Gewaltenteilung

 

Demokratie

Kernelemente des demokratischen Staates (V): Gewaltenteilung

Wahlen Parlament Regierung
Opposition Gewaltenteilung Rechtsstaat

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In unserer ersten Annäherung an die Frage "Was ist Demokratie?" in Grundkurs 1 haben wir vereinfachend zwischen Regierten und Regent unterschieden. Letzterer bekommt die Batterien für die Fernbedienung auf Zeit von ersteren.

Dass die Vergabe der Batterien auf Zeit erfolgt, ist ein Element der Gewaltenteilung, wie der nachfolgende Text zeigt. Es gibt aber auch noch viele andere Vorrichtungen im demokratischen Staat, die verhindern, dass sich zuviel Macht in einer Hand konzentriert. Der folgende Text geht von der traditionellen Lehre der Gewaltenteilung aus und stellt dann das System der "checks and balances" im modernen Staat dar:

1 Gewaltenteilung im demokratischen Staat 5 Checks and Balances
2 Die traditionelle Lehre von der Gewaltenteilung 6 Neue Formen der Gewaltenteilung im 20. Jahrhundert
3 Abweichungen von der traditionellen Lehre der Gewaltenteilung 7 Gewaltenteilung durch Wahl
4 Neubestimmung der Lehre von der Gewaltenteilung 8 Schlussfolgerungen

Ein weiterer Text zu den Formen und Problemen der Gewaltenteilung geht von der politischen Philosophie Montesquieus aus - dem Theoretiker der Gewaltenteilung schlechthin -, stellt die Missverständnisse dar, die seiner Lehre widerfahren, und unterscheidet dann sechs Ebenen der Gewaltenteilung im modernen Staat, nämlich die

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staatsrechtliche,

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zeitliche,

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föderative,

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konstitutionelle,

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dezisive und

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soziale

Ebene der Gewaltenteilung. Der Text bietet eine Neuinterpretation der überholten traditionellen Lehre von der Gewaltenteilung [zu diesem Text].

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Buchauszug Gewaltenteilung: Freiheitssicherung und Machtkontrolle

Gewaltenteilung im demokratischen Staat

Die Freiheit der Parteibildung, insbesondere die freie Wirksamkeit einer Opposition sowie eine sich aus vielen Quellen speisende öffentliche Meinung sollen die Inhaber der Macht kontrollieren und die politische Mitgestaltung der Gesellschaft ermöglichen. Kontrolle und gesellschaftliche Impulse wären freilich kaum möglich, wenn alle Staatsgewalt sich in einer Hand befände. Wirksame Kontrolle und Beeinflussung staatlicher Macht ist nur durch staatliche Macht selbst denkbar. Deswegen sucht ein freiheitliches Gemeinwesen die Staatsgewalt auf verschiedene selbständige Organe aufzuteilen, damit diese sich gegenseitig überwachen und übergroße Machtzusammenballung durch Monopolisierung vermieden wird. Dem Pluralismus im Bereich der politischen Parteien und der öffentlichen Meinung schließt sich im freiheitlich-demokratischen Staat demnach eine Vielzahl oberster Staatsorgane an. Während aber bei Parteien und öffentlicher Meinung der Prozess der Pluralisierung dem freien Spiel der gesellschaftlichen Kräfte überlassen bleibt, ist die Aufteilung der staatlichen Macht auf verschiedene, voneinander unabhängige Instanzen meist in einer geschriebenen Verfassung festgelegt. In ihr sind die Kompetenzen der einzelnen Staatsorgane fixiert. Eine solche verfassungsmäßige Verteilung der staatlichen Kompetenzen will nicht nur die gegenseitige Kontrolle der Organe erreichen, sondern auch die Tätigkeit des Staatsapparates übersichtlich und berechenbar machen. Die Aufgliederung der staatlichen Macht schützt den Bürger vor staatlicher Willkür und erleichtert ihm zugleich das Verständnis des Regierungsprozesses.

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Die traditionelle Lehre von der Gewaltenteilung

Dass ein Gemeinwesen in seiner Freiheit nur gesichert werden könne, wenn die Staatsgewalt auf verschiedene selbständige Organe aufgeteilt ist, gehört zum überlieferten Kernbestand der verfassungspolitischen Überzeugungen unserer Zeit. Gerade in der Gewaltenteilung liegt der wesentliche Unterschied von freiheitlicher Demokratie und Diktatur. In letzterer ist alle Entscheidungsgewalt bei einem Individuum oder bei einer Partei konzentriert. Hier gibt es deshalb keine Kontrolle der Macht, was den einzelnen der Willkür der jeweiligen Machthaber aussetzt. In diesem Sinne sagte schon Montesquieu, der Vater der Lehre von der Gewaltenteilung: "Alles wäre verloren, wenn derselbe Mensch oder die gleiche Körperschaft der Grossen, des Adels oder des Volkes diese drei Gewalten ausüben würde: die Macht, Gesetze zu geben, die öffentlichen Beschlüsse zu vollstrecken und Verbrechen oder die Streitsachen der einzelnen zu richten."

In derselben Grundüberzeugung erklärte George Washington 1796 in seiner Abschiedsbotschaft an das amerikanische Volk: "Der Geist der Machtanmaßung strebt danach, die Gewalt aller Ämter in einem zusammenzufassen und so unabhängig von der Regierungsform praktisch den Despotismus herbeizuführen. Eine richtige Einschätzung dieses Machthungers und die das menschliche Herz beherrschende Bereitwilligkeit, diese Macht zu missbrauchen, genügt, von der Wahrheit dieser Behauptung zu überzeugen. Die Notwendigkeit gegenseitiger Kontrollen bei der Ausübung politischer Macht in Form ihrer Aufteilung auf verschiedene Regierungszweige, wobei jede zum Wächter des öffentlichen Wohls gegen Übergriffe des andern bestellt wird, ist aus Erfahrung in alter und neuer Zeit dargetan worden."

In diesen Zitaten ist das zentrale Motiv aller Gewaltenteilung ausgedrückt. Diese geht von der Erfahrung aus, dass jeder Inhaber von politischer Macht zu ihrem Missbrauch verführt werden kann und dass man deshalb die Macht begrenzen und aufteilen müsse. Montesquieus Worte deuten darüber hinaus an, wie er sich die Teilung der Staatsgewalt denkt. Er erkennt drei Grundfunktionen des souveränen Staates: Gesetzgebung, Gesetzesvollziehung und Rechtsprechung. Diese drei Funktionen müssten, so erklärte Montesquieu, je einem eigenen Organ schwerpunktmäßig zugewiesen werden, wenn man die Freiheit der Bürger sichern wolle. Die Nachfolger Montesquieus dogmatisierten seine Lehre. Sie trennten strikt die Exekutive, zu der sie Regierung und Verwaltung zusammenfassten, von der Legislative und der Jurisdiktion. Diese Dreiheit beherrscht noch heute das politische Denken der westlichen Demokratien (...).

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Abweichungen von der traditionellen Lehre der Gewaltenteilung

Die Sonderung dieser drei Gewalten nimmt freilich das Grundgesetz — wie viele andere demokratische Verfassungen der Gegenwart — keineswegs genau, zumindest was die Trennung von Exekutive und Legislative angeht. Ist doch schon die Kernbestimmung jedes parlamentarischen Regierungssystems, wonach die Regierung vom Parlament bestellt und gestürzt werden kann, mit der Forderung nach strikter Gewaltentrennung unvereinbar. Denn überall dort, wo das Parlament die Regierung bildet, wählt es in aller Regel Männer und Frauen seines Vertrauens aus den eigenen Reihen. Auch wenn dies verfassungsrechtlich nicht eigens vorgeschrieben ist, so liegt es doch nahe, dass das Parlament seinen Einfluss auf die Regierung am besten dadurch sichert, dass es die Regierung aus der eigenen Mitgliedschaft konstituiert. So haben die meisten Minister jeweils zwei Plätze im Parlament inne, einen auf der Regierungsbank und den anderen inmitten ihrer Fraktionskollegen.

Von einer personellen Trennung von Exekutive und Legislative kann demnach keine Rede sein. Aber auch in den Kompetenzen wird die Trennung nicht streng eingehalten. Denn das Parlament beschränkt sich keineswegs auf die Gesetzgebung, sondern versucht Einfluss zu nehmen auf wichtige Entscheidungen der Exekutive, indem es diese durch Entschließungen ersucht, sich in einer bestimmten Frage so und nicht anders zu verhalten (...).

Andererseits beschränkt sich auch die Regierung keineswegs auf das Durchführen der Gesetzesbeschlüsse des Parlaments. Einmal ist sie selbst an der Ausarbeitung der Gesetze maßgeblich beteiligt. Die überwiegende Mehrzahl der Gesetzesvorlagen stammt heute aus den Amtsstuben der Ministerien und nicht aus den Büros der Abgeordneten. Angesichts der Kompliziertheit der dem Staat auferlegten Aufgaben sind die Abgeordneten meist gar nicht in der Lage, einen eigenen Gesetzesentwurf sachverständig vorzulegen, da oft lediglich die Experten der Bürokratie über die notwendigen Informationen und statistischen Unterlagen verfügen.

Hinzu kommt, dass das Parlament immer häufiger nur Rahmengesetze schafft und die Exekutive ermächtigt, zur weiteren Regelung der Einzelheiten Rechtsverordnungen zu erlassen. Dadurch wird die Exekutive selbst indirekt gesetzgeberisch tätig.

Der moderne Verwaltungsstaat braucht solche Arbeitserleichterungen für das Parlament, soll dieses nicht in den zahllosen Materien der Gesetzgebung ersticken. Insgesamt aber verlagert sich so das politische Schwergewicht auf die Exekutive. Ihre Spitze bestimmt "die Richtlinien der Politik" und legt die zu ihrer Durchführung notwendigen Gesetze vor, die dann im Parlament von der die Regierung stützenden Partei oder Parteienkoalition akzeptiert werden. Dabei vermag die Regierung einen erheblichen Druck auf die ihrer Partei angehörigen Abgeordneten auszuüben, um sie im Sinne der eigenen Wünsche gefügig zu machen. Freilich kann auch die Mehrheit des Parlaments die Ministerien und ihre Entscheidungen beeinflussen, indem sie Anregungen weitergibt oder Druck ausübt, um bestimmte Gesetze vorbereiten zu lassen oder bestimmte Entscheidungen der Exekutive zu erreichen (...).

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In das Schema der klassischen Gewaltentrennungslehre lassen sich solche Vorgänge nicht eindeutig einordnen. Lediglich die Judikative ist noch strikt von den anderen Bereichen getrennt, obwohl sie aus historischen Gründen oft auch Aufgaben der Verwaltung übernimmt. Man denke nur an die Tätigkeit der Registergerichte, manche Bereiche der freiwilligen Gerichtsbarkeit und an das Jugendstrafrecht. Auch müssten hier einige Bereiche der Verfassungsgerichtsbarkeit genannt werden, wie die Auflösung einer Partei, die nach klassischer Lehre, selbst wenn sie auf Grund eines gerichtsförmigen Verfahrens zustande kommt, eine Exekutivmaßnahme ist. Trotz dieser hier keineswegs erschöpfend aufgezählten Überschneidungen ist die Judikative dennoch eindeutig von Exekutive und Legislative getrennt, auch wenn die Mitglieder der obersten Gerichte von Regierung und Parlament bestimmt werden. Für die Beziehungen von Legislative und Exekutive aber sind die überlieferten Kategorien der Gewaltenteilungslehre nicht mehr brauchbar.

Dieser Umstand hat dazu geführt, dass man die Montesquieusche Lehre von der Trennung der drei Gewalten "überholt und wirklichkeitsfremd", ja ein "eingerostetes Gedankenschema" genannt hat (Karl Loewenstein). Eine solche Verdammung scheint unausweichlich zu sein, weil sich im modernen parlamentarischen Staat die strikte Trennung von Legislative und Exekutive nicht mehr aufrechterhalten lässt, auch dann nicht, wenn sie, wie in der Verfassung der Vereinigten Staaten, gänzlich unabhängig voneinander konstituiert werden. In den Vereinigten Staaten ist der Graben zwischen dem Regierungschef und Parlament tiefer als in den parlamentarischen Regierungssystemen Europas, und das Parlament hat noch wesentlich mehr von seiner einstigen Bedeutung sich erhalten. Doch fehlt es auch im amerikanischen Regierungssystem keineswegs an Tendenzen, die im Sinne der oben geschilderten allgemeinen Entwicklung wirksam geworden sind.

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Neubestimmung der Lehre von der Gewaltenteilung

Ein Ansatz zur Neubestimmung der Lehre von der Gewaltenteilung geht von der Feststellung aus, dass mit Gesetzgebung, Gesetzesvollziehung und Rechtsprechung keineswegs alle Funktionen der Staatsgewalt umschrieben sind. Die Parlamente sind keineswegs nur mit Gesetzgebung beschäftigt, und die Aktivität der Regierung ist weit mehr als Gesetzesvollziehung. Heute lässt sich die Tätigkeit der einzelnen Staatsorgane viel besser danach bestimmen und gliedern, ob sie dem Funktionsbereich 1. der politischen Grundentscheidung, 2. der Ausführung dieser Grundentscheidung oder 3. seiner Kontrolle im Sinne der Verfassungsprinzipien zuzuweisen ist.

Das führt dann zu einer vom bisherigen Schema der Gewaltenteilung unterschiedenen Zuordnung dieser drei Funktionen an die einzelnen Staatsorgane. Die richterliche Gewalt zum Beispiel, aber keineswegs sie allein, gehört in den Bereich der Kontrolle. Die Ausführung der politischen Grundentscheidungen, sei es der Vollzug von Gesetzen oder die Durchführung außenpolitischer Zielsetzungen, ist in erster Linie Sache des öffentlichen Dienstes, der Verwaltung. Die Regierung selbst ist zwar als oberste Weisungsinstanz auch der Verwaltung zugehörig, doch ist sie ihrerseits kein Ausführungsorgan. Ihre primäre Funktion liegt vielmehr in der Formulierung der politischen Grundentscheidung (...). Eng verbunden mit der Regierung ist in dieser Aufgabe das Parlament, denn für die wesentlichen Aktionen braucht die Regierung die Zustimmung des vom Volk gewählten Parlaments. Dieses hat das Recht und die Pflicht, Einfluss auf die Zielsetzung der Außen- und Innenpolitik zu nehmen und bei ihrer Formulierung mitzuwirken. Eine solche Tätigkeit ist wesentlich mehr, als der Begriff der Gesetzgebung in sich einschließt. Regierung und Parlament zusammen sind die Organe, die die politischen Grundentscheidungen eines Gemeinwesens treffen müssen.

Da sich Regierung und Parlament in dieser Aufgabe zu gemeinsamem Handeln entschließen müssen, ist es nur konsequent, wenn man zwischen ihnen institutionelle Verzahnungen und Verbindungen schafft. Das parlamentarische Regierungssystem trägt der gemeinsamen Aufgabe von Regierung und Parlament im Bereich der politischen Grundentscheidung Rechnung. Freilich sollte man streng trennen zwischen der Aufgabe, die politische Grundentscheidung zu formulieren und sie praktisch durchzuführen. Hier setzen die gesetzlichen Vorschriften über die sogenannte Inkompatibilität ein, die Unvereinbarkeit zwischen der Zugehörigkeit zum öffentlichen Dienst und der Tätigkeit als Abgeordneter. Aus denselben guten Gründen werden deshalb auch Beamte nur in seltenen Ausnahmefällen Minister. Das unterstreicht noch einmal, dass das Amt des Ministers wie das Amt des Abgeordneten in gleicher Weise auf die Aufgabe der politischen Grundsatzentscheidungen ausgerichtet ist.

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Checks and Balances

Wenn danach Parlament und Regierung in derselben Funktion tätig sind, so vermögen sie sich dabei natürlich auch zu kontrollieren. Geteilte Verantwortung ist geteilte Macht. Die Akteure sind durch ein System von "checks and balances", ein System der Gegengewichte und Ausbalancierung, miteinander verbunden. Regierung und Parlament sind aufeinander angewiesen und bedürfen für die Formulierung politischer Grundsatzentscheidungen eines Konsensus. Ein solches Verfahren liegt durchaus in der Konsequenz der Gedanken Montesquieus, der in den Kategorien seiner Zeit die Gesetzgebung primär als Bereich der politischen Grundentscheidung sehen und zwei Kammern — die Kammer des Adels und die der Bürger — an ihr beteiligt wissen wollte, um so auch hier die Gewalt zu teilen. Die zwei Staatsorgane und die hinter ihnen stehenden gesellschaftlichen Gruppen sind dadurch gezwungen, bei bestimmten Akten des Staates zusammenzuwirken. Der Zwang zur Zusammenarbeit birgt ein Element der Kontrolle in sich.

Daneben aber gibt es im Parlament selbst noch in Gestalt der Oppositionspartei ein Element autonomer Machtkontrolle, die selbständig ausgeübt wird. In der eigenständigen Position und im freieren Aktionsspielraum der Opposition lebt die ältere Gegenüberstellung von Parlament und Regierung noch fort, wie sie in den Zeiten der konstitutionellen Monarchie üblich war. Auch das klassische Schema der Gewaltenteilung ist ja nur die Fixierung einer bestimmten historischen Situation, in der der König die Exekutive darstellte, die dem Parlament als politische Kraft eigenen Rechts und eigener Legitimation gegenübertrat. Um den ursprünglich absoluten Machtanspruch der Krone einzugrenzen, entzog ihr Montesquieu in seiner Gewaltenteilungslehre die Gesetzgebung und wies diese einem gewählten Parlament zu, in dem das aufstrebende Bürgertum vertreten war. König und Parlament sollten danach zusammen das Land repräsentieren; die Unterschiedlichkeit ihrer Legitimation erlaubte eine strengere Trennung der beiden Gewalten.

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Die Entwicklung vollzog sich im Zeichen der Demokratisierung dann so, dass der Gedanke der Volkssouveränität sich allgemein durchsetzte und der königlichen Exekutive die Legitimation entzogen wurde. Die Krone verlor zunehmend an Gewicht zugunsten des Parlaments. Auf diese Weise wurde auch die Trennung zwischen Exekutive und Legislative immer schwieriger, bis schließlich das Parlament die Exekutive eroberte und sie von seinem Vertrauen abhängig machte. Damit war die ältere Trennung im Prinzip aufgehoben.

Sie konnte sich nur dort erhalten, wo man sich zu einem präsidialstaatlichen Verfassungssystem entschloss wie in den Vereinigten Staaten. Hier tritt an die Stelle des Monarchen der ebenfalls vom Volk gewählte, dem Kongress nicht verantwortliche Präsident. Durch die Volkswahl erhält dieser die gleiche Legitimationsgrundlage wie das Parlament. Dadurch wird zumindest im Personalen eine Trennung möglich. Die Mitglieder der amerikanischen Regierung sind nicht Abgeordnete des Kongresses, sondern Männer, die das Vertrauen des Präsidenten in ihr Amt berufen hat. In den sachlichen Entscheidungen freilich bleibt der Präsident in jeder grundlegenden Frage auf die Zusammenarbeit und die Übereinstimmung mit dem Kongress angewiesen. Insofern machen auch die Vereinigten Staaten keine Ausnahme bei der gleichzeitigen Befassung von Regierung und Parlament mit der politischen Grundentscheidung.

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Neue Formen der Gewaltenteilung im 20. Jahrhundert

Die volle Durchsetzung des demokratischen Gedankens im 20. Jahrhundert hat demnach der scharfen Trennung von Exekutive und Legislative ein Ende gemacht. Das hat freilich an der grundlegenden Bedeutung des Prinzips der Gewaltenteilung als Organisationsprinzip für ein freiheitliches Gemeinwesen nichts geändert. Nur sind die Formen, in denen sich die Gewaltenteilung ausdrückt, andere geworden. Die Entwicklung ist insbesondere dadurch charakterisiert, dass der Bereich der Rechtsprechung außerordentlich ausgebaut worden ist. In Gestalt der Verfassungsgerichtsbarkeit kontrolliert sie den Gesetzgeber wie die Regierung. An eine solche Kontrolle hatte Montesquieu noch nicht gedacht. Als besonders bedeutsamer Kontrollzweig hat sich eine eigene Verwaltungsgerichtsbarkeit entwickelt, die parallel zur Ausweitung der Verwaltungstätigkeit von Jahrzehnt zu Jahrzehnt an Bedeutung gewann. Die Überwachung der Gesetzesausführung, die nach Montesquieus Meinung der Legislative zustand, wird heute vielfach von den Gerichten geleistet. Auch angesichts seiner politischen Verflechtung mit der Regierung vermag das Parlament die Kontrolle der Exekutive gerade in Verwaltungssachen nur noch in geringem Umfang zu leisten.

Noch in anderen Gebieten sind neue Formen der Gewaltenteilung entstanden. Viele demokratische Gemeinwesen der Gegenwart sind föderalistisch organisiert. Die relative Selbständigkeit mancher sehr künstlich entstandener Gliedstaaten empfängt vielfach erst unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung ihre innere Berechtigung, vor allem dann, wenn keine historische Tradition die Eigenstaatlichkeit begründen kann. Auch der Ausbau des Selbstverwaltungsrechts von Gemeinden und anderen Gebietskörperschaften dient dazu, die geballte Kraft der modernen staatlichen Exekutive aufzusplittern und den Bürger an mehreren Ebenen staatlicher Tätigkeit zu beteiligen. Selbstverständlich ist diese Mehrgleisigkeit wiederum ein Element der Kontrolle und der gegenseitigen Überwachung der staatlichen Bürokratien in Bund, Ländern und Gemeinden. Sie macht außerdem deutlich, wie bestimmte Aspekte der Gewaltenteilung zugleich der Demokratisierung dienen und von ihr her motiviert sind. Durch solche Gewaltenteilung schafft man Möglichkeiten der Mitbestimmung und Bürgerbeteiligung (...).

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Gewaltenteilung durch Wahl

Zum Stichwort Gewaltenteilung gehört auch die in jedem demokratischen Staat vorgesehene periodische Wiederwahl der politischen Amtsträger. Die Macht wird gleichsam temporär geteilt. Dass ein amerikanischer Präsident sich zur Wiederwahl der Konkurrenz stellen muss und zudem nur einmal wiedergewählt werden kann, schränkt seine Machtfülle erheblich ein. Gleiches gilt für die Wahlperioden der Parlamente. Je kürzer sie sind, um so mächtiger ist die Stellung der öffentlichen Meinung und der Wählerschaft. Auch diese haben demnach ihren Anteil an dem umfassenden System der Gewaltenteilung und Gewaltenkontrolle. Entscheidend können in diesem Zusammenhang aber auch Vorschriften über sonstige Fristen sein (...). Die Macht eines politischen Gremiums entscheidet sich sehr oft danach, wie oft es tagen muss oder darf. Ein Gremium, das monatlich zusammentritt, ist viel stärker als eines, das nur einmal im Jahr einberufen wird. Umgekehrt wird etwa die Unabhängigkeit der Justiz nicht zuletzt dadurch gesichert, dass die Richter im allgemeinen auf Lebenszeit bestellt werden.

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Schlussfolgerungen

Aus allem folgt, dass es kein Dogma einer streng durchgeführten Gewaltentrennung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative mehr gibt. Gleichwohl aber sucht die moderne Demokratie jedes Machtmonopol auszuschließen. Auf fünf Ebenen organisiert sie das Mit- und Gegeneinander der politischen Kräfte: Wählerschaft und öffentliche Meinung, Verbände und Parteien, das Parlament in seinen zwei Kammern, die Exekutive als Regierung und Verwaltung und die Rechtsprechung nehmen, wenn auch mit unterschiedlichem Gewicht, teil an der Formulierung der politischen Grundentscheidungen, ihrer Ausführung und ihrer Kontrolle. Alle Beteiligten aber bleiben an die Grundprinzipien der Verfassung gebunden und müssen sich an die Vorschriften halten, die diese für ihr Zusammenspiel vorsieht. Alle müssen sich auch stets unter die Kontrolle der anderen Organe stellen. So ist insgesamt die staatliche Macht im demokratischen Staat durch ein kompliziertes System von Gewaltenverschränkungen, durch Gewichte und Gegengewichte, begrenzt. Der Hüter des Ganzen aber ist in der Vorstellung der modernen Demokratie die Norm der Rechtsstaatlichkeit, über die insbesondere die unabhängige Justiz zu wachen hat (...).

[entnommen aus: Waldemar Besson/Gotthard Jasper, Das Leitbild der modernen Demokratie. Bauelemente einer freiheitlichen Staatsordnung, Bonn 1990]

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