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Parteien

USA

In den Vereinigten Staaten von Amerika wurden die Parteien geboren. Der folgende Text zeichnet die Entstehung und Entwicklung der US-amerikanischen Parteien nach und benennt wesentliche Besonderheiten, insbesondere was die Funktionen im politischen System betrifft (Stichwort: Patronageparteien). Dieser Thematik der Funktionen ist auch ein weiterer Abschnitt gewidmet [...zum Text "Funktionen der Parteien in den USA"].

Entwicklung der Parteien in den USA

Wie manche Eigentümlichkeiten im politischen oder Rechtsbereich der USA haben auch Besonderheiten des amerikanischen Parteiwesens Europäer stets aufs neue verblüfft: Die großen nationalen Parteien der Demokraten und Republikaner präsentieren sich heute als Patronageparteien ebenso wie als locker organisierte Verflechtungen wirtschaftlicher, sozialer und ethnischer Interessenverbände sowie als Wahlkartelle untereinander grundverschiedener lokaler und regionaler Parteiinstanzen mit mancherlei personalpolitischen und wenigen programmatischen Gemeinsamkeiten. Diese Besonderheiten dürfen freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Geschichte des modernen Parteiwesens insgesamt in der Frühphase der amerikanischen Republik ihren Ausgang genommen hat.

[George Washington]

Man könnte es als Ironie der Geschichte bezeichnen, dass ausgerechnet in den USA die Geburtsstunde der modernen Partei(en) schlug. Denn die Schöpfer der amerikanischen Verfassung wollten von Parteien aus Furcht vor Spaltungstendenzen im neu gegründeten Gemeinwesen nichts wissen. George Washington, erster Präsident des Landes, warnte noch 1796 in seiner Abschiedsbotschaft an die amerikanische Nation vor den Gefahren durch Parteiungen und Fraktionen. Aber auch die Gründungsväter konnten jenes "eherne Gesetz der Geschichte" nicht außer Kraft setzen, welches besagt, dass überall dort, wo sich im Gefolge der amerikanischen und französischen Revolution Großflächenstaaten und Massengesellschaften demokratisierten, politische Parteien eine wichtige Rolle zu spielen begannen. Dies galt in besonderem Maße dort, wo checks and balances den Herrschaftsprozess strukturierten. Brauchte doch das komplizierte Räderwerk der Regierungsmaschinerie "Transmissionsriemen", um die geforderten politischen Leistungen zu erbringen (...).

Schon um das Jahr 1800 herum ließen sich in den USA moderne Parteien wenigstens umrisshaft erkennen: Auf Dauer angelegte Organisationen, die gesamtpolitische Positionen vertreten, sich einen zuverlässigen Wählerstamm schaffen, Kommunikationskanäle und anerkannte Führungsgremien auf nationaler, einzelstaatlicher und kommunaler Ebene hervorbringen und Öffentlichkeitsarbeit über parteiorientierte Medien betreiben. Schon früh im 19. Jahrhundert nahm das US-Parteiwesen seine eigentümlichen Züge an, formten sich Patronageparteien und entstand ein Zweiparteiensystem, das sich bis heute erhalten hat.

Die amerikanischen Parteien kümmerten sich von Anfang an vor allem um die Vergabe und Besetzung politischer Ämter auf allen Ebenen des Staates und entwickelten dabei einen unbekümmert zupackenden Machtdrang und ganz praktische Verhaltensweisen. Für konfessionelle Weltanschauungsparteien nach europäischem Muster war ebensowenig wie für ideologisch-doktrinäre Gruppierungen Raum in einem Gemeinwesen, das zwischen Kirche und Staat strikt trennte und dem der politische und wirtschaftliche Liberalismus als selbstverständlich-naturgewolltes Prinzip des öffentlichen Lebens galt. Ebensowenig konnten sich auf die Dauer Klassenparteien in einem gesellschaftlichen Umfeld behaupten, das ständische Strukturen überwunden hatte, die Chance der Startgleichheit für jedermann postulierte und durch die "offene Grenze" im Westen Ausweichmöglichkeiten für den bot, der mit seinen Lebensbedingungen haderte.

Die Patronagepartei setzte sich unter der Präsidentschaft Andrew Jacksons (1829-1837) vollends durch. Der "Mann aus dem Volk" wollte mit dem Dogma der Volksherrschaft auch dadurch Ernst machen, dass die Bürger möglichst viele Beamte auf einzelstaatlicher und kommunaler Ebene in freier Wahl direkt bestellen sollten — Ortssheriffs, lokale Feuerwehrchefs ebenso wie Staatsanwälte, Richter, Schulverwaltungsbeamte oder politische Funktionsträger auf regionaler und einzelstaatlicher Ebene. Solche Wahlen bedurften der Organisation, die von Parteien übernommen wurde. Alle übrigen Amtsträger sollten aber vom Präsidenten der USA, den Gouverneuren und Bürgermeistern unter parteipolitischen Gesichtspunkten berufen werden.

Die Demokratisierungsideologie Jacksons legte die Richtung fest, in der die Parteien künftig marschierten. Sie verstanden sich jetzt als Bewegungen zur Versorgung aktiver Parteimitglieder mit öffentlichen Ämtern und staatlichen Aufträgen. Ihre innere Organisation entfernte sich dabei weit vom Pfade demokratischer Tugend. Professionelle "Unternehmer" "betrieben" mit einem sorgfältig ausgelesenen Funktionärskörper die Partei. Dieser gut funktionierende Apparat entschied über die Verteilung der Ämter und Aufträge, ließ sich dafür auch in Form von "Maklergebühren" oder sonstigen Leistungen bezahlen, manipulierte die Parteitage (conventions) und brachte bei Wahlen das notwendige "Stimmvieh", wie es damals genannt wurde, zu den Urnen. Damit waren die Unterschichten, insbesondere Neueinwanderer gemeint, denen man aus parteitaktischen Gründen soziale Fürsorge angedeihen ließ.

Erst um die Wende zum 20. Jahrhundert ist die traditionelle Patronagepartei verschwunden. Damals traten Reformgesetze in Kraft, welche (wenn auch mit wechselndem Erfolg) die Demokratisierung parteiinterner Personalentscheidungen erzwangen, die Offenlegung der Parteifinanzen geboten und im Civil Service ein berufsbeamtenähnliches Bürokratenkorps schufen, das dem parteipolitischen Zugriff weitgehend entzogen blieb. Der Wandel des "Nachtwächterstaates" zur modernen Wohlfahrts- und Daseinsvorsorgeanstalt im Zeichen des New Deal veranlasste die Parteien, sich im sozial- und wirtschaftspolitischen Bereich stärker als zuvor zu profilieren und Gruppeninteressen zu vertreten, wo die alte Patronagepartei vor allem individuelle Interessenförderung betrieben hatte.

So wie früher haben auch die heutigen Parteien ihren organisatorischen Schwerpunkt noch immer auf einzelstaatlicher und lokaler Ebene, also dort, wo nach wie vor die meisten öffentlichen (Amts- oder Mandats-)Positionen durch Wahlen vergeben werden. Aber sie verkörpern stärker als zuvor Verflechtungen unterschiedlicher sozialer Gruppen und unterscheiden sich dadurch voneinander. Seit den dreißiger Jahren gilt (wenngleich mit abnehmender Tendenz), dass die gewerkschaftlich organisierten Industriearbeiter des Nordostens und Mittleren Westens, dass Schwarze, Juden (und manche anderen ethnischen Minderheiten) mit den Demokraten verbunden sind, die Interessen von größeren und mittleren Unternehmen und Banken, die Bewohner der Vorstädte (suburbs) und viele Landwirte sich den Republikanern zugesellt haben. Eben dieser Koalitionscharakter der amerikanischen Parteien zwingt sie weiterhin zu Pragmatismus und Kompromissbereitschaft, lässt sie freilich auch weiterhin unfähig erscheinen, sich kontinuierlich in den Dienst einer einheitlichen Regierungspolitik zu stellen.

[Hartmut Wasser; aus: Informationen zur politischen Bildung 199, "Politisches System der USA", Bonn BpB 1997]

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