Zusammenleben
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Friedenspädagogik

Der folgende Ausschnitt aus dem UNESCO-Bildungsbericht zeigt, dass der Säule "Lernen, zusammenzuleben" für die Bildung im 21. Jahrhundert besondere Bedeutung beigemessen wird und wie sich die Kommission die Umsetzung vorstellt. Insofern handelt es sich um Ansätze für ein Friedenserziehungskonzept.

Lernen, zusammenzuleben - Lernen, mit anderen zu leben

Diese Art von Lernen ist heute wahrscheinlich die wichtigste. Die Welt von heute ist zu oft eine Welt der Gewalt, die die Hoffnungen vieler zunichte macht, die an den Fortschritt der Menschheit glaubten. Konflikte waren schon immer Teil der Geschichte, aber neue Faktoren verschärfen das Konfliktrisiko, insbesondere durch die außergewöhnlichen Möglichkeiten der Selbstzerstörung, die im Laufe des 20. Jahrhunderts geschaffen wurden. (...) Bis heute war es nicht möglich, diese Situation durch Bildung und Erziehung zu entschärfen. Lässt sich ein Bildungsansatz finden, der Konflikte verhindern oder dadurch lösen könnte, dass Respekt vor anderen Menschen, deren Kulturen und geistigen Werten vermittelt wird?

Die Idee, in den Schulen Gewaltlosigkeit zu unterrichten, ist lobenswert, selbst wenn es nur ein Mittel unter vielen ist, konfliktschaffende Vorurteile zu bekämpfen. Es ist eine schwierige Aufgabe, da die Menschen von Natur aus gerne ihre eigenen und die Qualitäten ihrer Gruppe überbewerten und Vorurteile gegen andere hegen. Darüber hinaus wird in dem derzeitigen Klima wirtschaftlicher Konkurrenz dem Wettkampfgeist und dem individuellen Erfolg immer mehr Bedeutung beigemessen. Solch ein Konkurrenzdenken führt zu rücksichtslosem Wirtschaftskrieg und zu Spannungen zwischen Arm und Reich. Nationen, ja die Welt, werden gespalten, historische Rivalitäten verschärft. Es ist bedauerlich, dass Bildungspolitik manchmal dieses Klima durch ihr falsch verstandenes Konzept aufrechterhält.

Was können wir besser machen? Die Erfahrung zeigt, dass es nicht genügt, Kontakte oder Gespräche zwischen den verschiedenen Gruppen herzustellen, um dieses Risiko zu mindern (z.B. in Schulen, die von verschiedenen ethnischen Gruppen und Religionen besucht werden). Besteht zwischen den Gruppen ein Konkurrenzverhältnis oder besitzen sie in ihrem gemeinsamen Umfeld nicht den gleichen Status, kann ein solcher Kontakt genau ins Gegenteil umschlagen. Latente Spannungen kommen zum Ausbruch und entwickeln sich zu Konflikten. Wenn aber solche Kontakte in einer Atmosphäre von Gleichheit stattfinden und es gemeinsame Ziele gibt, können Vorurteile und latente Feindseligkeiten verschwinden und Platz machen für entspannte Zusammenarbeit oder sogar Freundschaft.

Es scheint, als müssten Bildung und Erziehung zwei Wege gehen, die zum selben Ziel führen: die langsame Entdeckung der anderen und die Erfahrung gemeinsamer Lebensziele. Dies scheint eine wirksame Möglichkeit zu sein, latente Konflikte zu vermeiden oder zu lösen.

Andere entdecken

Aufgabe von Bildung und Erziehung ist, Schülern die Vielfalt der Spezies Mensch vor Augen zu führen und gleichzeitig ein Bewusstsein für die Ähnlichkeiten und wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen den Menschen zu schaffen. Die Schulen müssen dies ihren Schülern so früh wie möglich nahe bringen. Einige Fächer sind für diese Aufgabe besonders gut geeignet: angefangen mit Sozialgeographie zu Beginn der Grundbildung und etwas später Fremdsprachen und Literatur.

Um andere verstehen zu können, muss man erst sich selbst verstehen. Um Kindern und jungen Menschen ein zutreffendes Bild von dieser Welt zu geben, muss Erziehung, ob zu Hause, in der Gemeinschaft oder in der Schule, ihnen zuerst helfen, sich selbst zu entdecken. Erst dann werden sie wirklich fähig, die Welt mit den Augen der anderen zu sehen und deren Verhalten zu verstehen. Im Sozialverhalten der Kinder wird sich solch ein emphatisches Gefühl in ihrem ganzen Leben positiv auszahlen. Wenn man z.B. Jugendlichen nahe bringt, den Standpunkt anderer ethnischer oder religiöser Gruppen einzunehmen, kann mangelndes Verständnis für die anderen, als Ursache von Hass und Gewalt, vermieden werden. Der Unterricht von Geschichte und Herkunft von Sitten und Bräuchen kann ein nützlicher Orientierungspunkt für zukünftiges eigenes Verhalten sein.

Schließlich darf die eingesetzte Unterrichtsmethode niemals auf Kosten der Akzeptanz Andersdenkender gehen. Lehrer, deren dogmatischer Stil Neugierde oder kritisches Denken unterdrückt, anstatt es zu entwickeln, richten mehr Schaden als Gutes an. Vergessen Lehrer ihre Rolle als Vorbild, können ihre Schüler für immer in der Fähigkeit geschwächt werden, offen für andere zu sein und unvermeidlichen Spannungen zwischen Menschen, Gruppen und Nationen entgegenzutreten. Anderen durch Dialog und Diskussion zu begegnen, ist eines der Werkzeuge für Erziehung und Bildung im 21. Jahrhundert.

Für gemeinsame Ziele arbeiten

Wenn Menschen an lohnenswerten Projekten zusammenarbeiten, die sie ihrer normalen Routine entreißen, werden oft die Unterschiede oder sogar die Konflikte zwischen ihnen schwächer und verschwinden manchmal sogar ganz. Menschen ziehen eine neue Identität aus solchen Projekten, so dass bisweilen die Eigenheiten der einzelnen zurücktreten und die Gemeinsamkeiten wichtiger als die Unterschiede werden. In vielen Fällen, wie z.B. im Sport, wurden durch gemeinsame Anstrengungen die Spannungen zwischen gesellschaftlichen Klassen oder verschiedenen Nationalitäten gelöst, und es entstand ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Auch im Arbeitsleben wären viele Projekte erfolglos geblieben, hätte man nicht die typischen hierarchischen Probleme zugunsten eines gemeinsamen Zieles hinter sich gelassen.

Schulbildung muss deshalb in ihren Programmen genügend Zeit und Gelegenheiten bieten, junge Menschen von Kindheit an an gemeinsamen Unternehmungen teilnehmen zu lassen: im Sport, bei kulturellen Veranstaltungen und sozialen Aktivitäten wie Nachbarschaftsdiensten, gemeinnützigen Arbeiten, Altenhilfe etc. Andere Bildungseinrichtungen und ehrenamtliche Organisationen müssen dort weitermachen, wo die Schule aufhört. Darüber hinaus kann die alltägliche Zusammenarbeit von Lehrern und Schülern in Gemeinschaftsprojekten der erste Schritt zur Konfliktlösung sein und den Schülern Maßstäbe für ihre weitere Zukunft in die Hand geben. Gleichzeitig kann dadurch insgesamt das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern verbessert werden.

[aus: Lernfähigkeit: Unser verborgener Reichtum. UNESCO-Bericht zur Bildung für das 21. Jahrhundert. Hrsg. von der Deutschen UNESCO-Kommission. Neuwied; Kriftel; Berlin: Luchterhand, 1997, S. 79-81]

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