Definition: Wolfgang Sander
definiert didaktische Prinzipien als "begriffliche Werkzeuge, mit deren Hilfe
aus der komplexen Vielfalt des Politischen Themen für Lerngegenstände
konstruiert und didaktisch strukturiert werden können. Didaktische Prinzipien
sollen Politik lernbar machen. Sie bündeln didaktisches Wissen für Zwecke
der Planung von Lernangeboten".
[aus: Wolfgang Sander, Theorie der politischen Bildung:
Geschichte - didaktische Konzeptionen - aktuelle Tendenzen und Probleme; in: ders. (Hg.), Handbuch politische Bildung, Schriftenreihe der Bundeszentrale
für politische Bildung, Band 476, Bonn 2005, S. 29]
Die didaktischen Prinzipien, wie
sie sich in der fachdidaktischen Diskussion der letzten Jahrzehnte
herausgebildet haben, bilden den Kern der Politikdidaktik. Sie
operationalisieren die allgemeinen Ziele politischer Bildung, die häufig mit der
Kurzformel "mündiger Bürger" zusammengefasst werden (zu den Aufgaben und Zielen
politischer Bildung siehe
Themenkomplex Politikdidaktik).
Die zentralen didaktischen Prinzipien der politischen Bildung
Selbständige Urteilsbildung:
Dieses Prinzip wird in der besonders intensiven deutschen
politikdidaktischen Diskussion als "Überwältigungsverbot" bezeichnet. Es geht
zurück auf ein Treffen der wichtigsten Vertreter der Disziplin im Jahr 1976 und
bildet seither die Grundlage der politischen Bildung in Deutschland und darüber
hinaus. Der Wortlaut der Übereinkunft, bekannt unter dem Namen "Beutelsbacher
Konsens" lautet:
"1. Überwältigungsverbot. Es ist nicht erlaubt, den Schüler ... im Sinne
erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der 'Gewinnung eines
selbstständigen Urteils' (...) zu hindern. Hier genau verläuft nämlich die
Grenze zwischen Politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination
aber ist unvereinbar mit der Rolle des Lehrers in einer demokratischen
Gesellschaft und der - rundum akzeptierten - Zielvorstellung von der Mündigkeit
des Schülers."
Kontroversität bildet
das zweite zentrale didaktische Prinzip. Die Formulierung des Beutelsbacher
Konsenses lautet:
"2. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im
Unterricht kontrovers erscheinen. Diese Forderung ist mit der vorgenannten aufs
engste verknüpft, denn wenn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen,
Optionen unterschlagen werden, Alternativen unerörtert bleiben, ist der Weg zur
Indoktrination beschritten ..."
Mit den Prinzipien "Überwältigungsverbot" und "Kontroversität" sind zwei
unverzichtbare didaktische Prinzipien benannt, die nach wie vor uneingeschränkte
Gültigkeit beanspruchen können. Sie markieren die Grenze zwischen demokratischer
politischer Bildung und Indoktrination. Am Ende einer Unterrichtseinheit müssen mehrere
Lösungen für ein politisches Problem stehen. Die Wahl des "besten" Weges kann
und soll der Schülerin oder dem Seminarteilnehmer nicht abgenommen werden, sondern muss
ihrem bzw. seinem eigenen Urteil überlassen bleiben.
Interessenorientierung
als drittes Prinzip des Beutelsbacher Konsenses war im Unterschied
zu den ersten beiden immer wieder Gegenstand der Diskussion - weniger im Sinne
einer Streichung, sondern im Sinne einer Ergänzung, beispielsweise um die
Dimension der Orientierung am Gemeinwohl:
"3. Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation
und seine eigene Interessenlage zu analysieren, sowie nach Mitteln und
Wegen zu suchen, die vorgefundene Lage im Sinne seiner Interessen zu
beeinflussen ..."
[alle Zitate aus: Hans-Georg Wehling, Konsens à la Beutelsbach?; in: Siegfried
Schiele/Herbert Schneider (Hg.), Das Konsensproblem in der politischen Bildung,
Stuttgart 1977, S. 179-180]
Weitere didaktische Prinzipien der politischen Bildung
Generell ist zu beachten, dass sich die oben und in der Folge unterschiedenen
didaktischen Prinzipien überlappen und ergänzen, sie hängen eng miteinander
zusammen. Je nach Themenstellung und Adressaten stehen andere Prinzipien im
Vordergrund, keine Unterrichtseinheit wird allen gerecht werden.
Eine
herausgehobene Stellung haben die beiden ersten Grundsätze des Beutelsbacher
Konsenses inne, da sie immer Beachtung finden müssen, unabhängig von der
Thematik. Politische Bildung, die gegen das Überwältigungsverbot oder das
Prinzip der Kontroversität verstößt, ist nicht professionell. Weitere wichtige
Prinzipien sind:
Schülerorientierung:
Politische Bildung knüpft an den Erfahrungen und Interessen der Adressaten an
(in der Erwachsenenbildung firmiert dieses Prinzip als Teilnehmerorientierung).
Im Idealfall werden die Fragen, was behandelt wird und in welcher Weise die
Bearbeitung erfolgt, weitgehend gleichberechtigt von Lehrenden und
Lernenden beantwortet. Dieses Prinzip versucht, den Ansatz konsequent umzusetzen, dass Lernende nicht als
Objekt der Belehrung zu betrachten sind.
Problemorientierung:
Politische Bildung soll von realen Problemen ausgehen und vorrangig Wissen und
Kompetenzen vermitteln, die zur Problembearbeitung erforderlich sind.
Problemlösungsfähigkeit hat Vorrang vor Wissensanhäufung. Die Behandlung einer
Thematik sollte immer vom Besonderen zum Allgemeinen fortschreiten, also der
Induktion den Vorzug vor der Deduktion geben.
Exemplarität:
Politische Bildung kann Themen nie erschöpfend behandeln und muss sich auf
einzelne Aspekte beschränken. Exemplarisches Lernen bildet eine vertretbare
Strategie der Stoff- und Komplexitätsreduktion. Die Auswahl der zu behandelnden
Aspekte muss zum einen schüler- und problembezogen sein, zum zweiten
exemplarisch für das Thema. Das heißt insbesondere, dass der "politische Kern"
des Themas in den Mittelpunkt rückt. Erfolgreiches exemplarisches Lernen und Lehren
ermöglicht, Strukturen und Gesetzmäßigkeiten im ausgewählten Problem zu
identifizieren, und ist damit eng verzahnt mit dem Prinzip der
Problemorientierung. Exemplarisches Lernen ist wichtiger als das Streben nach
Vollständigkeit.
Wissenschaftsorientierung:
Politische Bildung muss eng verzahnt sein mit ihren Bezugswissenschaften,
insbesondere mit der Politikwissenschaft als primärer Bezugswissenschaft.
Aktualität / Anschaulichkeit:
Politische Bildung soll nach Möglichkeit aktuelle Probleme und Lösungsvorschläge
aufgreifen. Die Lehrinhalte sollen möglichst wenig abstrakt, sondern anschaulich
und einprägsam vermittelt werden. Zusammen mit Auswahlkriterien wie
Betroffenheit und Bedeutsamkeit der Thematik kann dadurch eine Steigerung der
Motivation seitens der Schülerinnen oder Teilnehmer erreicht werden.
Handlungsorientierung:
Politische Bildung soll zum einen selbsttätiges Lernen als
nachhaltige Form der Wissensvermittlung erlauben und fördern (z.B.
durch entsprechende Methoden wie Projektarbeit). Zweitens geht es aber auch um das Einüben
grundlegender Demokratie-Kompetenzen, also eines persönlichen Handlungsrepertoires für die politische
Auseinandersetzung und Meinungsbildung (z.B. durch Einüben von
Schlüsselqualifikationen wie Debattieren oder Präsentieren). Diese Kompetenzen
werden mit handlungsorientierten Methoden wie Planspiel, Debatte oder
Rollenspiel eingeübt.