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Menschenrechte

Frauenrechte

Die "neue" Frauenbewegung (ab etwa 1969):
"Der Frau die Hälfte der Welt — dem Mann die Hälfte des Hauses"

Ende der sechziger Jahre war die Zeit der Studenten- und Friedensbewegung. Studenten entwarfen Flugblätter und Resolutionen, diskutierten und demonstrierten gegen "den Muff von 1000 Jahren" an den Universitäten, gegen Spießbürgertum und für Selbstbestimmung. Die in den gleichen Organisationen tätigen Studentinnen leisteten ihren Beitrag in der neuen Bewegung, indem sie für ihre Kommilitonen kochten, die Manuskripte abtippten und die Kinder betreuten. Als die Studentinnen diese ungerechte Aufgabenverteilung der Geschlechter auf die Tagesordnung setzen wollten, wurden sie von den Studenten abgeschmettert. Ihre Forderungen seien unpolitisch, der Widerspruch zwischen den Geschlechtern sei ein "Nebenwiderspruch", der sich von selbst lösen würde, sobald sich der "Hauptwiderspruch", die Klassengesellschaft, aufgelöst habe. Es kam zum Eklat. Studentinnen begannen sich autonom in sogenannten "Weiberräten" zu organisieren. Sie wollten sich unter Ausschluss männlicher Mitglieder intensiv mit der Rolle der Frau auseinandersetzen.

Beispiel Deutschland: Als Geburtsstunde der neuen deutschen Frauenbewegung gilt der Erste Bundesfrauenkongress in Frankfurt am Main, an dem 450 Frauen aus 40 Frauengruppen teilnahmen. In der Eröffnungsrede heißt es: "Privilegierte haben in der Geschichte ihre Rechte noch nie freiwillig preisgegeben. Deshalb fordern wir: Frauen müssen ein Machtfaktor innerhalb der ausstehenden Auseinandersetzungen werden! Frauen müssen sich selbst organisieren, weil sie ihre ureigensten Probleme erkennen und lernen müssen, ihre Interessen zu vertreten!"

Die Frauen waren in kleinen Gruppen organisiert und lehnten größere Verbände oder Parteien ab, da sie keine festen Machtstrukturen aufbauen wollten. Die Feministinnen waren in ihren Zielen, Vorgehensweisen und Ideen heterogen und arbeiteten in allen gesellschaftlichen Gebieten (sozial, kulturell, politisch, wissenschaftlich, medizinisch etc.). Obwohl der Kern der Frauenbewegung unabhängig organisiert blieb, sorgten später einzelne Feministinnen in staatlichen Institutionen oder in Parteien für die Durchsetzung vieler Forderungen und Ideen. Einige Beispiele für Veränderungen durch die Frauenbewegung:

Alltag: Die Frauen der Studentenbewegung lebten zunächst in Wohngemeinschaften mit ihren männlichen Kommilitonen. Im Zuge der Frauenbewegung gründeten sie jedoch mehr und mehr eigene Frauenwohngemeinschaften. Sie waren die endlosen Diskussionen um chaotische Küchen, leere Kühlschränke und dreckige Klobrillen genauso leid wie den "Bumszwang". Hier versuchten sie, neue "weibliche" Formen des Zusammenlebens auszuprobieren. Frauen wollten mit Frauen zusammen leben, reisen, diskutieren und lernen.

[Simone de Beauvoir]

Und es waren nicht nur die Studentinnen, die neue Wege des Zusammenlebens suchten. Auch bei anderen Frauen wuchs das Bedürfnis, die eigene Stellung in der Familie, im Beruf und in der Gesellschaft zu thematisieren. Es entstanden zahlreiche Selbsterfahrungsgruppen, in denen die eigenen Probleme — oft zum ersten Mal — ausgesprochen und Strategien für den politischen wie auch den "häuslichen Kampf" diskutiert wurden. Die Entdeckung, dass die scheinbar privaten und individuellen Probleme sich ähnelten, bildete die Basis für die Solidarität in der Gruppe und mit Frauen insgesamt und ermöglichte das Hinterfragen der gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Situation. Der Satz "Das Private ist politisch" wurde ein wichtiger Leitgedanke der Frauenbewegung.

Ein wichtiger Bezugspunkt war die Lektüre. Simone de Beauvoirs "Das andere Geschlecht", Betty Friedans "Der Weiblichkeitswahn", Kate Millets "Sexus und Herrschaft", Alice Schwarzers "Der kleine Unterschied und seine großen Folgen" sowie die Ergebnisse der Frauen- und Matriarchatsforschung wurden von vielen Frauen gelesen und führten mit dazu, dass das bisherige Geschlechterverhältnis grundsätzlich in Frage gestellt wurde.

Kindererziehung: Zu den "Feministinnen der ersten Stunde" zählten viele Mütter. Sie gründeten "Kinderläden" zur Kinderbetreuung und setzten sich mit grundsätzlichen Erziehungsfragen auseinander: sie diskutierten geschlechtsspezifische Rollenzuschreibungen im Kindesalter repressionsfreie Erziehungsmethoden — die sogenannte "antiautoritäre Erziehung" war geboren. "Kinderläden" und freie Schulen entwickelten sich parallel zur Frauenbewegung und waren mit frauenpolitischen Diskussionen z.B. über die Rolle der Mutter verknüpft. An der Kinderfrage entzündeten sich später Diskussionen innerhalb der Frauenbewegung.

Selbstbestimmungsrecht: Im Mittelpunkt öffentlicher Aktionen stand das Selbstbestimmungsrecht der Frau über ihren Körper. Der Kampf um die Legalisierung der Abtreibung wurde in vielen Ländern aufgenommen und von Frauen aller Schichten mitgetragen. Er begann in Frankreich mit einer öffentlichen Selbstbezichtigung von 344 Frauen als politischer Appell für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. Diese Aktion wurde von einer wichtigen deutschen Protagonistin des Feminismus, Alice Schwarzer, die in Frankreich als Korrespondentin arbeitete, in Deutschland wiederholt. Der öffentliche Appell wurde von 374 deutschen Frauen aller Schichten im Alter von 21 bis 77 Jahren unterschrieben, im Nachrichtenmagazin "Stern" veröffentlicht und sorgte für gewaltigen Zündstoff.

Ein weiteres wichtiges Thema war die sexuelle Gewalt. Vergewaltigung und sexueller Missbrauch sowie Misshandlungen in den Familien, in der "Privatsphäre", die bisher in der Gesellschaft tabu waren, wurden nun ins Licht gerückt und in ihrem Ausmaß sichtbar gemacht. In den Niederlanden, England und Italien fanden große Aktionen unter dem Motto "Wir erobern uns die Nacht zurück" statt. Frauenhäuser entstanden, Selbsthilfegruppen und Notruftelefone wurden etabliert. Frauen protestierten und prozessierten gegen Pornographie und erniedrigende Darstellung von Frauen in den Medien. 

Appell "Ich habe abgetrieben"
(6. Juni 1971 im "Stern")

Jährlich treiben in der Bundesrepublik rund 1 Million Frauen ab. Hunderte sterben, zehntausende bleiben krank und steril, weil der Eingriff von Laien vorgenommen wird. Von Fachärzten gemacht, ist die Schwangerschaftsunterbrechung ein einfacher Eingriff. Frauen mit Geld können gefahrlos im In- und Ausland abtreiben. Frauen ohne Geld zwingt der Paragraph 218 auf die Küchentische der Kurpfuscher. Er stempelt sie zu Verbrecherinnen und droht ihnen mit Gefängnis bis zu fünf Jahren. Trotzdem treiben Millionen Frauen ab – unter erniedrigenden und lebensgefährlichen Umständen.

Ich gehöre dazu. – Ich habe abgetrieben.
Ich bin gegen den Paragraphen 218 und für Wunschkinder.
Wir Frauen wollen keine Almosen vom Gesetzgeber und keine Reform auf Raten!
Wir fordern die ersatzlose Streichung des Paragraphen 218!
Wir fordern umfassende sexuelle Aufklärung für alle und freien Zugang zu Verhütungsmitteln!
Wir fordern das Recht auf die von den Krankenkassen getragene Schwangerschaftsunterbrechung!

Frauenprotest richtete sich auch gegen das etablierte Gesundheitswesen. In autonomen Frauengesundheitszentren wurden Selbstuntersuchungen propagiert und das ärztliche Diagnose- und Therapiemonopol durchbrochen. Die Gesellschaft wurde als eine Ursache der vielen sogenannten "Frauenleiden" benannt. Tribunale gegen gesundheitsschädliche Mittel und Methoden der Pharmaindustrie sowie gegen frauenfeindliche Ärzte fanden statt. Frauen stürmten Misswahlen und demonstrierten gegen das Schönheitsdiktat.

Kunst und Kultur: Überall entstanden Frauenprojekte: Frauenzentren, , -verlage, -zeitungen, -buchläden, -werkstätten, -bands, -theatergruppen, -cafes, -kneipen und –ferienhäuser. Frauenprojekte und –organisationen vernetzten sich. Frauen sind nun nicht nur aus politischen Gründen zusammen, sondern verbringen ihre Freizeit miteinander und haben Spaß.

Lust und Liebe: Die Studentenbewegung hatte als erste die gängige Sexualmoral in Frage gestellt und politisiert. Die sexualfeindliche kleinbürgerliche Erziehung wurde als eine Ursache für die Herausbildung des "autoritären Charakters" betrachtet. Daher trage die Sexualmoral zur Anfälligkeit der Menschen für Faschismus und autoritäre Ideologien bei. Sexualbefreiung wurde als Mittel zur Emanzipation gefeiert, in der Macht, Abhängigkeit und Unterdrückung durch andere Menschen wegfallen sollte. Die Einführung der Pille in dieser Zeit befreite die Frauen zunächst vom Druck der Schwangerschaft und wurde euphorisch begrüßt. Doch die alten Tabus hatten auch als Schutzzonen für Frauen fungiert und brachen nun weg.
Um so wütender waren die Frauen, als die Realität der Studentenbewegung, d.h. sexuelle Verfügbarkeit und Anpassung an die Wünsche der Männer, sie eingeholt hatte. Sie forderten nun die "Befreiung der weiblichen Sexualität". Damalige Forschungsergebnisse widerlegten die psychoanalytischen Thesen der angeblichen Überlegenheit des vaginalen Orgasmus (der nur durch Penetration zu erreichen sei) und des "Penisneides" der Frau. Gleichzeitig wurde über die Realität der gelebten Sexualität gesprochen, über Zwang und Phantasielosigkeit. Der Penis als einziges Organ zur Erfüllung der weiblichen Lust stand zur Disposition, neue Wege der weiblichen Sexualität wurden diskutiert und ausprobiert. So manche Frau entdeckte in diesen Jahren die Liebe zu Frauen, wie auch Lesben als Gruppe erstmals öffentlich in Erscheinung traten.

Arbeit: Die ökonomische Situation der Frau — insbesondere das Thema Hausarbeit als unbezahlte Arbeit für Familie und Gesellschaft "aus Liebe" und die Unterbezahlung von Frauenarbeit — bildete den Mittelpunkt feministischer Analysen. Die unterschiedliche Bezahlung in typischen Männer- und Frauenberufen wurde angeprangert. 1978 verklagte in Deutschland eine Arbeiterin erstmals ihre Firma, da sie bei gleicher Arbeit geringeren Lohn als ihre männlichen Kollegen erhielt — erfolgreich. Hunderte weitere folgen. Beim Thema Hausarbeit kristallisierten sich zwei Strömungen innerhalb der internationalen Frauenbewegung heraus:
Die "Unitaristinnen" gehen von der prinzipiellen Gleichheit von Mann und Frau aus. Aufgrund dieses Gleichheitsprinzips müssen für Männer und Frauen gleiche Bedingungen gelten, d.h. Frauen müssen die gleichen Chancen im Berufsleben erhalten, die Hälfte der Hausarbeit müsse vom Ehemann übernommen, Staat und Ehemann müssen bei der Kindererziehung in die Pflicht genommen werden. Unitaristinnen wehren sich gegen den "Mythos Mutter". Sie sind unter anderem in Deutschland stark vertreten. Als Schwäche dieses Ansatzes wird kritisiert, dass Mutterschaft wegen der fehlenden Möglichkeiten, Kinder und Beruf zu vereinbaren, abgelehnt werde. Außerdem passe sich die Frau damit einseitig an die Prinzipien und Denkweisen der Männerwelt an.
Die "Differentialistinnen" gehen von der prinzipiellen Andersartigkeit von Frau und Mann aus. Sie sind diejenigen, die in den 70er Jahren vehement Lohn für Hausarbeit forderten. Sie befürworten Mutterschaft und sehen in der Mutter-Kind-Beziehung ein gesellschaftskritisches Potential. Schwangerschaft, Gebären und Kindererziehung werden als alternative Arbeit der Erwerbsarbeit gegenübergestellt, "Mutterlogik" als weibliche Macht erklärt, die es zu schützen und stützen gelte. Hochburg des differentialistischen Ansatzes ist Italien. Als Schwäche dieses Ansatzes wird die Mystifizierung der traditionellen Rollenzuschreibungen kritisiert. Lohn für Hausarbeit binde die Frauen noch mehr an das Haus und die Familie Die Verantwortung der Väter und der Gesellschaft für die Kindererziehung und ihr Wert für die kindliche Sozialisation werde nicht untersucht.

Wissenschaft: Ausgehend von der feministischen Wissenschaftskritik wurde zunehmend Frauenforschung betrieben, immer mehr wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Publikationen zum Thema Frauen erschienen. Frauen forschten in der Geschichte nach den Leistungen von Frauen und stellten diese bisher unbekannte Hälfte der Geschichte der Öffentlichkeit zur Verfügung. Nicht nur der Inhalt, auch die Art der Forschung wurde in Frage gestellt und nach neuen Formen gesucht. Vor allem in den USA wurden innerhalb der Universitäten Budgets und Personal für "Women’s Studies" zur Verfügung gestellt. Heute sind "Gender Studies" ein unverzichtbarer Teil der Forschung, auch wenn eine Revolutionierung des gesamten Wissenschaftsbetriebs nicht gelungen ist.

Ergebnisse:

bulletDas Familien- und Eherecht wurde in vielen Ländern reformiert. Diskriminierung und Ungleichbehandlung von Ehefrauen aus der bürgerlichen oder christlichen Tradition teilweise aufgehoben und der Realität angepasst. In Deutschland beispielsweise betraf dies die Namensgebung (Familienname kann bei der Heirat sowohl der des Mannes wie auch der der Frau sein), das Eherecht (Mann und Frau können gleichberechtigt einem Beruf nachgehen, das Leitbild der "Hausfrauenehe" wurde aufgehoben), das Scheidungsrecht (das Schuldprinzip wurde aufgehoben und ein Versorgungsausgleich für die Ehefrau festgelegt) und das Sorgerecht (das Wohl des Kindes steht nun im Vordergrund).
bulletDie "Fristenlösung" bei der Abtreibung (straffreie Abtreibung bis zur zwölften Woche) wurde in den meisten Ländern eingeführt, so in den USA, in Italien und Frankreich. Dort, wo die Fristenlösung bei Beginn der Frauenbewegung bestand, wurde sie erfolgreich gegen konservative Kräfte verteidigt (z.B. in England). Deutschland ist eine Ausnahme. Hier wurde die Fristenlösung zweimal als nicht verfassungskonform ("Schutz des Lebens" ist in der Verfassung festgeschrieben) deklariert — 1975 und 1995. Heute gilt hier die Indikationslösung, d.h. Abbruch ist bis zur zwölften Woche unter bestimmten Bedingungen straffrei, die Schwangere ist zu einer Beratung verpflichtet.
bullet"Quotierungen" als zeitweiliges Mittel, um Frauen zu höheren Machtpositionen zu verhelfen.
bulletGesetze zum Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen (Arbeitsplatzsicherung) werden verabschiedet.

Die Frauenbewegung hatte in allen gesellschaftlichen Bereichen einen kaum zu überschätzenden Einfluss — sowohl auf der institutionellen wie auch auf privater Ebene, im Zusammenleben der Geschlechter. Viele Forderungen haben nichts an Aktualität eingebüßt und werden erst heute nach und nach umgesetzt (z.B. "Asylgrund Frau", eingetragene Lebensgemeinschaften für homosexuelle Paare, Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe etc.). Auch nach dem Abebben öffentlicher Aktionen und trotz vielfacher Gegenbewegungen haben die Frauen als Gruppe ein Selbstbewusstsein gewonnen, das nicht mehr vernachlässigt werden kann.

[Autorin: Dorette Wesemann, Redaktion: Ragnar Müller]

Heutige Aktivitäten und Aufgaben der internationalen Frauenbewegung

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