symbolische Politik

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Die folgenden beiden Texten versuchen in einem ersten Zugriff, die für die Parteienkritik im Zusammenhang mit Medien zentralen Begriffe "symbolische Politik" und "Mediengesellschaft" zu beleuchten.

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Was versteht man unter "symbolischer Politik"?

Demokratische Herrschaft in einer parteienstaatlich geprägten Wettbewerbsdemokratie (...) ist durch periodisch wiederkehrende Wahlen zeitlich begrenzt. Da demokratische Politik an sich begründungs- und zustimmungspflichtig ist, müssen sich Politik, politische Entscheidungsträger und deren Handeln permanent vor der politischen Öffentlichkeit rechtfertigen, diese über politische Planungen und Entscheidungen informieren und Aufmerksamkeit erzeugen. Wahlkämpfe sind in diesem Prozess Stoßzeiten der von den politischen Akteuren ausgehenden Suche nach »Legitimation durch Kommunikation«. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass politische Kommunikation permanent stattfindet und auf Dauer angelegt ist — nicht zuletzt deswegen, weil politisches Handeln selbst auch kommunikatives Handeln ist.

Grundlegend für das Verständnis von politischer Kommunikation ist das auf Murray Edelman zurückgehende Konzept der »symbolischen Politik«. Edelmans Ansatz geht von einer Doppelung der politischen Realität aus. Darunter versteht er, dass alle politischen Handlungen und Ereignisse gekennzeichnet sind durch die Trennung in eine instrumentelle Dimension bzw. einen Nennwert — die tatsächlichen Effekte der politischen Handlung — und eine expressive Dimension bzw. einen dramaturgischen Symbolwert — die Darstellung der Handlung für die Öffentlichkeit. Die nach Edelman aus Sicht der politischen Akteure rollenbedingte und unbewusste Inszenierung einer politischen Scheinwelt für den Bürger durch politische Symbole sowie deren mystifizierende Ritualisierung für und durch die Massenmedien überlagern zunehmend den Nennwert der politischen Handlungen.

Daran anknüpfend unterscheidet auch Ulrich Sarcinelli zwischen den Dimensionen der Herstellung (Erzeugung) und der Darstellung (Vermittlung) von Politik, zwischen politischem Nenn- und Symbolwert. Materielle (herstellende) Politik verliert nach Sarcinelli im Medien- und vor allem im Fernsehzeitalter zunehmend den Bezug zum entscheidenden Gestalten. Im Gegensatz dazu wird die »Mediatisierung« von Politik, d. h. die massenmediale und vor allem fernsehgerechte Darstellung und »Verpackung« von Politik, zur Aufrechterhaltung und Vortäuschung politischer Steuerungsfähigkeit immer wichtiger. Sprachliche Symbole (Schlagwörter wie »Euro«, »Steuerreform« etc.) und nichtsprachliche Symbole (Hymnen, Fahnen, das Händeschütteln bei Staatsempfängen etc.) erzeugen Aufmerksamkeit. Sie reduzieren zudem politische Problemkomplexität, vermitteln eine bestimmte Weltsicht und wecken beim Publikum Emotionen.

Politische Symbole dienen jedoch nicht nur der Vermittlung bzw. Darstellung politischer Realitäten. Im Wettbewerb der Parteien und Politiker um Medienaufmerksamkeit können und werden politische Symbole auch zur Vortäuschung einer politischen Scheinrealität instrumentalisiert (werden). Für eben diesen konkreten Einsatz von politischen Symbolen im Politikvermittlungsprozess steht der Begriff »symbolische Politik«. Die mitunter unpräzise und meist abfällige Verwendung dieses Begriffes im Alltagsgebrauch verdeutlicht die weitverbreitete Kritik an der Symbolhaftigkeit der Politik. Sie übersieht jedoch, dass es Politik »pur«, also eine politische Wirklichkeit zum »Nennwert« ohne Dramaturgie und ohne symbolischen Zusatz, nicht geben kann. Seitdem politisch gehandelt wird, ist symbolische Politik immer ein unausweichlicher Bestandteil politischer Realität gewesen. Sie stellt ein Forum für politische Entscheidungsträger dar, sich zu präsentieren, Problemlösungskompetenz unter Beweis zu stellen und politische Grundorientierungen, Werte und Normen zu vermitteln. Da nun aber für die große Mehrheit der Bevölkerung Politik in ihrer ganzen Komplexität nicht direkt erfahrbar ist, wird, von der Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt, die mediengerechte Darstellung von Politik in Form von Ritualen, Stereotypen, Symbolen und geläufigen Denkschemata zur allgemein akzeptierten Vorstellung von »politischer Wirklichkeit«: Während die Inszenierung von Politik für das Publikum zur politischen Realität wird, bleibt das politische Handeln »hinter der Medienbühne« aber weitestgehend im Dunkeln.

[aus: Jens Tenscher: Politik für das Fernsehen – Politik im Fernsehen. Theorien, Trends, Perspektiven; in: Ulrich Sarcinelli (Hg.), Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft, Bonn BpB 1998]

Was bedeutet "Mediengesellschaft"?

Es versteht sich fast von selbst, dass sich Medien, Mediensystem und Öffentlichkeit in offenen, demokratischen Gesellschaften anhaltend im Wandlungsprozess befinden. Sie sind damit für den Beobachter sowohl Indikatoren als auch relevante Faktoren zur Beschreibung und Analyse des sozialen Wandels. In vielen politikwissenschaftlichen oder soziologischen Betrachtungen fanden die Medien und das Mediensystem bislang allerdings nur wenig Aufmerksamkeit. Erst in letzter Zeit vollzieht sich ein rascher und grundlegender Wandel — sowohl in der sozialen Realität wie auch bei den Beobachtern. Das mag der Grund sein, weshalb in zahllosen sozialwissenschaftlichen Reflexionen Schlagworte wie »Informationsgesellschaft« oder »Mediengesellschaft« zur Charakterisierung des derzeitigen Entwicklungsstandes verwendet werden. Mit den Begriffen wird generell angezeigt, dass Herstellung, Verbreitung und Rezeption von Informationen in der modernen Gesellschaft ökonomisch, kulturell und politisch an Bedeutung gewinnen. Und mehr noch: Das Mediensystem wird zur zentralen Infrastruktur der modernen Gesellschaft. Von »Mediengesellschaft« kann gesprochen werden, weil

- die publizistischen Medien sich quantitativ und qualitativ immer mehr ausbreiten,

- die Vermittlungsleistung von Informationen durch die Medien sich enorm beschleunigt hat,

- sich neue Medientypen herausgebildet haben,

- Medien immer engmaschiger die gesamte Gesellschaft durchdringen,

- Medien aufgrund ihrer hohen Beachtungs- und Nutzungswerte gesamtgesellschaftliche Aufmerksamkeit erlangt haben und Anerkennung beanspruchen,

- und sich letztlich zu Institutionen entwickeln.

Medien werden zugleich mehr und mehr zur Voraussetzung für die Informations- und Kommunikationspraxis anderer Akteure. Pointiert formuliert: Ohne publizistische Medien gibt es keine Kommunikation zwischen gesellschaftlichen Organisationen wie zwischen Organisationen und dem allgemeinen Publikum. Folglich ist die politische Öffentlichkeit in modernen Demokratien hinsichtlich ihrer Struktur, der Inhalte und der Prozesse weitgehend medial beeinflusst. Im Hinblick auf die politische Sacharbeit und ihre Darstellung ergeben sich für alle Akteure, die auf die Entstehung allgemeinverbindlicher Entscheidungen einwirken, neue Anforderungen.

[aus: Otfried Jarren: Medien, Mediensystem und politische Öffentlichkeit im Wandel; in: Ulrich Sarcinelli (Hg.), Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft, Bonn BpB 1998]

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