Weibliche
Beschneidung (Genitalverstümmelung, FGM)
FGM (= Female Genital Mutilation)
ist vor allem in Afrika bei vielen Stämmen verbreitet. In Ägypten, Äthiopien,
dem Sudan oder Djibouti sind fast 100% der Frauen betroffen. In anderen Ländern
sind nur die Angehörigen mancher Stämme beschnitten, so z.B. in Nigeria, Mali,
Burkina Faso, Senegal, Kenia etc. FGM kommt aber auch auf der arabischen
Halbinsel (z.B. Vereinigte Arabische Emirate, Süd-Jemen) und in Teilen Asiens
vor.
Schätzungen zufolge sind weltweit
zwischen 100 und 157 Millionen Frauen und Mädchen von der weiblichen
Beschneidung betroffen. Jedes Jahr kommen etwa zwei Millionen Mädchen hinzu. Es
werden also pro Tag etwa 6000 Mädchen beschnitten. Die Beschneidung bei
Mädchen kann derjenigen bei Jungen nicht gleichgesetzt werden, da sie im
allgemeinen den Sexualorganen einen weit größeren Schaden zufügt und viel
öfter weitreichende Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Daher wird sie von
Außenstehenden nicht als Beschneidung, sondern als weibliche
Genitalverstümmelung bezeichnet. Es gibt viele verschiedene Formen:
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milde Sunna (sunna = arab.
"Tradition"): Einstechen, Ritzen oder Entfernen der Vorhaut der
Klitoris; |
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modifizierte Sunna: teilweise
oder vollständige Entfernung der Klitoris; |
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Clitoridektomie/Beschneidung:
Entfernung eines Teils oder der gesamten Klitoris sowie eines Teils oder der
gesamten inneren Schamlippen. Diese Operation ergibt häufig ein
Narbengewebe, das so groß ist, dass es die vaginale Öffnung bedeckt; |
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Infibulation/pharaonische
Beschneidung: Entfernung der Klitoris und der inneren Schamlippen sowie der
inneren Schichten der äußeren Schamlippen. Die übriggebliebenen äußeren
Schamlippen werden dann mit Katzendarm zusammengenäht oder mit Dornen
aneinander befestigt. Diese verbleibende Haut wächst zusammen. Ein kleines
Stück Rohr wird in die Wunde gesteckt, um eine Öffnung für Urin und
Menstruationsblut zu lassen. |
Der Eingriff wird mit
unterschiedlichsten Instrumenten wie Rasierklingen, Scheren, Messern oder
Glasscherben vorgenommen. Er erfolgt meist ohne jegliche Anästhesie und
Desinfektion, manchmal werden Naturheilmittel eingesetzt. Die Verstümmelung
wird von Hebammen oder alten Frauen, seltener von männlichen Priestern oder
Barbieren vorgenommen. Das Alter der Mädchen liegt in der Regel zwischen 4 und
8 Jahren.
Der Hintergrund: FGM ist ein alter
Brauch, der auf die Zeit vor der Entstehung der monotheistischen Religionen
zurückgeht. Er ist bei Moslems wie auch Christen und Animisten verbreitet. Die
Gründe, die für die Durchführung der Genitalverstümmelung angeführt werden,
sind äußerst vielfältig:
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Genitalverstümmelung sei ein
religiöses Gebot (allerdings wird weder im Koran noch in der Bibel
weibliche Beschneidung erwähnt bzw. gerechtfertigt). |
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Das weibliche Geschlecht sei
hässlich und unrein, die Beschneidung und Infibulation schütze die Frau
vor Krankheiten, Ausfluss, Würmern etc. |
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Die Verstümmelung mache die
Mädchen zu vollwertigen Frauen, weil der "männliche Teil" der
Frau entfernt werde. |
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Die Verstümmelung verringere
das sexuelle Verlangen der Frauen und schütze sie selbst vor ihrer
ungezügelten Sexualität. |
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Die Verstümmelung steigere
die Fruchtbarkeit und die Heiratschancen der Frau. |
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Männer empfänden größeres
sexuelles Vergnügen mit infibulierten Frauen. |
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Alte Traditionen müssten
bewahrt werden, Einwände gegen diese Tradition seien auf die
"Verwestlichung" zurückzuführen. |
Das eigentliche Motiv für die
Genitalverstümmelung wird dagegen häufig in den patriarchal strukturierten
Gesellschaften gesehen. Die Verstümmelung dient der Kontrolle der weiblichen
Sexualität und soll als Schutz vor dem Verlust der Jungfräulichkeit und vor
Promiskuität in der Ehe fungieren. Die gesundheitlichen Folgen sind gravierend:
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Schockzustände aufgrund des
hohen Blutverlustes; |
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Blutvergiftung, Tetanus; |
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Infizierung mit
Kinderlähmung, Hepatitis und HIV; |
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Probleme mit der
Harnentleerung, Schädigung und Infektionen der Harnwege und der Nieren; |
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Eileiter- und
Gebärmutterentzündungen, Sterilität; |
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Starke Schmerzen bei der
Monatsblutung; |
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Schmerzen beim Sex bei
infibulierten Frauen, vor allem nach der Hochzeit bzw. nach den Geburten,
wenn der Mann beim Verkehr die winzige Öffnung penetriert; |
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Problematische, für Mutter
und Kind lebensgefährliche Geburten bei infibulierten Frauen (die
Vaginalöffnung ist zu klein und muss vor der Geburt meist operativ
geöffnet werden, um die Geburt zu ermöglichen. Das Narbengewebe ist
unelastisch und verursacht große Schmerzen beim Geburtsvorgang.
Kaiserschnitte und Zangengeburten sind häufige Folge. Nach der Geburt wird
die Frau wieder bis auf eine stecknadelkopfgroße Öffnung zugenäht); |
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häufige Krankheiten binden
die Frau ans Haus, sie kann nicht regelmäßig einer Arbeit nachgehen oder
die Schule besuchen; |
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die psychischen Folgen sind
Reaktionen, die den Folgen anderer Traumata ähneln: Verdrängung und
Abspaltung, Angstreaktionen, Depressionen und Verhaltensstörungen. Oft
existiert ein Gebot, nicht über die empfundenen Schmerzen zu sprechen. |
Was wird gegen weibliche
Genitalverstümmelung getan? In vielen Ländern wurden Gesetze gegen weibliche
Genitalverstümmelung verabschiedet. In Ägypten empfahl der Gesundheitsminister
in einer Resolution, dass die teilweise Klitorisentfernung, durchgeführt von
Ärzten, an die Stelle der extremeren Eingriffe treten solle. Auch im Sudan und
in Kenia existieren gesetzliche Verbote. FGM stellt aber einen integralen
Bestandteil der dortigen Gesellschaft dar. Die Gesetze bewirkten zunächst einen
Aufschwung der Verstümmelungspraxis im Untergrund. Oft wurden verblutende
Mädchen nicht mehr zum Arzt gefahren. Wenn die Gesetze von Kolonialmächten
verabschiedet wurden, formierten sich oft starke Gegenbewegungen.
Die weibliche
Genitalverstümmelung ist keineswegs nur auf primitive Stämme beschränkt und
im Aussterben begriffen, im Gegenteil: sie wird auch von der Mittelschicht und
in den Städten praktiziert und breitet sich in Afrika immer weiter aus.
Tendenziell werden immer drastischere Prozeduren anstelle der milden bevorzugt;
die Operationen (früher bei Eintritt ins Erwachsenenalter) werden an immer
jüngeren Mädchen, auch an Säuglingen, vorgenommen, da diese nicht so starken
Widerstand leisten können.
Weibliche Genitalverstümmelung
ist erst vor wenigen Jahren Thema internationaler Menschenrechts- und
Gesundheitsorganisationen geworden. Jetzt wird auch in westlichen Ländern FGM
von Flüchtlingen und Einwanderern praktiziert. Außer in Frankreich wurden hier
jedoch noch keine konsequenten Maßnahmen gegen diese Praxis getroffen. FGM wird
oft verharmlost. Man geht von der liberalistischen Position aus, dass man sich
in andere Kulturen und Traditionen aus Toleranz nicht einmischen solle. Es ist
für Außenstehende auch schwer verständlich, dass gerade Frauen diese für sie
so schädliche Prozedur an ihren Töchtern vornehmen lassen, weil sie die
Heirats- und damit Lebenschancen ihrer Kinder innerhalb ihrer Kultur erhöhen
wollen.
Heute gibt es in vielen Ländern
kleine Projekte und lokale Fraueninitiativen, die auf vielen Ebenen gegen
Genitalverstümmelung und ihre Folgen vorgehen: Durch Aufklärungsarbeit,
medizinische Versorgung, Mädchenschutzhäuser, Bildung und Qualifizierung sowie
Schaffung von alternativen Arbeitsplätzen für Hebammen. Außerdem werden
andere Riten und Feste als Alternativen gefördert, um der Angst vor dem Verlust
kultureller Identität entgegenzuwirken.
Links:
FORWARD –
www.forwarduk.org.uk
FGM Education and Networking Project: www.fgmnetwork.org
[Autorin: Dorette Wesemann,
Redaktion: Ragnar Müller]
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