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Parteien in der Kritik (V):
Die Diskussion um den "Parteienstaat"
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Der folgende
längere Text mit dem Titel "Der
Parteienstaat in der Krise?" arbeitet sorgfältig und
nüchtern die Diskussion um Parteienverdrossenheit auf. Dabei diskutiert
er die Ursachen für die Kritik an den Parteien, erinnert an die
Funktionen, die Parteien im politischen System zu erfüllen haben und
charakterisiert einen neuen Parteityp, wie er sich gegenwärtig
abzeichnet. Indem er all diese Themen anspricht und die zentrale Rolle
der Parteien betont, stellt er eine Bilanz des
gesamten Themenkomplexes Parteien dar. Die Argumente werden
am Beispiel der Entwicklung des deutschen Parteiensystems entfaltet,
können aber über das deutsche politische System hinaus Geltung
beanspruchen.
[In der rechten Marginalienspalte
finden Sie Querverweise zu Themen auf D@dalos, die das jeweils
Dargestellte vertiefen] |
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Peter
Lösche: Parteienstaat in der Krise?
Überlegungen nach 50 Jahren
Bundesrepublik Deutschland |
Kein
Zweifel: Wir Deutschen sind Weltmeister im Lamentieren. Da wird über
Parteienverdrossenheit gejammert, diese gleichgesetzt mit
Politikverdrossenheit, ja zuweilen auch mit Demokratieverdrossenheit in
einen Topf geworfen (...). Überhaupt: Der Krisenbegriff war schnell bei
der Hand, wurde auf alles gepappt, was Veränderung und Wandel
ausmachte. Verwendet man den Krisenbegriff nicht alltagssprachlich,
nimmt ihn ernst, trotz seiner Vielfalt in unterschiedlichen
Forschungskontexten, dann entpuppt sich unsere politische Gegenwart und
auch die Geschichte der Bundesrepublik als längst nicht so dramatisch,
wie es das politische Feuilleton allzu oft suggeriert. |
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(...)
Im Gegenteil: Meine These für die folgenden Überlegungen lautet, dass
man versucht ist, im Kontext der deutschen Geschichte, aber auch im
internationalen Vergleich (auf den ich nicht eingehen werde) das
Hohelied des bundesrepublikanischen Parteienstaates anzustimmen, dass
wir im Rückblick auf die letzten 50 Jahre von einer Erfolgsgeschichte
der Parteien, des Parteiensystems und des Parteienstaates sprechen
können. Dabei werde ich keineswegs glorifizieren und manch Kritisches
anmerken. Ich spitze aber meine These bewusst und positiv zu, um mich
von den ständigen Lamentierern deutlich abzugrenzen. |
Erfolgsgeschichte
der Parteien |
Was
heißt "Parteienstaat" (...) in der politischen Realität? Im
folgenden wird von einem zunächst umgangssprachlichen Verständnis von
Parteienstaat ausgegangen. Denn ein politiksoziologisches analytisches
Konzept von dem, was "Parteienstaat" bedeuten kann, also eine
Theorie des Parteienstaates, ist bisher nicht entwickelt worden. Zu Beginn
der Weimarer Republik wurde der Begriff Parteienstaat als negatives
Schlagwort benutzt, das gegen die Demokratie und Republik gerichtet war.
"Parteienstaat" galt als Gegenstück zu dem überkommenen
Ämter- und Beamtenstaat der konstitutionellen Monarchie, der als
neutraler, politikfreier, vor allem vom "Gezänk der Parteien"
freier Staat begriffen wurde, der gegenüber der Gesellschaft nicht nur
selbständig war, sondern sich gerade dadurch positiv abhob. Dieser
Begriff war also aufgeladen mit Ressentiments und Vorurteilen gegen
Demokratie, Republik und natürlich gegen die Parteien. |
Parteienstaat
als negatives Schlagwort |
Im
Unterschied dazu wird im folgenden unter "Parteienstaat" positiv
eine repräsentative Demokratie - in der Regel parlamentarischer und nicht
präsidentieller Ausprägung - verstanden, in der Parteien in der
Verfassungsrealität, d. h. beim Zustandekommen politischer Entscheidungen
und bei deren Legitimation, die dominierende Rolle spielen. Parteien sind
dabei die wichtigsten, wenn auch nicht die alleinigen Träger politischer
Willensbildung, indem sie unterschiedliche partikulare Bedürfnisse und
Interessen in der Gesellschaft (...) aufnehmen und in die legislativen und
exekutiven Verfassungsorgane vermitteln und umgekehrt die dort gefassten
Entscheidungen gegenüber dem Volk begründen und damit Legitimation für
das politische System insgesamt schaffen. |
Positives
Verständnis von Parteienstaat
[zum
parlamentarischen und präsidentiellen System, siehe Themenkomplex
Demokratie] |
Die
Bundesrepublik Deutschland ist in dem umrissenen Verständnis ein
Parteienstaat par excellence. Dies zeigen bereits folgende, eher formelle
Regelungen:
1. Nach Artikel 21 GG wirken die Parteien bei der politischen
Willensbildung des Volkes mit, eine Formulierung, die in der Vergangenheit
von den bundesrepublikanischen Parteien fast zu einem
Allzuständigkeitsanspruch im Bereich der politischen Willensbildung und
damit in Richtung auf ein Parteienmonopol entwickelt worden ist.
2. Ebenfalls nach Artikel 21 GG sind die Parteien in besonderer Weise
privilegiert, da sie nur nach einem komplizierten und beschränkten
Antragsverfahren vom Bundesverfassungsgericht dann verboten werden
können, wenn sie theoretisch und in ihrer politischen Praxis den
Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung widersprechen. Im
Unterschied dazu können nach Artikel 9 GG Vereine, die sich gegen die
verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der
Völkerverständigung richten, vom Bundesminister des Inneren bzw. von den
Landesinnenministern verboten werden.
3. Parteien werden staatlich alimentiert, nämlich aus dem Bundes- und den
Landeshaushalten teilfinanziert. Dies gilt für die Parteien selbst und
für die ihnen nahestehenden Stiftungen sowie für die Parteien im
Parlament, also für die Fraktionen. |
Deutschland
als Parteienstaat par excellence
[zur rechtlichen
Stellung der Parteien in Deutschland, siehe Seite Gesetz] |
Um
die besondere Bedeutung der Parteien im Parteienstaat zu präzisieren,
muss auf die ihnen in der Politikwissenschaft, insbesondere in der
politischen Soziologie, zugewiesenen Aufgaben bzw. Funktionen in der
Verfassungswirklichkeit eingegangen werden. Folgt man einschlägigen
Veröffentlichungen, kann ein entsprechender Funktionskatalog wie folgt
aussehen:
1. Funktionen im intermediären Bereich zwischen Gesellschaft und
politisch-administrativem System, nämlich: Organisation von Wahlen;
Rekrutierung und Auswahl des politischen Personals; Artikulation
gesellschaftlicher Interessen; Aggregation gesellschaftlicher Interessen
in den Parteien; Schaffung von Legitimation für das politische System.
2. Funktionen im gouvernementalen Bereich: Regierungsbildung;
Strukturierung des Parlaments durch Fraktionen und Oppositionsbildung;
Politikformulierung und Politikausführung; Selektion von Amts- und
Mandatsträgern; Adressat politischer und gesellschaftlicher
Anforderungen. |
Funktionen
der Parteien
[zu den Funktionen
der Parteien, siehe Grundkurs
3] |
Einigen
Beobachtern erscheinen Parteien in der Wahrnehmung dieser Funktionen wie
Verfassungsorgane, die neben dem Bundespräsidenten, dem Bundestag, dem
Bundesrat, der Bundesregierung und dem Bundesverfassungsgericht
existieren. Doch greift dieses Verständnis zu kurz oder besser: Es ist zu
einseitig, nämlich ausschließlich am Staat bzw. am Obrigkeitsstaat
orientiert. Für das Funktionieren des Parteienstaates entscheidend sind
aber nicht die "staatlichen", sondern gerade jene Funktionen,
die die Parteien als Mittler zwischen Gesellschaft und Staat wahrnehmen.
So problematisch diese ideal-typische (...) Trennung von Gesellschaft und
Staat auch sein mag, so sind Parteien in ihrer konkreten Tätigkeit doch
in beiden Bereichen verankert, "zu Hause". Jede noch zu
formulierende Parteienstaatstheorie bzw. -soziologie hat von dieser
Mittlerfunktion auszugehen. |
Die
Parteien als Mittler zwischen Staat und Gesellschaft |
Der
Katalog, der auf die eigentlichen Tätigkeiten der Parteien zwischen
Gesellschaft und Staat fokussiert ist, lässt sich auf vier wesentliche
Funktionen zuspitzen:
1. Selektionsfunktion: Durch Parteien findet die Rekrutierung und
Auswahl der politischen Elite aus der Gesellschaft - vom Ortsrat bis zum
Kanzleramt - statt. Was häufig übersehen und gesinnungsethisch
abgewertet wird: Parteien waren und sind immer auch
Patronageorganisationen, nämlich Vereinigungen von Bürgern, die Ämter,
Posten, Funktionen, Beförderungen und Karrieren zu vergeben haben. Daran
ist überhaupt nichts Anrüchiges. Politisch problematisch (und dann
natürlich auch moralisch fragwürdig) ist es, wenn Machtpositionen um
ihrer selbst erobert werden, es also nicht mehr (auch) um die Durchsetzung
von Inhalten geht. Das große Verdienst unserer Parteien in den 50er und
60er Jahren bestand nicht zuletzt darin, den öffentlichen Dienst
demokratisiert zu haben (...). |
Aufgaben
der Parteien zwischen Staat und Gesellschaft
Selektions-
funktion |
2. Mediatisierungsfunktion:
Parteien und ihre Vertreter in Parlament und Regierung sind Vertreter von
Partikularinteressen, die in der Gesellschaft angelegt sind. Der Begriff
"Partei" ist bekanntlich von "pars" ( = Teil)
abgeleitet, Parteien vertreten nur einen Teil der Interessen der
Gesellschaft. Erst wenn die Parteien und ihre Parlamentarier sich auch
dazu bekennen, Repräsentanten von - zugespitzt formuliert -
Sonderinteressen bzw. Sonderbedürfnissen zu sein, wird die freimütige
Austragung von kollektiven Interessengegensätzen möglich, wird dann ein
daraus resultierender Kompromiss akzeptabel und nicht als
"fauler" denunziert und muss die eigene, spezifische,
interessengefärbte Position nicht mit dem Heiligenschein, nicht mit der
Gloriole des Gemeinwohls umgeben werden. Erst wenn Konsens darüber
besteht, dass Parteien und Parlamentarier eine Doppelrolle als
Repräsentanten von Partikularinteressen und Repräsentanten der Nation
spielen, kann auf die Diskussion allgemeingültiger Prinzipien, hehrer
Grundsätze, verzichtet werden, können Parteien die Wagenburgen
verlassen, aus denen heraus sie (...) Weltanschauungsschlachten geschlagen
haben. |
Mediatisierungs-
funktion |
3.
Aggregationsfunktion: Auch innerhalb ihrer eigenen Mauern,
innerparteilich, bemühen Parteien sich, gegenläufige und widerstreitende
Interessen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen, die außerhalb wie
innerhalb der Partei organisiert sein können, auszugleichen, zwischen
ihnen einen Kompromiss zu finden und zugleich eine eigene
"parteiliche" Position zu formulieren. Parteien integrieren also
die breitgestreuten Gruppenwillen. Im Idealfall wirken sie als soziale und
politische Katalysatoren. Wer die politische Tätigkeit der
Interessengruppen nicht durch den Filter "Parteien" leitet,
sondern direkt in den Prozess staatlicher Willensbildung eingliedern will,
endet notwendigerweise beim Stände- oder beim Verbändestaat. |
Aggregations-
funktion |
4. Friedensstiftung:
Indem Parteien die Mediatisierungs- und die Aggregationsfunktion
wahrnehmen, tragen sie zur Friedensstiftung bei. Der Parteienstaat bietet
Regelungsmechanismen zur Konfliktaustragung zwischen den Parteien und
innerhalb der Parteien und damit auch zwischen divergierenden
gesellschaftlichen Interessen. Es sind also Regeln festgelegt, nach denen
Kampf um Macht(anteil) stattfindet, ohne dass dieser in Bürgerkrieg
ausartet. Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass sozial und politisch
darüber eine Verständigung hergestellt worden ist, nach welchen Regeln
Konflikte ausgetragen werden und welche Grundwerte unstrittig sind. Erst
die Anerkennung der Grundwerte (wie Bewahrung der Menschenrechte,
Minoritätenschutz), die den Regelungen zur Konfliktaustragung zugrunde
liegen, machen diese auch sinnvoll.
Die Wahrnehmung aller oder doch des wesentlichen Teils der gerade
genannten vier Funktionen durch die Parteien macht den Parteienstaat aus.
Ohne starke Parteien kann ein parlamentarisches Regierungssystem nicht
auskommen. |
Friedens-
stiftung |
Moderne
parlamentarische Regierungssysteme sind dadurch gekennzeichnet, dass die
Exekutive bzw. das Kabinett und die Parlamentsmehrheit eng miteinander
verschränkt sind, eine politische Aktionseinheit bilden, nämlich die
Regierungsmehrheit. Ihr steht die Opposition gegenüber. Aus dieser
Konstellation ergibt sich im parlamentarischen Regierungssystem die Chance
zur Kontrolle; diese Konstellation, das Gegenüber von Regierungsmehrheit
und Opposition, stellt die Gewaltenteilung dar, nicht der Gegensatz von
Legislative und Exekutive. Und es sind die Parteien, die die Klammer
bilden, um die verschiedenen Zweige des politischen Systems (Exekutive und
Parlamentsmehrheit zur Regierungsmehrheit) und - im Fall der
föderalistischen Bundesrepublik - seine verschiedenen Ebenen, Bund,
Länder und Gemeinden, ineinanderzufügen. |
Gewaltenteilung
im parlamentarischen System
[zum Konzept der Gewaltenteilung,
siehe Themenkomplex
Demokratie] |
Bekanntlich
haben wir es in der Bundesrepublik mit einem höchst komplizierten System
der Gewaltenteilung, der Gewaltenkontrolle und der Gewaltenverschränkung
zu tun, das dem amerikanischen System von checks and balances näher steht
als dem simplen bipolaren britischen, in dem sich die "ins" und
"outs" gegenüberstehen. Bei uns reden nicht nur die Länder,
der Bundesrat, die Kommunen, das Bundesverfassungsgericht, zwei
Zentralbanken in Frankfurt, die europäischen Institutionen in Brüssel
und Straßburg, die NATO, sondern vor allem die Verbände und
Interessengruppen aller Art mit, so dass der Kanzler - trotz seiner
Richtlinienkompetenz - ein "armer Tropf" ist, ein Moderator, der
- wenn er zu den Großen seines Faches zählen will - Prioritäten zu
setzen hat und in einer Legislaturperiode bestenfalls zwei oder drei
größere Ziele durchzusetzen vermag. Wenn es im Zeitalter der
Globalisierung, Internationalisierung, Europäisierung und Ökonomisierung
überhaupt eine Chance für den Primat der Politik gibt, dann durch die
Parteien. |
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Die
Parteien sind der Kitt, der die politischen Institutionen in ihrem
Innersten und untereinander zusammenhält - und zwar insbesondere durch
informelle Absprachen und Kooperationen. Das Stichwort hier heißt
"Elefantenrunden": Es gehört nämlich zum Wesenskern
parlamentarischer Regierungssysteme und hat nichts mit Geheimbünden oder
"Mauschelei" zu tun, wenn der Chef der Exekutive, in der
Bundesrepublik also der Kanzler, und die wichtigsten Minister, die Partei-
und die Fraktionsvorsitzenden gerade in Koalitionsregierungen, aber auch
bei Ein-Parteien-Regierungen, sich informell zu gegenseitiger Information,
Abstimmung und Konsenssuche treffen. Durch Fraktions- und Parteidisziplin
in zentralen (allerdings nicht allen, z.B. nicht Gewissensfragen)
legislativen Angelegenheiten konstituieren sich Regierungsmehrheit und
Opposition. Konkret: Das wichtigste Gesetz im Verlauf eines
parlamentarischen Jahres, das Haushaltsgesetz, erhält die Unterstützung
der Parlamentsmehrheit. Fehlt diese, haben wir es mit einer offenen
Regierungskrise zu tun. |
Die
Parteien als Kitt der Institutionen |
Wer
lamentiert, dass der klassische Gegensatz von Exekutive und Legislative
durch die Parteien überlagert werde, wer die Unvereinbarkeit von
Ministeramt und Parlamentsmandat, von Kanzleramt und Parteivorsitz
herstellen will, befindet sich noch in der Frankfurter Paulskirche von
1848, sein Verständnis ist das eines Dinosaurier-Parlamentarismus, er
projiziert den Gegensatz von absolutem Herrscher und Volksvertretung auf
die Gegenwart, er ist im Denken des Obrigkeitsstaates - bewusst oder
unbewusst - gefangen. |
|
(...)
Die Parteien in der Bundesrepublik haben sich seit Mitte der 60er Jahre,
nicht zuletzt dadurch, dass sie sich aus den weltanschaulichen und
organisatorischen Bindungen ihrer sozialmoralischen Milieus zunehmend
emanzipiert haben, jenem Idealtyp von Partei genähert, der zum
Funktionieren eines parlamentarischen Regierungssystems notwendig ist. Sie
haben zunehmend jene vier Funktionen erfüllt, die einleitend
hervorgehoben wurden. |
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Das
anfänglich breit ausgefächerte und auch im Wahlverhalten noch dicht an
Weimar haftende Parteiensystem hat sich schließlich in den 60er und 70er
Jahren auf ein 2 ½-Parteiensystem konzentriert, in dem zwei große
Volksparteien und eine kleine Honoratiorenpartei miteinander
konkurrierten. Dreimal fanden Regierungswechsel statt, so dass das Spiel
von Regierungsmehrheit und Opposition zu funktionieren schien. Und die
Beteiligung bei Bundestagswahlen lag über 90 %. Die Parteien waren
akzeptiert. |
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Diese
idyllischen Zeiten sind bekanntlich vorbei. Parteienverdrossenheit ist in
aller Munde. Haben wir es mit einer Krise des Parteienstaates zu tun, oder
ist dieser gar an sein Ende gekommen? Die tatsächliche oder angebliche
Krise des Parteienstaates wird u.a. an folgenden Phänomenen festgemacht:
In Umfragen zeigt sich, dass Wähler mit den Parteien unzufrieden sind,
Parteiakzeptanz nachgelassen hat; Großparteien verlieren an Stimmen;
kleine Parteien am Rande wie die Grünen, die PDS und vorübergehend die
Republikaner und die DVU haben Wähler gewonnen; der Anteil der
Nichtwähler steigt ebenso wie der Anteil der Wechselwähler; die
Mitgliederzahlen aller Parteien - mit Ausnahme der Grünen, die stagnieren
- sinken. Ohne Zweifel haben wir es mit Parteienverdrossenheit, wohl kaum
mit einer Krise des Parteienstaates, auf keinen Fall aber mit dem
Infragestellen der parlamentarischen Demokratie zu tun. |
Parteien-
verdrossenheit |
Zu fragen ist, worin
Parteienverdrossenheit gründet: Hier sind ganze Ursachenbündel zu
nennen: Neue Partizipationsformen haben sich im Zeitalter des
Postmaterialismus eingebürgert, Individualisierungsschübe halten an,
Politikinhalte sind immer komplizierter und komplexer geworden, so dass
Parteien in sich geschlossene Konzeptionen dem Wähler einfach nicht zu
offerieren vermögen. Vor allem aber haben Parteien selbst einige der
Gründe zu verantworten, die zum Verdruss über sie geführt haben. Dazu
gehören die bekannten und berüchtigten Parteifinanzierungs-, Diäten-
und Korruptionsaffären. Viel schwerer wiegt aber die Tatsache, dass
Parteien in der Hochzeit ihrer Blüte - und zuweilen auch noch heute - den
Eindruck erweckt haben, als seien sie allzuständig, als verfügten sie
über ein Monopol in der politischen Willensbildung. Parteien haben ihre
Kompetenzen überdehnt und sind in Bereiche eingedrungen, in denen sie
nichts zu suchen haben. Zu nennen sind hier die berühmt-berüchtigten
Rundfunk- und Fernsehräte, in denen nicht nur nach parteipolitischen
Gesichtspunkten abgestimmt wird, sondern in denen es fraktionsmäßige
"Freundeskreise" gibt, die sich vor den offiziellen Sitzungen
treffen. Ferner haben die Parteien in öffentlichen Verwaltungen Patronage
überdehnt: Warum bei der Ernennung von Theater- und Opernintendanten
Parteizugehörigkeit eine Rolle spielt, ist in der Öffentlichkeit
ebensowenig verständlich zu machen wie die Tatsache, dass in manchen
Landstrichen der Bundesrepublik eine Beförderung vom Studienrat zum
Oberstudienrat ohne ein bestimmtes Parteibuch nicht gelingen will. Auf der
lokalen Ebene schienen und scheinen Parteien allgegenwärtig zu sein: Sie
mischen in den Vereinen mit, beim Sport- und Gesangsverein, beim
Schützenverein und bei der Freiwilligen Feuerwehr. Diese Allgegenwart
verstärkt den Eindruck, Parteien seien allzuständig. Genau hier liegt
aber das Problem, das in den letzten Jahren auf die Parteien wie ein
Bumerang zurückgekommen ist. Sie haben nämlich aufgrund ihres
Allzuständigkeitsanspruches Erwartungen geweckt, die sie in der
politischen und gesellschaftlichen Realität der Bundesrepublik nicht zu
erfüllen vermochten und vermögen. Wegen ihres Monopolanspruchs werden
sie heute für vieles verantwortlich gemacht, für das sie überhaupt
nicht zuständig sind. Konkret: Einzelne Parteien können für die
Globalisierung der Kapitalmärkte, die Internationalisierung der
Arbeitsmärkte, die Defizite in den öffentlichen Haushalten oder die
Notwendigkeit, den Sozialstaat umzubauen, nicht verantwortlich gemacht
werden. |
Ursachen
für Parteien-
verdrossenheit |
Zur
Parteienverdrossenheit trägt auch bei, dass unsere Großparteien sich
damit schwer tun, mit ihrer eigenen Fragmentierung und Segmentierung, mit
ihrer eigenen Vielfalt und Widersprüchlichkeit umzugehen. Dies trifft
aktuell die SPD stärker als die CDU, ist bei dieser aber strukturell auch
angelegt. Entgegen dem Image, das SPD und CDU in der Öffentlichkeit, aber
auch bei einigen Fachwissenschaftlern haben, sind diese keine
hierarchischen oder oligarchischen Mammut-Organisationen, sie stellen
vielmehr das dar, was wir als "lose verkoppelte Fragmente", als
"lose verkoppelte Anarchie" bezeichnet haben. |
|
In
der Organisation dezentralisiert und fragmentiert, mit einem großen Maß
an Autonomie für die einzelnen Gebietsverbände, vom Ortsverband bis zum
Bundesverband, für die verschiedenen innerparteilichen Interessengruppen,
die Arbeitsgemeinschaften der SPD und die Vereinigungen der CDU, und für
die verschiedenen Fraktionen, vom Gemeinderat bis zum Bundestag; in der
sozialen Zusammensetzung ihrer Funktionäre, Mitglieder und Wähler bunt
und vielfältig, im Spagat zwischen höchst gegensätzlichen
gesellschaftlichen Gruppen; programmatisch und ideologisch so
farbenfreudig und auch widersprüchlich wie in ihrer Sozialstruktur;
zusammengehalten durch den Willen zur Macht, durch Patronage, durch aus
der Geschichte überkommene Symbole, Rituale und Programmpunkte und -
falls vorhanden - durch charismatische und/oder organisationskompetente
Führer. Die Parteien bieten nach außen also kein geschlossenes,
harmonisches Bild - was wiederum zur Parteienverdrossenheit beiträgt. |
|
Ferner
sind jene historischen Vorbelastungen, die das Fungieren der Parteien im
parlamentarischen Regierungssystem in der Vergangenheit erschwert haben,
auch heute noch nicht völlig überwunden. So scheint der
Antiparteienaffekt neue Urständ zu feiern, unter den Wählern wie unter
einigen Sozialwissenschaftlern. |
|
Zur
Parteienverdrossenheit trägt schließlich bei, dass unsere Parteien sich
in einem ständigen Wandlungsprozess befinden, die Parteietiketten
bleiben, die politischen Inhalte sich aber verändern. Dies führt zu
Verwirrung und Verdruss. Damit ist nicht nur gemeint, dass die PDS zu
einer ostdeutschen Regionalpartei geworden ist und dass Bündnis 90/Die
Grünen sich zu einer sozialliberalen Partei häuten, so dass die Spaltung
des deutschen Liberalismus, die wir aus Weimarer Republik und
Bismarck-Reich kennen, sich hinter dem Rücken der Akteure wieder
eingestellt hat - und die FDP die rechte, marktliberale Position einnimmt.
Vielmehr hat sich hinter dem Label, dass CDU und SPD Volksparteien seien,
eine ganz neue Struktur herausgebildet. Wir können regelrecht von einem
neuen Typus von Partei sprechen, der im Entstehen ist und der das Ende der
Mitglieder und Funktionärspartei signalisiert. Dieser neue Parteitypus,
der sich allmählich durchzusetzen scheint, kann auf drei Ebenen, mit
Hilfe von drei Indikatoren beschrieben werden. |
[zu den
verschiedenen Parteitypen, siehe Grundkurs
2] |
1.
Der neue Parteitypus stellt sich als Medienpartei dar. Die
nationale Parteiführung, sei es ein einzelner Parteiführer oder ein Duo
oder eine Troika, kommuniziert mit den Mitgliedern, aber auch mit den
Sympathisanten und Wählern direkt über die Medien. Dadurch werden die
traditionellen Strukturen innerparteilicher Willensbildung, das
Delegiertensystem, umgangen. Die Parteifunktionäre, die Parteiaktivisten,
die mittlere Parteielite verliert an Einfluss und Macht.
"Innerparteiliche Demokratie" wird in ihrer bisherigen Form in
Frage gestellt: Es waren die Parteitagsdelegierten, die
Parteifunktionäre, die zwar nicht die Willensbildung von unten nach oben
vollzogen, die aber aufgrund ihrer organisatorischen und
politikinhaltlichen Kompetenz in der Lage waren, Machtzentren innerhalb
der Partei und damit auch die Parteiführung zu kontrollieren und die ggf.
durch innerparteiliche Gruppen- und Fraktionsbildung konkurrierende Eliten
als Alternative zu präsentieren vermochten. Die mittlere Parteielite,
nämlich Parteitagsdelegierte und Parteifunktionäre, fungierten bislang
wenigstens potentiell als innerparteiliche Kontrolleure von
Parteiführern. In der Medienpartei werden genau diese aber zunehmend
umgangen. Auch Elemente direkter Demokratie , die in den innerparteilichen
Willensbildungsprozess durch Direktwahl von Mandatsträgern und
Parteifunktionären oder durch Mitgliederabstimmungen eingeführt werden,
resultieren nicht in einer neuen Qualität innerparteilicher Demokratie.
Vielmehr wird die direkte Kommunikation zwischen Parteiführung und
Parteibasis nur verstärkt, werden Parteifunktionäre weiter entmachtet.
Dabei ist die Kommunikation zwischen Führung und Basis keineswegs nur
eine einseitige. Vielmehr bekommen Meinungsumfragen unter
Parteimitgliedern, die nicht zuletzt von Medien durchgeführt wurden,
zunehmende Bedeutung. Mitgliederumfragen stellen eine Art und Weise dar,
in der die Basis sich gegenüber der Parteiführung äußert (...). |
Ein
neuer Parteitypus
Medienpartei |
2.
Die Parteien haben sich zu professionellen
Dienstleistungsorganisationen entwickelt. Es gehört in die Folklore
deutscher Parteiengeschichte und nicht in die Gegenwart, dass
Parteimitglieder oder Funktionäre während eines Wahlkampfes Plakate
kleben oder dass man eine Parteikarriere als "Treppenterrier"
beginnen muss, nämlich als Unterkassierer von Beiträgen im Ortsverein.
In Wirklichkeit werden Plakate heute von Werbeagenturen geklebt, und
Parteibeiträge laufen automatisch über das Girokonto in die Kassen der
Schatzmeister. Diese Entwicklung wird als "Amerikanisierung"
bezeichnet. Amerikanische Parteien haben tatsächlich eine ähnliche
Entwicklung durchlaufen, sie sind aber nicht ursächlich dafür
verantwortlich, dass unsere Parteien sich zunehmend professionalisieren.
Die moderne, sich zunehmend professionalisierende Partei erbringt vor
allem drei Dienstleistungen: sie führt und finanziert Wahlkämpfe. Durch
sie wird die politische Elite ausgewählt, werden Kandidaten für Ämter
bestimmt. Und die Partei regiert, indem sie in den verschiedenen
Parlamenten als Fraktion sitzt und Personal für die Exekutive, für
Kommunalverwaltungen und für Kabinette auf Landes- und Bundesebene zur
Verfügung stellt. |
Dienstleistungs-
partei |
3.
Die alten Volksparteien entwickeln sich zunehmend zu Fraktionsparteien.
Das Machtzentrum der Parteien, aber auch ihre organisatorischen und
finanziellen Ressourcen finden sich in den Fraktionen der Parlamente
(wiederum vom Gemeinderat bis zum Bundestag) und in den Kabinetten (auf
Landes- und Bundesebene, auf der kommunalen Ebene in den entsprechenden
Verwaltungen und Dezernaten). Es sind die Parteien, die
"regieren" (immer im Sinn von "to govern"), indem
Parteifunktionäre, nämlich Personen, die innerhalb der Partei bestimmte
Positionen halten, Mitglieder von Parlamenten bzw. von Kabinetten und
exekutiven Behörden werden. Parteifunktionen, Mandate in Parlamenten und
Ämter in der Exekutive werden kumuliert. Der Primat der
Parteiorganisation, wie wir ihn aus der Geschichte der Sozialdemokratie
kennen, wird aufgehoben. In den "parties in government", in den
Fraktionen und Exekutiven liegt das eigentliche Machtzentrum der Parteien.
Dennoch spielt die Parteiorganisation immer noch eine Rolle (...). |
Fraktions-
partei |
Der
neue Typus von Partei, der sich herausbildet und die Volkspartei als
Mitglieder- und Funktionärspartei ablöst, enthält also die drei
Elemente Medienpartei, professionalisierte Partei und Fraktionspartei. Die
Parteien, die sich diesem neuen Typus annähern, verstehen sich immer mehr
als Dienstleistungsorganisationen: Sie führen Wahlkämpfe, sie
rekrutieren die politische Elite und stellen das Parlaments- und
Regierungspersonal, sie regieren und verwalten. Damit kristallisiert sich
ein neues Verständnis von Partei heraus, das jener Definition nahekommt,
die in einschlägigen amerikanischen Collegetextbüchern zu finden ist und
die politische Wirklichkeit der USA spiegelt: "A party is to
elect", eine Partei ist dazu da, die politische Elite zu rekrutieren
und in Ämter zu bringen. Je stärker sich dieser neue Parteientypus
durchsetzt, um so weniger werden von Parteien jene Funktionen wahrgenommen
werden, die ihnen traditionell zugeschrieben worden sind, nämlich
divergierende Interessen aus der Gesellschaft aufzunehmen und zu
aggregieren sowie zwischen Gesellschaft und politisch-administrativem
System als intermediäre Institutionen zu fungieren und auf diese Weise
Legitimation für das politische System insgesamt zu schaffen. Was heute
als Krise der Parteien, als Parteienverdrossenheit erscheint, hängt
ursächlich mit dem gerade angedeuteten Funktionsverlust der Parteien
zusammen. Parteien fungieren eben nicht in gewohnter Weise (wie in den
50er und 60er Jahren) als intermediäre, interessenaggregierende und
-vermittelnde Institutionen. Sie sind zunehmend auf die Funktion von
Eliterekrutierung beschränkt. |
Neues
Parteiverständnis |
Dennoch:
Das Ende der Parteien und des Parteienstaates ist keineswegs gekommen.
Dies hat historische und systematische Gründe. Zunächst ist an die
enorme historische Leistung des bundesrepublikanischen Parteienstaates
gerade im Rückblick auf die Weimarer Republik zu erinnern, die auch
zureichend Vitalität für die Gegenwart und Zukunft verheißt. Man denke
allein an die Integrationsleistung, die vollbracht worden ist. So wurden
ehemalige Nationalsozialisten, Gruppen und Parteien des Links- und
Rechtsextremismus, Flüchtlinge, die Außerparlamentarische Opposition und
die neuen sozialen Bewegungen, die auf postmaterialistischen Mentalitäten
und Verhaltensweisen basieren, von den Parteien absorbiert und integriert.
Dies zeigt ein großes Maß an Flexibilität. Natürlich hat sich das
politische System dadurch selbst verändert; die einst
autoritär-obrigkeitsstaatliche politische Kultur ist zunehmend
demokratisiert worden, die Bereitschaft der Bürger, politisch zu
partizipieren, ist gestiegen, die Forderung nach mehr direkter Demokratie
setzt die Parteien heute unter Druck. Insgesamt ist durch diese
Integrationsleistung das Parteiensystem, vor allem aber das
parlamentarische Regierungssystem, bestätigt und stabilisiert worden. Zur
Erfolgsgeschichte des Parteienstaates gehört auch, dass die Verwaltung
nicht zuletzt durch die Patronage, die von den Parteien ausging,
demokratisiert worden (...). |
Ende
der Parteien? |
Schließlich
gibt es keine Alternative zu den Parteien und zum Parteienstaat.
Alternative Organisationen und Institutionen sind weit und breit nicht zu
erkennen, die an die Stelle der Parteien treten könnten, um deren
Funktionen gerade im intermediären Bereich zu übernehmen.
Bürgerinitiativen und Ein-Punkt-Bewegungen ergänzen den Parteienstaat,
stellen ihn aber nicht infrage. Heute ist nicht einmal mehr - wie in den
Zeiten der Studentenbewegung - die Rede von einem Rätesystem, geschweige
denn, dass es als politische und soziale Möglichkeit angelegt wäre.
(...) Wer etwas bewirken will, Interessen und politische Ziele durchsetzen
will, muss durch die Institution "Partei" gehen. Dennoch werden
auch künftig und voraussichtlich zunehmend nichtparteiliche
Organisationen an der politischen Willensbildung beteiligt sein, nämlich
Bürgerinitiativen, soziale und Ein-Punkt-Bewegungen, Vereine und
Verbände. Aber auch diese orientieren sich - ganz bewusst - an den
Parteien, und sie versuchen, diese in ihrem Interesse zu beeinflussen. |
Keine
Alternativen
[Text zu Bürgerinitiativen] |
Obwohl
Parteien nach wie vor eine zentrale Stellung im politischen System der
Bundesrepublik, konkret in der politischen Willensbildung wahrnehmen, sind
sie dabei, sich zu reformieren. Sie sind gerade aufgrund der Brüche
zwischen Gesellschaft und politisch-administrativem System, wie sie sich
in der Parteienverdrossenheit zeigen, sensibler geworden. Reformen bzw.
Reformversuche werden nicht aus philanthropischen oder Gründen der
politischen Bildung oder abstrakter Ethik von den Parteien angestrebt,
sondern aus schlichtem Selbsterhaltungstrieb. Wenn nämlich auf längere
Zeit oder auf Dauer Parteienverdrossenheit anhält, kann diese in sozial
und ökonomisch kritischen Situationen in System- und
Demokratieverdrossenheit umschlagen. Der alte Antiparteienaffekt könnte
vollends an die Oberfläche gespült werden, autoritäre politische
Einstellungen und Verhaltensweisen könnten sich durchsetzen. Die Parteien
selbst haben also ein Interesse daran, sensibel auf Kritik und gegen sie
gerichtete Affekte zu reagieren und sich zu reformieren. |
Reform
der Parteien |
Es
geht dabei vor allem um die Rücknahme des Allzuständigkeitsanspruches
und der Allzuständigkeitspraxis durch die Parteien, es geht explizit
darum, dass die Parteien jeden Anspruch, über ein Monopol in der
politischen Willensbildung zu verfügen, aufgeben. Ferner geht es um die
Beförderung anderer Formen politischer Partizipation, z. B. durch
Bürgerinitiativen, Vereine oder Verbände. Schließlich geht es um die
vorsichtige Aufnahme neuer Partizipationsformen durch die Parteien, so um
die Offenheit für direktdemokratische Elemente. Allerdings scheint bis
heute die Einführung plebiszitärer Elemente in die Parteien, etwa von
Vorwahlen und Mitgliederbefragungen, in ihren Folgen wenig durchdacht. |
Keine
Allzuständigkeit |
Auf
der Tagesordnung steht also die Reform der Parteien und des
Parteienstaates, nicht deren Abschaffung. Dabei ist in den Parteien, aber
auch von Historikern und Sozialwissenschaftlern zu bedenken, welche Rolle
eben diese im parlamentarischen Regierungssystem, im Parteienstaat, zu
spielen haben. Parteien müssen sich an neue politische, soziale und
ökonomische Entwicklungen anpassen, haben sich gleichsam selbst zu
adjustieren. Es kommt dabei auf Selbstbewusstsein und die richtige
Mischung verschiedener Faktoren in der Verfassung der Parteien an. Ernst
Fraenkel hat dies vor fast 40 Jahren treffend und auch heute noch aktuell
formuliert: Was wir brauchen, sind "Parteien, die sich nicht scheuen,
zuzugeben, dass es ihr Ziel ist, ihre Führer in die strategisch
bedeutsamen Positionen in Regierung und Verwaltung zu bringen; Parteien,
die sich nicht scheuen, zuzugeben, dass sie mit den Interessengruppen Hand
in Hand arbeiten müssen, ohne diesen Gruppen gegenüber zu kapitulieren.
Parteien, die sich nicht scheuen, zuzugeben, dass sie auf ihre
Abgeordneten einen Druck ausüben, weil ohne Fraktionsdisziplin
parlamentarisch nicht regiert werden kann. Wir benötigen Parteien, die
die innere Kraft besitzen, sich von traditionellen Vorstellungen
loszusagen, die, weil sie unter andersartigen politischen Voraussetzungen
entstanden sind, lediglich eine Vorbelastung für einen funktionierenden
parlamentarischen Betrieb darstellen. Wir benötigen aber auch Parteien,
die trotz aller Bekenntnisse zu der Notwendigkeit einer pragmatischen
Haltung zur Politik mit einem letzten Rest wehmütiger Romantik sich der
Träume ihrer Jugend nicht schämen, als es noch so schön war in der
Politik, weil wir wirklich geglaubt haben, dass Prinzipien die Welt
regieren." |
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[Parteienstaat
in der Krise : Überlegungen nach 50 Jahren Bundesrepublik Deutschland ;
Vortrag und Diskussion einer Veranstaltung des Gesprächskreises
Geschichte der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn am 19. August 1999 / Peter
Lösche. [Hrsg.: Dieter Dowe]. - Bonn : Forschunginst. der
Friedrich-Ebert-Stiftung, Historisches Forschungszentrum, 1999. - 48 S. =
115 Kb, Text. - (Gesprächskreis Geschichte ; 27), Electronic ed.: Bonn:
FES Library, 2000, ISBN 3-86077-843-9] |
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