Menschenrechte
und Frauen-
rechte...
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Probleme: |
Es ist
unumstritten, dass die internationalen Menschenrechtsbestimmungen von
heute die Frau nicht ausschließen. Im Gegenteil: Das Gebot, keinen
Menschen aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit zu benachteiligen, ist
von Anfang an wesentlicher Bestandteil der UN-Deklarationen gewesen.
Genauso unumstritten ist aber auch, dass bis heute und überall auf der
Welt Frauen benachteiligt und in ihren Menschenrechten eingeschränkt
werden, und das sogar in dem wohl wichtigsten und grundlegendsten Recht,
dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Feministinnen
kritisieren das Konzept der Menschenrechte. Es sei sehr stark an der
westlichen bürgerlichen Gesellschaft ausgerichtet und vor allem an den
Problemen männlicher Familienvorstände orientiert. |
1)
Gewalt gegen
Frauen als
Privatsache? |
Das erste
gravierende Problem ist die in fast allen heutigen Gesellschaften
vorkommende Trennung von zwei Sphären: "Öffentlichkeit" und
"Privatheit". Traditionellerweise wird der Frau die
"Privatheit" zugewiesen, dem Mann die
"Öffentlichkeit". Der Schutz der Privatsphäre ist als
wichtiges Menschenrecht konstituiert worden. Doch so wichtig es auch ist,
die Gewalt und Einflussmöglichkeiten der Staatsmacht zu begrenzen, dient
es doch vielen Staaten dazu, Menschenrechtsverletzungen an Frauen als
Privatproblem zu betrachten, in die man sich nicht einmischen könne und
wolle. Gewalt gegen Frauen findet zum größten Teil in der
"Privatsphäre" statt. |
2)
Gewalt gegen
Frauen durch
Privatpersonen... |
Das zweite Problem
betrifft die Stoßrichtung der Menschenrechte als Schutz des Individuums
vor direkten Übergriffen der Staatsmacht. Schutz vor Privatpersonen oder
nicht-staatlichen Organisationen wurde zunächst nicht vorgesehen. Eine
Besonderheit von Verletzungen der Menschenrechte an Frauen ist aber, dass
sie zumeist nicht direkt durch den Staat erfolgen, sondern von
Privatpersonen begangen werden, die jedoch in der Sicherheit handeln, vom
jeweiligen Staat nicht verfolgt zu werden. Solche Frauenrechtsverletzungen
werden häufig vom Staat geduldet. |
3)
Spezifische
Menschenrechts-
verletzungen an
Frauen... |
Das dritte Problem
liegt darin, dass das bisherige Menschenrechtskonzept für
Menschenrechtsverletzungen an Frauen wenig empfänglich ist. Es gibt
zunächst solche Menschenrechtsverletzungen an Frauen, die dieselben sind
wie die an Männern, wenn Frauen z.B. aufgrund ihrer politischen
Ansichten, ihrer Rasse oder ihrer Religion vom Staat verfolgt werden.
Diese geraten auch in den Blickpunkt nationaler und internationaler
Organisationen. Es gibt aber auch Menschenrechtsverletzungen, die
frauenspezifisch sind, beispielsweise wenn die Zugehörigkeit zum
weiblichen Geschlecht zu einer Verschlimmerung der Lage führt, z.B.
Vergewaltigung und sexuelle Folter in Gefängnissen und
Flüchtlingslagern. Und darüber hinaus gibt es noch
Menschenrechtsverletzungen, die nur Frauen betreffen, wie z.B.
Abtreibungen weiblicher Föten oder Gewalt in der Ehe. |
4)
Das Problem
der kulturellen
Traditionen... |
Das vierte Problem
besteht in der jahrhundertealten tief verwurzelten Tradition von
Frauenrechtsverletzungen in vielen Ländern. Die internationale Ächtung
solcher Traditionen ruft oft den Widerstand der Bevölkerung hervor. Gegen
sie kann man nur durch intensive langfristige Maßnahmen angehen, die alle
Lebensbereiche der Menschen betreffen. Viele nicht-westliche Regierungen
verweisen immer wieder darauf, dass das Menschenrechtsverständnis
westlich geprägt und nicht auf ihre Kultur zu übertragen sei. So sei die
"Gleichheit" von Frau und Mann nicht mit ihrer Kultur vereinbar.
Sie plädieren für eine sogenannte "Gleichwertigkeit" bei
Annahme von grundsätzlichen Unterschieden. Diese zunächst eingängige
Argumentation wird von westlichen Repräsentanten und Organisationen unter
dem Blickwinkel der "Toleranz" oft geduldet und sogar
übernommen. Dennoch muss hier beachtet werden, dass solche
Argumentationen meist zur Rechtfertigung von schweren
Menschenrechtsverletzungen dienen, die kein kulturelles Brauchtum, sondern einen Ausfluss repressiver Herrschaftssysteme
darstellen (z.B. in Algerien oder Afghanistan). Oft werden jene abwehrend
hochgehaltenen kulturellen Identitäten und Traditionen erst künstlich
konstruiert, um von bestehenden sozioökonomischen Ungleichheiten und
asymmetrischen Machtverhältnissen abzulenken. |
Vernachlässigung
der Frauen-
rechte... |
Die genannten
Probleme hängen untereinander eng zusammen und führten dazu, dass bis
Anfang der 90er Jahre Menschenrechtsverletzungen an Frauen nicht als
solche betrachtet wurden. Solche "Frauenrechtsverletzungen"
wurden beispielsweise bei den Vereinten Nationen entweder in gesonderten
Gremien behandelt, die strukturell isoliert und finanziell unzureichend
ausgestattet waren, oder sie wurden als Bestandteil des sozioökonomischen
Bereichs betrachtet. Auch einflussreiche Menschenrechtsorganisationen wie
amnesty international oder Human Rights Watch schenkten den spezifischen
Frauenproblematiken aufgrund ihrer alleinigen Ausrichtung auf bürgerliche
und politische Menschenrechte nur wenig Aufmerksamkeit.
So wurde z.B. sexuellen Übergriffen in bewaffneten Konflikten oder in
Kriegen der Status von Menschenrechtsverletzungen abgesprochen. Sie wurden
als "Privatangelegenheiten" oder "außergewöhnliche
Vorkommnisse" abgetan — die Täter hätten nicht etwa in ihrer
offiziellen Eigenschaft, sondern als Privatpersonen gehandelt, was daher
in die nationale Gerichtsbarkeit falle. |
Kritik
am Menschen-
rechtskonzept aus
Frauensicht... |
Menschen- und
FrauenrechtlerInnen üben seit Ende der 80er Jahre Kritik am bestehenden
Menschenrechtskonzept und fordern dessen Weiterentwicklung im Sinne der
Frauen. Zunächst sollen zusätzliche Bestimmungen gegen die
Diskriminierung von Frauen in die völkerrechtlichen Verträge eingefügt
werden. Durch sie sollen Frauen in die gleiche Position versetzt werden
wie Männer — mit den gleichen Rechten und Möglichkeiten. Denn solange
Frauenrechte in internationalen Konventionen nicht gesondert erfasst
werden, fühlen sich viele Staaten nicht zur Ahndung von Verstößen
verpflichtet. |
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Viele
Feministinnen versuchen, internationale Menschenrechtsstandards für
Frauen nutzbar zu machen, indem sie die konkreten Rechtsbestimmungen auf
Frauenrechtsverletzungen ausdehnen. So kann z.B. Zwangsprostitution
unter "Sklaverei" fallen, häusliche Gewalt und Vergewaltigung
unter "Folter". Andere versuchen, die Begrenztheit des
"Rechts der völkerrechtlichen Verantwortung" aufzulösen.
Solange männliche Gewalttäter mit der Billigung der staatlichen Organe
rechnen können, sei der Staat in seiner Funktion als Zwangsgewalt, die
wirksame Gesetze zum Schutz von Leib und Leben aller seiner BürgerInnen
vorzusehen habe, sehr wohl für das Ausmaß und die besondere Qualität
geschlechtsbezogener Gewalt verantwortlich zu machen. Außerdem wird von
vielen Feministinnen die Vorrangstellung der klassischen bürgerlichen
und politischen Rechte gegenüber sozialen und wirtschaftlichen Rechten
kritisiert und für deren Gleichgewichtung plädiert. Angesichts der
tiefen Verwurzelung der gesellschaftlichen Unterordnung von Frauen
hätten gerade soziale und wirtschaftliche Rechte für Frauen eine
besondere Bedeutung.
Die meisten Feministinnen erkennen das Paradigma der Menschenrechte
grundsätzlich an. Sie postulieren die Würde und Integrität des
Individuums und deren Autonomie und Selbstbestimmung. Nur die Sicherung
dieser Idee durch ein entsprechendes Recht kann garantieren, dass nicht
über Leib und Leben einer Frau bestimmt werden kann. Der universelle
Charakter von Frauenrechten als Menschenrechte muss zudem immer wieder
gegen relativistische Argumentationen z.B. islamistischer Staaten
verteidigt werden. |