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Friedenspädagogik

Der folgende Text skizziert die Genese des Friedensbegriffs von der Frühzeit bis in die Gegenwart:

"Die Norm des Friedens verlangt also den Nicht-Krieg. Sie verlangt aber noch mehr. Der Friede ist eben auch: „Quelle, Schöpfer, Ernährer, Mehrer, Beschützer alles Guten im Himmel und auf Erden...“ Er ist nicht nur die Voraussetzung für die Erhaltung der Existenz des Menschen, er ist auch die Bedingung für deren Entfaltung. So ist er schon im klassischen Judaismus aufgefasst worden, damals sogar mit explizit innergesellschaftlichem Bezug.

Der alttestamentliche Begriff des Salom war zunächst ein eschatologischer Begriff, der die Übereinstimmung zwischen Gott und Mensch definierte. Soweit er überhaupt politisch-real bestimmbar wurde, enthielt er neben der Existenzerhaltung durch Sicherheitsgewährleistung nach außen die Forderung nach der Entfaltung dieser Existenz in Gestalt von Gesundheit, Sättigung und Wohlergehen.

Diese Verbindung lässt sich sogar noch weiter zurück in die Geschichte verfolgen, findet sich auch bei Ägyptern und Sumerern. Liest man die Hymnen, die bei der Thronbesteigung der Pharaonen angefertigt wurden, nicht als Zustandsbeschreibung - was gewiss unzulässig ist -, sondern als Formulierung politischer Normen, so zeigen sie die gleiche Verbindung zwischen äußerer Sicherheit und intern zu besorgenden Entfaltungschancen des Menschen durch Wegfall von Willkür, Unterdrückung und Ausbeutung.

Der König beschafft Sicherheit, heißt es bei der sumerischen Hymne des Lipitistars von Isin (...), indem er die Gegner besiegt, Getreide, Fett und Milch besorgt, Gerechtigkeit verbreitet und „den Gerechten für immer bestehen lässt“. Die Sicherheit nach außen wurde stets der Unterwerfung, meist der Erschlagung der Feinde anvertraut, was den Anschauungen der Zeit entsprach.

Das gilt auch für das Alte Testament, dessen berühmte Stellen bei Jesaja 2, 2-5 und Micha 4, 1-3 immer wieder, aber eben immer wieder unvollständig zitiert werden: Da werden die Völker „ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden und ihre Spieße zu Webmessern machen. Denn es wird kein Volk wider das andere ein Schwert aufheben und sie werden fortan nicht mehr den Krieg lernen“.

"Dolf Sternberger hat einen politischen von einem eschatologischen Friedensbegriff unterschieden. Die großartigste Ausformung des eschatologischen Friedens sei die Vision des Propheten Jesaja (11, 6-7) von den Wölfen, die bei den Lämmern ruhen, von den Kühen und Bären, die miteinander weiden, und von den Löwen, die Stroh fressen. Hier ist endgültig Frieden nicht mehr Zwischenzeit zweier Kriege, sondern glückliche Folge der Totalreformation der Welt. Derlei traut Sternberger der Politik freilich nicht zu; denn er bezweifelt, dass eschatologische Ergebnisse mit politischen Mitteln erzielt werden können (...). Der eschatologische Frieden, so Sternberger, beruhe auf Einung, Communio, der politische hingegen auf Einigung, Communicatio. Der eschatologische Frieden sei nur durch Bekehrung erreichbar, der politische hingegen allein durch Verständigung. Um im Bilde des Propheten Jesaja zu bleiben: Die Politik vermag die Wölfe, Bären und Löwen nicht zu denaturieren, aber sie kann ihnen Beschränkungen auferlegen, abgegrenzte Bereiche einräumen, gegebenenfalls auch Fesseln anlegen. Wo sie sich dagegen qua Bekehrung an der Denaturierung versucht, scheitert sie schnell, oder sie wird totalitär."

[aus: Iring Fetscher/Herfried Münkler (Hrsg.): Politikwissenschaft, Begriffe - Analysen - Theorien, Ein Grundkurs, Reinbek 1985, S. 288]

Aber die Voraussetzung für diesen Frieden steht im Satz zuvor: Und der Herr wird richten unter den Heiden „und strafen viele Völker“. Die totale Niederlage der Feinde Israels ist die Bedingung dieses Friedens. Er wird vermittelt durch die Macht des Herrschers, von dem auch die Gewährung der inneren Gerechtigkeit abhängt.

Erst das Neue Testament hat hier eine radikale Gegenposition bezogen mit der Aufforderung, die Feinde zu lieben. Sie muss allerdings im Rahmen des neutestamentlichen Friedensbegriffs verstanden werden, der nicht politisch, sondern noch stärker eschatologisch gerichtet war als der alttestamentliche. Er hat, streng genommen, überhaupt keinen Bezug zur irdischen Existenzentfaltung, bezog sich ausschließlich auf die Beziehung des Menschen zu Gott.

Im griechischen Begriff der Eirene hingegen ist die Beziehung zwischen der Gewährleistung von Sicherheit und der von Reichtum, Wohlstand, Gesundheit und Beständigkeit deutlich zu sehen. Auch der Islam verknüpfte im Friedensbegriff die - durch Unterwerfung der Feinde zu gewährleistende - Sicherheit nach außen mit geregelten Entfaltungschancen im Innern. Wenn der Konfuzianismus als die drei Prinzipien einer guten Regierung angab, für genügend Nahrung, genügend Soldaten und genügend Vertrauen zu sorgen, so verband er ebenfalls, freilich ohne den Begriff des Friedens zu verwenden, die Ziele der Erhaltung und der Entfaltung der Existenz des Menschen.

Die Verklammerung beider im Friedensbegriff wird noch einmal vor dem Beginn des Mittelalters deutlich bei Augustinus. Er sieht in ihm die „Ruhe der Ordnung“ (tranquillitas ordinis), die die Entfaltungschancen der menschlichen Einzelexistenz ebenso regelt wie die Sicherheit dieser Existenz gegenüber einem Angriff von außen.

Mit dem Beginn des Mittelalters und besonders dem der Neuzeit verfällt der integrierte Friedensbegriff. Er wird jetzt, vor allem unter dem Einfluss des Völkerrechts, reduziert auf den zwischengesellschaftlichen Bereich, während die innergesellschaftlich zu gewährleistenden Entfaltungsbedingungen davon abgetrennt wurden. Sie spielten bei der Ausbildung des Territorialstaates und in der Zeit des Absolutismus ohnehin keine besonders große Rolle, traten erst in Erscheinung, nachdem die Aufklärung und schließlich die Französische Revolution ihren politischen Stellenwert erheblich erhöht hatten.

Freilich wurde die Norm der Existenzentfaltung dann auch anderen Begriffen, dem des Wohlstands (als materialer Verteilungsgerechtigkeit) und dem der Demokratie (als partizipatorischer Verteilungsgerechtigkeit) anvertraut. Die Norm des Friedens wurde damit immer strenger für die zwischengesellschaftlichen Beziehungen reserviert und damit auf die Existenzerhaltung reduziert.

Sie nahm die Norm der Existenzentfaltung erst sehr spät wieder auf, erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als die zunehmende Interdependenz die Distanz zwischen den Staaten zu verringern begann. Die Norm der Existenzentfaltung erweiterte damit ihren Geltungsumfang beträchtlich, bezog jetzt die Menschen anderer politischer Einheiten mit ein."

[aus: Ernst-Otto Czempiel: Friedensstrategien, Systemwandel durch Internationale Organisationen, Demokratisierung und Wirtschaft, Paderborn 1986, S. 44-46]

Friede ist nicht Abwesenheit von Krieg. Friede ist eine Tugend, eine Geisteshaltung, eine Neigung zu Güte, Vertrauen, Gerechtigkeit – Spinoza

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