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Politikdidaktik

Demokratieerziehung

[Auszug aus: "Lernfähigkeit: Unser verborgener Reichtum. UNESCO-Bericht zur Bildung für das 21. Jahrhundert"]

Bildung kann nicht dabei stehenbleiben, Menschen einander näherzubringen, indem sie angehalten werden, gemeinsame Werte ihrer Vergangenheit anzunehmen. Sie muss ebenso die Frage beantworten, warum und wofür wir zusammenleben. Bildung muss jedem ein Leben lang die Möglichkeit bieten, eine aktive Rolle in der Zukunftsgestaltung der Gesellschaft zu spielen.

Deshalb hat jedes Bildungssystem die explizite und implizite Aufgabe, jeden auf diese gesellschaftliche Rolle vorzubereiten. In unserer heutigen komplexen Gesellschaft bedeutet Teilnahme an einer gemeinsamen Unternehmung mehr als eine rein politische Betrachtung. Tatsächlich müssen alle Mitglieder der Gemeinschaft täglich ihre persönliche Verantwortung anderen gegenüber übernehmen: bei ihrer Arbeit, bei kulturellen Aktivitäten, in Vereinen oder als Konsumenten. Indem die Schule sie über ihre Rechte und Pflichten aufklärt und Sozialkompetenz durch Teamwork entwickelt, bereitet sie sie auf diese Rolle vor.

Die Einsicht, dass die Schule die Aufgabe hat, auf die aktive Teilnahme am Leben in einer Gemeinschaft vorzubereiten, hat sich mit der Ausbreitung demokratischer Prinzipien über den ganzen Erdball bei immer mehr Menschen durchgesetzt. Es gibt in dieser Hinsicht mehrere Handlungsebenen, die sich in einer modernen Demokratie ergänzen sollten.

Das erste Mindestziel ist es, die Rolle einzuüben, die ein Verhalten nach gesellschaftlichen Regeln verlangt. Dies ist die Aufgabe einer Grundbildung in Gestalt von Sozialkunde als ‘politische Alphabetisierung’. Toleranz lässt sich aber nicht als ein isoliertes Fach unter vielen unterrichten. Ziel ist es nicht, moralische Prinzipien als starre Regeln zu unterrichten, was einer Indoktrination nahekäme, sondern demokratische Praxis in die Schule einzuführen. Die Schüler sollen anhand praktischer Fälle verstehen lernen, was ihre Rechte und Pflichten sind und wie ihre eigene Freiheit durch die Rechte und die Freiheit anderer begrenzt wird. Der Unterricht von Demokratieverständnis sollte durch bereits erprobte praktische Arbeiten unterstützt werden, wie etwa das Erstellen einer Schulordnung für die Schule, die Einrichtung von Schülerparlamenten, Rollenspiele, die zeigen, wie demokratische Institutionen funktionieren, Schülerzeitungen und Übungen zur gewaltfreien Konfliktlösung. Da Demokratieerziehung und Demokratieverständnis par excellence sich nicht auf die Zeit formaler Schulbildung beschränken, ist es ebenso wichtig, dass Familien und andere Mitglieder der Gemeinschaft miteingebunden werden.

Für Schüler sind Sozialkunde und politische Bildung komplexe Fächer, in denen sie lernen müssen, Werthaltungen anzunehmen, Wissen zu erwerben und sich am öffentlichen Leben zu beteiligen. Der Unterricht kann deshalb nicht als ideologisch neutral betrachtet werden; das Gewissen der Schüler wird notwendigerweise herausgefordert. Um ein eigenes Gewissen zu entwickeln und zu festigen, müssen Erziehung und Lernen von Kindheit an den kritischen Verstand schulen, als Voraussetzung freien Denkens und eigenständigen Handelns. Wenn aus Schülern Staatsbürger werden, wird Weiterbildung ihr ständiger Begleiter auf einem schwierigen Weg. Dort müssen sie die Ausübung der auf öffentlichen Freiheiten basierenden Rechte des einzelnen in Einklang bringen mit der Erfüllung von Pflichten und der Verantwortung anderen und ihrer Gemeinschaft gegenüber. Deshalb sollen Bildung und Erziehung ganz generell Urteilsfähigkeit ausbilden und schärfen. Daraus entsteht das Problem des Ausgleichs zwischen individueller Freiheit und dem Prinzip der Autorität, das allen Formen des Unterrichtens eigen ist. Dieser Konflikt betont die Rolle des Lehrers, der die Fähigkeit, unabhängige Urteile zu fällen, fördert, die für die Teilnahme am öffentlichen Leben unabdingbar ist.

Wenn es wirklich eine synergetische Beziehung zwischen Bildung und demokratischer Praxis geben soll, ist es notwendig, dass jeder die Ausübung von Rechten und die Erfüllung von Pflichten einübt. Darüber hinaus sollte Lernen als lebenslanger Prozess mithelfen, ein aktives Gemeinwesen aufzubauen. Ein solches Gemeinwesen wäre das Bindeglied zwischen vereinzelten Individuen und einer fernen politischen Autorität. Damit soll jedem ermöglicht werden, seinen Teil an Verantwortung in der Gemeinschaft zu übernehmen und so das Ziel wahrer Solidarität zu erreichen. Deshalb muss Bildung jeden Bürger sein Leben lang begleiten und Grundbestandteil einer staatsbürgerlichen Gesellschaft und lebenden Demokratie werden. Bildung und Erziehung werden dann erst wirklich demokratisch, wenn alle ihren Teil zu einer verantwortungsvollen und auf gegenseitige Hilfe aufgebauten Gesellschaft beitragen, welche die Grundrechte aller sichert.

[Lernfähigkeit: Unser verborgener Reichtum. UNESCO-Bericht zur Bildung für das 21. Jahrhundert. Hrsg. von der Deutschen UNESCO-Kommission. Neuwied; Kriftel; Berlin: Luchterhand, 1997, S. 50-52]

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