Kritik
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Friedenspädagogik

Ernst-Otto Czempiel kritisiert im folgenden Text die Friedens- und Konfliktforschung, die seiner Meinung nach die Suche nach friedensstiftenden Strategien vernachlässigt:

"Dieses Defizit unterscheidet die gegenwärtige Friedensforschung von der Friedenswissenschaft der Vergangenheit, insbesondere der des 19. Jahrhunderts. Sie war zwar nicht auf die konkrete Lösung konkreter Probleme gerichtet - das hat sie ausdrücklich vermieden -, wohl aber beschäftigte sie sich systematisch und innovativ mit der Entwicklung friedenstiftender Strategien. Ihr großer Beitrag war die Entwicklung des Konzepts der Internationalen Organisation, das sich, bei allen Schwächen, nach 1945 ausgezeichnet bewährt hat.

Die besondere Leistung dieses Konzeptes liegt darin, dass es nicht auf die Vermeidung des Krieges, sondern auf die Instrumentierung des Friedens gerichtet ist. Die Bedeutung dieses Unterschieds kann nicht genug betont werden. Der Friede ist nicht gleichbedeutend mit der Vermeidung des Krieges, und zwar nicht etwa wegen des bekannten (aber bedeutungslosen) Unterschiedes zwischen dem sogenannten negativen und dem positiven Frieden. Wer den Krieg durch den Frieden ersetzen will, muss ihn und nicht die Verhinderung des Krieges erforschen.

Es müssen Konfliktaustragsmodi konzipiert und eingeübt werden, die keine oder nur geringe Grade von Gewalt aufweisen. Das ist ein positives Programm, das eigenständige konkrete Forschungsaufgaben enthält und nicht identisch ist mit der Kriegsursachenforschung, auf die sich das wissenschaftliche Interesse bisher mehrheitlich konzentriert hat. Diese Frage nach dem Frieden ist bisher kaum aufgegriffen worden. Die Ausbreitung der Friedensforschung in der westlichen Welt hat daran nichts geändert. Im Gegensatz zur literarischen Tradition, vor allem der des 19. Jahrhunderts, ist eine nennenswerte wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Frieden als Ziel und den dazugehörenden Strategien nach 1945 nicht festzustellen. (...)

Der Frieden kommt deswegen nicht zustande, weil sich niemand mit seinem Zustandekommen beschäftigt. Es genügt nicht, das Abschreckungssystem zu kritisieren, man muss Systeme erfinden, die es ersetzen können. Es reicht nicht aus, von der europäischen Friedensordnung zu reden, man muss das Wort übersetzen in denkbare und mögliche Zustände des europäischen Systems. Man darf die Mängel der Rüstungskontrolle nicht nur beklagen, man muss sie konzeptuell beheben. Mit einem Wort: die Sozialwissenschaft muss sich endlich mit dem Frieden beschäftigen, muss ihn analysieren, muss seine Strategien beschreiben und entwerfen. Dass der Frieden bisher nicht recht vorangekommen ist, kann also auch darauf zurückgeführt werden, dass er in seiner Komplexität unterschätzt wird. (...)

Den Frieden herzustellen, ist die schwierigste politische Aufgabe, die es überhaupt gibt; sie lässt sich nur lösen, wenn man sich den Schwierigkeiten auch stellt."

[aus: Ernst-Otto Czempiel: Friedensstrategien, Systemwandel durch Internationale Organisationen, Demokratisierung und Wirtschaft, Paderborn 1986, S. 16-19]

Friede kann definiert werden als ein Prozessmuster des internationalen Systems, das gekennzeichnet ist durch abnehmende Gewalt und zunehmende Verteilungsgerechtigkeit - Ernst-Otto Czempiel

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