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Die Verbände im politischen System

[Häufig] wird der große Einfluss der Interessenverbände negativ bewertet. Man spricht oft von der »Herrschaft der Verbände«, die die Obrigkeit vom geraden Weg des Dienstes an den »staatspolitischen Notwendigkeiten« abbringe und an der Ausrichtung der Politik am Gemeinwohl hindere. Aber dieses Gemeinwohl ist, wie schon festgestellt wurde, keine von vornherein fixierte Größe, und die gerade die Macht ausübende Regierung kann, soll die Freiheit der Bürger nicht ein leeres Wort sein, nicht einfach von sich aus definieren, was das gemeine Beste erfordere. Alle Gruppen der Gesellschaft -Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Erzeuger und Verbraucher, Land- und Stadtbewohner, Hausbesitzer und Mieter (...) - müssen ihre Auffassung über die richtige und gute Politik frei vertreten können, damit ein Ausgleich zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und weltanschaulichen Kräften entsteht, der sich allerdings an den Grundwerten einer menschenwürdigen und freiheitlichen Sozialordnung messen lassen muss.

Der Kompromiss zwischen den verschiedenen Interessen eines Volkes kann aber nicht ohne die Mitwirkung organisierter Gruppen gefunden werden, in denen sich die Interessen verdichtet haben. Wer die aktive Teilnahme der Bürger am demokratischen Staat über das Wählen - und allenfalls Leserbriefe-Schreiben - hinaus fordert, der darf ihnen nicht verwehren, die Formen zu suchen, in denen ihre Beteiligung am politischen Geschehen auch wirksam werden kann. Das aber bedeutet unter den Bedingungen der hochkomplexen modernen Gesellschaft, dass der einzelne sich mit Gleichgesinnten und Gleichinteressierten zusammenschließen muss, um sich in der Konkurrenz der Inter- essen durchsetzen zu können.

So stellen die Verbände eine Vertretung der Bürger dar, die in ihrem Namen zu bestimmten Zwecken sprechen können. Die Verbände sind gleichsam der verlängerte politische Arm der einzelnen, durch den diese ihren Wünschen Nachdruck verleihen und mit dessen Hilfe sie sich gegen die Übermacht des Staates oder anderer organisierter Gruppen wehren können. Ähnliches gilt von den Bürgerinitiativen, die - meist lokal begrenzt und auf ein konkretes Ziel ausgerichtet - die Betroffenen organisieren und gegenüber den Instanzen der Politik und Verwaltung vertreten.

Die Verbände richten ihre Wünsche und Forderungen zumeist an die Regierungen und Parlamente. Doch das empfinden diese nicht immer nur als lästigen Druck, sondern nicht selten auch als Unterstützung. Bei der gewaltigen Ausdehnung und Kompliziertheit moderner Gesetzgebung sind heute die Vertreter der betroffenen Interessenverbände nicht selten die einzigen wirklichen Experten. Man kann sich ihres Sachwissens bedienen, auch ohne allen ihren Forderungen nachgeben zu müssen. Durch die Mitarbeit der Betroffenen in der Vorbereitung der staatlichen Entscheidungen werden Staat und Gesellschaft integriert, und es entspricht natürlich auch einer Regierung für das Volk, dass die von den geplanten Maßnahmen betroffenen Bürger durch ihre Interessenvertretung zuvor gehört worden sind.

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Dieses Anhören der Verbände findet in den verschiedensten Formen statt und ist nicht selten durch Geschäftsordnungsbestimmungen von Regierungen und Parlamenten vorgeschrieben. Interessenvertreter versuchen, wo immer sie können, für ihre Gesichtspunkte zu werben und diese zur Geltung zu bringen. Man nennt sie zuweilen etwas abschätzig Lobbyisten. Darunter versteht man im ursprünglichen Wortsinne denjenigen, der in der Vorhalle des Parlaments, der Lobby, die Abgeordneten durch direkte Gespräche zu beeinflussen sucht. Heute haben sich die Formen dieser Einflussnahme sehr ausgeweitet. Nicht selten haben die großen Interessenverbände ihre Vertreter direkt in den Parlamentsfraktionen sitzen. Jedes Parlament unserer Tage kennt seine Bauerngruppen oder seinen Gewerkschaftsflügel oder die Fraktionen der Beamten und der Bürgermeister, die quer durch die verschiedenen parteipolitischen Gruppierungen hindurch gehen. Solche Verbandsvertreter sind häufig die wichtigsten Experten ihrer Parteien für die jeweiligen Sachgebiete und meist auch von erheblichem Einfluss auf die Willensbildung der Fraktion. Mit ihrem Sachwissen und ihren Informationsquellen, die ihnen durch den Verbandsapparat zur Verfügung gestellt werden, sind sie in der Lage, die Experten von Regierung und Parlament zu kontrollieren. Der einzelne Abgeordnete kann schon mangels entsprechender Kenntnisse meist nicht der Widerpart der Ministerialbürokratie sein. Hier kann der Verband mit seinem Apparat einspringen. Nicht selten wird die staatliche Verwaltung von der Verwaltung der Verbände kontrolliert, wenn Parlament und Parteien dazu nicht mehr in der Lage sind.

Aus alle dem kann die Notwendigkeit von Interessenverbänden und ihrer politischen Aktivität in der pluralistischen Demokratie nicht bezweifelt werden. Doch darf dies nicht zu einer Verharmlosung der organisierten Egoismen der Gesellschaft führen. Denn in der Macht der Verbände liegen auch Gefahren. Zum großen Teil stammen sie aus der oft sehr mangelhaft ausgebildeten Demokratie innerhalb der Verbände und dem Mangel an Kontrolle der Führungsgruppen und des Apparats der Verbände durch die Mitgliedschaft. Ferner suchen sich die Verbände gerne der Öffentlichkeit zu entziehen. Ihre Tätigkeit bleibt deshalb nicht selten unsichtbar, was es anders gerichteten Interessen schwerer macht, rechtzeitig ihr Gegengewicht ins Spiel zu bringen. Noch bedenklicher aber ist es, wenn einzelne, besonders große Verbände einen übermäßigen Einfluss erringen. Sie gewinnen politische Macht, indem sie eine oder mehrere politische Parteien dazu zwingen, ihre Wünsche bevorzugt zu befriedigen. Wer über zahlreiche Wählerstimmen verfügt oder sich durch finanzielle Zuwendungen für die Partei unentbehrlich gemacht hat, wird eher berücksichtigt als andere. Das kann dazu führen, dass einzelne Verbände am gesamtgesellschaftlichen Kompromiss weit stärker beteiligt werden, als weniger organisierte oder kleinere Interessen, die aber gerade in einer Demokratie ebenfalls Anspruch auf Berücksichtigung haben.

Die natürliche Vielfalt der Interessen wird es zwar in der Regel verhindern, dass ein einziger Verband sich gegen alle anderen durchzusetzen vermag. Dazu ist auch der Konkurrenzkampf unter den Interessen viel zu groß. Aber es kann doch leicht eine Situation entstehen, in der lebenswichtige Interessen, die für das gesamte Volk von Bedeutung sind, unter die Räder kommen, nur weil sie sich nicht durchsetzungsfähig organisieren lassen oder nicht wirkungsvoll organisiert sind. Die relative Machtlosigkeit etwa der Verbraucher- und Umweltverbände zeigt diese Gefahr deutlich. Je allgemeiner ein Interesse ist, um so schwerer lässt es sich organisieren. Wir werden zwar alle alt, aber die Organisation der Alten ist (...) wenig durchschlagskräftig.

Einer lediglich am sozialen Ausgleich orientierten Gesellschaft wird es ferner schwer fallen, grundlegende Reformen durchzusetzen. Die organisierten Interessen zielen ja in der Regel nur darauf ab, den Anteil ihrer Angehörigen am Sozialprodukt zu erhalten oder prozentual zu verbessern. Gerade die mächtigsten Interessenorganisationen sind oft ausgesprochen defensiv, da naturgemäß diejenigen Gruppen, die in ihrem sozialen Status bedroht sind, weil sie durch die wirtschaftliche Entwicklung in besondere Schwierigkeiten geraten, sich am leichtesten organisieren lassen. Solche Verbände versuchen dann, die einmal erreichten Positionen zu zementieren und notwendige Reformen, die meist schmerzhaft sind, zu hintertreiben. Die großen Interessenorganisationen (...) haben so regelrechte Veto-Positionen inne und können die Politiker nicht selten an durchgreifenden Änderungen hindern. So ist die pluralistische Gesellschaft in erster Linie an der Erhaltung des sozialen Status quo interessiert und zu ihr auch fähig. Will das Gemeinwesen freilich den großen Herausforderungen der Zukunft etwa im Bereich der Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen begegnen, muss es mehr sein als eine Gesellschaft organisierter Interessen. Es ist dann vor allem die Aufgabe der politischen Führung, die miteinander kollidierenden Interessen zu einem Kompromiss zu zwingen und darüber hinaus dem Gemeinwesen Ziele zu setzen und die Interessen an diese zu binden, um so kühn und beherzt den Weg in die Zukunft zu beschreiten. Das aber setzt voraus, dass sich die politische Führung auch gegen mächtige Interessen in der Gesellschaft durchzusetzen vermag, was ihr nur möglich ist, wenn sie sich auf ein funktionierendes Parteiensystem stützen kann.

... zum Text über die Parteien im politischen System

[aus: Waldemar Besson/Gotthard Jasper, Das Leitbild der modernen Demokratie. Bauelemente einer freiheitlichen Staatsordnung, BpB Bonn 1990]

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