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Der folgende Text zeigt ausgehend
von der Abgrenzung des US-Präsidialsystems von parlamentarischen Systemen die
Zusammenhänge auf zwischen politischem System, Wahlrecht und Ausgestaltung des
Parteiensystems. Dabei listet er die wesentlichen Besonderheiten des
US-Parteiensystems auf, die im Abschnitt "US-Parteien" vertieft
betrachtet werden [...zum
Abschnitt "US-Parteien"].
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Parteien
und Wahlen in den USA |
Mit der Ausweitung ihres
Wahlrechts benötigten die Amerikaner Parteiorganisationen mit ausgedehnter
Basis, welche die Forderungen breiter Schichten politisch umsetzen konnten und
eine verantwortliche und verlässliche Regierung gewährleisteten. Im Gegensatz
zu England oder Deutschland haben die amerikanischen Parteien jedoch nie den
Zusammenhalt und die Disziplin entwickelt, die Parteien in Europa eigen ist. Mit
anderen Worten: Den Parteien in Amerika fehlen jene Voraussetzungen für eine
Verantwortung tragende Parteienregierung, die das parlamentarische System in
England und in Deutschland kennzeichnen. Amerikanische Parteien haben keine klar
unterscheidbaren Programme, die es den Wählern erlauben würden zu prüfen, in
welchem Maße die Regierungspartei ihre programmatischen Versprechungen
verwirklicht. Sie sind eher lose Koalitionen von Wählern und Gruppen, denen es
vor allem um die Sicherung der Macht und ums Regieren auf der Grundlage eines
breiten Konsenses geht. Die Parteiführer im Kongress bauen zeitlich begrenzte
Koalitionen über Parteilinien hinweg auf, die je nach politischer
Problemstellung häufig wechseln.
Keine
hierarchisch gegliederte Organisation... |
Im Gegensatz zu
den meisten europäischen politischen Parteien fehlt den amerikanischen
eine hierarchisch gegliederte Organisation, mit deren Hilfe die
Parteiführer einen Zusammenhalt erreichen und widerspenstige oder
abtrünnige Senatoren und Abgeordnete disziplinieren könnten, wenn sie
gegen das Gesetzgebungsprogramm der Partei votieren. Amerikanische
Parteien sind, wie der Politikwissenschaftler Hugh Bone bemerkt,
"Stratarchies"-Gebilde, in denen jede Ebene der
Parteiorganisation autonom entscheidet. Da die Bewerber um öffentliche
Ämter ihre eigenen Wahlkampforganisationen aufbauen, ihre eigenen
Wahlkampfetats aufbringen und ihre eigene Wahlkampfstrategie bestimmen,
stehen den Parteiführern nur wenige Mittel (Unterstützung oder
Verweigerung von Unterstützung) zur Verfügung, um Parteidisziplin
durchzusetzen. Als Konsequenz ergibt sich, dass Parteien in Amerika
bekanntermaßen in ihren Perspektiven provinziell sind, weil Senatoren
und Kongressabgeordnete gerade den lokalen Organisationen verpflichtet
sind, deren politische Orientierung sehr eingeengt ist. |
Provinzialität
und Fragmentierung der Parteien... |
Zusätzlich zu
der durch den Föderalismus erzeugten Provinzialität trägt auch das
Wahlsystem durch die unterschiedliche Zusammensetzung der Wählerschaft
des Präsidenten, der Senatoren und der Abgeordneten zur Aufsplitterung
der Parteien in Amerika bei. Das System des Wahlmännerkollegiums bei
der Präsidentenwahl beispielsweise unterstreicht innerhalb seiner
Wählerschaft die besondere Bedeutung der politisch unsicheren Staaten
mit großer Bevölkerungsdichte. Dadurch, dass alle einem Einzelstaat
zustehenden Wahlmännerstimmen dem Präsidentschaftskandidaten mit der
Mehrheit der Wählerstimmen in diesem Staat zufallen
("Winner-take-all"-Prinzip), ermutigt das
Wahlmännerkollegium-System die Präsidentschaftskandidaten dazu, sich
auf die etwa fünfzehn Staaten mit der größten Bevölkerung zu
konzentrieren, die über die für die Präsidentenwahl notwendige
absolute Mehrheit der Wahlmännerstimmen verfügen. Seit 1932 gehören
dazu gewöhnlich die großen Staaten mit starker Industrie, in denen
eine große Zahl von Arbeitern und verschiedene ethnische und rassische
Minderheiten leben. Wenn solche Gruppen im Block abstimmen, können sie
bei den Präsidentschaftswahlen den Ausschlag geben. Sie unterstützen
eine liberale und wirtschaftliche Sozialpolitik, für die sie sich bei
den Parteiwahlversammlungen mit Erfolg einsetzen. |
Wahlmänner
und Winner-take-all |
Auf diese Weise
haben das Wahlmännerkollegium-System und das
"Winner-take-all"-Prinzip diesen Gruppen einen besonderen
Einfluss auf die Politik des Präsidenten verschafft. Nach Einschätzung
der beiden politischen Beobachter Irving Kristol und Paul Weaver ist es
fraglich, ob ohne das System des Wahlmännerkollegiums und des
"Winner-take-all"-Prinzips eine fortschrittliche
Präsidentschaft entstanden wäre und von 1932 bis 1968 bestanden
hätte. |
Abgeordnete
sind mehr ihrem Wahlkreis verpflichtet als der Partei oder dem
Präsidenten... |
Im Gegensatz zur
Wählerschaft des Präsidenten ist die der Kongressabgeordneten und der
Parlamente der Bundesstaaten sehr viel heterogener. Sie lebt zum Teil in
kaum besiedelten ländlichen Gebieten, Kleinstädten und mittelgroßen
Städten, aber auch in Großstadtbezirken mit hoher Bevölkerungsdichte,
wie etwa der Megalopolis, die sich von Los Angeles in Kalifornien bis
nach San Diego erstreckt. Die unterschiedliche Zusammensetzung der
Wählerschaft bedingt, dass der Präsident, der Senat und das
Abgeordnetenhaus auf ein jeweils anderes Geflecht von wirtschaftlichen,
politischen und sozialen Interessen eingehen müssen. Ferner tragen die
sechsjährige Amtsdauer im Senat und die zeitlich versetzten
Senatswahlen (alle zwei Jahre wird lediglich ein Drittel der Senatoren
neu gewählt) sowie die zweijährige Amtsperiode der Abgeordneten dazu
bei, den Einfluss des Präsidenten als Parteiführer im Kongress gering
zu halten. Dabei beachten die Kongressmitglieder den Führungsanspruch
des Präsidenten im allgemeinen bei den Kongresswahlen, die zwischen den
Präsidentschaftswahlen liegen, weniger als bei jenen im
Präsidentenwahljahr. Ohne den Präsidenten an der Spitze der
Kandidatenliste seiner Partei sind seine Parteifreunde im Kongress
geneigt, die Interessen der Gemeinden, Bundesstaaten und einzelner
Regionen eher zu berücksichtigen als die Präferenzen und Prioritäten
des Präsidenten. |
Abnahme
der Parteibindung... |
Seit den frühen
sechziger Jahren haben verschiedene Trends im amerikanischen
Wählerverhalten die zentrifugalen Tendenzen im Parteiensystem
verstärkt. Erstens hat es eine stetige Zunahme von unabhängigen
Wählern gegeben, die sich weder mit der Demokratischen noch der
Republikanischen Partei identifizieren. Eine Reihe von traumatischen
Ereignissen wie etwa Rassenaufruhr, Unruhe in den Universitäten und der
Vietnam-Krieg wie auch die Erfolglosigkeit beider Parteien,
wirtschaftliche Probleme wie Arbeitslosigkeit, Inflation und Armut zu
lösen, haben das Vertrauen der Wähler in das Parteiensystem
erschüttert. Konsequenterweise achten sie um so stärker auf das Image
und die Persönlichkeit der Präsidentschaftskandidaten sowie die
aktuellen Themen, die sich in den Präsidentschaftswahlkämpfen
herausschälen — zum Beispiel Vietnam 1968, Watergate 1976 und die
Inflation wie auch "zuviel Staat" 1980. |
Stimmensplitting... |
Ein zweiter
wichtiger Trend ist die Zunahme des Stimmensplittings seit 1960. Der
Prozentsatz der Wähler, die ihre Wahlstimme dem
Präsidentschaftskandidaten der einen Partei geben, andererseits aber
die Kongressbewerber der anderen Partei unterstützen, ist von 40% im
Jahre 1960 auf 60% im Jahre 1980 gestiegen. Bei den letzten Bundeswahlen
haben sogar 70% der unabhängigen Wähler ihre Stimme zwischen den
Kandidaten der beiden großen Parteien aufgeteilt. Dieses
Stimmensplitting führte dazu, dass seit dem Zweiten Weltkrieg während
14 Jahren Exekutive und Legislative von verschiedenen Parteien
kontrolliert wurden. |
Problem
der Blockade... |
In den Fällen
eines mehrheitlichen Stimmensplittings zwischen einem republikanischen
Präsidentschaftskandidaten einerseits und demokratischen
Kongressmitgliedern andererseits standen die republikanischen
Präsidenten Eisenhower, Nixon, Ford und Reagan einem Kongress
gegenüber, in dem die Demokraten eine oder gar beide Kammern
beherrschten. Mit zwei augenfälligen Ausnahmen, nämlich bei Franklin
D. Roosevelt und Lyndon B. Johnson, haben demokratische
Präsidentschaftskandidaten weniger Wählerstimmen erhalten als die
Kongressmitglieder ihrer Partei. Republikanische Präsidenten müssen so
meist mit einem Kongress zusammenarbeiten, der von der Opposition
kontrolliert wird und dem Programm des Präsidenten ablehnend
gegenübersteht. Demokratische Präsidenten haben es hingegen deswegen
schwer, die Unterstützung des Kongresses für ihre Politik zu erhalten,
weil ihre Parteifreunde gegenüber Versprechungen und Drohungen des
Präsidenten verhältnismäßig immun sind. Das Stimmensplitting ist
einer der Faktoren, der die Effektivität des Präsidenten als
Parteiführer einschränkt, seine Chancen zur Durchführung des
Parteiprogramms unterminiert und Stillstand und Verzögerung bei den
Regierungsgeschäften verursacht. |
Rolle
der Medien... |
Während der
Föderalismus, die Gewaltenteilung und die neueren Entwicklungen im
Wählerverhalten das Parteiensystem fragmentiert haben, haben die
Massenmedien die Präsidentschaftswahlen in den nationalen Mittelpunkt
gerückt und die Rolle der Parteiorganisationen hinsichtlich der Politik
des Präsidenten weiter verringert. Beginnend mit den
"Kamingesprächen" und Radio-Pressekonferenzen von Franklin D.
Roosevelt in den späten dreißiger Jahren haben beide politischen
Parteien die elektronischen Medien bei den Präsidentschaftswahlen in
den Vordergrund gerückt. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat dann das
Fernsehen den Stil und die Mittel des Wahlkampfs radikal verändert.
Zusätzlich zu den steigenden Wahlkampfkosten erfordert die
wirkungsvolle Einbeziehung der Medien ein Korps von Spezialisten für
Öffentlichkeitsarbeit sowie Meinungsforscher, Redenschreiber, Berater
in öffentlichen Angelegenheiten, berufsmäßige Beschaffer von
Wahlkampfgeldern und "Voraustrupps". Einige Wahlkämpfe sind
sogar von Werbefirmen geplant worden, die Spezialistenteams gebildet
haben und die Kandidaten und Wahlthemen in der gleichen Weise
"verpacken", wie manche Firmen für Seife werben. Diese
Fachleute haben die traditionellen Parteibosse verdrängt, die einstmals
zur Mannschaft des Präsidenten im Weißen Haus gehörten. Seit 1960
zählen Experten für Medien und Öffentlichkeitsarbeit, die die
Auswirkungen von politischen Entscheidungen des Präsidenten auf die
Wählerschaft und seine Aussichten auf Wiederwahl in den Mittelpunkt
ihrer Überlegungen rücken, zu seinen engsten Beratern. |
[aus: Edward Keynes: Aktuelle
Entwicklungen im Regierungssystem; in: Politik und Wirtschaft in den USA,
Opladen 1985]
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