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D@dalos > Deutsche Startseite > Europäische Union > EU-Entwicklung > Etappe 5

 



Inhaltsverzeichnis


Themen des Online-Lehrbuchs zur EU:

Einleitung

Bedeutung der EU

Was ist die EU?

EU-Entwicklung

 Einführung

 Etappe 1

 Etappe 2

 Etappe 3

 Etappe 4

 Etappe 5

 Etappe 6

EU-Institutionen

EU-Internetrecherche

 


EU-Entwicklung

Etappe 5: Der mühsame Weg zum Vertrag von Lissabon

Vom Konvent zur Verfassung

Interessant an diesem erneuten Versuch, endlich die drängenden Probleme noch vor der Erweiterung zu lösen, ist der besondere Weg, der dazu eingeschlagen wurde, nämlich die Einberufung eines Konvents.

Während bislang ausschließlich die Regierungen der Mitgliedstaaten Vertragsveränderungen beraten und vorbereitet hatten, sollte dies nun erstmals in einem breiteren Rahmen geschehen, der sowohl Akteure auf der Brüsseler Ebene wie auch auf der Ebene der Mitgliedstaaten umfasste.


 

Dahinter steckte einmal der Gedanke, die sich fast schon automatisch ergebende Konzentration auf nationale Interessen bei Regierungskonferenzen und die sich damit verbindenden Blockaden zu vermeiden. Eine Idee, die sich bereits bei der Ausarbeitung der Europäischen Grundrechtecharta bewährt hatte.

Zudem schien es angesichts der Ziele - Demokratisierung, Entbürokratisierung, Bürgernähe und eine Vereinfachung bestehenden EU-Rechts (formuliert in der Erklärung von Laeken zur Zukunft der Europäischen Union) - zwingend, eine breitere öffentliche Diskussion zu führen. Außerdem - das hatte sich in den Jahren seit der Verabschiedung des Maastrichter Vertrags immer deutlicher gezeigt - waren die Bürgerinnen in den Mitgliedstaaten immer weniger bereit, EU-Politik einfach nur zur Kenntnis zu nehmen, ohne daran mitwirken zu können.

Zusammensetzung und Arbeit des Konvents




2002-2003: Tagungen des Konvents





Entwurf einer
Verfassung (!)


Unter dem Vorsitz des ehemaligen französischen Staatspräsidenten, Giscard D'Estaing, ist dieser Konvent im März 2002 zum ersten Mal zusammengetreten. Er umfasste 15 Vertreter der Staats- und Regierungschefs (also einen Vertreter pro Mitgliedstaat), 30 Mitglieder der nationalen Parlamente (2 pro Mitgliedstaat) 16 Mitglieder des Europäischen Parlaments und 2 Vertreter der Kommission. Zusätzlich nahmen an den Sitzungen Beobachter teil, und zwar drei Vertreter des Wirtschafts- und Sozialausschusses, drei Vertreter der europäischen Sozialpartner, sechs Vertreter des Ausschusses der Regionen und der Europäische Bürgerbeauftragte.

In dieser Zusammensetzung tagte der Konvent bis Juni 2003 und arbeitete den Entwurf für eine europäische Verfassung aus. Langjährige Beobachter der EU-Entwicklung trauten ihren Ohren nicht. Allein das Wort "Verfassung" im Kontext der EU zu verwenden, war immer ein Tabu gewesen, und plötzlich lag ein fertiger Entwurf für eben eine solche Verfassung auf dem Tisch. Gewöhnt an langsame, schrittweise Anpassung als Modus der EU-Entwicklung (Inkrementalismus), musste man diese Dynamik als schwindelerregend empfinden. Aber letztlich sollten die EU-Entwicklungsgesetze auch weiterhin Gültigkeit behalten, wie wir später sehen werden.

Im Oktober 2003 begann unter italienischer Präsidentschaft die Regierungskonferenz, die diesen Entwurf debattieren und bis zum Gipfeltreffen in Brüssel im Dezember 2003 verabschieden sollte. Trotz großer Hoffnung gelang es nicht, sich zu einigen, und zwar wegen tiefgreifender Meinungsverschiedenheiten über die Zusammensetzung der Kommission und die Stimmenverteilung bei Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit. Worum ging es dabei konkret?




nationale Interessen als Bestimmungsfaktor


Es ging um die überproportionale Stimmenzahl im Rat, die Polen und Spanien nicht aufgeben wollten. Hinsichtlich der Kommission ging es darum, wer nach dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens, wenn es weniger Kommissare als Länder geben muss, in welchen Abständen einen Kommissar stellen durfte.

Es handelte und handelt sich also um einen der zentralen Einflussfaktoren schlechthin, um nationale Interessen: Den Wunsch, im EU-Gefüge über möglichst viel Einfluss zu verfügen, beziehungsweise die Befürchtung, Einfluss zu verlieren. Ein Faktor, der immer dann negativ zum Tragen kommt, wenn zwingende funktionale Gründe eine supranationale Lösung und die Abgabe von Kompetenzen erforderlich machen, einzelne Nationalstaaten aber dazu nicht in der Lage sind.








Oktober 2004: Unterzeichnung des Verfassungsvertrags


Anfang Januar unternahm die irische Präsidentschaft einen neuen Versuch, die Verhandlungen bis Juni 2004 zu einem erfolgreichen Ende zu führen. Nur zur Erinnerung: am 1. Mai 2004 würde die große Erweiterung um 10 neue Mitgliedstaaten stattfinden, und man hatte das zentrale Werk der Verfassung noch immer nicht unter Dach und Fach.

Nach äußerst schwierigen Debatten wurde im Juni 2004 endlich eine Einigung erreicht. Die feierliche Unterzeichnung fand im Oktober 2004 im gleichen Festsaal in Rom statt, in dem knapp 50 Jahre zuvor die Gründungsverträge unterschrieben worden waren.













 


Daran schloss sich der etwas verzögerte Amtsantritt der Barroso-Kommission im November 2004 an, mit dem auch die neuen, für die 25er bzw. 27er Union vorgesehenen institutionellen Regelungen in Kraft traten. Dazu gehörten unter anderem Veränderungen bei der Stimmengewichtung im Ministerrat und die Tatsache, dass von nun an jedes Land nur einen Kommissar stellte.

Ratifikationsprozess zum Verfassungsvertrag

Im November 2004 begann auch der Prozess der Ratifikation der Verfassung durch die damals 25 Mitgliedstaaten, zum überwiegenden Teil im Rahmen eines parlamentarischen Verfahrens, zum Teil aber auch über Referenden. Erfolgreich verlief die Ratifizierung in Litauen, Ungarn, Slowenien, Italien, Griechenland, Slowakei, Spanien – das erste Land mit einem Referendum (76,73%: Ja; 17,24%: Nein; Wahlbeteiligung = 42,32%) -, Österreich und Deutschland.



"Nein" in Frankreich und den Niederlanden


Dann aber folgten nacheinander zwei Tiefschläge für das Projekt der Europäischen Verfassung, die dafür sorgten, dass sie nicht in Kraft trat. Einmal das Referendum in Frankreich am 29. Mai 2005, in dem der Verfassungsvertrag mit einer Mehrheit von 54,87% (Nein) gegen 45,13% (Ja) bei einer beachtlichen Wahlbeteiligung von 69,74% abgelehnt wurde. Und nur wenige Tage später das Referendum in den Niederlanden, bei dem sogar 61,8% mit Nein und nur 38,2% mit Ja stimmten. Und das in zwei Gründungsmitgliedern der EWG!

Damit hatten die Wähler ihren Regierungen ein klares „Stopp“ signalisiert, das es der EU nicht mehr erlaubte, so weiter zu machen und einfach zur Tagesordnung überzugehen. Daran änderte auch das klare „Ja“ bei dem am 10. Juli 2005 in Luxemburg stattfindenden Referendum nichts. Die defizitären Bestimmungen des Vertrags von Nizza blieben gültig und die EU war einmal mehr in einer tiefen Krise.




Gründe für Ablehnung


Was waren die Gründe für die Ablehnung? In Frankreich gehörte laut Umfragen die wirtschaftliche und soziale Situation in Frankreich für 52 Prozent der Befragten zu den zentralen Gründen für ihr „Nein“. 24 Prozent der Verfassungsgegner gaben an, die Gelegenheit zur Opposition gegenüber der Regierung genutzt zu haben. 31 Prozent gaben zu Protokoll, dass sie mit ihrem Nein ihr Misstrauen gegenüber der politischen Klasse im allgemeinen zum Ausdruck bringen wollten. Es standen also mit anderen Worten innenpolitische Motive im Vordergrund.

Dieser Eindruck drängt sich umso mehr auf, als der grundsätzliche Gedanke einer Verfassung von einer Mehrheit der EU-Bürgerinnen (61%) befürwortet und – wie die Ergebnisse der Eurobarometer-Umfragen vom Juli 2005 zeigen - sowohl in Frankreich (53%) als auch in den Niederlanden (67%) die Mitgliedschaft in der EU als sehr positiv bewertet wird. Dagegen zeigt sich ein Anwachsen der Skepsis gegenüber einer weiteren Erweiterung und vor allem gegenüber einer möglichen Aufnahme der Türkei in die EU.

 


Was bedeutet das für unsere Analyse der EU-Entwicklung? Die EU-Bürger, die Bevölkerungen der Mitgliedstaaten, sind in den letzten Jahren – ganz im Gegensatz zu den Anfängen der EWG/EG – zu einem wesentlichen Einflussfaktor geworden. Die EU ist in hohem Maße gefordert, sich weit mehr als bisher für die Bürgerinnen zu öffnen und sie bei ihren Aktionen gleichsam „mitzunehmen“.






2005-2007 - Reflexionsphase





Juni 2007 – Mandat für Regierungskonferenz



Von den gescheiterten Referenden bis zum Inkrafttreten des Lissaboner Vertrags

Angesichts des Einstimmigkeitserfordernisses für Vertragsveränderungen war nach den gescheiterten Referenden klar, dass der Verfassungsvertrag politisch am Ende war. Um darüber nachdenken zu können, wie es nach diesem Schock weitergehen könne, entschloss man sich, eine so genannte Reflexionsphase bis Mitte 2007 einzulegen. Während dieses Zeitraums setzten zwar einige Mitgliedstaaten den Ratifizierungsprozess zum Verfassungsvertrag fort, andere dagegen – Dänemark, Irland, Polen, Portugal, Schweden, Tschechien und das Vereinigte Königreich – unterbrachen ihn.

Nachdem die finnische Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2006 damit begonnen hatte, verschiedene Möglichkeiten zu prüfen, wie es mit dem Vorhaben einer Anpassung der vertraglichen Rahmenbedingungen weiter gehen solle, schaffte es der Europäische Rat im Juni 2007 nach – nicht zuletzt aufgrund des heftigen Widerstands Polens gegen das vorgesehene System der Abstimmung im Rat – mühsamen Verhandlungen, ein Mandat für eine Regierungskonferenz zu verabschieden, die bis Ende des Jahres die Einzelheiten für einen neuen Reformvertrag ausarbeiten sollte. Dies war allerdings nur möglich dank Zugeständnissen an die speziellen Forderungen nicht nur Polens, sondern auch einer Reihe anderer Mitgliedstaaten.



Inhalt des Mandats







Regierungskonferenz 2007


Das Mandat enthielt Vorschläge, die auf eine Eliminierung der konstitutionellen Terminologie des abgelehnten Verfassungsvertrags zielten, aber auch Bestrebungen, substanzielle Elemente wieder zurückzunehmen, beispielsweise bei den Entscheidungsverfahren in der Außenpolitik. Auch mit der Verständigung auf den Terminus "Reformvertrag" sollte dem neuen - oder besser: runderneuerten - Vorhaben der Verfassungscharakter genommen werden. Darüber hinaus war nun nicht mehr geplant, die bestehenden Verträge durch einen einzigen neuen zu ersetzen; vielmehr sollten diese nur geändert werden und der ursprüngliche EG-Vertrag einen neuen Namen, "Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union", erhalten.

Die Regierungskonferenz, der neben Vertretern der Mitgliedstaaten und Rechtsexperten auch drei Mitglieder des Europäischen Parlaments angehörten, trat am 23. Juli 2007 zum ersten Mal zusammen. Bei einem Treffen des Europäischen Rats im Oktober wurden erneut besondere Zugeständnisse an Polen gemacht, u.a. der Posten eines neuen permanenten „polnischen“ Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof, wozu deren Anzahl von acht auf elf erhöht werden müsste. Der fertige Vertrag wurde am 13. Dezember 2007 unter portugiesischer Präsidentschaft in Lissabon unterzeichnet.









irisches Referendum im Juni 2008





zweites irisches Referendum im Oktober 2009


2008-2009 Ratifikation in den Mitgliedstaaten

Wie Sie aus der Lektüre der vorangegangenen Kapitel zur Entwicklung der EU wissen, ist mit der Unterzeichnung eines Vertrags das Verfahren keineswegs beendet, beginnt nun vielmehr der häufig mühsame und unkalkulierbare Weg der Ratifikation durch alle Mitgliedstaaten gemäß deren jeweiliger Bestimmungen.

Der ursprüngliche Zeitplan der deutschen Präsidentschaft hatte vorgesehen, dass die Ratifikationsverfahren bis Ende 2008 abgeschlossen sein sollten und damit der Vertrag zum 1. Januar 2009 hätte in Kraft treten können. Aufgrund des negativen Votums der Wähler in einem Referendum in Irland, das dort aufgrund der innerstaatlichen Bestimmungen hatte abgehalten werden müssen, konnte dieser Termin aber nicht eingehalten werden. Die Folgen dieser Entscheidung aus der EU-Perspektive haben wir Ihnen bereits an anderer Stelle dieses Online-Lehrbuchs erläutert.

Nach einer Phase der Ratlosigkeit verständigten sich die Staats- und Regierungschefs im Dezember 2008 auf eine Reihe von Konzessionen an Irland, die es dessen Regierung ermöglichen sollten, erneut – und diesmal mit Erfolg – ihren Wählern das (modifizierte) Vertragswerk zur Abstimmung vorzulegen. Dazu gehörten unter anderem die Zusicherung, dass die Zahl der Kommissare nicht wie vorgesehen reduziert werden sollte - und damit weiterhin jeder Mitgliedstaat in der Kommission vertreten sein würde -, sowie rechtliche Garantien im Bereich der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik; Aspekte mithin, die die traditionelle Neutralität sowie andere für das Land wichtige und in dem ersten Referendum thematisierte Punkte berücksichtigten.

Irland seinerseits sagte daraufhin zu, dass es noch vor Ende der Amtszeit der aktuellen Kommission, also bis Ende 2009, eine zweites Referendum abhalten würde, das dann im Oktober 2009 stattfand. Das Resultat: Bei einer Wahlbeteiligung von 58% stimmten 67,1% der Wähler für, 32,9% gegen die Annahme des Lissaboner Vertrags. Das bedeutete, dass im Vergleich zum Juni 2008 rund 20% mehr Bürger ihre Meinung in Richtung Zustimmung geändert hatten. Als wichtigste Ursache hierfür gilt die weltweite Wirtschaftskrise, die die Iren mit der Unterstützung durch die EU besser zu bewältigen hofften. Außerdem haben die oben erwähnten Zugeständnisse eine wichtige Rolle gespielt.



polnisches und tschechisches Zögern




Lissaboner Vertrag tritt in Kraft


Damit erhöhte sich der Druck auf die euroskeptischen Präsidenten in Polen und Tschechien, ihre Vorbehalte und Verzögerungstaktik aufzugeben. Lech Kaczynskii unterzeichnete den Vertrag am 10. Oktober 2009 auf einer Zeremonie in Warschau und sein tschechischer Amtskollege, Vaclav Klaus, tat es ihm am 3. November 2009 nach, nachdem das tschechische Verfassungsgericht am gleichen Tag die Vereinbarkeit des Lissaboner Vertrags mit der Verfassung des Landes bestätigt hatte.

Nun lagen alle erforderlichen Voraussetzungen vor, und der Lissaboner Vertrag konnte am 1. Dezember 2009 in Kraft treten. Damit hat ein sehr langer Weg, der letztlich bereits mit dem gescheiterten Vertrag von Nizza begonnen hatte, endlich sein – zumindest vorläufiges - Ende gefunden. Ein Weg, der, wie Sie sicherlich bei der Lektüre bemerkt haben, geeignet ist, interessante Einsichten hinsichtlich der von uns zu Eingang dieses Teils (siehe Einführung) formulierten Fragestellungen nach den Gründen für Stagnation und Fortschritt in der EU zu vermitteln.

... weiter zu Etappe 6 der EU-Entwicklung


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