Nobelpreis

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Vorbilder

Dr. Martin Luther King Jr.

Rede bei der Verleihung des Friedensnobelpreises

[10. Dezember 1964, Oslo, Norwegen]

[Die Rede im englischen Original finden Sie auf der Seite Nobel Prize]

Ihre Majestät, Ihre königliche Hoheit, Herr Präsident, Exzellenzen, meine Damen und Herren: Ich nehme den Friedensnobelpreis an zu einem Zeitpunkt, an dem 22 Millionen Neger der Vereinigten Staaten einen kreativen Kampf führen, um die lange Nacht der rassischen Ungerechtigkeit zu beenden. Ich nehme diese Auszeichnung im Namen einer Bürgerrechtsbewegung an, die entschlossen und mit erhabener Geringschätzung von Risiko und Gefahr dahin drängt, ein Reich der Freiheit und die Herrschaft der Gerechtigkeit zu errichten.
Ich tue das eingedenk dessen, dass erst gestern in Birmingham, Alabama, unseren Kindern, die nach Brüderlichkeit riefen, mit Wasserwerfern, knurrenden Hunden und sogar dem Tod begegnet wurde. Eingedenk dessen, dass erst gestern in Philadelphia, Mississippi, junge Menschen, die sich ihr Wahlrecht sichern wollten, misshandelt und ermordet wurden. Eingedenk dessen, dass schwächende und nagende Armut meinem Volk zu schaffen macht und es an die unterste Sprosse der ökonomischen Leiter kettet.
Deshalb muss ich fragen, warum dieser Preis einer Bewegung verliehen wird, die belagert wird und sich dem unerbittlichen Kampf verschrieben hat, und einer Bewegung, die den Frieden und die Brüderlichkeit noch nicht erreicht hat, die das Wesen des Nobelpreises ausmachen. Nach reiflicher Überlegung komme ich zu dem Schluss, dass diese Auszeichnung, die ich im Namen dieser Bewegung entgegennehme, eine große Anerkennung der Tatsache ist, dass Gewaltlosigkeit die Antwort auf die zentralen politischen und moralischen Fragen unserer Zeit darstellt: die Notwendigkeit für die Menschheit, Unterdrückung und Gewalt zu überwinden, ohne auf Gewalt und Unterdrückung zurückzugreifen.
Zivilisation und Gewalt sind gegensätzliche Konzepte. Die Neger der Vereinigten Staaten haben in der Nachfolge der Menschen Indiens gezeigt, dass Gewaltlosigkeit nicht sterile Passivität bedeutet, sondern eine mächtige moralische Kraft darstellt, die soziale Veränderungen bewirkt. Früher oder später werden alle Menschen auf der Welt einen Weg finden müssen, in Frieden zusammenzuleben und dabei diese vorläufige kosmische Elegie in einen kreativen Psalm der Brüderlichkeit verwandeln. Wenn das erreicht werden soll, muss die Menschheit für alle menschlichen Konflikte eine Methode entwickeln, die Rache, Aggression und Vergeltung zurückweist. Das Fundament einer solchen Methode ist Liebe.
Die dornige Straße, die von Montgomery, Alabama, nach Oslo geführt hat, bezeugt diese Wahrheit, und es ist eine Straße, die Millionen Neger entlanggehen, um ein neues Verständnis von Würde zu finden. Dieselbe Straße hat allen Amerikanern eine neue Ära des Fortschritts und der Hoffnung eröffnet. Sie hat zu einem neuen Bürgerrechtsgesetz geführt, und sie wird, davon bin ich überzeugt, verbreitert und verlängert werden in eine riesige Autobahn der Gerechtigkeit, wenn eine zunehmende Anzahl Schwarzer und Weißer Bündnisse eingehen, um ihre gemeinsamen Probleme zu überwinden.
Ich nehme heute diese Auszeichnung an im dauernden Glauben an Amerika und im kühnen Glauben an die Zukunft der Menschheit. Ich weigere mich anzuerkennen, dass Verzweiflung die letzte Antwort auf die Wechselfälle der Geschichte darstellt.
Ich weigere mich, die Vorstellung anzuerkennen, dass das "Sein" der gegenwärtigen menschlichen Natur ihn in moralischer Hinsicht unfähig macht, nach dem ewigen "Sollen" zu streben, das ihm für immer gegenübersteht.
Ich weigere mich, die Vorstellung anzuerkennen, dass der Mensch bloßes Treibgut im Fluß des Lebens ist, unfähig, die sich entfaltenden Ereignisse zu beeinflussen, die ihn umgeben.
Ich weigere mich, die Ansicht anzuerkennen, dass die Menschheit derart auf tragische Weise mit der sternlosen Mitternacht des Rassismus und Krieges verstrickt ist, dass der helle Tagesanbruch des Friedens und der Brüderlichkeit niemals Wirklichkeit werden kann.
Ich weigere mich, die zynische Bemerkung anzuerkennen, dass Nation für Nation eine militaristische Treppe hinabsteigen muss bis zur Hölle der nuklearen Auslöschung.
Ich glaube daran, dass in Wirklichkeit unbewaffnete Wahrheit und bedingungslose Liebe das letzte Wort haben werden. Das ist der Grund, warum Recht, auch wenn es vorläufig besiegt wurde, stärker ist als das triumphierende Böse.
Ich glaube daran, dass es selbst mitten in den heutigen Granateneinschlägen und mitten im Pfeifen der Patronen Hoffnung gibt auf ein helleres Morgen.
Ich glaube daran, dass die verwundete Gerechtigkeit, die hingestreckt daliegt auf den blutüberströmten Straßen unserer Nation, aus diesem Staub der Schande emporgehoben werden kann, um die höchste Herrscherin unter den Menschen zu sein.
Ich besitze die Kühnheit, daran zu glauben, dass alle Menschen drei Mahlzeiten täglich für ihren Körper, Bildung und Kultur für ihren Geist und Würde, Gleichheit und Freiheit für ihre Seele haben können.
Ich glaube daran, dass das, was auf sich selbst fixierte Menschen niedergerissen haben, von Menschen aufgebaut werden kann, die nicht auf sich selbst fixiert sind.
Ich glaube immer noch daran, dass die Menschheit sich eines Tages vor dem Altar Gottes verneigen wird, um gekrönt zu werden für den Sieg über Krieg und Blutvergießen, und dass gewaltfrei befreiender guter Wille zum Recht des Landes erklärt wird. Und der Löwe und das Lamm werden nebeneinander liegen, und jeder Mensch wird in seinem Garten sitzen, und niemand wird sich fürchten.
Ich glaube immer noch daran, dass wir überwinden werden.
Dieser Glaube kann uns Mut geben, den Unsicherheiten der Zukunft ins Auge zu sehen. Er wird unseren erschöpften Füssen neue Kraft geben, wenn wir unseren Weg hin zur Stadt der Freiheit fortsetzen. Wenn unsere Tage trostlos werden mit niedrig hängenden Wolken und unsere Nächte dunkler werden als tausend Mitternächte, dann werden wir wissen, dass wir in den kreativen Unruhen einer eigenen Zivilisation leben, die darum kämpft, geboren zu werden.
Heute komme ich nach Oslo als ein Sachwalter, inspiriert und mit erneuerter Hingabe an die Menschlichkeit. Ich nehme diesen Preis an im Namen aller Menschen, die Frieden und Brüderlichkeit lieben. Ich sage, ich komme als Sachwalter, denn tief in meinem Herzen weiß ich, dass dieser Preis weit mehr ist als eine Ehre für mich persönlich. Jedesmal wenn ich fliege, tue ich das eingedenk der vielen Leute, die eine erfolgreiche Reise ermöglichen, eingedenk der bekannten Piloten und des unbekannten Bodenpersonals. Sie ehren die hingebungsvollen Piloten unseres Kampfes, die an den Schalthebeln gesessen sind, als die Freiheitsbewegung in den Orbit abhob. Sie ehren, einmal mehr, Häuptling Lutuli aus Südafrika, dessen Kämpfen mit und für sein Volk immer noch mit der brutalsten Ausdrucksform menschlicher Unmenschlichkeit gegenüber Menschen begegnet wird. Sie ehren das Bodenpersonal, ohne dessen Mühen und Opfer die Flüge zur Freiheit niemals den Boden hätten verlassen können. Die meisten dieser Menschen werden es nie in die Schlagzeilen schaffen, und ihre Namen werden nie im Who's Who auftauchen. Doch nach Jahren, wenn das helle Licht der Wahrheit auf dieses wundervolle Zeitalter gerichtet werden wird, in dem wir leben, werden Männer und Frauen wissen und Kindern wird man es lehren, dass wir ein besseres Land haben, bessere Menschen, eine edlere Zivilisation, weil diese demütigen Kinder Gottes gewillt waren, für die rechte Sache zu leiden.
Ich denke, Alfred Nobel würde wissen, was ich meine, wenn ich sage, dass ich diese Auszeichnung annehme im Geist eines Verwalters von einem wertvollen Erbstück, das er für die wahren Besitzer aufbewahrt: all diejenigen, denen die Wahrheit Schönheit bedeutet und die Schönheit Wahrheit und in deren Augen die Schönheit von echter Brüderlichkeit und Frieden wertvoller ist als Diamanten oder Silber oder Gold. Vielen Dank. [Applaus]

[Seitenanfang]

 

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