Davos 1998

Nach oben Davos 1998 1984 1985

 

Vorbilder

Interview mit Bischof Desmond Tutu beim Weltwirtschaftsforum in Davos (1998)

Im Grunde bin ich hierher eingeladen worden, um ein wenig über Südafrika, vor allem in bezug auf die Wahrheits- und Versöhnungskommission, deren Vorsitzender ich bin, zu erzählen.

Nehmen Sie nur als kleines Beispiel die Aussage, dass der Markt etwas mit Angebot und Nachfrage zu tun hat. Aber viele westliche Länder betreiben Überproduktion – Überproduktion bei landwirtschaftlichen Gütern – und weil sie sagen, dass dies den Preis drücken wird, werfen sie Nahrung weg. Wenn aber gleichzeitig Millionen von Menschen hungern, dann muss etwas grundlegend falsch sein. Es kann ethisch nicht richtig sein zu sagen: Wir wollen unsere Preise auf Kosten von Menschen stabilisieren und wir werden, wie ich glaube, immer irgendwohin zurückkommen, weil dies ein moralisches Universum ist.

[Seitenanfang]

Dies soll nicht eine pauschale Verurteilung der Menschen sein. Menschen werden reich, andere werden arm. Und wieder muss ich sagen, dass irgendetwas grundlegend falsch läuft, wenn jemand durch Spekulation Millionen macht. Keine Arbeit wurde geleistet. Keine Güter wurden ausgetauscht. Es ist einfach Geld, das aus der Luft, dem Äther, zu kommen scheint, und genauso schnell kollabieren diese Banken, bei denen Menschen Millionen von Papiergeld an der Börse gemacht haben, ohne den entsprechenden Zuwachs von irgendetwas Messbarem.

Als wir gegen die Apartheid ankämpften, suchten wir immer nach gewaltlosen Strategien und eine der effektivsten war die Forderung, nicht zu investieren, die Forderung von Sanktionen, und ich war einer der Befürworter dieser Forderungen. Zuhause und in anderen Teilen der Welt wurde ich deswegen als Mister Sanctions verleumdet. Jetzt, wo wir unser Ziel erreicht haben, nämlich die Zerstörung der Apartheid und die Schaffung einer normalen Gesellschaft in unserem Land, brauchen wir Investitionen. Unsere Wirtschaft muss wachsen, weil wir mit einem entsetzlichen Erbe nach der Apartheid konfrontiert sind. Nun reise ich also in der Welt herum und sage: Wir haben Euch gebeten, uns durch Nicht-Investieren und Sanktionen zu helfen. Durch Eure Hilfe hatten wir Erfolg. Vielen Dank für diese Hilfe. Helft uns nun, der glänzende Erfolg zu werden, der wir werden sollten. Investiert — und nun würde ich vielleicht lieber in Mister Investment umbenannt werden.

(lacht) Dies zeigt nur, dass nicht viel dahintersteckt in dieser edelmütigen Rede einiger dieser Vertreter des freien Marktes. Denn alles in allem wollen doch viele davon leben, Menschen ausbeuten. Sie wollen in diejenigen Teile der Welt gehen, wo Menschen zu wirklich beleidigenden Löhnen entgolten werden. Damit sagen sie, dass es Menschen gibt, die weniger brauchen als andere. Aber wir wollen akzeptiert werden, wie wir sind. Wir haben in Südafrika nicht nur für politische Freiheit gekämpft. Wir haben gekämpft für eine Verteilung mit höheren moralischen Werten. Diese Verteilung sagte, dass Menschen tatsächlich wichtiger sind als Dinge, als Profite. Und wir hoffen, dass wir die Vorstellungen in Wahrheit edelmütigerer Menschen verfolgen – dass Profite aus ehrlichen Transaktionen "besser" sind.

[Seitenanfang]

Das Resultat einer Situation, in der Menschenrechte respektiert werden, so wie wir es in Südafrika versuchen, ist größere Stabilität. Aber in einer Situation, in der Menschen immer noch wie Dreck behandelt werden, ist diese scheinbare Stabilität nur illusorisch. Denn eines Tages werden diese Menschen an einem Aufstand beteiligt sein. Es ist dieses Dilemma, das man in sich trägt, ja, fast eine Art Schizophrenie. Da ist dieser eine Teil von dir, der das eine tun will, und ein anderer Teil, der etwas tun will, weil es angeblich pragmatisch ist. Glücklicherweise gibt es in Südafrika Personen, welche die Regierung ständig daran erinnern, dass "die Welt den Kampf unterstützt hat, weil ihr die moralisch Überlegenen ward." Und Mandela, Du wirst in der Welt als Ikone, als Ikone der Güte und des Großmutes hochgehalten. Menschen sehen Dich nicht als Politiker an, sondern als jemanden, der für Moral und ethische Werte eingetreten ist. Zerstöre bitte dieses moralische Kapital nicht. Es gibt Menschen in unserem Land, wenn man zum Beispiel auf den Verkauf von Waffen an verschiedene Länder anschaut, Menschen, die ihre Stimme erheben, wenn sie denken, dass die Regierung Maßstäbe ignoriert, die sie zu hüten vorgibt. Dass es überhaupt Menschen gibt, die ihre Stimmen erheben. Alle sind wir uns im klaren, dass es Ambivalenzen gibt – dass das Leben viel komplexer ist und man nicht nur einfache Antworten liefern kann.

Ich denke, wir sollten nicht zu pessimistisch sein und aufgeben. Ich halte daran fest, dass dies ein moralisches Universum ist, in dem Güte, wie schon seit jeher, von Bedeutung ist. Wahrheit ist von Belang. Korruption ist von Belang. Ich meine, sie und wir haben gesehen, warum einige der Finanzinstitutionen in Thailand und Indonesien zugrundegegangen sind. Im Grunde deswegen, weil sie ethische Regeln missachtet haben. Ich habe meinerseits keine Bedenken oder Ängste, dass wir plötzlich eine unmoralische Gesellschaft, ja Weltgesellschaft, wegen der Globalisierung werden. Kein Unternehmensführer wird Ihnen sagen, dass er bereit ist, Menschenrechtsverletzungen zu unterstützen. Warum? Nun, weil er besorgt ist, dass dies von den Menschen missbilligt würde.

Und meiner Ansicht nach spürt jeder eine Art Nostalgie in sich für etwas, das uns nahegebracht wurde, dass wir für etwas anderes geschaffen sind, dass wir wirklich Kreaturen des Transzendentalen sind. Güte, Liebe, Mitgefühl, Sanftheit sind nicht nur Dinge für Weichlinge. Sie sind Dinge, nach denen die Welt sich letztlich sehnt. Und deswegen können junge Leute als Friedenstruppe agieren. Junge Menschen, die es eigentlich nicht müssten: Arbeiten an sonderbaren Orten, weil sie an die Güte glauben. Weil sie glauben, dass es möglich ist, die Welt von Geißeln wie Armut und Krieg zu befreien. Sie träumen Träume. Es wäre eine furchtbare Welt, in der Träume keine Bedeutung mehr hätten. Wo Beethoven nicht mehr von Belang wäre, würde man sich nur darum sorgen, wie viel man dafür bekommen würde.

[Seitenanfang]

Wir würden entsetzlich verarmen, wenn es keine Maßstäbe, keine Regeln gäbe. Wenn das Recht des Dschungels, fressen oder gefressen werden, das Überleben der Stärksten, gelten würde. Dies ist nicht die Art Welt, die sich die meisten von uns vorstellen. Deshalb werden Menschen zur Rechenschaft gezogen. Das habe ich damit gemeint, als ich sagte, dass ich keine grundlegende Angst habe: Letztlich weiß ich, wird Güte die Oberhand gewinnen. Das haben wir uns gesagt, als wir gegen die Apartheid gekämpft haben. Dass, ja, die Apartheidregierung die ganze Macht zu haben schien – das Militär, die Sicherheitskräfte – und wir nicht viel mehr hatten als die Macht, die Welt um Hilfe zu bitten. Aber sogar damals, als die schreckliche Unterdrückung durch die Apartheid auf ihrem Höhepunkt war, sagten wir uns, dass wir gewinnen würden. Wir würden gewinnen, weil Güte stärker ist als ihr Gegenteil. Und deswegen muss die gesamte Welt um ihrer selbst willen auf der Seite der Güte gesehen werden. Auf der Seite von Werten, nach denen die meisten von uns streben.

Letztlich werden auch, zum Beispiel, die Ölfirmen erkennen, dass es weit besser ist, auf der Seite der Menschen zu sein, auf der Seite der Gerechtigkeit, der Freiheit, und nicht mehr vor den Mächtigen kriechen. Vor den Mächtigen, die nur einen Moment lang mächtig sind, und dann zu Strandgut der Geschichte werden.

[Seitenanfang]

 

horizontal rule

News    II    Produkte    II    Unterrichtsmaterial

Themen: Web 2.0  I  Menschenrechte  I  Vorbilder  I  Update: Demokratie  I  Parteien  I  Europa  I  Globalisierung  I  Vereinte Nationen  I  Nachhaltigkeit

Methoden:    Politikdidaktik    II    Friedenspädagogik    II    Methoden
 

     


Dieses Onlineangebot zur politischen Bildung wurde von agora-wissen entwickelt, der Stuttgarter Gesellschaft für Wissensvermittlung über neue Medien und politische Bildung (GbR). Bei Fragen oder Anmerkungen wenden Sie sich bitte an uns. Trägerorganisation des Bildungsprogramms D@dalos ist der Verein Pharos Stuttgart/Sarajevo.