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Wahlkampf
symbolische Politik

Parteien

Parteien in der Kritik (IV)

Häufig wird kritisiert, die Parteien kapitulierten vor den Medien. Statt selbsbewusst führend an der Willensbildung des Volkes mitzuwirken, würden sie sich der Mediengesellschaft anpassen. Statt "reale" Politik zu treiben, würden sie sich auf "symbolische", mediengerechte Politik im Sinne von PR-Kampagnen konzentrieren. Der folgende Text greift diesen Argumentationsstrang polemisch auf.
Die Macht der Medien zeigt sich auch und gerade im Wahlkampf. Dem Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Wahlkampf widmet sich ein weiterer Text [...zum Text "Wahlkampf"]
Hinter-
grund
Ein weiterer Text beschäftigt sich mit den Begriffen "symbolische Politik" und "Mediengesellschaft", die für das Verständnis der Parteienkritik im Zusammenhang mit Medien von entscheidender Bedeutung sind [...zum Text über symbolische Politik].

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Entkräftete Parteien?

Je komplexer die Gesellschaft, desto heterogener auch der programmatische Fundus der Parteien. In der alten Zeit der geschlossenen Lager kamen Parteien noch mit drei Seiten Papier aus, um ihren Zielanspruch zu formulieren. Inzwischen aber gehen Parteien über Jahre in Klausur, damit jede Untergruppe ihre eigenen Absätze und Spiegelstriche in das Schlussmanifest hineinresolutionieren kann. Das Ganze zieht sich furchtbar lang und zäh hin, die Programmschriften werden immer dicker und langweiliger. Am Ende dieser weit gedehnten Programmdiskussionen geben Parteien schließlich Antworten auf Fragen von vorgestern. Und die Antworten wirken kraftlos, leerformelhaft und ohne Schwung.

Politiker indes versprechen sich nur dann Erfolg, wenn sie dynamisch, vital und energisch auftreten. Im Übrigen fügen sich programmatische Diskurse nicht in die Erwartungshaltung der Mediengesellschaft, die auf Personalisierung, Bilder und Spannungswerte setzt. Programmatische Diskurse hingegen bieten Buchstaben, Abstraktionen, wenn sie gut sind: Intellektualität. Sinnbotschaften sind auf Dauer angelegt; die Telegesellschaft aber prämiert die Abwechslung, den schnellen und nonchalanten Rollenwechsel. Und weil das alles so ist, haben Programme bei den Parteieliten keinen großen Stellenwert mehr (...). Auch das hat die Parteien buchstäblich um ihren "Sinn" gebracht.

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Wo der Sinn des Politischen keine Rolle mehr spielt, da braucht darüber auch nicht gestritten zu werden. Und so haben die Parteien den Streit jenseits der üblichen Personalrivalitäten eingestellt. Die innerparteilichen Flügel von ehedem haben ganz an Bedeutung verloren, sind nur noch Quoteninstrument für Personalentscheidungen, sind Traditions- und Geselligkeitsrunden. Foren für die politische Klärung und die harte Kontroverse sind sie nicht mehr. Denn auch das steht für die Telepolitiker fest: Auseinandersetzungen schätzt das Publikum nicht; gewählt wird allein die Partei, die geschlossen auftritt. Das mag so sein. Aber es entzieht den Parteien ihren politischen Kern, höhlt ihre Substanz aus. Und es schwächt die Elitenreproduktion. Denn geeigneter Führungsnachwuchs entsteht nicht in einer von Konflikten stillgelegten Struktur, nicht in einer homogenisierten und von oben disziplinierten Partei. Entschlossene, instinktsichere, durchsetzungsfähige und inhaltlich profilierte Politiker sozialisieren sich in der leidenschaftlichen Feldschlacht, im offenen Schlagabtausch, im wilden Disput, nicht in einminütigen gefälligen Statements vor der Kamera.

Wo es keine kräftigen Flügel gibt, da wirkt auch moderierende Führung lediglich unentschieden und unentschlossen. In scharf polarisierten Parteien ist Integrationsleistung einer Parteiführung eine hohe politische Kunst. Man braucht dazu friedensstiftende Fähigkeiten, das Vertrauen der verschiedenen innerparteilichen Lager, die Fähigkeit zur Balance und Bündelung sowie den Sinn für den einen strategischen Punkt, auf den man die Partei als Ganzes orientieren und in die Kampagne bringen kann (...). Auch wegen dieses Defizits an politischer Führung wirken die Parteien so kraftlos, auch deshalb tun sie sich so schwer, Anstöße vorzugeben, Richtungen zu beschreiben, politische Autorität zu gewinnen. Auch darum geraten sie bei jedem medialen Wind sofort aus den Fugen.

Vieles davon hat mit dem Kotau der Parteien vor der Mediengesellschaft zu tun. Die Politik hat sich damit um die Politik gebracht. Doch die Entpolitisierung der Politik hat zur Verachtung und Vereinsamung der Parteien erst recht beigetragen. An die Stelle der Programme haben die Parteien Gags gesetzt, statt stabiler Identitäten haben sie kurzlebige Images gewählt, statt Orientierung versuchen sie es mit Marketing, statt selbstbewusst zu führen, lassen sie sich von Spindoktoren inszenieren. Politiker glauben fest daran, dass die Gesetze der Mediengesellschaft dies alles verlangen. Dabei hat die Mediengesellschaft nur vor solchen Politikern Respekt, die am Kern des Politischen selbstbewusst und kantig festhalten, die um die Gunst der Journalisten nicht buhlen, die eben nicht um alles in der Welt gefallen wollen. Politiker dürfen nicht gefallen wollen. Und wahrscheinlich erwartet selbst das Telepublikum, auch wenn es passiv bleibt, von Politik nicht Spaß und Event, sondern Verantwortung, Sinn und Ernsthaftigkeit. Vielleicht sollten es Parteien daher tatsächlich einfach mal mit, ja, mit Politik versuchen.

[aus: Franz Walter, Die deutschen Parteien: Entkernt, ermattet, ziellos; in: Aus Politik und Zeitgeschichte 10/2001]

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