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Der folgende Textausschnitt von Günther Gugel und Uli Jäger macht auf
aktuelle Herausforderungen für die Friedenspädagogik aufmerksam,
die sich mit dem Stichwort Globalisierung verbinden. Das neue
Konzept "Globales Lernen" versucht, sich diesen
Herausforderungen zu stellen. |
"Für
die Auseinandersetzung mit Krieg und Frieden sind die Frage nach den Strukturen
des Unfriedens und die Suche nach den Bedingungen des Friedens entscheidende
Bezugspunkte für Friedenspädagogik. Beide „Fixpunkte“ haben sich in den
zurückliegenden fünfzehn Jahren fundamental verändert. Mit dem Ende des
Ost-West-Konfliktes und der sich beschleunigenden Globalisierung kommen auf
internationaler Ebene neue Gefährdungen des Weltfriedens zum Tragen
(Terrorismus, neue Kriegstypen, Hegemonialansprüche), ohne dass die alten
Probleme (z.B. Weiterverbreitung von Atomwaffen) beseitigt wären.
Gleichzeitig ermöglicht das „Zusammenwachsen“ der Welt verbunden mit dem
Bedeutungszuwachs für neue Akteure (Nichtregierungsorganisationen) und der
Entwicklung Neuer Medien bislang nicht gekannte Kontakte und Blicke über den
Zaun nationaler Beschränktheit. Es eröffnet sich eine globale Dimension des
Lernens, der sich aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte auch die Friedenspädagogik
verpflichtet fühlt.
Der Friedenspädagogik nahestehende Wissenschaftler weisen mit Nachdruck darauf
hin, dass eine umfassende Mentalitätsveränderung notwendig sei, um die
beschriebene politische Gesamtkonstellation produktiv in Richtung „Frieden“
zu entwickeln. Statt einer nationalen Interessen-, Macht- und Prestigepolitik
sei eine Politik regionaler Verständigung, Annäherung und Versöhnung
notwendig, so zum Beispiel Hans Küng, Gründer des „Projektes
Weltethos“. Dazu bedürfe es einer neuen Denkart, nicht nur neuer
Organisationen. Nationale, ethnische, religiöse Verschiedenheit sollte als mögliche
Bereicherung und nicht als Bedrohung empfunden werden.
Dieses neue Denken bedarf keiner Feinde mehr, wohl aber Partner, Konkurrenten
oder auch Opponenten. Statt militärischer Konfrontation gilt der zivile
Wettbewerb. Politik darf sich nicht an einem Nullsummenspiel orientieren, bei
dem nur einer auf Kosten der anderen gewinnt. Jenseits der appellativen Ebene
wird auch das „Projekt Frieden“ immer ausdifferenzierter und nimmt in Form
von detaillierten Analysen und Beschreibungen der Bedingungen des Friedens
Gestalt an.
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Der
Bremer Friedensforscher Dieter Senghaas, der in den siebziger Jahren die
prägende Frage nach den Möglichkeiten einer Friedenerziehung angesichts
organisierter Friedlosigkeit gestellt hat, entwickelte in den neunziger
Jahren das zivilisatorische Hexagon und benennt sechs Sachverhalte als
„Bausteine“ der Zivilisierung: Gewaltmonopol, Konfliktkultur, Soziale
Gerechtigkeit, Interdependenz und Affektkontrolle, Demokratische
Partizipation und Rechtsstaatlichkeit. Diese Dimensionen machen deutlich,
in welche Richtung sich Gesellschaften entwickeln müssen, um den Prozess
des Friedens zu fördern.
In diesen Prozess ist auch Friedenspädagogik eingebunden, selbstredend
bei der Etablierung einer tragfähigen Konfliktkultur. Friedenspädagogik
thematisiert Brüche und Schnittstellen der Hexagon-Dimensionen, versucht
Brücken zu bauen, zu integrieren, politisches und persönliches
zusammenzubringen aber sie scheut sich auch nicht, zuzuspitzen und zu
konfrontieren (...). |
Um
das „Projekt Frieden“ entwickeln und friedenpädagogisches Denken und
Handeln entfalten zu können ist ein gesellschaftliches und politisches Klima
notwendig, das die Priorität eindeutig auf zivile Konfliktbearbeitung
ausrichtet und auf nationaler wie internationaler Ebene eine Kultur ziviler
Konfliktbearbeitung anstrebt. Zivile Konfliktbearbeitung ist dabei nicht in
erster Linie eine Frage der Technik, sondern der Denk- und Handlungsweisen.
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Dieter
Senghaas sieht gerade in der zivilen Konfliktbearbeitung den Kern einer
Kultur des Friedens: „Gemeint ist mit ihr die Gesamtheit der
Werteorientierungen, Einstellungen und Mentalitäten, die im öffentlich-politischen
Raum und über diesen hinaus dazu beitragen, dass Konflikte (...) verlässlich
konstruktiv bearbeitet werden.“ (...)
Zivile Konfliktbearbeitung, so die bisherige Erfahrung muss „von
unten“ entwickelt werden. Dies heißt nicht die Verantwortlichen aus
ihrer Verantwortung zu entlassen, sondern sie permanent mit der Forderung
nach nichtmilitärischen, humanitären Alternativen zu bedrängen und
ihnen deutlich zu machen, dass die Gesellschaftswelt, die Bürgerinnen und
Bürger anderes wollen als das Primat militärisch gestützter
Konfliktbearbeitung. |
Friedensforscher
der Stiftung Entwicklung und
Frieden kommen zu Recht zu der Einschätzung: „Über Konfliktprävention
wird seit langem gesprochen – jedoch wenig bewegt. Nicht selten stehen
taktische Rücksichtnahmen gegenüber befreundeten Regierungen
erfolgversprechenden Ansätzen konstruktiver Konfliktbearbeitung im Wege (...).
Die Investitionen Deutschlands und der EU in interkulturelle Dialoge sind seit
Jahren rückläufig. Diese angesichts der Globalisierung groteske
Fehlentwicklung muss rasch korrigiert werden.“ (…)
Der
kritische Umgang mit Gewalt und Konflikten war und ist Kern der Friedenspädagogik.
Hierzu gehört es, Gewalt in allen historisch und gesellschaftlich wechselnden
Formen wahrzunehmen, ihr präventiv zu begegnen, die Eskalationsdynamik zu
durchbrechen sowie einen konstruktiven Umgang mit Konflikten auf allen Ebenen zu
lernen. Gewalt kann dabei als Teil einer destruktiven Konfliktdynamik verstanden
werden.
Krieg ist in diesem Kontext als eine besonders brutale Form kollektiver
Gewaltausübung zu sehen, die überwunden werden muss – und nach friedenspädagogischer
Auffassung auch überwunden werden kann. Friedens- und Konfliktforscher weisen
schon lange darauf hin, dass sich in der modernen Welt Konflikte nicht mehr mit
Gewalt (Militär) lösen lassen, dass durch Militär zwar Länder besetzt und
evtl. kurzfristig „befriedet“ werden können, dass dadurch aber keine
Stabilisierung von Regionen oder gar Lösung der zugrundeliegenden Konflikte
erreicht werden kann. Die jüngsten Beispiele Naher Osten, Afghanistan und Irak
sind eindrückliche Belege hierfür (...).
Krieg, Frieden und Lebensstil – Verknüpfungen zwischen Wohlstandsicherung und
Sicherheitsbedürfnisse auf der einen Seite und Benachteiligungen und
Kriegsgeschehen auf der anderen Seite werden in einer globalisierten Welt immer
enger und können im Rahmen politischer Bildungsarbeit in ihren Alltagsbezügen
verstärkt sichtbar gemacht werden. Gesellschaftliche und persönliche Verknüpfungen
liegen zum Beispiel vor, wenn es in den Kriegen dieser Welt neben den anderen
Faktoren auch um Ressourcen wie Öl (Irak-Krieg) oder Coltan (Krieg im Kongo)
geht und das eigene Wohlstandsverhalten überprüft werden kann.
Gerade für Jugendliche kann es bedeutsam sein, wenn Ihnen Zusammenhänge
zwischen dem Verbrauch von elektronischen Chips für Handys und den Bürgerkriegswirren
in Afrika sichtbar werden. Schließlich geht es dabei auch um die Frage, zu
welchem Preis für andere wir bereit sind, das eigene Sicherheits- und
Wohlstandsbedürfnis zu befriedigen. In die Konzeptionen dieses Ansatzes müssen
allerdings die Hinweise auf die Problematik der Empathie-Bildung mit dem
„fernen Nächsten“ berücksichtigt werden. Darauf wird im Rahmen der
Auseinandersetzung mit den Ansätzen des globalen Lernens nachdrücklich
verwiesen (...)."
[aus: Günther Gugel / Uli Jäger,
Friedenspädagogik nach dem Irak-Krieg: Kontinuität und neue Ansätze; in:
kursiv 4/2003]
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