SPIEGEL:
Bischof Tutu, Sie haben vor kurzem mit Ihrer Auswanderung gedroht, falls
das Morden unter den Schwarzen nicht aufhöre. Aber in den schwarzen
Wohngebieten sterben fast täglich Kollaborateure des weißen Regimes:
revolutionäre Apartheidgegner, manchmal auch Kriminelle, bringen
schwarze Polizisten und Staatsbedienstete als Verräter um. Packen Sie
jetzt die Koffer? |
TUTU:
Ich sprach damals bei einer emotionsgeladenen Beerdigung. Es war eine
unvorbereitete Aussage. Ich wollte meine tiefempfundene Abscheu gegen
Gewalt zum Ausdruck bringen. Ich liebe dieses Land viel zu
leidenschaftlich, als dass ich gehen könnte, besonders in der
gegenwärtigen Lage. |
SPIEGEL:
Das Morden geht weiter, selbst Sie sind dagegen machtlos? |
TUTU:
Ich hatte natürlich gehofft, dass mein Aufruf befolgt werden würde.
Aber wir haben vermutlich den Punkt erreicht, wo wir nicht mehr umkehren
können. Die Behandlung der Quislinge ist genauso grausam wie die Rache
an den IRA-Verrätern in Nordirland. Solange die Apartheid nicht aus der
Welt ist, fürchte ich, werden wir mit diesen Umständen leben müssen. |
SPIEGEL:
Sind Sie generell gegen Gewalt, oder akzeptieren Sie bestimmte Formen
des gewaltsamen Widerstandes? |
TUTU:
Ich hätte nicht den Friedensnobelpreis bekommen, wenn ich nicht gegen
jede Form der Gewalt wäre – gegen die Gewalt eines
Unterdrückerregimes wie auch gegen die Gewalt der Leute, die ein
solches System bekämpfen. |
SPIEGEL:
Präsident Botha hat unlängst nur eine Vorbedingung für Gespräche mit
Apartheidgegnern wie Ihnen genannt: die Verpflichtung zur
Gewaltlosigkeit. Was also steht einer Begegnung mit Botha im Weg? |
TUTU:
Botha hat sich geweigert, mich zu treffen. Ursprünglich hatte er
gesagt, die Verpflichtung zur Gewaltlosigkeit sei seine Vorbedingung.
Dann fügte er hinzu, wir sollten auch dem bürgerlichen Ungehorsam
entsagen. Daraufhin habe ich ihm gesagt: Nie im Leben, denn welche
anderen Mittel bleiben dann noch Leuten wie mir, die mit friedlichen
Mitteln die Apartheid beenden wollen? |
SPIEGEL:
Botha hatte Sie doch eingeladen, mit einer kirchlichen Delegation zu ihm
zu kommen? |
TUTU:
Das habe ich bereits vor fünf Jahren erlebt. Damals gingen wir zu ihm,
aber er wollte nicht wirklich mit uns diskutieren. Botha will bei
solchen Gelegenheiten nur seine Überzeugungen zum Ausdruck bringen –
und wir sollen im Einverständnis dazu nicken. |
SPIEGEL:
Sie sehen keinen Sinn mehr in Gesprächen mit dem Präsidenten? |
TUTU:
Das habe ich nicht gesagt. Ich will ihn treffen, aber von Mann zu Mann,
oder allenfalls mit einer kleinen, ausgesuchten Gruppe. Doch zunächst
müsste er den Ausnahmezustand aufheben und seine Armee aus den
schwarzen Wohngebieten abziehen. |
SPIEGEL:
Sind das Ihre Vorbedingungen? |
TUTU:
Ja. Im Prinzip bin ich noch zu Gesprächen bereit. |
SPIEGEL:
Repräsentiert die militant-revolutionäre Befreiungsbewegung African
National Congress (ANC) einen großen, wenn nicht sogar den größten
Teil der schwarzen Bevölkerung Südafrikas? |
TUTU:
O ja, und ich akzeptiere den ANC-Chef Nelson Mandela als meinen Führer. |
SPIEGEL:
Trotzdem würden Sie vor einem Gespräch mit Botha nicht die Freilassung
Mandelas und die Legalisierung des ANC fordern? |
TUTU:
Wenn ich mit Botha spräche, hätte ich kein Verhandlungsmandat. Ich
wäre nur ein Vermittler, der versuchen würde, die derzeitigen
Machthaber mit den wahren Führern des Volkes ins Gespräch zu bringen. |
SPIEGEL:
Zählt zu diesen Führern nicht auch der Zulu-Chef Gatsha Buthelezi? Der
gehört nicht dem ANC an und hat dennoch eine große Gefolgschaft. |
TUTU:
Er hat Gefolgschaft, sicher. Aber Untersuchungen deuten darauf hin, dass
die Zahl seiner Anhänger viel kleiner ist als die anderer Führer. |
SPIEGEL:
Der schwarze Widerstand gegen die Apartheid ist zersplittert. Die United
Democratic Front (UDF), die dem ANC nahesteht, die Azanian People
Organisation (Azapo), die zur Schwarzen Bewusstseinsbewegung gehört und
keine Weißen in ihren Reihen duldet, und Buthelezis Inkatha liefern
einander oft blutige Gefechte. Schwächt das nicht den Kampf gegen die
Apartheid? |
TUTU:
Natürlich wünschte ich mir völlige Einigkeit. Die Zukunft liegt in
einer Koalition all dieser Kräfte. Im Moment brauchen wir nur eine
Übereinkunft für gemeinsames Handeln. Das haben wir vor kurzem zu
erreichen versucht, als wir die verschiedenen Gruppen zusammenbrachten.
Und ich glaube, wir haben den Grundstein für den Erfolg gelegt. |
SPIEGEL:
Auch ohne die Einheit der Schwarzen? |
TUTU:
Einheit wäre wichtig, aber wir griffen nach den Sternen, wenn wir jetzt
ideologische Übereinstimmung erwarteten. |
SPIEGEL:
Könnten nicht Sie der Mann sein, der die Schwarzen eint, wenn Sie eine
politische Karriere wählten? Oder wollen Sie Priester bleiben, der in
der Politik nur zeitweise eine wichtige Rolle spielt? |
TUTU:
Ich hatte noch nie politische Ambitionen. Vor wenigen Tagen habe ich
noch zu Frau Mandela gesagt: "Sorgen Sie dafür, dass Ihr Mann bald
aus dem Gefängnis entlassen wird, damit er alle die Dinge tun kann, die
getan werden müssen." |
SPIEGEL:
Haben Sie Nelson Mandela jemals persönlich getroffen? |
TUTU:
Einmal, bevor er Anfang der 60er Jahre zu lebenslanger Haft verurteilt
wurde. Ich studierte damals in Johannesburg, und Nelson war
Diskussionsleiter bei einem Streitgespräch, an dem ich teilnahm. Er
blieb mir in Erinnerung als ein großer, gutaussehender Mann, als eine
Persönlichkeit, die etwas ausstrahlt. |
SPIEGEL:
Haben Sie regelmäßige Kontakte zur ANC-Führung im Exil? |
TUTU:
Ich sage nach jeder meiner Reisen, dass ich mich mit ANC-Vertretern
getroffen habe. Hin und wieder teilen wir die Heilige Kommunion
miteinander. Ich werde mir von der Regierung nicht vorschreiben lassen,
wer meine Freunde oder meine Brüder in Christus sein sollen. |
SPIEGEL:
Nicht nur bei der südafrikanischen Regierung gilt der ANC als eine
Bewegung, die stark unter kommunistischem Einfluss steht. Wie können
Sie und die Kirche Ihre Nähe zu einer teilweise atheistischen Gruppe
rechtfertigen? |
TUTU:
Ich muss Ihnen sagen, dass dies üble Nachrede ist. Fast die gesamt
ANC-Führung ist getauft. Albert Luthuli, der frühere ANC-Präsident,
der ebenfalls den Nobelpreis bekam, war eine führende Persönlichkeit
auch in der Kirche. Und es gibt andere ANC-Führer, die ähnlich denken
wie er, den amtierenden Präsidenten Oliver Tambo eingeschlossen. Der
wollte sogar einstmals anglikanischer Priester werden. |
SPIEGEL:
Das ist lange her... |
TUTU:
Leute wie Nelson Mandela waren lange Zeit gegen Kommunisten im ANC. Aber
schon in der Zeit, als sie noch in Südafrika waren, haben die
ANC-Führer gemerkt, dass die einzigen Weiße, die sie mit Respekt und
wie Menschen behandelten, auch jene waren, die zur südafrikanischen
Kommunistischen Partei gehörten. Mehr noch: Die ANC-Erfahrung im Exil
hat gelehrt, dass Unterstützung fast immer aus den Ländern hinter dem
Eisernen Vorhang kommt. |
SPIEGEL:
Militärische Hilfe bestimmt. Aber Mitglieder der südafrikanischen
Kommunistischen Partei sitzen doch auch im Zentralkomitee des ANC? |
TUTU:
Ich glaube nicht. Das ist eine der Behauptungen, die Bewegung in Verruf
zu bringen. Weil es keinen Grund gibt, die ANC-Forderungen abzulehnen,
nimmt die Regierung – wie immer – den Kommunismus zu Hilfe. Der
Westen wurde doch nicht kommunistisch, weil er mit Hilfe Russlands gegen
den Nationalsozialismus kämpfte. Warum heißt es also immerzu, dass
unser Volk kommunistisch wird, nur weil es Hilfe von woher auch immer
annimmt? Wir kämpfen für die Menschenrechte, für ein politisches
System, in dem die Menschen die Freiheit haben, sich für eine Ideologie
ihrer Wahl zu entscheiden. Wir hoffen, dass die Demokratie so attraktiv
sein wird, dass totalitäre Alternativen keine Chance haben. Auch in
Großbritannien und in der Bundesrepublik gibt es kommunistische
Parteien, ohne dass die Regierungen dort kommunistisch wären. |
SPIEGEL:
Fürchten Sie nicht, dass Kirchenmänner wie Sie ausgespielt haben, wenn
in Südafrika Kommunisten das Sagen bekämen? |
TUTU:
Jeder, der gegen die Apartheid ist, wird in Südafrika als Kommunist
abgestempelt. Auch ich werde als Kommunist bezeichnet. Nur, da sagt sich
mein Volk: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. |
SPIEGEL:
Es gibt zwei Beispiele in der jüngsten Geschichte des südlichen
Afrika, die zu denken geben: Kirchenmänner in Mosambik und Angola haben
sich bis zur Unabhängigkeit Mitte der 70er Jahre furchtlos gegen die
portugiesischen Kolonialherren und für die Sache des Volkes eingesetzt.
Dennoch machen die heutigen Machthaber dort kein Geheimnis aus ihrer
Kirchenfeindlichkeit. Könnte sich so etwas nicht in Südafrika
wiederholen? |
TUTU:
Warum sprechen Sie von Mosambik und Angola und nicht von Simbabwe? Dort
hat sich die katholische Kirche ebenfalls mutig gegen die Grausamkeiten
des Siedlerregimes im früheren Rhodesien gewandt, und die Kirchen
wurden nicht geschlossen, als die Schwarzen die Macht übernahmen. Warum
sprechen Sie nicht von Kenia, das nach den Mau-Mau-Aufständen zu einem
der stabilsten Länder Afrikas wurde – mit einer starken Kirche? Die
meisten afrikanischen Länder sind nicht marxistisch, und ihre Völker
sind gläubig. |
SPIEGEL:
Als in Mosambik und Angola die Revolution siegte, mussten die Weißen
auf die letzten Schiffe rennen, um außer Landes zu fliehen. Im frühere
Rhodesien hingegen gab es zwar auch einen blutigen Bürgerkrieg. Aber
der Machtwechsel wurde schließlich am Konferenztisch ausgehandelt:
Weiße und schwarze Rhodesier trafen sich unter englischer Vermittlung
im Londoner Lancaster House. Welche der beiden Möglichkeiten halten Sie
in Südafrika für wahrscheinlicher? |
TUTU:
Ich bin kein Hellseher, aber ich hoffe, dass es keine weiteren
unnötigen Todesfälle mehr gibt. Die Apartheid hat bereits zu viele
Menschenleben gekostet. Seit August 1984 starben bei den Unruhen mehr
als 800 Menschen. Und es können noch viel mehr werden. |
SPIEGEL:
Seit die südafrikanische Regierung Anfang November die Zensur für
Journalisten, besonders für Bildberichterstatter, verschärft hat, wird
es immer schwieriger, über die blutigen Vorgänge in den schwarzen
Wohngebieten etwas Verlässliches zu erfahren. Die Regierung erhofft
sich davon eine Beruhigung der Lage. Zu Recht? |
TUTU:
Das ist ein alter Trick von Unrechtsregimen: Sie erschießen den Boten,
weil ihnen die Botschaft nicht gefällt. Ich finde das furchterregend.
Die Situation war schon schlimm, als darüber noch einigermaßen frei
beichtet werden durfte. Man kann sich vorstellen, und der Gedanke lässt
einen erschauern, was von nun an – unter Ausschluss der
Öffentlichkeit – passieren wird. |
SPIEGEL:
Bischof Tutu, für Zehntausende junger radikaler Schwarzer, die sich
vorgenommen haben, das System mit Gewalt zu stürzen, die sich
untereinander mit "Genosse" anreden, die schon seit Monaten
nicht mehr zur Schule gehen – für diese jungen Revolutionäre sind
selbst Sie ein Onkel Tom, ein Angepasster, der mit dem System lebt. Wie
lange können Sie noch ein bisschen mäßigend wirken? |
TUTU:
Wenn ich jung wäre, hätte ich mich auch schon längst abgeschrieben.
Mich wundert, dass die Jungen überhaupt noch Leuten wie unsereinem
zuhören. |
SPIEGEL:
Ängstigt Sie das nicht? Sie könnten schnell zwischen die Fronten von
Apartheidverteidigern und radikalen Apartheidgegnern geraten. |
TUTU:
Kürzlich unterhielt ich mich mit der Frau eines weißen Freundes auf
der Straße. Da drohte ein junger weißer Passant, er werde mir eine
Handgranate in die Tasche stecken. Sie haben recht, ich bin ein
mögliches Ziel für Angriffe von allen erdenklichen Leuten. Ich bekomme
schon lange Todesdrohungen. Wenn sogar Mordanschläge auf den
amerikanischen Präsidenten verübt werden können, welche Chance haben
dann geringere Sterbliche wie ich? Aber ich werde mir nicht gestatten,
deswegen durchzudrehen. |
SPIEGEL:
Sie nehmen gleich den schlimmsten Fall an. Sie könnten ja auch
verhaftet werden, wie Tausende von Apartheidgegnern während der letzten
Monate. |
TUTU:
Was nützt es schon, wenn ich mir heute über eine mögliche Verhaftung
Gedanken mache? Es stimmt aber, dass fast alle Schwarzen, die eine
Gefolgschaft von auch nur einiger Bedeutung haben, heutzutage im
Gefängnis oder im Exil sitzen. Indem die Regierung versucht, die
Führer des Volkes zu zerstören, zerstört sie sich letztlich selbst.
Nehmen Sie nur den in weiten Landesteilen erfolgreichen Käuferboykott.
Seit die meisten Bürgerrechtskämpfer verschwunden sind, haben die
Geschäftsleute keine Gesprächspartner mehr, mit denen sie über
Lösungen verhandeln könnten. |
SPIEGEL:
Die Geschäftswelt hat seit neuestem erkannt, dass viel Schwarze den
Kampf gegen die Apartheid auch als einen Kampf gegen den Kapitalismus
betrachten. Deswegen wandeln sich führende Industrievertreter zu
Reformpredigern; einige von ihnen fuhren sogar zu Gesprächen mit dem
ANC nach Sambia. Lässt sich die schwarze Meinung von solchen Aktionen
noch beeinflussen? |
TUTU:
Wenn wir sehen, dass die Kapitalisten einen ernsthaften Beitrag zur
Lösung unserer Probleme leisten, dann könnte das durchaus die schwarze
Opposition gegen den Kapitalismus besänftigen. |
SPIEGEL:
Kommt die Einsicht von Teilen der Geschäftswelt nicht zu spät? |
TUTU:
Ich bewahre mir meine tiefe Abneigung gegen den Kapitalismus. Meine
Erfahrung mit dem Kapitalismus hat mich gelehrt, dass er roh und
unmenschlich ist. Er verlangt Wettbewerbsdenken und fördert einige der
schlimmsten menschlichen Eigenschaften. Ich sähe viel lieber eine
Gesellschaft, die fürsorglicher, mitleidiger wäre, mehr zum Teilen
denn zum Raffen bereit. Im Grunde bin ich ein Sozialist. |
SPIEGEL:
Welchen Sozialismus meinen Sie denn? Können Sie einen real
existierenden Sozialismus als Beispiel nennen? |
TUTU
(lacht): Nein, ich bin ein Utopist, und das möchte ich auch bleiben.
Ich hoffe, dass ich auch ein Visionär bin und ein Idealist. |
SPIEGEL:
Bischof Tutu, können Sie sich an eine Begebenheit aus Ihrer Kindheit
erinnern, die Ihnen die Diskriminierung erstmals bewusst machte? |
TUTU:
Das war im Städtchen Ventersdorp auf dem platten Land, wo ich aufwuchs
und an das ich viele glückliche Erinnerungen habe. In der Grundschule
lernten wir Geschichte, und merkwürdigerweise wurden die Schwarzen im
Krieg gegen die Kolonialisten immerzu als Viehdiebe bezeichnet, während
die Weißen die Rinderherden erbeuteten. |
SPIEGEL:
Und wann wurden Sie ein entschlossener Apartheidgegner? |
TUTU:
Das kam mit meiner Ernennung zum Kirchenvorsteher in Johannesburg. Im
Mai 1976 schrieb ich an den damaligen Premierminister Johannes Vorster
und warnte ihn vor der Wut, die unter den Schwarzen wuchs. Vorster zog
es vor, meinen Brief zu ignorieren [zum
Text des Briefes von 1976]. Einen Monat später kam es zu
blutigen Aufständen, wurden viele hundert Menschen getötet. Diese
Ereignisse wirken bis heute nach. Ich bin überzeugter denn je, dass
Apartheid ein schlimmer Irrweg ist. |
SPIEGEL:
Als prominenter Regimegegner leiden Sie weniger unter der Apartheid als
viele Namenlose. |
TUTU:
Ich darf nicht wählen. |
SPIEGEL:
Wohnen dürfen Sie auch nicht, wo Sie wollen. So liegt Ihre offizielle
Bischofsresidenz in einem vornehmen weißen Wohngebiet von
Johannesburg... |
TUTU:
Ich verstoße gegen das Gesetz, wenn ich dort wohne. |
SPIEGEL:
Sie können das riskieren, weil man sich an Sie nicht herantraut. Oder
verbringen Sie mehr Zeit in Ihrem Privathaus in Soweto? |
TUTU:
Wir verbringen ungefähr gleichviel Zeit in den beiden Häusern. Und
gemäß den geltenden Apartheidgesetzen muss ich immer das verhasste
Passbuch bei mir tragen, obwohl ich für mich entschieden habe, dass ich
mich in diesem Punkt verweigere. Ich muss in meinem eigenen Land eine
Erlaubnis einholen, wenn ich umziehen will. Wenn ich nach Soweto fahre,
muss ich den Spießrutenlauf durch die Straßensperren über mich
ergehen lassen. Viele Weiße behandeln mich in erster Linie als
Schwarzen und nicht als menschliches Wesen. |
SPIEGEL:
Hat sich Ihre Einstellung gegenüber den Weißen im Lauf der Jahre
geändert? |
TUTU:
Ich mache mir heute mehr Sorgen um sie als jemals zuvor. Das glauben mir
die Weißen vielleicht oft nicht. |
SPIEGEL:
Als Bischof von Johannesburg sind Sie sowohl für schwarze als auch für
weiße Christen in Ihrer anglikanischen Kirche zuständig. Doch viele
Ihrer weißen Gemeindemitglieder lehnen Sie ab, weil sie keinen
Revolutionär zum Hirten haben wollen. Einige haben die Gemeinde
verlassen. Werden Sie missverstanden? |
TUTU:
Das scheint leider der Fall zu sein. Meine Fürsorge gilt ganz
Südafrika. Ich bin für ein Land, in dem Schwarze und Weiße friedlich
nebeneinander leben. Übrigens haben nur einige wenige Weiße die
Gemeinde verlassen – viel weniger, als wir befürchtet hatten. |
SPIEGEL:
Wie viele von den 4,8 Mio. Weißen in Südafrika wären wohl bereit, in
einem Land, wie es Ihnen vorschwebt, mit schwarzer Mehrheitsherrschaft
zu leben? |
TUTU:
So wie die Dinge im Moment stehen, blieben wohl nicht sehr viele. Aber
das hätte man ja auch von den weißen Rhodesiern gedacht. |
SPIEGEL:
Immerhin verließ zunächst mehr als die Hälfte aller weißen Rhodesier
das Land. |
TUTU:
Die meisten Weißen, die heute in Simbabwe leben, fragen sich
inzwischen, warum sie für Ian Smith gekämpft haben. Und viele
Ex-Rhodesier, die zunächst weggegangen waren, kehren in letzter Zeit
wieder zurück. Diese Leute entdecken jetzt, dass sich so furchtbar viel
gar nicht geändert hat – außer dass ihnen nicht mehr die Gefahr
droht, aus dem Land gejagt zu werden. |
SPIEGEL:
Aber diese Gefahr droht Südafrikas Weißen, wenn sie nicht bald die
Apartheid abschaffen? |
TUTU:
Ich fürchte ja, aber Südafrika ist in vielerlei Hinsicht auch ganz
anders als Simbabwe. Es gibt verhältnismäßig wenige Weiße, die zum
Beispiel nach England auswandern wollen. |
SPIEGEL:
Außerdem haben ungefähr zweieinhalb Millionen weiße Afrikaaner kein
Mutterland, in das sie zurückgehen könnten. |
TUTU:
Genau. Wenn diese Buren in anderen Ländern anklopfen würden, dann
hätte man dort vermutlich allergrößte Bedenken gegen solche
Einwanderer, die gleich ihren Rassismus mitbrächten. |
SPIEGEL:
Kurz nachdem Sie vor knapp einem Jahr den Friedensnobelpreis bekommen
hatten, verlangten Sie von der südafrikanischen Regierung einen
Zeitplan. Sie sagten damals, in höchstens zwei Jahren solle die
Apartheid abgeschafft sein. Nun ist die Hälfte der Frist um. Macht
Ihnen die Entwicklung Hoffnung? |
TUTU:
Nein. Ich stimme mittlerweile mit der unlängst vom Commonwealth
gesetzten Frist überein, das heißt, die Regierung hat bis höchstens
Mitte nächsten Jahres Zeit. Danach werde ich mich weltweit für
Strafsanktionen einsetzen. |
SPIEGEL:
Das Commonwealth sieht solche Sanktionen als freiwillig an, es gibt
keine automatische Bestrafung, wenn die Frist verstrichen ist. |
TUTU:
Das stimmt leider. Ich werde Zwangssanktionen fordern, denn die Lunte
brennt täglich weiter ab. Es bleibst nicht mehr viel Zeit, und die Lage
ist verzweifelt ernst. Der Regierung wiederum fallen nur Worte und
Formeln ein, die – wenn man sie genauer untersucht – beweisen, dass
Pretoria von einer auf Hochglanz polierten Apartheid spricht. |
SPIEGEL:
Welche Rolle können Sie persönlich und die Kirche allgemein spielen,
um Südafrikas anscheinend unaufhaltsamen Rutsch in die Katastrophe noch
zu stoppen? |
TUTU:
Wir Kirchenvertreter sind die Wegbereiter für eine Versöhnung von
Schwarzen und Weißen. Wir müssen für die Stimmenlosen sprechen, wir
müssen für Gerechtigkeit eintreten, denn das ist die Voraussetzung
für Frieden. Und wir hoffen, dass wir dann da sind, wenn die Scherben
aufgesammelt werden und das zerfetzte Land wieder zusammengefügt wird. |
SPIEGEL:
Sie glauben, dass Südafrika in Fetzen fliegen wird? |
TUTU:
Unser Land brennt. Es blutet zu Tode, und ich fürchte, dass wir an der
Schwelle zu einer furchtbaren Katastrophe stehen, wenn die Apartheid
nicht sofort abgeschafft wird. Das kann aber nur mit Hilfe der
internationalen Gemeinschaft geschehen. |
SPIEGEL:
Von westlichen Politikern und Industrieführern verlangen Sie, auf den
Rücktritt von Präsident Botha zu drängen. Den internationalen
Bankiers, die gegenwärtig über Südafrikas Zahlungsunfähigkeit
verhandeln, haben Sie geraten, hart zu bleiben, solange Botha an der
Macht sei. |
TUTU:
Ja, ich habe darauf hingewiesen, dass auf diese nichtgewaltsame Art und
Weise Druck ausgeübt werden kann. |
SPIEGEL:
Sie glauben nicht mehr, dass Bothas schrittweise vorgenommene Reformen
einen friedlichen Wandel im Apartheidstaat herbeiführen können? |
TUTU:
Die einzige Sprache außer Gewalt, die diese Regierung und die Weißen
verstehen, ist Druck von außen. Die führenden Geschäftsleute sind
erst nach Sambia zum ANC gegangen, als die Währung des Landes
zusammenbrach. Die internationalen Bankiers haben jetzt die Gelegenheit,
ihre Hilfe an strenge Bedingungen für die Regierung zu knüpfen. |
SPIEGEL:
Welche? |
TUTU:
Wir stecken aus politischen Gründen in einer Wirtschaftskrise. Also
gebe ich den Bankiers den guten Rat: Wenn ihr Stabilität und Sicherheit
für eure Investitionen wollt, dann muss die Apartheid weg. |
SPIEGEL:
Tatsächlich sind die Umschuldungsverhandlungen – wegen der unsicheren
politischen Lage – noch keinen Schritt weitergekommen. Muss erst Botha
gehen, bevor sich etwas bewegt? |
TUTU:
Wenn er die Apartheid abschafft, kann er bleiben. |
SPIEGEL:
Wie lange kann die Minderheitsregierung noch überleben? |
TUTU:
So lange wie Kohl, Thatcher und Reagan sie schützen. |