Das politische System Tibets
Das politische System Tibets ist durch zwei Besonderheiten gekennzeichnet. Erstens handelt es sich um eine Exilregierung, die ihren Sitz in Dharamsala im benachbarten Indien hat, und zweitens spielt der Dalai Lama eine herausragende Rolle.
[Karte entnommen aus:
http://en.wikipedia.org/wiki/Image:Historic_Tibet_Map.png]
Die Exilregierung wurde 1959 nach der Flucht des Dalai Lama gegründet. Neben dem Dalai Lama ist eine der wichtigsten Personen der Regent Tibets. Reting Rinpoche hat dieses Amt bis zur Volljährigkeit Tenzin Gyatsos ausgeführt und war damit in dieser Zeit Staatsoberhaupt. Er musste wegen mangelnder Popularität zurücktreten, als der Dalai Lama 6 Jahre alt war. Sein Nachfolger ist Tradrag Rinpoche, der erster Tutor des Dalai Lama. Eine wichtige Rolle im politischen System spielt auch der
Panchen Lama und das Staatsorakel (Dorje Drakden),
das ein Mal jährlich befragt wird. Näheres zum Staatsorakel finden Sie
hier.
Die Exekutive der Exilregierung besteht aus dem Premierminister (Kalön genannt) und dem Kashag, dem Kabinett.
Ein zentrales Charakteristikum bildet die
Tatsache, dass jede Position vom Premierminister abwärts doppelt besetzt wird,
und zwar mit je einem Mönch und einem Laien (Prinzip der Kollegialität).
Tibet kennt
keine Trennung von Kirche und Staat, so haben
beispielsweise Mönche und Nonnen zwei Stimmen und werden
dadurch bevorzugt. Seit 2001
heißt der Premierminister Prof. Samdhong Rinpoche. Der Premierminister kann seine Minister selbst ernennen, das Parlament muss zustimmen. Seit 2001 wählt das Parlament und nicht mehr der Dalai Lama das Kabinett.
Der Dalai Lama ist beständig bestrebt, das System zu demokratisieren, indem er seine
herausragende Stellung zu minimieren
und Parlament wie Kabinett mit dem Premierminister zusammen zu stärken
versucht. Das macht er mit Blick auf
die Zukunft. Die Chinesen bauen darauf, dass sich der Konflikt
gleichsam von selbst löst, wenn der Dalai Lama
stirbt. So versucht Tenzin Gyatso seiner Exilregierung Stärke zu geben, dass Tibet und die Tibeter auch nach seinem Tod weiter für ihre Ziele kämpfen.
Reformen sind allerdings sehr schwierig, da jedem Vorschlag zuerst vom Premierminister, dann vom Kashag, dann von jedem untergeordneten Mitglied der Exekutive und schließlich von der Nationalversammlung zugestimmt werden muss.
Einige Reformen konnte der Dalai Lama aber dennoch durchsetzen. So führte Tenzin Gyatso 1961 ein, dass er
mit einer 2/3-Mehrheit vom Parlament
abgesetzt werden kann. Oft spricht man dahher
von einer Demokratisierung von oben und eben nicht von unten,
vom Volk. Die Tibeter sträuben sich gegen jede Art von Reformen,
die den Dalai Lama selbst betreffen.
Seit 1960 exisitiert ein Parlament, das sich heute Versammlung der tibetischen Volksvertreter nennt
(ATPD- Assembly of Tibetan People's Deputies).
Ihm gehören 46 Volksvertreter mit einer fünfjährigen Amtsperiode an. Gewählt wird in Tibet in zwei Phasen. Die Wähler schlagen einen Kandidaten vor, diese werden dann vom Wahlkomitee gebeten, ihre Kandidatur zu erklären, woraufhin
sie sich dann zur Wahl stellen. In Tibet gibt es bislang eine Partei, die Nationale Tibetische Demokratie Partei.
Die Nationalversammlung, deren Unterhaus Mimang Tsongdu heißt, hat als Aufgabe, nicht nur für die Wiederherstellung
der Unabhängigkeit Tibets zu kämpfen und die weitere Demokratisierung voranzutreiben, sondern sich auch um die Unterstützung tibetischer Flüchtlinge
zu kümmern. Deren Zahl wird derzeit auf 130.000 geschätzt.
Die Charta der Exil-Tibeter wurde vom Exilparlament angenommen. Ein großes Problem ist allerdings, dass alle Institutionen und Exilparlamentarier nur Gäste in Indien sind. Sie können keine bindenden Gesetze beschließen und der Gerichtshof darf auch keine Strafen auferlegen. Es handelt sich somit um zivile Körperschaften ohne politische Macht, vor allem ohne internationale Anerkennung und ohne ein Staatsgebiet.
Die Judikative besteht aus der obersten Tibetischen Justizkommission (Tibetan Justice Center -TJC),
die vom Vorsitzenden Justizbeauftragten und zwei Beigeordneten
geleitet wird. Die Judikative untersteht dem indischen Gesetz
und somit auch dem indischen Schiedsrecht (Schiedsverfahren im Zivilrecht, Kontrahenten benennen Schiedsrichter).
Des Weiteren gibt es einige Tibetische NGO's (z.B. Youth Congress, Frauenvereinigung und verschiedene regionale Einrichtungen) und auch die Medien haben
an Bedeutung gewonnen. So gibt es mittlerweile sechs große tibetische und vier englischsprachige Zeitungen.
Für Flüchtlinge hat sich in Indien mit Hilfe der Exilregierung ein Netz aus Unterstützung entwickelt. So wurde 1990 das Office of the Reception Centres gegründet. Seit 2000 ist Tashi Norbu der Direktor. Des weiteren existiert das Tibetan Children's Village (TCV), welches in Dharamsala mehere Schulen und Internate führt. Die Leitung hat die Schwester des Dalai Lamas, Jetsun Pema, inne. In der Transit Schule, welche 1992 gegründet wurde, wird englisch, tibetisch und hindi unterrichtet.
Außerdem ist es möglich, ein Handwerk zu erlernen.
Auch in Mussoorie sind Schulen und Internate von der Tibetan Home Foundation gegründet worden.
Eine Übersicht über das politische System finden Sie in der
nachfolgenden Grafik (Anklicken zum
Vergrößern).
[Autorin:
Rebecca Madaus]