 |
Grundprobleme der neuzeitlichen
politischen Philosophie
Der folgende Text versucht eine kurze Einführung in Grundprobleme, Wurzeln
und Anfänge des politischen Denkens der Neuzeit.
|
Übersicht:
[Seitenanfang]

Die Entstehung
des "Staates"
Das Fundamentalproblem, mit dem es das politische Denken
dieser Epoche zu tun hat, ist das "Werden des modernen Staates".
Freilich ist diese Formel zu teleologisch, um den historischen Sachverhalt ganz
zu treffen. Sie suggeriert den modernen Staat als notwendigen Endpunkt der
weltgeschichtlichen "Normalentwicklung", während er doch erst als
Ergebnis spezifisch europäischer Konstellationen zustande kam und von Europa in
die Welt "exportiert" wurde. Er ist auch kein notwendiges Resultat der
Geschichte, sondern eines, zu dem es theoretische wie praktische Alternativen
gegeben hat. Solche Alternativen sind für die Entfaltung der politischen Ideen
wichtig, obwohl auch sie im Sinne des Prinzips der Heterogonie der Zwecke
schließlich von dem Fundamentalprozess des "Wachstums der
Staatsgewalt" in Dienst genommen werden können. "Wachstum der
Staatsgewalt", diese Formel bezeichnet zwar ebenfalls einen gerichteten
Prozess, aber keinen, bei dem das Ergebnis feststeht. Es handelt sich vielmehr
zunächst einfach darum, dass unter der bunten Fülle der Träger vielfältiger
Formen personaler Herrschaft, wie sie für das Mittelalter kennzeichnend ist,
Inhaber bestimmter zentral und hoch platzierter Positionen Macht zu akkumulieren
beginnen, mit dem mehr oder weniger erfolgreich verwirklichten Ziel, Herrschaft
für die eigene Position zu monopolisieren. Solche
"Schlüsselpositionen" sind häufig monarchische, so dass das Wachstum
der Monarchie zum sog. "Absolutismus" und die Auseinandersetzung damit
ein Hauptthema der Ereignis- wie der Ideengeschichte des Zeitalters darstellt.
[Seitenanfang]
Wurzeln der
neuzeitlichen politischen Philosophie
Als erste Reaktion auf die Erscheinungsformen politischen
Wachstums entsteht bei Machiavelli eine neue Analyse politischen Verhaltens. Die
Lehre von der Politik war traditionell eine Fortsetzung der Ethik gewesen. Nun
aber vermittelt sie Herrschaftswissen, das sich durch Brauchbarkeit auszeichnet,
Brauchbarkeit auch zur Legitimierung einer nach bisherigen Maßstäben als
"unmoralisch" erscheinenden Politik. Doch zugleich erneuern
Humanisten die traditionelle politische Ethik durch den sittlichen Impuls von
Reformvorstellungen, deren bemerkenswerte Rationalität mit der Radikalität
utopischer Entwürfe aber zugleich erstmals "Dialektik von
Aufklärung" theoretisch demonstriert. Der dritte Anstoß kam von der
Reformation, freilich weniger von ihrer Theologie als infolge der praktischen
Notwendigkeit, den neuen Glauben im Bunde mit ständischen Kräften gegen
altgläubige Monarchen zu verteidigen. So wurden Vorstellungen von Widerstand
und Volkssouveränität lebendig, übrigens bei den Altgläubigen in derselben
Lage nicht anders, dort aber vertieft durch eine den Bedürfnissen einer Welt
werdender autonomer Staaten angepasste Natur- und Völkerrechtslehre. Doch
nehmen die konfessionellen Konflikte und sozialen Krisen ein solches Ausmaß an,
dass sich der starke Staat als einzige Zuflucht erweist.
[Seitenanfang]
Anfänge
neuzeitlicher politischer Philosophie
Die Verzögerung dieser Konflikte in England führt dort bei
Hobbes bereits zur Verbindung ihrer theoretischen Bewältigung mit der neuen
Wissenschaft; die Aufklärung des 18. Jahrhunderts bringt dann die entscheidende
Steigerung sämtlicher neuer Impulse. Politik wird zwar nach wie vor
metapolitisch begründet, die Maßstäbe "Natur" und
"Vernunft" sind nicht neu, aber sie werden künftig unter
Ausklammerung der Transzendenz angewandt. Es bleibt beim Gemeinwohl als Ziel,
aber Gemeinwohl kulminiert nun nicht mehr im jenseitigen Heil, sondern im
diesseitigen Glück. Daraus gewinnt die weltimmanente Rationalität
emanzipatorischen und humanitären Schwung; Freiheit und Selbstbestimmung werden
wichtige Parolen. Zugleich aber ermöglicht sie in dialektischem Umschlag
weiteres Wachstum der Staatsgewalt auf Kosten der eben erst entdeckten Würde
des Individuums, theoretisch durch bestimmte Folgerungen aus der
Identitätsphilosophie Rousseaus, praktisch im sog. "aufgeklärten
Absolutismus". Selbst in der amerikanischen Revolution erweist sich diese
Ambivalenz britischer Freiheitstradition und europäischer Aufklärung als
unaufhebbar. Obendrein erfolgt die Befreiung der Menschheit zugleich im
Interesse des Aufstiegs des Bürgertums. In den Menschenrechtsprogrammen und der
rasch an Bedeutung gewinnenden politischen Ökonomie beginnen der bürgerliche
Wirtschaftsmensch und die moderne Wirtschaftsgesellschaft ihren Dialog mit der
nicht mehr mit ihnen identischen Staatsgewalt.
[Wolfgang Reinhard; entnommen aus: Hans Fenske u.a.,
Geschichte der politischen Ideen. Von Homer bis zur Gegenwart, Frankfurt/Main
1987]
[Seitenanfang]