die Regierung zu stürzen, solange
sich diese sicher auf die Mehrheit ihrer eigenen Partei stützen kann.
Aber das schmälert die politischen Möglichkeiten der Opposition nicht.
Diese wirkt nämlich schon dadurch auf die Regierung ein, dass sie zur
Ablösung einer nicht erfolgreichen Regierung in den nächsten Wahlen
bereitsteht. Darum kritisiert sie im Parlament die Maßnahmen der
Regierung und stellt ihnen ein besseres Programm entgegen, um so die
Wähler davon zu überzeugen, dass sie gut daran täten, sobald wie möglich
eine neue Regierung zu bestellen. Die Aussicht, nach den nächsten Wahlen
auch tatsächlich an die Macht zu kommen, veranlasst die Opposition
jedoch auch, in der Kritik und bei den eigenen Gegenvorschlägen maßvoll
zu sein.
Die Regierung ihrerseits wird den Kampf um das Vertrauen der Wähler
aufnehmen müssen. Die im Parlament vorgetragene Kritik der Opposition
zwingt sie zur Entgegnung und zur besseren Darlegung des eigenen
Standpunktes. Nicht selten wird die Regierung unter dem Eindruck der
Argumente der Opposition ihre Position ändern. Auch wird sich eine
weitsichtige Staatsführung gute Ideen und Pläne der Opposition zu eigen
machen, sicher oft zum Kummer ihrer Gegner, aber gleichwohl zum Besten
des Gemeinwesens. Das alles geschieht vor den Augen der Wählerschaft,
die als Schiedsrichter tätig ist, um alle vier oder fünf Jahre ihr
Urteil im Wettstreit zwischen Regierung und Opposition zu fällen. Um ihr
dafür Unterlagen zu liefern, werden die Reden im Parlament darum meist
mit Absicht und mit Recht zum Fenster hinaus gehalten. |
"vitale" statt klassische Gewaltenteilung
Zustimmung bei Verfassungsänderungen |
Kontrollfunktion der Opposition
Aber auch die politische Alltagsarbeit der Opposition im Parlament ist
von großer Bedeutung. Da die Mehrheitspartei oder die Parteienkoalition,
aus der die Regierung hervorgegangen ist, wenig Neigung und Anlass hat,
die Exekutive scharf zu kontrollieren, muss die Opposition auch die
Aufgabe der Kontrolle übernehmen, die nur in einem präsidialen
Regierungssystem, wie dem der Vereinigten Staaten, das Parlament als
Ganzes ausübt.
Denn die eigentliche politische Trennungslinie verläuft in den
parlamentarischen Ordnungen in der Regel nicht zwischen Regierung und
Parlament, zwischen Exekutive und Legislative, sondern zwischen
Regierung und Regierungspartei oder -koalition einerseits und der oder
den Oppositionsparteien andererseits. Die klassische Gewaltenteilung ist
also durch eine "vitale Gewaltenteilung" ersetzt (...). Man sollte
freilich die Kontrollmöglichkeiten der Opposition nicht überschätzen.
Nur in Ausnahmefällen wird es ihr gelingen, die notwendigen Mehrheiten
im Parlament gegen die Regierung zusammenzubringen. Aber schon die
öffentliche Kritik bestimmter Missstände oder die Drohung damit kann
Wunder wirken.
Direkten Einfluss übt die parlamentarische Opposition auf die
Gesetzgebung aus. Verfassungsänderungen sind in der Regel von ihrer
Zustimmung abhängig. Aber auch in der normalen Gesetzgebung vermag sie
oft zusammen mit der Regierungspartei oder mit einem Flügel derselben
die Entwürfe der Regierung erheblich abzuändern. Sie fungiert dann als
Sachwalterin der von der Regierung nicht oder nicht genügend
berücksichtigten Interessen und sorgt vor allem für eine freie und
umfassende Diskussion aller anstehenden gesetzgeberischen Probleme. Es
ist jedoch auch möglich, dass die Opposition der Regierung zu Hilfe
kommt, wenn diese unter Hinweis auf die Kritik der Opposition
einseitigen Forderungen der eigenen Partei Widerstand leistet. |
parlamentarische Rechte der Opposition |
Damit sie auch wirklich funktionieren kann, bedarf die Opposition
bestimmter parlamentarischer Rechte. Sie muss gegen
Geschäftsordnungstricks der Mehrheit gesichert sein und genügend
Spielraum besitzen, damit sie im Parlament die Regierung stellen,
Auskünfte erzwingen und die eigene Kritik vortragen kann. Vor allem aber
muss die Opposition im Wahlkampf über die gleichen Chancen verfügen wie
die Regierungspartei, gleichen Zugang zu Presse, Rundfunk und Fernsehen
haben und in der Öffentlichkeit frei für ihre Ziele werben können.
Die rechtliche Sicherung der Chancengleichheit und wirksame
Schutzbestimmungen für die Minderheit im Parlamentsrecht vermögen aber
ein geregeltes Spiel zwischen Regierung und Opposition innerhalb der
bestehenden Ordnung allein nicht zu garantieren. Beide müssen einen
durch die Tradition eingeübten Sinn für das "fair play" und den Respekt
für die hergebrachten Grundsätze des politischen Stils und des
demokratischen Verfahrens mitbringen (...).
Man muss sich davor hüten, ein bestimmtes Modell des Gegensatzes von
Regierung und Opposition zu verabsolutieren. Das englische Vorbild ist
nicht auf jedes Parteien- und Regierungssystem übertragbar. Auch im
Vielparteiensystem kann es die institutionalisierte Alternative der
parlamentarischen Opposition als Möglichkeit einer anderen
Regierungskoalition unter den parlamentarischen Gruppen geben. Es kommt
jedoch hier nur selten zu einer klaren Wachablösung, und deshalb hat es
der Vielparteienstaat in der Regel schwerer, die Fronten von Regierung
und Opposition im Parlament zu scheiden (...).
Doch auch in den Staaten mit Zweiparteien- oder Zweigruppensystem — im
letzteren steht einer großen Regierungspartei mit kleineren Partnern
eine Oppositionspartei oder Oppositionsparteiengruppe gegenüber — ist
heute der Regierungswechsel außerordentlich erschwert. Die Bänke der
Opposition sind hart und härter geworden. Man muss die Gründe dafür
sehen, um die Chancen einer Opposition im heutigen demokratischen Staat
nicht völlig unangemessen und falsch zu beurteilen. |
Schwachpunkt des parlamentarischen Systems
Informationsvorsprung der Regierung |
Probleme der Opposition
Früher galt durchaus der Satz: Regierung nutzt ab. Wer in der Opposition
saß, entging diesem natürlichen Abnutzungsprozess. Heute scheint die
Übernahme der Regierungsverantwortung ganz andere Konsequenzen zu haben.
Die Aussicht, dass die Opposition rasch an die Macht kommt, ist geringer
geworden. Die Ursachen dafür liegen in den einer Regierungspartei
vorbehaltenen Möglichkeiten, sich durch Vorabbefriedigung der Interessen
im Hinblick auf kommende Wahlen abzusichern (...).
Nicht das Wahlprogramm, sondern die Befriedigung der Wählerwünsche durch
gezielte Maßnahmen bis hin zu den sogenannten Wahlgeschenken kann die
entscheidende Voraussetzung sein, sich in den Wahlen zu behaupten. Hier
liegt einer der Schwachpunkte des parlamentarischen Systems. Seine
grundsätzlichen Kritiker bezweifeln, ob die bestehende Ordnung noch
genügend innere Dynamik und Chance für den Machtwechsel biete. Sie
verlangen deshalb meist eine grundlegende Änderung in den sozialen
Voraussetzungen der politischen Ordnung im Interesse gleicher
Aufstiegschancen für alle.
Angelsächsische Beispiele (...) bezeugen jedoch deutlich, dass der
Wechsel von Regierung und Opposition innerhalb der bestehenden
Herrschafts- und Gesellschaftsverhältnisse noch immer durchaus möglich
ist. Aber Wachsamkeit ist am Platze: es ist Gefahr für das demokratische
Gemeinwesen im Verzug, wenn der Verkrustung des Gruppen- und
Parteienstaats eine lebendige öffentliche Meinung nicht kräftig genug
entgegenwirkt.
Eine Mehrzahl von Interessenverbänden kann sich im freien Spiel der
Kräfte durchaus auch einmal der Oppositionspartei zuwenden, wenn die
Regierung wesentliche Strömungen unter den sozialen Gruppen und in der
öffentlichen Meinung vernachlässigt. Wenn die herrschende Partei einen
Mangel an Dynamik und Veränderungswillen zeigt, bekommt die Opposition
auch innerhalb der bestehenden Ordnung eine reelle Chance.
Andererseits zwingt die Rücksicht auf Gruppeninteressen, die ihr nahe
stehen, auch die Opposition dazu, die Zusammenarbeit mit der Regierung
immer wieder zu suchen, um auf diese Weise etwas für ihre Klientel tun
zu können. Das führt leicht zur Konsequenz, dass die Opposition das
Gemeinsame betont und die Kontrolle vernachlässigt. In einer
Gesellschaft, in der der Bürger primär an seiner sozialen Sicherheit
interessiert ist, muss man diesen Trend fast für unwiderstehlich halten.
Die Chance der Mitwirkung wird wichtiger als die Last der Opposition.
Hinzu kommt ein Weiteres. Die Kompliziertheit der gesetzgeberischen
Sachverhalte erfordert ein sehr umfangreiches Tatsachenwissen und
erstklassige Informationen. Die Regierungspartei kann sich beides über
die staatliche Bürokratie leicht verschaffen. Die Opposition hat zu ihr
in der Regel keinen Zugang. Sie ist daher nur unter erschwerten
Bedingungen in der Lage, eigene Gesetzentwürfe vorzulegen oder zu
Entwürfen der Regierung Alternativen zu entwickeln (...). |
außerparlamentarische Opposition |
Bürgerinitiativen und Neue Soziale Bewegungen
Durch die Entstehung von Bürgerinitiativen und neuen sozialen Bewegungen
(...) hat das Geschäft des Opponierens in den westlichen Demokratien
eine neue Intensivierung erfahren. Vielfach entstanden diese Bewegungen
im Protest gegen die Regierung und die parlamentarische Opposition, weil
ihre Anliegen vom bestehenden Parteiensystem nicht angemessen
aufgenommen wurden. Aber es charakterisiert die Flexibilität der
parlamentarischen Regierungsform, dass sie in der Lage war, diese
Bewegungen in je spezifischer Weise in das politische System zu
integrieren (...).
Die Frauenbewegung hat die politischen Parteien — ob in Regierung oder
Opposition — zu erheblichen Korrekturen im Programm wie insbesondere bei
der Personalpolitik gezwungen, weil eine stets zunehmende Zahl von
Frauen politisch bewusster agiert, die Dominanz der Männer in der
politischen Arena erfolgreich in Frage stellt und das Gewicht der
weiblichen Wählerstimmen demokratieadäquat in die Waagschale wirft.
Regional und lokal agierende Bürgerinitiativen arbeiten vielfach als
Opposition gegen den örtlichen oder regionalen Vollzug überregionaler
Planungen zum Beispiel von Verkehrswegen, Flugplätzen oder Müllkippen.
Die jeweils örtlich Betroffenen organisieren ihren Widerstand gegen
solche häufig parlamentarisch gut abgesegneten Planungen. Sie lösen
damit Konflikte aus, die quer zu den üblichen parteipolitischen Fronten
liegen; sie bringen so ein neues oppositionelles Element ins Spiel, das
zu integrieren für die auf Gesamtstaatsebene engagierten Parteien
außerordentlich schwierig ist. |
|
Die "vorparlamentarische" Opposition der lokalen Bürgerinitiativen
erfüllt darum in den immer komplizierter werdenden Verflechtungen der
modernen Politik mit ihren räumlich so unterschiedlichen Wirkungen eine
wichtige Funktion. Sie bringt die örtlich und regional Betroffenen zu
Gehör. Das gleiche gilt mit anderen Akzenten für die sozialen
Bewegungen, die quer liegen zu den üblichen Interessenverbänden.
In Bürgerinitiativen und neuen sozialen Bewegungen artikuliert sich
häufig auch ein basisdemokratisches Verlangen nach mehr und wirksamerer
Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der Politik. Das hat sich als
eine durchaus heilsame Herausforderung an die Adresse von Regierung und
parlamentarischer Opposition ausgewirkt. In den manchmal utopischen und
radikaldemokratischen Forderungen wird mit großem Ernst nach den
Leitbildern gefragt, die dem parlamentarischen Betrieb tatsächlich
zugrunde liegen.
Gelingt es Regierung und parlamentarischer Opposition, mit dieser
Herausforderung fertig zu werden, dann drohen von der Opposition aus dem
vorparlamentarischen Raum keine Gefahren für die Stabilität des
Gemeinwesens, dieses profitiert vielmehr, auch wenn manche
Entscheidungen und Planungen verzögert werden. Vermag die
parlamentarische Demokratie den berechtigten Wunsch nach inhaltlich
gefüllten Zielsetzungen und vermehrter Beteiligung nicht zu befriedigen,
dann ergeben sich gefährliche Schwächen, die sich vor allem im Mangel an
individuellem Engagement für die demokratische Staatsform ausdrücken.
Die Opposition aus Bürgerinitiativen und sozialen Bewegungen kann dazu
beitragen, dass das Gemeinwesen nicht in der reinen Konsumgesellschaft
erstarrt. Wenn Regierung und Opposition sich für deren prinzipielle
Fragestellungen offen halten, braucht es keine Entfremdung zwischen der
parlamentarischen Demokratie und ihren Bürgern zu geben. Für die
parlamentarische Opposition speziell bedeutet ein Aufnehmen dieser
Fragen und Probleme die Verbesserung ihrer Chancen auf Stimmengewinne. |
Grundkonsens erforderlich |
Opposition im demokratischen Staat
Die politische Arbeit im modernen freiheitlichen Sozialstaat braucht
allerdings ein gemäßigtes politisches Klima, und die immer wieder
bewährte Fähigkeit zum vollen Austrag politischer Kontroversen setzt den
Konsensus in den politischen Grundwerten, die Einigkeit über das
Unabstimmbare, voraus. Trotz der Sachzwänge einer technischen Welt
erlaubt die moderne Demokratie verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten, es
gibt immer eine unterschiedliche Reihenfolge in der Dringlichkeit
politischer Maßnahmen und meist auch unterschiedliche Wege zur Lösung
eines politischen allseits akzeptierten Zieles. So bleibt für die
Opposition innerhalb der bestehenden Ordnung genügend Raum zur
Profilierung, gerade dann, wenn sie gelegentlich auch einmal eine
prinzipiellere Kritik betreibt. Die Demokratie braucht eine legale
Opposition in und außerhalb des Parlaments, deren Kraft und Disziplin
ein entscheidender Maßstab für die Freiheitlichkeit und Toleranz eines
Gemeinwesens ist. Erst im spannungsvollen Mit- und Gegeneinander von
Regierung und Opposition entfaltet sich deshalb demokratische Politik.
Die Opposition braucht Mut und Phantasie, aber auch ein
gesellschaftliches Klima, das den politischen Streit bejaht und ihn
nicht als etwas Negatives abtut. Sie bedarf einer politischen
Atmosphäre, die der Regierung nicht grundsätzlich aus falscher
Autoritätsgläubigkeit den Vorzug gibt und jede Kritik als Zersetzung
verurteilt. Sie braucht ferner die Aufgeschlossenheit für neue
Perspektiven und den sozialen Wandel, wozu sich die Bereitschaft
gesellen sollte, den personellen Wechsel in der Führung als eine Chance
für neue gesellschaftliche und staatliche Impulse zu bejahen. In diesem
Sinne ist Opposition abhängig von der Beschaffenheit der öffentlichen
Meinung. Eine selbstbewusste und kritische Öffentlichkeit ist die
stärkste Hilfe für die Opposition, die umgekehrt in der politischen
Öffentlichkeit eines Landes jene Akzente setzt, mit denen sie ihrerseits
zu einer gestaltenden Kraft moderner Demokratie werden kann.
[aus: Waldemar Besson/Gotthard Jasper, Das Leitbild der modernen
Demokratie. Bauelemente einer freiheitlichen Staatsordnung, Bonn 1990] |
Aufgaben der
Opposition |
Der folgende Textauszug beleuchtet
die verschiedenen Formen, wie Opposition in einer Demokratie aussehen
kann. Unterschieden werden die beiden Grundformen, kompetitive und
kooperative Opposition.
Formen der Opposition
Doch nicht nur die Beziehungen zwischen Regierung und Regierungsmehrheit
gestalten sich in den verschiedenen politischen Systemen unterschiedlich
aus und unterliegen mit der Zeit Veränderungen, dies gilt auch für die
Haltung der Opposition zu Regierung und Regierungsmehrheit. Klammert man
das Problem der außerparlamentarischen Opposition — derjenigen
Gruppierungen also, die nicht im Parlament vertreten sind und durch
Demonstrationen, Blockaden und ähnliche Strategien ihre Gegenposition
zur herrschenden Mehrheit zu verdeutlichen versuchen — hier aus, so ist
die Opposition einfach zu umschreiben.
Sie wird durch diejenigen Parteien
gebildet, die im jeweiligen Parlament in der Minderheit sind und die
Aufgabe haben, die Regierung zu kontrollieren, zu kritisieren und ihr
Alternativen gegenüberzustellen. So klar diese Aufgabenumschreibung im
ersten Augenblick erscheint, die Erwartungen, denen sich eine Opposition
gegenübersieht, sind doch sehr unterschiedlich (...). |
klare Gegenposition zur Regierung
Regierungshandeln mitgestalten |
Kompetitive Opposition
Eine kompetitive Opposition sieht
ihre Aufgabe in erster Linie darin, eine klare Gegenposition zu den
Regierungsentscheidungen bereitzustellen. Sie zielt mit ihrer Kritik am
Regierungshandeln zum Beispiel nicht auf eine Verbesserung von
Gesetzesvorlagen der Regierung. Ihr Blick gilt vielmehr den nächsten
Wahlen. Der Wählerschaft sollen die Mängel der Politik der Regierung
deutlich gemacht werden, und sie soll dazu veranlasst werden, sich bei
der nächsten Wahl zugunsten der derzeitigen Opposition zu entscheiden.
Die Sachalternativen werden nicht selten durch personelle Alternativen
unterstrichen. In Großbritannien zum Beispiel steht dem Premierminister
der Oppositionsführer (Leader of the Opposition) mit seinem
"Schattenkabinett" gegenüber, in dem verschiedene Schattenminister für
unterschiedliche Politikbereiche zuständig sind und mit dem verdeutlicht
werden soll, dass die jeweilige Opposition kompetente Fachleute und
potentielle Minister in ihren Reihen hat.
Versteht sich eine Opposition in
erster Linie als kompetitives Gegenüber zur Regierung, so wird die
Detailarbeit in den Ausschüssen bedeutungslos. Der Ort der scharfen
Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition ist das
Parlamentsplenum. Hier wenden sich Regierung und Regierungsmehrheit
sowie Opposition an die Wählerschaft: die eine Seite mit dem Ziel der
Rechtfertigung ihrer Entscheidungen, die andere Seite mit der Absicht,
die Mängel und Fehler der Regierungspolitik herauszustellen.
Kooperative Opposition
Die kooperative Opposition hingegen
denkt nicht in erster Linie an die nächsten Wahlen. Ihr kommt es vor
allem darauf an, ihre eigenen Vorstellungen nicht nur als Alternativen
zu den Regierungsentscheidungen darzustellen, sondern soweit wie möglich
in den konkreten Gesetzesentscheidungen unterzubringen. Solche Erfolge
kann sie aber nur dann erzielen, wenn sie darauf verzichtet, der
Regierung öffentlich ihre Unfähigkeit nachzuweisen. Sie ist gezwungen,
während der Verhandlungen in den Ausschüssen zu versuchen, der Regierung
und der Regierungsmehrheit möglichst viele Zugeständnisse abzuringen.
Wird ein solches
Oppositionsverhalten auf die Spitze getrieben, so findet die wesentliche
Parlamentsarbeit fast ausschließlich in den Ausschüssen statt, das
Plenum hingegen, in dem die unterschiedlichen Positionen von Mehrheit
und Minderheit der Öffentlichkeit vermittelt und ihr gegenüber begründet
werden sollen, verliert seine Funktion. Der Wähler kann die
Verantwortung für Entscheidungen nicht mehr zurechnen, da für ihn die
Kompromisse nur schwer über- und durchschaubar sind. |
Strategie der Opposition umfasst Elemente beider Formen |
Keine strikte Trennung
So einleuchtend die Unterscheidung
zwischen den beiden Oppositionstypen auf den ersten Blick auch ist, sie
trägt Probleme in sich. Um hier nur die wichtigsten anzusprechen: Es
gibt zwar rein kompetitive Oppositionsparteien, sie sind jedoch meist
nur von geringer Bedeutung im jeweiligen politischen System. Existiert
jedoch eine große Partei, die es sich leisten kann, auf strikten
Oppositionskurs zur Mehrheit zu gehen, ist dies ein ernstes Anzeichen
für die Instabilität des betreffenden Systems. Eine rein kooperative
Opposition ist hingegen schwer vorstellbar. Sie vernachlässigt nicht nur
ihre eigentlichen Aufgaben, sie brächte sich auch um die Chance, sich
dem Wähler als künftige Regierungspartei zu empfehlen.
Eine strikt kompetitive Opposition
ist dann denkbar, wenn sie nicht nur eine Alternative zu der regierenden
Mehrheit, sondern auch zum politischen System selbst bieten will. Sie
wird nämlich bei einer Regierungsübernahme feststellen müssen, dass der
Spielraum einer Regierung in einer Demokratie westlichen Musters
erheblichen Beschränkungen unterliegt. Sie wird einsehen müssen, dass
sich Alternativen wesentlich leichter anbieten als durchsetzen lassen.
Kann sie ihre eigenen Vorstellungen aus der Oppositionszeit in
wesentlichen politischen Bereichen dann nicht verwirklichen, verliert
sie notwendigerweise an Glaubwürdigkeit (...).
Trotz der hier aufgeführten
Bedenken wird man der Unterscheidung zwischen kooperativem und
kompetitivem Oppositionsverhalten einen gewissen Erklärungswert nicht
absprechen können (...). Man sollte aber immer im Auge behalten, dass
eine Opposition zumindest dann, wenn sie selbst die Regierung übernehmen
will, im Normalfall gezwungen ist, sowohl kompetitiv als auch kooperativ
zu agieren. Sie muss glaubwürdig bleiben und sie muss Alternativen
zeigen. Sie wird nicht immer von vornherein Nein sagen können zu
Regierungsvorschlägen, vor allem dann nicht, wenn ihr von
Regierungsseite die Zusammenarbeit angeboten wird. Sie wird sich aber
auch nicht auf eine immerwährende Zusammenarbeit mit der Regierung
einlassen können.
Eine Mischung aus kompetitiven und
kooperativem Oppositionsverhalten liegt letztlich auch in der Konsequenz
der Aufgaben einer Opposition im parlamentarischen Regierungssystem. Die
"klassische Trias Kritik, Kontrolle, Alternative" (Heinrich Oberreuter)
bildet die Grundlage für die Aufgabe einer parlamentarischen Opposition.
Unter Alternative hat man sowohl Sach- als auch Personalalternativen zu
verstehen. Kontrolle bedeutet, dass die Opposition die Regierungspolitik
auf ihre Übereinstimmung mit der Verfassung und den Gesetzen hin
überwacht. Kritik schließlich darf nicht als bloße Nörgelei im Detail
verstanden werden, sondern muss auch die Bereitschaft zur konkreten
Mitarbeit, zur Verbesserung von Regierungsvorschlägen umfassen. Die
Opposition nimmt diese Aufgaben nicht allein im Parlament wahr, sondern
wendet sich auch direkt an die Wählerschaft.
[aus: Bundeszentrale für politische
Bildung: Parlamentarische Demokratie 1, Informationen zur politischen
Bildung Nr. 227, 1993] |
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Lexikonartikel: "Opposition"; aus: Andersen,
Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der
Bundesrepublik Deutschland. 5., aktual. Aufl. Opladen: Leske+Budrich
2003. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2003.
Lexikonartikel: "Bürgerinitiativen"; aus: Andersen,
Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der
Bundesrepublik Deutschland. 5., aktual. Aufl. Opladen: Leske+Budrich
2003. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2003.
Demokratie und Beteiligung - Aus Politik und Zeitgeschichte
44-45/2011.
Bürgerinitiativen; aus: Pötzsch, Horst: Die Deutsche Demokratie. 5.
überarbeitete und aktualisierte Auflage, Bonn: Bundeszentrale für
politische Bildung 2009, S. 54-55. |
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