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Methoden

Grundkurs 2: Didaktische Prinzipien der politischen Bildung

Didaktische Prinzipien helfen, Politikunterricht vorzubereiten und durchzuführen. Sie leiten den Auswahlprozess an, in dem aus der komplexen Fülle politischer Sachverhalte gezielt und begründet einzelne Themen für den Unterricht oder für Seminare ausgewählt und strukturiert werden.

Damit spielen sie eine maßgebliche Rolle bei allen vier Schritten der Unterrichtsvorbereitung (siehe Kasten rechts). Von besonderer Bedeutung sind sie natürlich bei dem didaktisch entscheidenden zweiten Schritt, der Wahl der didaktischen Perspektive.

Unterrichtsvorbereitung:
 
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Schritt 1: Einarbeiten in das Thema

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Schritt 2: Wahl der didaktischen Perspektive

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Schritt 3: Formulieren des Themas

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Schritt 4: Planen des Unterrichtsverlaufs


[weitere Informationen hierzu finden Sie im Rahmen des Themenkomplexes Politikdidaktik]

Definition: Wolfgang Sander definiert didaktische Prinzipien als "begriffliche Werkzeuge, mit deren Hilfe aus der komplexen Vielfalt des Politischen Themen für Lerngegenstände konstruiert und didaktisch strukturiert werden können. Didaktische Prinzipien sollen Politik lernbar machen. Sie bündeln didaktisches Wissen für Zwecke der Planung von Lernangeboten".

[aus: Wolfgang Sander, Theorie der politischen Bildung: Geschichte - didaktische Konzeptionen - aktuelle Tendenzen und Probleme; in: ders. (Hg.), Handbuch politische Bildung, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Band 476, Bonn 2005, S. 29]

Die didaktischen Prinzipien, wie sie sich in der fachdidaktischen Diskussion der letzten Jahrzehnte herausgebildet haben, bilden den Kern der Politikdidaktik. Sie operationalisieren die allgemeinen Ziele politischer Bildung, die häufig mit der Kurzformel "mündiger Bürger" zusammengefasst werden (zu den Aufgaben und Zielen politischer Bildung siehe Themenkomplex Politikdidaktik).


Die zentralen didaktischen Prinzipien der politischen Bildung

 Selbständige Urteilsbildung:  Dieses Prinzip wird in der besonders intensiven deutschen politikdidaktischen Diskussion als "Überwältigungsverbot" bezeichnet. Es geht zurück auf ein Treffen der wichtigsten Vertreter der Disziplin im Jahr 1976 und bildet seither die Grundlage der politischen Bildung in Deutschland und darüber hinaus. Der Wortlaut der Übereinkunft, bekannt unter dem Namen "Beutelsbacher Konsens" lautet:

"1. Überwältigungsverbot. Es ist nicht erlaubt, den Schüler ... im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der 'Gewinnung eines selbstständigen Urteils' (...) zu hindern. Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen Politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination aber ist unvereinbar mit der Rolle des Lehrers in einer demokratischen Gesellschaft und der - rundum akzeptierten - Zielvorstellung von der Mündigkeit des Schülers."

 Kontroversität  bildet das zweite zentrale didaktische Prinzip. Die Formulierung des Beutelsbacher Konsenses lautet:

"2. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen. Diese Forderung ist mit der vorgenannten aufs engste verknüpft, denn wenn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen, Optionen unterschlagen werden, Alternativen unerörtert bleiben, ist der Weg zur Indoktrination beschritten ..."

Mit den Prinzipien "Überwältigungsverbot" und "Kontroversität" sind zwei unverzichtbare didaktische Prinzipien benannt, die nach wie vor uneingeschränkte Gültigkeit beanspruchen können. Sie markieren die Grenze zwischen demokratischer politischer Bildung und Indoktrination. Am Ende einer Unterrichtseinheit müssen mehrere Lösungen für ein politisches Problem stehen. Die Wahl des "besten" Weges kann und soll der Schülerin oder dem Seminarteilnehmer nicht abgenommen werden, sondern muss ihrem bzw. seinem eigenen Urteil überlassen bleiben.

 Interessenorientierung  als drittes Prinzip des Beutelsbacher Konsenses war im Unterschied zu den ersten beiden immer wieder Gegenstand der Diskussion - weniger im Sinne einer Streichung, sondern im Sinne einer Ergänzung, beispielsweise um die Dimension der Orientierung am Gemeinwohl:

"3. Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren, sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen ..."

[alle Zitate aus: Hans-Georg Wehling, Konsens à la Beutelsbach?; in: Siegfried Schiele/Herbert Schneider (Hg.), Das Konsensproblem in der politischen Bildung, Stuttgart 1977, S. 179-180]


Weitere didaktische Prinzipien der politischen Bildung

Generell ist zu beachten, dass sich die oben und in der Folge unterschiedenen didaktischen Prinzipien überlappen und ergänzen, sie hängen eng miteinander zusammen. Je nach Themenstellung und Adressaten stehen andere Prinzipien im Vordergrund, keine Unterrichtseinheit wird allen gerecht werden.

Eine herausgehobene Stellung haben die beiden ersten Grundsätze des Beutelsbacher Konsenses inne, da sie immer Beachtung finden müssen, unabhängig von der Thematik. Politische Bildung, die gegen das Überwältigungsverbot oder das Prinzip der Kontroversität verstößt, ist nicht professionell. Weitere wichtige Prinzipien sind:

 Schülerorientierung:  Politische Bildung knüpft an den Erfahrungen und Interessen der Adressaten an (in der Erwachsenenbildung firmiert dieses Prinzip als Teilnehmerorientierung). Im Idealfall werden die Fragen, was behandelt wird und in welcher Weise die Bearbeitung erfolgt, weitgehend gleichberechtigt von Lehrenden und Lernenden beantwortet. Dieses Prinzip versucht, den Ansatz konsequent umzusetzen, dass Lernende nicht als Objekt der Belehrung zu betrachten sind.

 Problemorientierung:  Politische Bildung soll von realen Problemen ausgehen und vorrangig Wissen und Kompetenzen vermitteln, die zur Problembearbeitung erforderlich sind. Problemlösungsfähigkeit hat Vorrang vor Wissensanhäufung. Die Behandlung einer Thematik sollte immer vom Besonderen zum Allgemeinen fortschreiten, also der Induktion den Vorzug vor der Deduktion geben.

 Exemplarität:  Politische Bildung kann Themen nie erschöpfend behandeln und muss sich auf einzelne Aspekte beschränken. Exemplarisches Lernen bildet eine vertretbare Strategie der Stoff- und Komplexitätsreduktion. Die Auswahl der zu behandelnden Aspekte muss zum einen schüler- und problembezogen sein, zum zweiten exemplarisch für das Thema. Das heißt insbesondere, dass der "politische Kern" des Themas in den Mittelpunkt rückt. Erfolgreiches exemplarisches Lernen und Lehren ermöglicht, Strukturen und Gesetzmäßigkeiten im ausgewählten Problem zu identifizieren, und ist damit eng verzahnt mit dem Prinzip der Problemorientierung. Exemplarisches Lernen ist wichtiger als das Streben nach Vollständigkeit.

 Wissenschaftsorientierung:  Politische Bildung muss eng verzahnt sein mit ihren Bezugswissenschaften, insbesondere mit der Politikwissenschaft als primärer Bezugswissenschaft.

 Aktualität / Anschaulichkeit:  Politische Bildung soll nach Möglichkeit aktuelle Probleme und Lösungsvorschläge aufgreifen. Die Lehrinhalte sollen möglichst wenig abstrakt, sondern anschaulich und einprägsam vermittelt werden. Zusammen mit Auswahlkriterien wie Betroffenheit und Bedeutsamkeit der Thematik kann dadurch eine Steigerung der Motivation seitens der Schülerinnen oder Teilnehmer erreicht werden.

 Handlungsorientierung:  Politische Bildung soll zum einen selbsttätiges Lernen als nachhaltige Form der Wissensvermittlung erlauben und fördern (z.B. durch entsprechende Methoden wie Projektarbeit). Zweitens geht es aber auch um das Einüben grundlegender Demokratie-Kompetenzen, also eines persönlichen Handlungsrepertoires für die politische Auseinandersetzung und Meinungsbildung (z.B. durch Einüben von Schlüsselqualifikationen wie Debattieren oder Präsentieren). Diese Kompetenzen werden mit handlungsorientierten Methoden wie Planspiel, Debatte oder Rollenspiel eingeübt.
 

... weiter zu Grundkurs 3: Grundlegende Methoden des Politikunterrichts

[Autor: Ragnar Müller]

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