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"Demokratie" zu definieren, ist ein schwieriges
Unterfangen. Sie hat sich im Lauf der Geschichte entwickelt und kennt heute
viele Gestalten. Man spricht von verschiedenen Demokratietypen.
Zu unterscheiden sind weiterhin zwei prinzipiell andere Zugangsweisen: die Identitäts-
und die Konkurrenztheorie der Demokratie. Stellvertretend für viele
Versuche der begrifflichen Präzisierung wollen wir uns auf drei Definitionsversuche beschränken:
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Demokratie
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[griechisch, "Volksherrschaft"], Staatsform, in der
die Staatsgewalt vom Volk ausgeht und direkt oder (und) indirekt von ihm
ausgeübt wird. – Die Demokratie entwickelte sich in Europa zuerst in den
griechischen Stadtstaaten als direkte oder unmittelbare Demokratie.
(...) Die moderne Demokratie erwuchs zunächst aus den kalvinistischen
Glaubenskämpfen des 17. Jahrhunderts, besonders in Schottland, England und den
Niederlanden, in denen die Gemeinde als Träger des religiösen und politischen
Lebens hervortrat, sodann aus den Lehren der Aufklärung, besonders aus ihren
Anschauungen von der Freiheit und Gleichheit aller und von der normativen
Bedeutung des vernünftigen Denkens des einzelnen über Staat und Gesellschaft.
Grundlegend wurden die Lehren J. J. Rousseaus von der Volkssouveränität als
einem unteilbaren und unveräußerlichen Recht des Volkes.
(...) Der erste moderne demokratische Staat waren die USA. In Europa wurde
erstmals in der Französischen Revolution ein Staat auf demokratischen
Prinzipien gegründet.
(...) Im übrigen zeigt die demokratische Staatsform auch innerhalb des Westens
erhebliche Unterschiede: Zunächst gibt es die Scheidung in die plebiszitäre
und die repräsentative Demokratie. Die plebiszitäre Demokratie zeichnet sich
durch die Möglichkeit unmittelbarer Volksentscheidungen aus, sei es durch die
vom Volk vorzunehmende Wahl des höchsten Staatsorgans, sei es durch die
Möglichkeit, auf dem Weg über ein Volksbegehren und anschließenden
Volksentscheid oder nach Anordnung des Staatsorgans unmittelbar durch
Volksentscheid das Volk zum Gesetzgeber zu machen. Doch auch bei dieser
Konstruktion bleibt die normale Gesetzgebung dem Parlament vorbehalten. Es
handelt sich also bei den plebiszitären Entscheidungen immer nur um seltene
Ausnahmefälle. Sehr häufig sind sie allerdings in der Schweiz
(Volksentscheid). – In einer repräsentativen Demokratie ist jede
plebiszitäre Entscheidung ausgeschlossen.
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(...) Eine weitere wichtige Unterscheidung ist diejenige zwischen der
parlamentarischen und der nicht-parlamentarischen Demokratie. Unter
Parlamentarismus ist dabei nicht das Vorhandensein und Funktionieren des
Parlaments zu verstehen, sondern die Abhängigkeit der Regierung vom Vertrauen
der Legislative. – Den Gegentypus bilden die Vereinigten Staaten. Dort ist der
Präsident – der zudem noch die beiden Ämter des Staatsoberhaupts und des
Regierungschefs in seiner Person vereinigt – keineswegs vom Vertrauen des
Kongresses abhängig; Repräsentantenhaus und Senat können den Präsidenten
nicht zum Rücktritt zwingen.
Diese Grundtypen der Verwirklichung der demokratischen Staatsform lassen
erkennen, welche Unterschiede im einzelnen bestehen. Die Verschiedenheit der
nationalen Tradition und die Rücksichtnahme auf jeweils andere soziale
Gegebenheiten sowie eine abweichende Beurteilung bestimmter Verhaltensweisen
lassen die Demokratie als eine Aufgabe der Neuzeit erscheinen, für die es eine
Vielfalt von Formen gibt. Hinter der grundsätzlichen Festlegung, dass die
Staatsgewalt beim Volk liegt (und nicht bei einer privilegierten Schicht, einer
Klasse oder Gruppe), eröffnen sich zahlreiche Wege und Möglichkeiten für sehr
unterschiedliche Gestaltungen. Deshalb wird die Demokratie zu jeder Zeit und
für jedes Volk zu einer besonderen Aufgabe.
[entnommen aus Bertelsmann Discovery Lexikon
1997]
[weitere Materialien: Zitate,
Schaubild, Demokratietypen,
schwierige Begriffe werden im Glossar
erklärt]
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Was ist Demokratie?
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[Hans-Helmuth Knütter]
Warum beschäftigen wir uns heute mit dem Thema Demokratie?
Seit 1945 erleben wir in Europa, aber auch in Ländern anderer Erdteile eine
Ausbreitung der westlichen liberalen Form der Demokratie gegenüber autoritären
Herrschaftsordnungen. Im Jahr 1945 schien mit der Katastrophe der
nationalsozialistischen und faschistischen Diktatur die Krise der liberalen
Demokratie überwunden, nachdem sie zwischen 1922 und 1939 eine Niederlage nach
der anderen hatte hinnehmen müssen. Zahlreiche Diktaturen — Spanien,
Portugal, Griechenland, Chile, Argentinien, Uruguay — wandelten sich in den
letzten Jahrzehnten hin zu Demokratien. Weltweit schien der Sieg der Demokratie
mit dem Zusammenbruch der "realsozialistischen" Systeme Ost- und
Mitteleuropas seit 1989. Gerade an diesem Beispiel zeigt sich aber die
Notwendigkeit einer kritischen Beschäftigung mit der Demokratie. Verstanden
sich doch diese Ordnungen als "Volks-" oder "sozialistische
Demokratien". Seitdem dort der Marxismus-Leninismus als alleinige
ideologische Grundlage vom Pluralismus und die zentral gelenkte Wirtschaft von
der Marktwirtschaft abgelöst wurden, ist auch der Zusammenhang von Demokratie,
individueller Freiheit und sozialer Sicherheit deutlich geworden. Viele Menschen
haben Schwierigkeiten, den politischen und sozialen Wandel innerlich zu
bewältigen und die neue Form der Demokratie zu akzeptieren. Daraus erwachsen
gerade im Augenblick des scheinbaren Triumphes neue Gefahren, die es
wahrzunehmen gilt. Das geschieht am besten durch Vergegenwärtigung der
Entstehungsgeschichte der Demokratie, die im Laufe ihrer Existenz zahlreichen
Anfechtungen und Wandlungen unterworfen war. Sie ist immer gefährdet, weil es
keine politische Ordnung gibt, die stärker auf einem Konsens der Bürger
beruht, um bestehen zu können.
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(...) Aber nicht nur Unwissenheit, sondern auch ein falsches, idealisiertes Bild
einer harmonischen und problemlos funktionierenden Demokratie kann zu
enttäuschter Abwendung führen, wenn der Vergleich von Ideal und Wirklichkeit
— wie nicht anders zu erwarten — zum Nachteil des Idealbildes ausfällt.
Demokratie ist etwas historisch Gewordenes. Sie hat sich bis zu den
gegenwärtigen Formen entwickelt und wird sich weiter verändern. Hier soll
versucht werden, die Demokratie in ihrer Entwicklung darzustellen und deutlich
zu machen, dass es sich nicht um eine ideale Ordnung von Staat und Gesellschaft
handelt, dass aber nach den Erfahrungen der Geschichte heute nur so eine
rechtsstaatlich verfasste, menschenwürdige politisch-gesellschaftliche Ordnung
möglich ist.
Die Gefahr für die Demokratie liegt nicht so sehr in ihrer Beseitigung durch
eine Diktatur, bedroht wird sie vielmehr durch ideologisch verblendeten
Massenwahn. Demokratie kann durchaus auf scheinbar demokratischem Wege
überwunden und in ihr Gegenteil, in eine Herrschaft ideologisch sich selbst
rechtfertigenden Unrechts verwandelt werden. Diese Gefahr ist bereits in der
Antike erkannt worden.
Das Wort "Demokratie" ist aus der Umgangssprache jedermann bekannt,
jedoch bereitet eine genauere Definition Schwierigkeiten. Die Erklärung, das
Wort leite sich aus dem Griechischen her und sei mit "Volksherrschaft"
zu übersetzen, hilft nicht weiter, weil die politischen und gesellschaftlichen
Verhältnisse sich seit der Antike gewandelt haben und nicht klar ist, was
"Herrschaft des Volkes" bedeuten soll.
Es gibt in der Tat sehr verschiedene Formen der Demokratie. Während in den
kleinen überschaubaren Verwaltungseinheiten der antiken griechischen Polis
"das Volk" (und das hieß damals nur: Die freien Männer)
zusammenkamen und direkt abstimmten, bedarf es in den heutigen Flächenstaaten
der Zwischengewalten. Beauftragte sind nötig, die im Namen der Wähler die
Macht ausüben — kontrolliert und zeitlich begrenzt. Hier besteht die Gefahr,
dass die Beauftragten der Wähler, also die Abgeordneten und Parteien, die
Verbindung zu ihren Wählern verlieren. Dann kann es zu einer Elitenherrschaft über
das Volk, eventuell im Namen des Volkes kommen. In der DDR und den anderen
Staaten des ehemaligen Ostblocks gab es eine solche Form der
"Volksdemokratie" die in Wirklichkeit eine Herrschaft der
Parteibürokratie war.
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Das Grundproblem der Demokratie ist die Spannung zwischen Freiheit des einzelnen
und seiner Bindung an die Gesamtheit (Staat oder Gesellschaft). Die Freiheit
wird durch die Bindung an die Ordnung zwar eingeschränkt, andererseits
ermöglicht die Ordnung erst die Entfaltung der Freiheit. Freiheit ohne Bindung
würde zum Faustrecht führen. Die Vorstellung von der
"Volksherrschaft" geht von der Annahme aus, dass das über sich selbst
herrschende Volk frei sei — im Gegensatz zur Herrschaft eines oder mehrerer
Machthaber über Untertanen. Abraham Lincoln (1809 bis 1865, 16. Präsident der
USA 1861 bis 1865) fasste diesen Grundsatz in seiner Gettysburg-Address
vom 19. November 1863 in die Worte: "government of the people, by the
people, for the people..." Ihre Legitimation findet die Demokratie in der
Vorstellung der Volkssouveränität.
Der Begriff Souveränität als Quelle allen Rechts wurde im 16. Jahrhundert von
dem französischen Staatstheoretiker Jean Bodin (1530 bis 1596) entwickelt. In
der Zeit der absoluten Monarchien war der Herrscher, der seine Legitimation von
"Gottes Gnaden" ableitete, der Souverän; in der Demokratie ist es das
Volk, in dessen Namen die Herrschaft ausgeübt und Macht übertragen wird. In
der Demokratie herrschen die Gesetze, nicht Menschen über Menschen. Gesetze
müssen ordnungsgemäß zustande kommen und verkündet werden, damit der
Staatsbürger sie kennen und befolgen kann. Es darf keine Geheimgesetze geben.
Der Begriff der Rechtsstaatlichkeit steht im engen Zusammenhang mit dem der
Demokratie.
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Eine weitere Voraussetzung der Demokratie ist die Gleichheit aller Bürger. Es
ist sehr umstritten, was unter Gleichheit zu verstehen ist und wie weit sie
gehen kann, ohne die Freiheit einzuschränken. Unbestritten ist die Gleichheit
aller Bürger vor dem Gesetz. Es darf keine Sonderrechte und Sondergerichte
geben, die nur für einzelne Gruppen, Schichten oder Klassen gelten. Der
Rechtsstaat muss die Gleichheit der Chancen gewährleisten, da die Freiheit in
Gefahr gerät, wenn wirtschaftliche und soziale Bedingungen übermäßig
ungleich werden. Hier wenden Kritiker ein, dass der Versuch, eine weitgehende
oder gar völlige Gleichheit herzustellen, die natürliche Verschiedenheit der
Menschen nicht beachte, so dass sie nur mit undemokratischen Mitteln
herzustellen wäre.
In einer Demokratie wird die Machtausübung durch allgemeine, gleiche, freie,
geheime und direkte Wahl für eine begrenzte Zeit übertragen. Eine Wahl genügt
demokratischen Vorstellungen nur, wenn sie eine Auswahl zwischen Alternativen
bietet. Eine bloße Bestätigung, eine Abstimmung über einen einzigen Vorschlag
mit Ja oder Nein, wäre keine echte Wahl, da nicht unter verschiedenen
Möglichkeiten ausgewählt werden kann. Meinungsfreiheit, Meinungsvielfalt,
freie Information, Minderheitenschutz und freie Opposition sind Voraussetzungen
für demokratische Wahlen.
Aus alldem ergibt sich, dass die Demokratie in der Mitte zwischen anarchischer
Auflösung und diktatorischer Reglementierung steht. Sie bietet so viele
Freiheiten wie möglich und soviel Ordnung wie nötig. Sie lebt von der Einsicht
der Bürger in die Notwendigkeit verbindlicher Regeln. Diese Überzeugung der
Staatsbürger, die sich in traditionellen demokratischen Staaten wie England und
Amerika in einer jahrhundertelangen Entwicklung herausgebildet hat, oder die wie
in Deutschland aus schlechten Erfahrungen mit antidemokratischen Ideologien und
Herrschaftssystemen erwachsen ist, wird treffend mit dem Begriff politische
Kultur bezeichnet.
[aus: Bundeszentrale für politische Bildung:
Demokratie, Informationen zur politischen Bildung Nr. 165, Neudruck 1992]
[weitere Materialien: Zitate,
Schaubild, Demokratietypen,
Grundkurs 2:
Die Entwicklung der Demokratie, schwierige Begriffe werden im Glossar
erklärt]
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Grundwerte der Demokratie
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Die Würde des Menschen und seine Freiheit
(...) Was wir heute unter Demokratie zu verstehen haben, was
ihr Wesen ausmacht, ist trotz vielfachen Gebrauchs recht unklar. Zwar sind wir
davon überzeugt, dass Demokratie etwas mit der Freiheit der einzelnen Bürger
und der Regierung des Volkes zu tun habe, aber wir wissen nicht sicher, ob und
wie solche Vorstellung von Demokratie heute verwirklicht werden kann. Zu
vieldeutig und zu widerspruchsvoll ist zudem das, was durch die Welt hin als
Demokratie und demokratisch ausgegeben wird. Zum Teil beruht die Verwirrung
darauf, dass die jeweiligen Interpreten Definitionen der Demokratie aus
verschiedenen Zeiten und Gesellschaftsordnungen unreflektiert nebeneinander
gebrauchen und nicht zwischen dem prinzipiellen Kern des demokratischen
Gedankens und seiner jeweils zeitgebundenen Ausformung unterscheiden.
(...) Was hat es also auf sich mit der schönen Formel, Demokratie sei
Herrschaft des Volkes durch das Volk? Hat das Volk, von dem der Theorie nach
alle Staatsgewalt ausgehen soll, überhaupt eine Chance, um kompetent politisch
entscheiden zu können? Oder, um an eine andere beliebte (liberale) Definition
zu erinnern, gibt es heute noch Demokratie als Herrschaft der öffentlichen
Meinung, wobei diese in einem Prozess rationaler Diskussion entstehen soll? Wird
in unserer Öffentlichkeit überhaupt noch vernünftig argumentiert und nicht
vielmehr nur emotional agitiert und reagiert? Was ist ferner die öffentliche
Meinung, nach der sich die Politiker richten sollen? Sind es die Ergebnisse der
Demokratie oder die veröffentlichten Meinungen und Kommentare, die in den
großen Zeitungen und in Funk und Fernsehen von den großen Verbänden und
Parteien oder von den Fernsehgewaltigen vertreten werden?
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(...) Die gleiche Freiheit aller Bürgerinnen und Bürger ist
eine unabdingbare Forderung an die Demokratie. Der heutige Geltungsbereich der
klassischen Definition der Demokratie lässt sich deswegen danach abschätzen,
wieweit die jeweiligen konkreten Formen der Demokratie, die durch diese
Definition gegeben sind, die gleiche Freiheit aller respektieren und
ermöglichen. Ob uns historische Erscheinungen der Demokratie noch ein Vorbild
sein können, wird danach entschieden werden müssen, wieweit sie diese
demokratischen Grundwerte erfüllt haben.
Demokratie geht dabei von einem bestimmten Menschenbild aus. Die Menschen sollen
frei sein, d.h. ihre Person nach eigener Entscheidung bilden und entfalten
können. Dahinter steht — ob christlich oder humanistisch-idealistisch
begründet — die Auffassung, dass jeder Mensch eigene Würde habe, durch die
er Person sei und sich vom Tier unterscheide.
(...) Ins Politische gewendet bedeutet das, dass alle Macht und Herrschaft an
der unantastbaren Würde jedes einzelnen Menschen ihre Grenzen finden muss.
Macht bedarf prinzipiell der Begrenzung und Kontrolle, und sie muss dazu auf die
Zustimmung der ihr Unterworfenen gründen, da eine uneingeschränkte
Zugriffsmöglichkeit den einzelnen in seiner Würde und Freiheit verletzen und
entmündigen würde. Denn alle, insbesondere staatliche Macht hat dem Ziel zu
dienen, die Möglichkeit und Chancen eines freien menschenwürdigen Lebens für
alle Glieder des Gemeinwesens zu sichern und zu steigern.
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Freiheit ist dabei nichts Abstraktes, sondern heißt konkret
Freiheit der persönlichen Lebensgestaltung, Religions- und Gewissensfreiheit.
Freiheit der Berufswahl, freie Möglichkeit zur Gestaltung des Privatlebens,
freie Verfügungsgewalt über das persönliche Eigentum, Freiheit und
Unverletzlichkeit der Wohnung, des Brief- und Telefonverkehrs. Freiheit bedeutet
ferner Sicherheit vor willkürlicher Verhaftung und die Gewährleistung eines
rechtsstaatlichen Verfahrens vor Gericht sowie Kontrolle über die
Informationen, die der Staat über den einzelnen Bürger sammelt.
(...) Hierunter fallen auch das Recht der freien Meinungsäußerung, die
Pressefreiheit, die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, das Recht auf
gleichberechtigte Teilnahme an der politischen Willensbildung im jeweiligen
Gemeinwesen. Alle die Freiheitsrechte, die hier keineswegs vollständig
aufgezählt sind, müssen als Voraussetzung aller politischen
Gemeinschaftsbildung gelten. Der Kernbestand dieser Freiheiten, die Würde des
Menschen, wird nicht vom Staat großzügig dem einzelnen gewährt, sondern wird
vom Staat als vorgegeben und gewährleistet, als unverletzlich und unverzichtbar
anerkannt. Sie zu sichern, ist der Sinn jeder demokratischen Verfassung.
Freilich gibt es zu beachten, dass die Freiheitsrechte des einzelnen nicht
absolut gesetzt werden dürfen. Sie finden ihre Grenze an den Freiheitsrechten
der anderen.
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(...) Erst von einem solchen Menschenbild her ist das Wesen
der Demokratie begreifbar. Demokratisch ist ein Gemeinweisen zu nennen, das
unter Anerkennung der Würde des Menschen als letzten Wert darauf abzielt, allen
Bürgern in gleicher Weise die Freiheit zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit und
zu verantwortlicher Lebensgestaltung zu gewährleisten und dafür auch die
sozialen Voraussetzungen zu schaffen.
Demokratie ist darum nicht eine Summe formaler Verfahrensvorschriften, sondern
sie bestimmt sich von ihrem inhaltlichen Ziel her, unter den jeweiligen
historischen und gesellschaftlichen Bedingungen das größtmögliche Maß an Freiheit,
Eigenverantwortung und sozialer Gerechtigkeit zu verwirklichen.
(...) Demokratie setzt das Einigsein über das, was in keinem Fall zur
Abstimmung gestellt werden kann, voraus; erst auf dieser Grundlage gemeinsamer
Grundüberzeugungen ist dann bei der Gestaltung des politischen Alltags das
Prinzip des Mehrheitsentscheides angebracht. Insofern ist Demokratie keine
wertneutrale Verfahrensordnung, sondern eine wertgebundene, auf
Wertverwirklichung zielende politische Form.
[entnommen aus: Waldemar Besson/Gotthard Jasper, Das Leitbild
der modernen Demokratie. Bauelemente einer freiheitlichen Staatsordnung, Bonn
1990]
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