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Der folgende Text beschäftigt sich mit der wissenschaftlichen Debatte um Defizite und Zukunft des US-amerikanischen Parteiensystems. Entwickeln sich die US-Parteien weg von reinen Wahlkampfvereinen hin zu Parteien, die mit programmatischem Profil als Mittler zwischen "Volk" und "Staat" auftreten?
Seit Jahren wird im Lager der amerikanischen Sozialwissenschaften eine überaus differenzierte Debatte zum Thema "Zerfall oder (Re)Konsolidierung des US-Parteiwesens" geführt. Kritiker der Parteiszenerie beklagen den Mangel an parteilicher Disziplin und Zusammenhalt (etwa im Miteinander von Präsident und Kongressmehrheit, das auch bei gleicher Parteizugehörigkeit häufiger ein "Gegeneinander" zu sein scheint). Sie monieren das Fehlen klarer Alternativen in Programmatik und Politik der rivalisierenden Traditionsparteien und verweisen insgesamt auf wachsende Ineffizienz und Legitimitätsdefizite im politischen System der USA. So hat schon in den sechziger Jahren der renommierte Politikwissenschaftler James D. Burns den Zustand der amerikanischen Parteiendemokratie in düsteren Farben gemalt und viel diskutierte Reformvorschläge unterbreitet. Diese zielen auf die Etablierung einheitlicher politischer Führungen, die Berechenbarkeit politischer Entscheidungen, die Zusammenarbeit zwischen Exekutive und Legislative und die Transparenz der politischen Willensbildungsprozesse ab, ohne die der Öffentlichkeit keine ausreichenden Kontrollchancen gegenüber den Regierenden zur Verfügung stünden.
In den achtziger Jahren haben sich die Auseinandersetzungen um das Parteiwesen intensiviert. Es versage, so die Kritiker, vor der Aufgabe, rechtzeitig Lösungen für neue Probleme im Bereich der Innen- und Außenpolitik anzubieten und sie durch wirksame Handhabung der Herrschaftsinstrumente in politische Entscheidungen umzusetzen. Die Parteien befänden sich in Auflösung, wodurch das Funktionieren des politischen Systems gefährdet würde. Verschiedene Reformvorschläge wurden propagiert, aber nicht weiter verfolgt. Der Grund dafür war und ist offenkundig: In einem Land, dessen politische Kultur von einem ausgeprägten Bewusstsein für Traditionen geprägt ist, sind weitreichende Reformen sehr schwer zu verwirklichen, um so weniger, wenn sie etablierte Machtpositionen in Frage stellen. Freilich werden auch gegenteilige Positionen vertreten, die eine Rekonsolidierung und Revitalisierung des amerikanischen Parteiwesens ausmachen wollen. Solche Stimmen verweisen auf wachsende programmatische Unterschiede zwischen Demokraten und Republikanern, die von einigen Autoren gar als "ideologische Polarisierung" bezeichnet werden. Letztere hätten im Zeichen der Reagan-, Bush- und Clinton-Administrationen auch zu einem einheitlicheren Abstimmungsverhalten der Kongressfraktionen geführt, was die Wählerorientierung erleichtert. Vor allem lasse sich aber auf allen Politikebenen ein Prozess der Konsolidierung der Parteien beobachten, dem es um eine wirksame Organisation des Parteiapparates gehe. So haben sich in der Tat die Qualität und Intensität der politischen Partizipation an der Basis der Parteien im Gefolge der Bürgerrechts-, Studenten- und Anti-Vietnam-Bewegung der sechziger und siebziger Jahre verändert. Junge Politikaktivisten, weniger an Patronage als an programmatischen Fragen interessiert, haben die alten Parteifunktionäre und deren Pragmatismus an die Seite gedrängt. Sie haben damit aber auch das Profil der Partei(en) vor Ort geschärft und die Partei als eigenständige Größe in Kommune, Kreis, Land und Bund erfahrbar gemacht. So existieren heute in allen fünfzig Einzelstaaten Republikanische Organisationen, die mit der aus früherem Dornröschenschlaf erwachten Parteizentrale in Washington, dem Republican National Committee (RNC) wenigstens ansatzweise zusammenarbeiten. Die drei nationalen Parteikomitees der Republikaner — neben dem RNC gibt es in beiden Häusern des Kongresses parallele Institutionen, die die parlamentarischen Wahlkämpfe zu organisieren, mindestens zu beeinflussen suchen —, haben in den letzten Jahren hohe Spendensummen für Wahlkampfzwecke eingetrieben. Darüber hinaus haben sie sich zunehmend um die Kandidatenauslese und -schulung für öffentliche Ämter bemüht und durch nationale Werbekampagnen ihre Präsenz deutlich zu machen versucht. Auch bei den Demokraten sind ähnliche Ansätze zu beobachten, ohne dass die Partei organisatorisch augenblicklich mit dem Republikanischen Rivalen konkurrieren könnte. Freilich sind die erwähnten Rekonsolidierungstendenzen im Parteiwesen insgesamt noch keine ausreichende Therapie für die tiefreichenden Krisenphänomene. So sind die national committees der Demokraten und Republikaner — und gleiches gilt für die parallelen Koordinierungsinstitutionen in beiden Häusern des Kongresses — letztlich bis heute nur effiziente Dienstleistungsunternehmen für Wahlkämpfe und Wahlwerbung geblieben. Sie sind nicht zu politikformulierenden und interessenvermittelnden Organisationen fortentwickelt worden, die etwa die Beobachtung oder gar die Umsetzung der Wahlprogramme der Parteien in der Politik der Einzelstaaten oder des Bundes erzwingen könnten. Aus europäischer Perspektive bleiben auch die revitalisierten nationalen Parteien vergleichsweise fragmentierte Gebilde. In Anbetracht der zunehmenden Personalisierung und Individualisierung der amerikanischen Wahlkämpfe erscheinen gelegentlich geäußerte Erwartungen unrealistisch, dass aus den lokal, regional und nach Gruppen aufgesplitterten Parteien ein straff organisiertes und nationale Prioritäten setzendes Parteiwesen hervorgehen wird. [Hartmut Wasser; aus: Informationen zur politischen Bildung 199, "Politisches System der USA", Bonn BpB 1997]
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