1984

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Vorbilder

"Auch Jesus war ein Revolutionär"

SPIEGEL- Interview mit dem Friedensnobelpreisträger Bischof Tutu

[Der Spiegel, Ausgabe 43/1984]

SPIEGEL: Bischof Tutu, wir möchten Ihnen zum Friedensnobelpreis gratulieren...

TUTU: Danke schön.

SPIEGEL: Der Präsident Ihres Landes, Pieter Botha, reagierte lediglich mit einem "No comment" auf Ihre Ehrung. Schmerzt Sie das?

TUTU: Es macht mich traurig. Fremde Regierungen und Staatsoberhäupter haben mich beglückwünscht. Mein eigenes Land aber findet nicht einmal ein konventionelles Wort wie "Wir gratulieren". Das würde doch nicht die Haut auf ihren hohen Nasen ritzen.

SPIEGEL: Ihre Regierung nennt Sie einen politischen Priester. Stimmt das?

TUTU: Ich glaube, daß ein Christ auch politisch sein muß, wenngleich nicht parteipolitisch.

SPIEGEL: Sind Sie ein "Priester-Revolutionär", wie Zeitungen Sie nennen?

TUTU: Das Nobelpreiskomitee hat geurteilt, es hat mich und den "South African Council of Churches" (SACC), dessen Generalsekretär ich bin, gerechtfertigt – als Helfer für Versöhnung und Frieden. Natürlich wollen wir grundlegende Veränderungen. Wenn das Revolution ist, dann bin ich ein Revolutionär. Selbst Jesus war das, er wollte Güte, Gerechtigkeit und Vergebung.

SPIEGEL: 1960 hat ein anderer Südafrikaner, Häuptling Albert Luthuli, Führer des "African National Congress" (ANC), den Friedensnobelpreis bekommen. Als er starb, hieß es, er sei der letzte gemäßigte schwarze Führer gewesen. Der ANC ging in den Untergrund und versucht seidem mit Waffengewalt die weiße Herrschaft zu beenden. Vergleichen Sie sich mit Luthuli?

TUTU: Wir wollten beide Südafrika mit friedlichen Mitteln verändern. Er aber war ein Politiker, ich bin ein religiöser Führer.

SPIEGEL: Was Sie sagen, könnte genügen, Sie nach dem Gesetz für innere Sicherheit zu verhaften. Haben Sie nicht manchmal Angst?

TUTU: Nein, nicht wirklich. Ich finde, daß ich nichts sage oder tue, was subversiv ist. Das gibt natürlich keine Sicherheit, vor allem nicht, wenn man die Handlungen der Regierung während der letzten Jahre verfolgt. Aber Gott ist mein Hirte.

SPIEGEL: Die Verleihungsschrift betont, daß nicht nur Sie und der SACC geehrt werden sollen, sondern auch alle Einzelpersonen und Gruppen Südafrikas, die mit "ihrem Bemühen um Menschenwürde, Brüderlichkeit und Demokratie die Bewunderung der Welt haben", nicht zuletzt wegen ihrer friedlichen Methoden. Frage: Wie lange kann der Widerstand friedlich bleiben?

TUTU: Nicht mehr lange. Deswegen habe ich die Weltöffentlichkeit um Hilfe gebeten, um die Regierung Südafrikas an den Konferenztisch zu bringen, bevor es zu spät ist.

SPIEGEL: Was kann die Welt tun, um die Spannung in Südafrika zu mindern?

TUTU: Sie muß die Zusammenarbeit mit jenen einstellen, welche die Apartheid verursachen.

SPIEGEL: In welchen Bereichen?

TUTU: Die Großmächte haben oft genug UNO-Aktionen gegen Südafrika durch ihr Veto verhindert. Unlängst war Botha in Europa und traf dort hohe Regierungsvertreter. Das hat seine Glaubwürdigkeit gestärkt.

SPIEGEL: Was denken Sie über ausländische Investitionen in Südafrika?

TUTU: Investitionen sollten nur erlaubt sein, wenn bestimmte Richtlinien gehalten werden, zum Beispiel: Schwarze Arbeiter müssen mit ihren Familien in der Nähe ihrer Arbeitsplätze wohnen dürfen. Gewerkschaften müssen zugelassen sein, und die Investoren sollten versichern, daß sie das Wanderarbeitersystem und die Paßgesetze für Schwarze ablehnen. Schließlich sollte man der südafrikanischen Regierung 18 bis 24 Monate Zeit geben, diese Bedingungen zu erfüllen.

SPIEGEL: Halten Sie diese Bedingungen in naher Zeit für realisierbar?

TUTU: Nein, das wäre ja die Abschaffung der Apartheid. Das wäre zu schön.

SPIEGEL. Seit Wochen schon gibt es schwere Unruhen in Südafrika mit Toten und Verletzten. Vor allem Jugendliche scheinen nicht mehr auf einen fernen Tag warten zu wollen, an dem die Weißen geneigt sind, über eine Teilung der Macht zu verhandeln. Hat die Revolution schon begonnen?

TUTU: Der Aufstand der Schwarzen begann 1912 mit der Gründung des ANC. Revolution ist nicht nur blutiger Krieg.

SPIEGEL. Sie verstehen Ihre Leute wie sonst kaum jemand: Warum zünden gerade Kinder Häuser an, verwüsten Schulen, vernichten Brotfahrzeuge?

TUTU: Die Hauptursache jeder Unruhe in Südafrika ist die Apartheid, da genügt ein Funken. Nehmen Sie nur die schwarze Erziehung. Hendrik Verwoerd, der Vater der Apartheid, hat ganz klar gesagt, daß Schwarze nicht über ein gewisses Bildungsniveau hinaus erzogen werden sollten, damit sie den Weißen dienen könnten. Deswegen die Proteste.

SPIEGEL: Kürzlich haben Sie Südafrika mit Nazi-Deutschland verglichen. Ist das nicht, trotz der Apartheid, doch übertrieben?

TUTU: Nein, ich meine die unchristiche Ideologie beider Systeme. In Südafrika ist das Wichtigste am Menschen seine Rasse, wie einstmals in Deutschland. Die Deutschen hatten eine Endlösung, und diese Typen hier haben auch eine Endlösung. Sie entziehen Menschen ihre Staatsbürgerschaft und werfen sie anschließend weg, indem sie sie in sogenannte Homelands verfrachten.

SPIEGEL: Falls Präsident Botha sagen würde: "Lassen Sie uns über unsere Probleme reden." Würden Sie hingehen?

TUTU: Ja, aber bei Verhandlungen muß die Themenliste stimmen.

SPIEGEL: Was müßte auf Ihr stehen?

TUTU: Das Ende der Apartheid.

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