Abgrenzung

 

Demokratie

Die Frage "Was ist Demokratie?" lässt sich auch beantworten, indem man versucht, demokratische Systeme von undemokratischen abzugrenzen. Darum geht es in dem folgenden Text. Nach kurzen Ausführungen zum Parlamentarismus im allgemeinen widmet er sich den Unterschieden von demokratischen, totalitären und autoritären Systemen:

Parlamentarismus Totalitäre Systeme
Demokratische Systeme Autoritäre Systeme

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Buchauszug

Demokratische, totalitäre und autoritäre Systeme

Parlamentarismus

Parlamentarismus ist auf den ersten Blick ein vieldeutiger Begriff. Mit einem sehr weit gefassten Parlamentarismusbegriff nämlich könnte man sämtliche Systeme zusammenfassen, in denen ein Parlament existiert — egal welche Position das jeweilige Parlament einnimmt und welche Aufgaben es hat. Der Nationalsozialismus erfüllte die Bedingungen dieses Begriffes ebenso wie zum Beispiel die Sowjetunion während der Stalin-Ära, Franco-Spanien oder das Rumänien Ceausescus. Westliche Demokratien fallen genauso unter diesen Begriff wie autoritäre Entwicklungsländer. Dieser Parlamentarismusbegriff ist offensichtlich so weit gefasst, dass er unbrauchbar ist.

Von Parlamentarismus sollte man nur im Zusammenhang mit demokratischen Systemen sprechen. Dies macht zunächst eine Unterscheidung von demokratischen und nichtdemokratischen Systemen notwendig. Die Versuche, politische Systeme gegeneinander abzugrenzen, sind alt. Sie sind seit der Antike, wo sie insbesondere durch Aristoteles wichtige Impulse erhielten, bis heute nicht abgerissen. Aber während des 19. Jahrhunderts und insbesondere während des 20. Jahrhunderts haben sich Veränderungen ergeben, die die alten Typologien weitgehend unbrauchbar machen. Die ursprünglich beliebte Unterscheidung zwischen Monarchien und Republiken ist zum Beispiel heute nicht mehr besonders aussagekräftig. Zumindest in den großen westlichen Demokratien, an deren Spitze — wie in Großbritannien, Belgien, Spanien, in den Niederlanden oder in den skandinavischen Ländern — noch heute Monarchen stehen, sind diese ihrer früheren Machtfülle weitgehend beraubt und unterscheiden sich heute von den Präsidenten in anderen parlamentarischen Regierungssystemen im wesentlichen nur noch durch die Erblichkeit ihrer Ämter. Zum anderen haben Nationalsozialismus und Stalinismus — mitbedingt durch das Aufkommen moderner Massenkommunikationsmittel — Herrschafts- und Unterdrückungsmechanismen entwickelt, die nicht einfach mit der Herrschaftspraxis früherer Diktatoren verglichen werden können. So begannen in den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts die ersten Versuche, die Eigenheiten des nationalsozialistischen und des stalinistischen Regimes herauszuarbeiten. Sie führten zu der Unterscheidung von totalitären, autoritären und demokratischen Systemen.

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Demokratische Systeme

Demokratische Systeme zeichnen sich vor allem durch politischen Wettbewerb aus. Regelmäßige, allgemeine, geheime und freie Wahlen zwischen Parteien mit unterschiedlichen Zielsetzungen legitimieren die Träger der politischen Herrschaft und bieten die Möglichkeit der Ablösung der regierenden Partei(en), auch wenn dies in der Praxis — wie zum Beispiel in Japan, wo die Liberale Partei seit 1946 an der Macht ist — lange dauern kann.

Die Garantie von Menschen- und Bürgerrechten beschränkt in diesen Systemen die Staatsmacht und ermöglicht erst die pluralistischen Strukturen, die notwendig sind, damit der Volkswille und seine unterschiedlichen Interessen sich im Herrschaftssystem zur Geltung bringen können.

Eine Demokratie ist nicht nur ein auf Volkssouveränität gegründetes System mit Mehrheitsentscheidungen. Hinzukommen Rechtsstaat und Gewaltenteilung, die Minderheiten schützen, der staatlichen Willkür vorbeugen und die Macht der einzelnen Herrschaftsträger begrenzen sollen.

Für die Überlebensfähigkeit demokratischer Systeme ist es darüber hinaus von Bedeutung, dass neben kontroversen Meinungen und Interessen auch ein allgemein akzeptierter Bereich von Werten — zum Beispiel die Grundrechte oder die demokratische Regierungsform selbst — besteht, der nicht von größeren Bevölkerungsgruppen in Frage gestellt wird.

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Totalitäre Systeme

Der Totalitarismus bildet in dieser Typologie den Gegenpol zu den demokratischen Systemen. Die klassischen totalitären Systeme — der Nationalsozialismus und das Sowjetsystem stalinistischer Prägung — sind insbesondere durch folgende Merkmale gekennzeichnet:

NS-Parteitag

[Parteitag der NSDAP in Nürnberg; das nationalsozialistische Deutschland ist das klassische Beispiel eines totalitären Systems]

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Es existiert eine einzige Partei, die ihre Legitimation nicht aus Wahlen herleitet und den Volkswillen nicht als Schranke ihrer Macht akzeptiert. Sie betrachtet es umgekehrt als ihre Aufgabe, den Volkswillen gemäß ihren eigenen Vorstellungen zu prägen.

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Grundlage hierfür ist eine religionsähnliche Weltanschauung. Diese Weltanschauung nimmt für sich in Anspruch, dass sie "wahr" ist und den idealen Endzustand der Gesellschaft nicht nur kennt, sondern auch in absehbarer Zeit herbeiführen wird. Kernpunkte der nationalsozialistischen und der kommunistischen Ideologie waren die Weltherrschaft der "arischen Rasse" beziehungsweise der Aufbau einer "klassenlosen Gesellschaft".

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Die Akzeptierung der herrschenden Weltanschauung ist für Bürger in totalitären Systemen verpflichtend. Ihnen wird nicht gestattet, sich abseits zu halten und in private Freiräume zurückzuziehen. Sie werden vielmehr gezwungen, die herrschende Weltanschauung aktiv zu unterstützen. Wo die aktive Unterstützung nicht freiwillig erfolgt, wird sie durch ein ausgeklügeltes System von Unterdrückungsmechanismen durch die Herrschenden erzwungen. Da die Massenkommunikationsmittel, die sich in der ausschließlichen Kontrolle der Machteliten befinden, weder während des Nationalsozialismus noch des Stalinismus die in sie gesetzten Erwartungen gänzlich erfüllten und eine Identität zwischen Regierenden und Regierten nicht erzwingen konnten, waren zusätzliche terroristische Unterdrückungsinstrumente notwendig. Die brutale und menschenverachtende Verabsolutierung der eigenen Weltanschauung fand ihre symbolhaften Höhepunkte in den Konzentrationslagern, in der Vernichtung "lebensunwerten Lebens" und in dem Völkermord an sechs Millionen europäischen Juden sowie in den stalinistischen Säuberungen, denen viele Millionen Menschen zum Opfer fielen (...).

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Autoritäre Systeme

Autoritäre Systeme sind — und das haben sie mit den totalitären gemein — nichtdemokratische Regierungssysteme. Der Begriff "autoritäre Systeme" ist nicht eindeutig, er umfasst eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Regime. Unter die autoritären Systeme wären zum Beispiel zu rechnen die linken oder rechten Militärdiktaturen, die für viele Entwicklungsländer kennzeichnend sind, aber auch das ehemalige Franco-Spanien oder Chile unter Pinochet. Wahlen sind in solchen Systemen manipuliert. Im Gegensatz zu den totalitären Regimen spielt nicht die Weltanschauung, sondern die Herrschaftssicherung die zentrale Rolle. Ein eingeschränkter Pluralismus wird, sofern er keine Systemgefährdung mit sich bringt, normalerweise geduldet. Die Mobilisierung der Bevölkerung zugunsten einer Weltanschauung, der die Funktion einer Ersatzreligion zukommt, ist untypisch für solche Systeme. Vielmehr sind die Herrschaftseliten vielfach bereit, die private Sphäre und sogar abweichende politische Anschauungen der Bürger zu tolerieren, solange keine öffentliche Kritik am Regime geübt wird. Da es keine allgemein verbindliche Weltanschauung gibt, spielt auch die Staatspartei vielfach keine entscheidende Rolle und wird oftmals durch Herrschaftscliquen abgelöst, die auf persönlichen Beziehungen beruhen. Unter autoritären Regimen ist der Bürger, soweit er nicht aktiver Regimegegner ist, bei weitem weniger Repressions- und Terrormaßnahmen als unter totalitären ausgesetzt, da er das Regime nur dulden, nicht aber unterstützen muss.

Ideologien und totalitäre Bewegungen sind nicht selten — und sicherlich berechtigterweise — als charakteristisch für das 20. Jahrhundert bezeichnet worden. Die Entwicklungen der jüngsten Zeit erweisen die Anziehungskraft der demokratischen Systeme und lassen hoffen, dass die parlamentarische Demokratie über kurz oder lang weitere Erfolge erringen kann.

[Emil Hübner; entnommen aus: Bundeszentrale für politische Bildung: Parlamentarische Demokratie 1, Informationen zur politischen Bildung Nr. 227, 1993]

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