Montgomery

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Vorbilder

Der Busboykott von Montgomery (1955)

Der Beginn der Bürgerrechtsbewegung und des gewaltlosen Widerstands mit Martin Luther King

Am 1.12.1955 stieg die schwarze Näherin Mrs. Rosa Parks im Hauptgeschäftsviertel von Montgomery in den Cleveland-Avenue-Bus. Sie befand sich auf dem Heimweg von der Montgomery Fair, einem großen Warenhaus, in dem sie tagsüber arbeitete. Müde vom stundenlangen Umherlaufen und Herumstehen, setzte sie sich auf den ersten Sitz hinter den für die Weißen reservierten Plätzen. Kaum hatte sie sich hingesetzt, befahl ihr der Busfahrer, mit noch drei Schwarzen weiter nach hinten zu gehen, um weißen Fahrgästen Platz zu machen, die gerade einstiegen. Inzwischen waren alle Plätze im Bus besetzt. Das bedeutete, dass Mrs. Parks, wenn sie den Befehl des Fahrers befolgte, stehen musste, während ein weißer, männlicher Fahrgast sitzen konnte. Die anderen drei Schwarzen kamen sofort der Aufforderung des Fahrers nach. Aber Mrs. Parks blieb ruhig sitzen. Die Folge davon war, dass sie verhaftet wurde.
Diese Weigerung war der ganz persönliche Ausdruck einer ewigen Sehnsucht nach menschlicher Würde und Freiheit.
Einige Bekannte, die von der Verhaftung erfahren hatten (Mitglieder des politischen Frauenrates), kamen überein, dass die Busse von Montgomery von den Schwarzen boykottiert werden sollten: "...nur durch einen Boykott können wir es den Weißen klarmachen, dass wir uns eine solche Behandlung nicht mehr gefallen lassen."

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Die Nachricht von Mrs. Park‘s Verhaftung und dem geplanten Boykott ging wie ein Lauffeuer durch die Stadt. Ein Komitee bereitete eine Massenveranstaltung und ein Flugblatt vor: "Fahrt am Montag dem 5. Dez. nicht mit dem Bus zur Arbeit, in die Stadt, in die Schule oder sonst wohin! Wieder ist eine Schwarze verhaftet und ins Gefängnis geworfen worden, weil sie sich weigerte, ihren Platz herzugeben. Wenn Ihr zur Arbeit müsst, nehmt Euch ein Taxi, einer allein oder mehrere zusammen, oder geht zu Fuß!" Gleichzeitig sollte versucht werden, die achtzehn Taxigesellschaften, die von Schwarzen betrieben wurden, zu gewinnen und die Leute zum üblichen Buspreis von 10 Cent zu befördern, was auch gelang.
Der erste Erfolg war überwältigend. Statt der erhofften 60 % Boykottbeteiligung waren es fast 100 %. Die schlafenden, teilnahmslosen Schwarzen waren erwacht! In Taxis, Privatwagen, auf Maultieren, mit Einspännern oder zu Fuß (z.T. bis zu 12 Meilen weit!) waren sie zu ihren Arbeitsplätzen und wieder nach Hause gekommen.
Nun wurde beschlossen, eine besondere Organisation zu gründen, die sich um den Boykott kümmern sollte (Montgomery Improvement Associaton, MIA, — Bürgerausschuss zur Verbesserung der rassischen Beziehungen), deren Präsident Martin Luther King wurde.
Der Protest sollte solange weitergehen, bis folgende Forderungen erfüllt würden: 1. von den Busunternehmern wird höfliche Behandlung zugesichert, 2. die Fahrgäste dürfen sich in der Reihenfolge, wie sie kommen, setzen, 3. auch schwarze Busfahrer werden auf Linien, die vornehmlich von Negern benutzt werden, eingesetzt.

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Neben ihrer kämpferischen Haltung ("Wir sind es müde, ständig unterdrückt und brutal mit Füßen getreten zu werden") wendeten die Protestierenden (zunächst von ihren Führern propagiert) das Prinzip der Gewaltlosigkeit an ("Wir wollen überzeugen und nicht Zwang ausüben. Die Liebe muss unser Tun bestimmen").
Um die immer größer werdenden organisatorischen Probleme in den Griff zu bekommen, wurde ein Transport-Komitee, ein Finanz-Komitee, ein Programm- und Strategie-Komitee gegründet.
Am Anfang des Protestes war das wichtigste Problem die Transportfrage. Was hier an Arbeit und Findigkeit geleistet wurde, gehört zu den interessantesten Kapiteln der Montgomery-Story. In den ersten Tagen waren sie von Taxi-Gesellschaften, die Schwarzen gehörten, abhängig gewesen, die drei Leute für den Buspreis von 10 Cent befördert hatten. Als der Polizeikommissar eine Verordnung erließ, dass alle Taxigesellschaften verpflichtet seien, einen Mindestpreis von 45 Cent fordern, war jedoch der Dienst der Taxis zu Ende. So wurde ein freiwilliger Auto-Pool gegründet. Mehr als 150 Leute beteiligten sich mit ihren Wagen schon in den ersten Tagen und ihre Zahl schwoll in kurzer Zeit auf 300 an. Für diese Wagen musste ein genaues Fahrsystem ausgearbeitet werden. Tausende von Flugblättern wurden an die Protestierenden verteilt, auf denen die 48 Hinfahrt-Haltestellen und 42 Rückfahrt-Haltestellen aufgeführt waren. Schon nach wenigen Tagen hatte sich dieses System erstaunlich gut eingespielt. Aber die Schwarzen waren so vom Geist des Protestes durchdrungen, dass sie es manchmal sogar vorzogen, zu Fuß zu gehen. Das Laufen war für viele eine symbolische Handlung geworden. Die Zahl der Fahrer erhöhte sich noch aus einem unvorhergesehenen Anlass. Viele weiße Hausfrauen hatten, ganz gleich, wie sie zur Segregation standen, keine Lust, auf ihre Hausgehilfinnen zu verzichten. Und so holten sie diese jeden Tag in deren Wohnvierteln ab und brachten sie abends wieder heim.

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Mehr als 25 Leute wurden als Ganztags-Fahrer beschäftigt. Sie arbeiteten sechs Tage die Woche. An den meisten Haltestellen sorgten "Fahrdienstleiter" dafür, dass alles glatt ging und die Fahrgäste in den richtigen Wagen befördert wurden. Der Auto-Pool war aufs beste organisiert, kostete jedoch eine Menge Geld. Die Betriebskosten der MIA wuchsen auf 5000 Dollar im Monat an. Im Laufe der Zeit wurde die Arbeit der Büros der MIA so umfangreich und detailliert, dass 10 Leute dafür angestellt werden mussten. Das ganze wurde aus Spenden, die aus ganz Amerika und z.T. aus Übersee kamen, finanziert.
"Um eine Bewegung auf die Höhe zu bringen, muss man vor allem die Menschen, die zu ihr gehören, zusammenhalten. Dazu ist eine Idee nötig, für die sie sich begeistern und an der sie festhalten. Außerdem muss eine offene Tür zwischen Volk und Führern da sein. All das war in Montgomery vorhanden." Der gewaltlose Widerstand wurde die Methode, nach der die Bewegung arbeitete, die Liebe war die tragende Idee, die alles ordnete.
Laufend wurden große Menschenversammlungen in Kirchen abgehalten, die schon mehrere Stunden vor Beginn überfüllt waren. Abend für Abend wurden die Versammelten ermahnt, zu lieben statt zu hassen und sich darauf vorzubereiten, wenn nötig lieber Gewalt zu leiden als Gewalt zuzufügen. Von Anfang an reagierten die Leute mit erstaunlicher Begeisterung auf diese Gedanken. Die schwarze Bevölkerung von Montgomery war wirklich bereit, einen neuen Weg zur Überwindung der Krise in den Rassenbeziehungen zu suchen.
Obwohl der Protest sofort erfolgreich gewesen war, glaubten die Stadtväter und die Busgesellschaften, er würde nach ein paar Tagen zusammenbrechen. Als jedoch die Busse auch bei Regen leer blieben, zeigten sie sich geneigt zu verhandeln. Sämtliche Verhandlungen blieben jedoch ergebnislos. "Wenn wir den Schwarzen die Forderungen zugestehen", so ein Busunternehmer, "werden sie sich damit brüsten, dass sie einen Sieg über die Weißen errungen haben. Und das können wir uns nicht gefallen lassen." Die Stadtväter und Busunternehmer vertraten dabei immer die Ansicht, dass eine Aufhebung der Rassentrennung von den Gesetzen her nicht möglich sei.

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Durch einen Trick wollte die Stadtkommission dann den Boykott der Neger brechen. Sie gab in der Zeitung bekannt, dass eine Anzahl prominenter schwarzer Geistlicher eine Abmachung mit ihnen getroffen hätte. Doch die MIA reagierten schnell. Alle Pfarrer der Schwarzen der Stadt wurden angerufen und gebeten, am Sonntag in der Kirche zu verkünden, dass der Protest weitergehe. Durch eine Rundfahrt durch die Nachtclubs und -kneipen, in denen sich Schwarze trafen, wurden diese über die falschen Berichte informiert. Die Folge dieses schnellen Handeins war, dass die Busse auch am nächsten Tag leer blieben.
Da das Schwindelmanöver missglückt war, verloren die Stadtväter ihren guten Ruf. Sie waren nicht nur geschickt überlistet, sondern es war auch ihre Glaubwürdigkeit in Frage gestellt worden.
Die Stadtväter griffen nun zu einer Politik der harten Hand. Verhaftungen wurden für kleine oder fingierte Verkehrsverletzungen vorgenommen. Fahrer des Auto-Pools wurden überall in der Stadt angehalten, nach Führerschein, Versicherungskarte und Arbeitsplatz gefragt. Denen, die per Anhalter fahren wollten, wurde gesagt, dies sei gesetzlich verboten. So wurde der freiwillige Auto-Pool allmählich lahmgelegt. Ein Bombenanschlag auf das Haus von M.L. King brachte eine gespannte Lage hervor. Bei den Schwarzen war das Maß voll. Sie waren willens, Gewalt mit Gewalt zu beantworten.
Doch der Einfluss von Martin Luther King war inzwischen stark genug, um dieses zu verhindern. "Wenn ihr Waffen bei euch habt, nehmt sie wieder mit nach Hause. Wenn ihr keine habt, verschafft euch bitte auch keine! Wir können dieses Problem nicht durch Wiedervergeltung lösen. Wir müssen der Gewalt mit Gewaltlosigkeit begegnen!"
Als die Gegenseite merkte, dass sie mit Gewalttätigkeit nichts erreichte, ging sie zu Massenverhaftungen über. Ein altes Gesetz, das angeblich den Boykott verbot, wurde herangezogen. Ein Schwurgericht erklärte den Busboykott für rechtswidrig. Über hundert Schwarze wurden angeklagt. Die Schwarzen ließen sich jedoch nicht einschüchtern. Sie strömten zum Gefängnis, um sich verhaften zu lassen. Niemand schien Angst zu haben. Niemand hatte versucht, sich der Verhaftung zu entziehen. Ein einstmals von Angst geplagtes Volk war völlig verwandelt. Die früher vor dem Gesetz gezittert hatten, waren jetzt stolz, dass sie für die Sache der Freiheit verhaftet wurden. Auch Martin Luther King wurde verhaftet, angeklagt und wegen Verletzung des Anti-Boykottgesetzes des Staates Alabama zu 500 Dollar Strafe verurteilt.

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Doch auch dieser Versuch, den Protest aufzuhalten, schlug fehl. Statt die Bewegung zum Stillstand zu bringen, hatten die Methoden der Gegenseite ihr nur eine größere Schwungkraft gegeben.
Die MIA wurde nun aktiv, indem sie einen Antrag beim Bundes-Distriktgericht der Vereinigten Staaten einreichte, in dem die Aufhebung der Bus-Segregation gefordert wurde. Am 4. Juni 1956 entschieden die Richter, dass die Bus-Segregationsgesetze von Alabama verfassungswidrig seien. Die Anwälte von Montgomery legten jedoch Berufung beim Obersten Bundesgericht ein. Die Schlacht war noch nicht gewonnen.
Inzwischen wurde immer wieder versucht, den Auto-Pool zu blockieren. Versicherungsagenten weigerten sich, die Autos zu versichern, da angeblich das Risiko zu groß sei. Ein Versicherungsabschluss mit "Lloyds" in London löste schließlich das Problem.
Nun sollte jedoch der Auto-Pool selbst gesetzlich untersagt werden, da dieser ein öffentliches Ärgernis und ein Privatunternehmen, das unbefugterweise und ohne Konzession arbeite, sei.
In dieser schwierigen Situation kam die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, dass die Segregation in den Bussen verfassungswidrig sei. Mehr als 12 Monate hatten die Neger einen gewaltlosen Protest durchgehalten, ehe sie einen Sieg errangen.

[entnommen aus: Günther Gugel, Wir werden nicht weichen. Erfahrungen mit Gewaltfreiheit. Eine praxisorientierte Einführung, Verein für Friedenspädagogik e.V., Tübingen 1996, 62ff.]

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