Ideologien

 

Demokratie

Demokratievorstellungen nach der Französischen Revolution:
Konservatismus, Liberalismus und Sozialismus

Der folgende Text beschäftigt sich mit Demokratievorstellungen nach dem entscheidenden Einschnitt der politischen Geschichte Europas, der Französischen Revolution, die 1789 begann. Im einzelnen werden die drei zentralen Ideologien des 19. Jahrhunderts anhand des jeweils wichtigsten Theoretikers beleuchtet: Konservatismus (Burke), Liberalismus (Mill) und Sozialismus (Marx).

Übersicht:

Einleitung

John Stuart Mill

Edmund Burke

Karl Marx

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Einleitung

Die Französische Revolution war das entscheidende politische Ereignis im neuzeitlichen Europa. Für die einen stellte sie ein Unglück dar, für andere wiederum war sie Ansporn zur Tat. Allen gemein aber war, dass sie, egal wo sie standen, die Positionen neu überdenken mussten.

Die europäische Staatenwelt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war sehr heterogen. In England gab es seit der Glorious Revolution (1688) eine parlamentarische Monarchie, die auf dem besten Wege zu einer Demokratie war. Frankreich war vor der Revolution ein absolutistisch regierter Zentralstaat mit merkantilistisch gesteuerter und agrarisch geprägter Wirtschaft. In den deutschen Staaten lebte die ländliche Bevölkerung größtenteils in Abhängigkeit von feudalen Landesfürsten und Gutsherren und wurde von einem Monarchen regiert. So kann auch nicht überraschen, dass die Lösungen zu den jeweiligen Problemen sehr unterschiedlich ausfielen.

Die Verflechtung der Stränge der praktisch-politischen Bewegungen und der entsprechenden theoretisch-philosophischen Formulierungen, die ihrer ideologischen Profilierung nach heute üblicherweise als Konservatismus, Liberalismus und Sozialismus bzw. Kommunismus bezeichnet werden, haben die modernen Demokratievorstellungen stark beeinflusst. Im folgenden soll ein kurzer Überblick über die Lehren der jeweiligen Klassiker Edmund Burke, John Stuart Mill und Karl Marx gegeben werden, wobei der Schwerpunkt auf die demokratietheoretische Relevanz ihrer Ideen und Argumente gelegt werden soll.

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Edmund Burke

In seinen Reflections on the Revolution in France von 1790 hatte Edmund Burke die Französische Revolution kritisiert und den jakobinischen Terror vorausgesehen. Seiner Ansicht nach fegte das französische Volk, von "500 Advokaten und Dorfpfarrern" aufgewiegelt, über seinen König und die gesamte überlieferte Ordnung hinweg, trat seine Traditionen mit Füßen und inszenierte den völligen Neuanfang, statt die eigenen politischen Erfahrungen ernst zu nehmen. Um diese Aussagen zu verstehen bedarf es einiger Erläuterungen zur Theorie Burkes.

Burke geht von einem Staat aus, der eine historisch gewachsene, auf spezifischen Traditionen und Gewohnheiten, Sitten und Bräuchen beruhende Einheit darstellt. Die politische Ordnung ist ein Ausdruck dieser Überlieferungen und bedarf ihrer zur Legitimation. In diesem Zusammenhang geht er auf den Begriff der "Vorurteile" ein im Sinne der in jeder Gesellschaft notwendig vorhandenen gemeinsamen Wert- und Ordnungsvorstellungen, die sich in den Symbolen, Verhaltensweisen und Institutionen widerspiegeln. Dieses Vorurteil lässt die Tugend des Menschen zu seiner Lebensweise werden.

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Dies bedeutete eine Abkehr von den Vertragstheorien des 17. und 18. Jahrhunderts. Es gibt demnach keinen Naturzustand wie bei Hobbes oder Locke, vielmehr ist jede Gesellschaft, die ihre Traditionen bewahrt, permanent in ihrem "Naturzustand". Die Natur des Menschen ist es also, ein historisch und sozial determiniertes Wesen zu sein; er ist weder gut noch böse, sondern lediglich Ergebnis seiner Sozialisation.

Außerhalb des Staates gibt es keine Freiheit und keine Rechte. Nur im Staat als Repräsentation der historisch gewachsenen Wert- und Ordnungsvorstellungen kann die Freiheit des Menschen gesichert werden. Zweck des Staates ist nach Burke die in der göttlichen Schöpfung angelegte Mehrung des Nutzens seiner Bürger, womit man zum Kern von Burkes Konservatismus vordringt. Burke ist ein zutiefst religiöser Mensch, der davon ausgeht, dass die Welt eine göttliche Schöpfung und der Staat Gottes Mittel zur langsamen sittlichen Vervollkommnung des menschlichen Wesens sei. Die Revolution in England war in seinem Sinne keine Neuerung, sondern eine Wiederbesinnung auf ältere Traditionen, eine Restauration der früheren Ordnung.

Die ständische Ordnung bildet für Burke die Basis der guten Ordnung. Eine Durchbrechung lehnt er radikal ab, was seinen Glauben an die Existenz einer "gottgewollten" Aristokratie, einen Stand, der natürlicherweise die Besten hervorbringt, impliziert. Der Geist der Neuerungen ist, im Zusammenhang seines Denkens verständlicherweise, eine Eigenschaft kleiner Charaktere und eingeschränkter Köpfe. Nun schließt sich der Kreis und es wird klar, warum der konservative Reformer, Traditionalist und Aufklärer sich in dieser Weise zur Französischen Revolution geäußert hat.

Die Argumente Burkes sind in der Folgezeit nicht nur von Konservativen aufgenommen worden, sondern auch von katholischen Gegenrevolutionären oder Romantikern, und selbst Hegels "List der Vernunft" könnte von Burke angeregt sein. Seine Themen sind auch heute noch teilweise relevant und werden gelegentlich in den demokratietheoretischen Debatten angesprochen, aber seine Positionen sind, genau genommen, weitgehend überholt.

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John Stuart Mill

Erste Ansätze des englischen und europäischen Liberalismus sind im Streit zwischen Edmund Burke und seinem parteiinternen Rivalen Charles James Fox entstanden. Während Burke sich auf Traditionen berief und somit den Konservatismus begründete, ging es dem anderen um die Freiheit des Individuums vor staatlicher Reaktion und jeglicher Art von Repression. Der Liberalismus setzte sich langfristig durch, mitunter auch weil Burke vollkommen blind für ökonomische Fragen war. Begründer des politischen Liberalismus waren unter anderen James Mill, der Vater John Stuart Mills, und Jeremy Bentham. Doch erst John Stuart Mill gab ihm den letzten Schliff.

John Stuart Mill geht davon aus, dass der Mensch sich von anderen Lebewesen durch seine Fähigkeit unterscheidet, rational abzuwägen und über Mittel und Ziele seines Handelns zu entscheiden. Durch die Hervorhebung des Menschen als spontanem und schöpferischem Wesen stellt Mill den Individualismus als das anzustrebende Ideal dar. Um diesen Idealzustand zu erreichen, muss Freiheit gewährleistet sein: die Freiheit, Meinungen und Wünsche zu äußern und zu überprüfen. Ziel der Verbesserung des Einzelnen ist eine Verbesserung der Gesellschaft, denn je höher der Grad der Individualität seiner Individuen, desto höher ist auch der Zivilisationsgrad der Gesellschaft und somit "das größte Glück der größten Zahl". Dabei ist das Glück der Menschen aber nicht auf die eigene Glückseligkeit gerichtet, sondern auf das Glück der anderen und somit der Menschheit. Da diese Moral aber (noch) nicht universell ist, muss durch Erziehung und Gesetze ein Zustand herbeigeführt werden, in dem Freiheit herrscht und die Masse sich von den Tugendhaften leiten lässt. Durch eine Vermehrung der Tugendhaften verbessert sich die Gesellschaft immer mehr bis eines Tages keine Führung mehr nötig ist. Das besondere Interesse Mills gilt nun der Frage, wie dieser vorübergehende, relativ beste Staat aussieht.

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Das grundlegende Problem der modernen englischen Gesellschaft sieht Mill in ihrer Konformität, die sich in scheinbar gleichen Interessen, gleichen Hoffnungen und gleichen Beschäftigungen äußert. Um die dadurch implizierte Tyrannei der Mehrheit, eines der Grundprobleme der Demokratie, zu verhindern, müssten Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden, die die Minderheit und deren Freiheit schützen. Mill glaubt folglich an die Demokratie, aber solange die Gesellschaft nicht ihren Idealzustand erreicht, glaubt er eine repräsentative Demokratie als den relativ besten Staat. Damit die Individuen und die Gesellschaft sich verbessern können, müssen Partizipation und Kompetenz verankert sein. Partizipieren durch Wahlen sollten alle, unabhängig von Geschlecht und sozialem Stand. Aber die Kompetenz gesteht er nur den Weisen, den Tugendhaften und Gebildeten zu, unabhängig von ihrem Besitzstand. Nur sie sollen das Volk in den Parlamenten, den Orten der öffentlichen Diskussion kontroverser Meinungen und der Wahrheitsfindung, repräsentieren. Mills repräsentative Regierung ist also eine Elitenherrschaft, die zeitlich begrenzt ist. Er spricht sich außerdem für ein Pluralwahlrecht aus, bei dem die Gebildeten ihrer Kompetenz entsprechend mehrere Wählerstimmen haben.

Dieser Ansatz ist häufig kritisiert worden, vor allem hinsichtlich des Glaubens an die innerweltliche Heilserfüllung. Im Gegensatz zu vielen späteren Liberalen hat John Stuart Mill aber geahnt, dass eine liberale Ideologie, die jede Vorstellung vom guten Leben zur Privatsache macht, den Weg für ein auf technische und ökonomische Effizienz reduziertes Bewusstsein ebnet.

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Karl Marx

Auch Karl Marx geht es um die menschliche Freiheit, doch er legt den Schwerpunkt nicht wie Mill auf die individuelle Freiheit von äußeren Zwängen, sondern auf die endgültige Aufhebung der Entfremdung der Menschen von sich selbst in einer gerechten Gesellschaft. Marx ist kein Demokratietheoretiker im engeren Sinne, gleichwohl sind zentrale Aspekte seiner Kritik am Kapitalismus und der Bourgeoisie auch demokratietheoretisch interessant. Zu seinen bekanntesten Werken zählen das Manifest der kommunistischen Partei, das er 1848 zusammen mit Friedrich Engels im Auftrag des Bundes der Kommunisten schreibt sowie sein Hauptwerk, die Kritik der politischen Ökonomie, mit dem er sich bis zu seinem Tod 1883 beschäftigt. Engels, der Marx um 12 Jahre überlebt, versucht den "wissenschaftlichen Sozialismus" von Marx systematisch zu vervollständigen, was den Boden für bis heute andauernde Fehlinterpretationen Marxscher Schriften bereitete. Damit werden die Grundprobleme einer Befassung mit der Marxschen Theorie klar: Zum einen die unvollständige und unkritische Edition und zum anderen die kreative Rezeption durch spätere Sozialisten und Kommunisten. Außerdem bilden Marx‘ Schriften kein geschlossenes philosophisch-theoretisches System, sondern weisen Entwicklungen und Brüche auf. Eine kurze Darstellung kann also nur einen Überblick über seine zentralen Themen und Positionen geben.

Karl Marx

Schon in dem Aufsatz Zur Kritik der Hegelschen Rechts-Philosophie aus dem Jahre 1844 fordert Marx die Umwälzung der deutschen Verhältnisse in gesellschaftlicher, materieller und philosophischer Hinsicht. Dabei stellt er fest, dass Religion von Menschen gemacht ist, als Trost und Rechtfertigung einer Welt der Entfremdung, "das Opium des Volkes".

Die geistigen Waffen einer radikalen Revolution sind durch seine Philosophie gegeben, doch das Hauptproblem besteht darin, dass die notwendige Voraussetzung, eine Klasse mit "radikalen Bedürfnissen", noch nicht existiert. Sie wird sich aber vor dem Hintergrund der fortschreitenden industriellen Revolution herausbilden. 

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Steht hier noch das Bewusstsein des Menschen im Vordergrund, wendet sich Marx immer mehr den materiellen Voraussetzungen der Umwälzung der Verhältnisse zu. In seinem Manifest der Kommunistische Partei schreibt er, dass "die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft eine Geschichte von Klassenkämpfen ist", die "jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen". Wie auch Hegels Geschichte des Geistes, wird auch die marxistische Geschichte der Klassenkämpfe zu einem Abschluss kommen: mit der revolutionären Umwälzung der letzten antagonistischen Gesellschaftsform, dem Kapitalismus.

Den Untergang des Kapitalismus erklären Marx und Engels auf folgende Art und Weise: Durch den Kapitalismus degenerieren die Arbeiter, von den Produkten ihrer Arbeit und somit sich selbst entfremdet, zu bloßem Instrumentarium und Produktionsfaktoren. Mit fortschreitender Industrialisierung wird ein großer Teil der Gesellschaft herabgedrückt und das "Proletariat", das sich zu einer revolutionären Klasse entwickelt hat, weitet sich so lange aus, bis die Widersprüche so stark werden, dass eine proletarische Revolution als letzte Revolution der Weltgeschichte ausbreche. Die Kommunisten, die allein die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung haben, sind nur die Beförderer und Beschleuniger dieser geschichtsnotwendigen Entwicklung. Wie die neue Gesellschaft nach der letzten Revolution allerdings aussehen könnte, wird in keiner marxistischen Schrift verraten.

Enttäuscht vom Verlauf der Revolution 1848 wendet sich Marx der Ökonomie zu und versucht, die Entwicklungsgesetze des Kapitalismus zu entwickeln, indem er Begriffe wie Kapital, Eigentum, Arbeit, Geld, Ware oder Markt bestimmt. Im Mittelpunkt steht nach wie vor das Problem der menschlichen Entfremdung und die Suche nach dem Weg zu ihrer Aufhebung durch die Aufhebung des Eigentums.

Sicherlich lag Marx mit einigen seiner Annahmen falsch. Beispiele hierfür sind seine klassenkampfzentrierte materialistische Geschichtsphilosophie oder aber die proletarische Revolution als Antwort auf die Antagonismen der kapitalistischen Gesellschaft. Doch seine These von der notwendigen unaufhörlichen Ausweitung der Märkte und die Entfremdungsproblematik sind nach wie vor bedeutsam.

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