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Parteien

USA

Die folgenden Texte widmen sich zum einen dem Selbstverständnis der Parteien in den USA, versuchen zum zweiten, die zentralen Merkmale der US-Parteiensystems herauszuarbeiten, und beschäftigen sich zum dritten mit der inneren Organisation der Parteien in den USA [...zum Text zur inneren Organisation].

Merkmale und Entwicklung des Zweiparteiensystems

Neben dem eigentümlichen Charakter der amerikanischen Partei als ideologieferner Patronagepartei, später als gleichermaßen pragmatischer Rahmenorganisation für Koalitionen unterschiedlicher Interessen, hat das spezifische Parteiensystem die Kontinentaleuropäer verblüfft, weil sie in ihm nicht selten eine erstrebenswerte Alternative zur heimischen Parteienvielfalt sahen. Von Anfang an entwickelte sich nämlich in der "Neuen Welt" ein Zweiparteiensystem: Wo Herrschaftspositionen, Ämter und Pfründe durch Mehrheitsentscheid in Einpersonenwahlkreisen besetzt wurden, boten sich Splitterparteien keine Chancen. Die Kombination zweier Faktoren — Herrschaftsbestellungsfunktion und relatives Mehrheitswahlrecht — führte also zur Konzentration des amerikanischen Parteiwesens. Die zweihundertjährige Geschichte der USA weist aus, dass sich stets über längere Zeiträume hinweg jeweils zwei große Parteien gegenüberstanden. Eine von ihnen gewann im allgemeinen die Kongresswahlen während mehrerer Legislaturperioden, während die andere mindestens vorübergehend das Präsidentenamt zu besetzen vermochte. Heide Gruppierungen konnten sich auf bestimmte Stammregionen und Wählerschichten verlassen, artikulierten relativ unterschiedliche politische Positionen, ohne sich doch programmatisch allzuweit voneinander zu entfernen.

Ein realignment, ein drastischer Wandel im etablierten Parteigefüge, stellte sich dann ein, wenn neue Streitfragen in der Gesellschaft aufbrachen, welche die traditionellen Parteigrenzen sprengten. Dies galt etwa für die Spaltung zwischen Nord und Süd im Zeichen der Sklavenfrage und des Sezessionskrieges. Hatten bis in die 1850er Jahre hinein die Demokraten die Politik im Lande dominiert, so gerieten sie bei Bürgerkriegsende als "Partei des Südens" in eine Minderheitsposition. So konnten sie zwischen 1868 und 1928 nur vier Präsidentenwahlen gewinnen, während die Republikaner zwölfmal als Sieger hervorgingen.

Ende der 1920er Jahre sorgte dann die wirtschaftliche Depression für ein neues realignment. Die Republikaner suchten zunächst die Krise zu bagatellisieren und vermieden es, das heiße Eisen anzufassen, weil sie nicht wussten, welche Auswirkungen eine neue Politik auf die vertraute Wählerbasis habe. Der demokratische Präsidentschaftskandidat Franklin Delano Roosevelt plädierte für eine aktivere Rolle des Staates in der Wirtschaft, verkündete ein Arbeitsbeschaffungsprogramm und eine neue Sozialpolitik und zog damit Gruppen — Industriearbeiter, kleine Gewerbetreibende, Schwarze, Katholiken, ethnische Minderheiten — auf die Seite der Demokraten, die zuvor zum Wählerpotential der Republikaner gehört hatten. Zusammen mit den traditionell demokratisch wählenden Südstaaten bescherte diese New-Deal-Koalition den Demokraten eine mehrheitsfähige Machtbasis, die jahrzehntelang existierte und erst in den siebziger und achtziger Jahren massiv erschüttert wurde.

Selbstverständnis der Parteien

Die beiden großen Parteien des Landes kultivieren durchaus unterschiedliche historische Mythen, hinter denen sich ideologische und soziologische Differenzen verbergen.

Dabei haben die Demokraten ihre Mythen an großen Amerikanern wie Jefferson, Jackson, Wilson oder dem zweiten Roosevelt entwickelt, um sich als Partei der Demokratisierung, Freiheit und des Fortschritts, als veritable » Volkspartei« zu präsentieren.

Republikanern ist dieses Image gerne als Zerrbild erschienen; für sie stellte die Demokratische Partei ein Sammelsurium von radikalen »Linksgruppen« dar, deren Wirtschafts- und Sozialpolitik stets verhängnisvolle Konsequenzen für das sozio-politische System der USA zu zeitigen pflegte.

Die Republikaner, sich selbst als Grand Old Party (GOP) bezeichnend, haben ihre Mythen an Abraham Lincoln festgemacht (...)., 

[Sie definieren] sich als Partei der first principles, der uramerikanischen Werte und Leitbilder — Individualismus, Pioniergeist, freies Unternehmertum, Anti-Zentralismus und Anti-Bürokratismus, Familiensinn und Nachbarschaftsgeist etc. —, was den Demokraten wiederum als Karikatur einer Realität erscheinen wollte und will, die vom Egozentrismus der GOP geprägt gewesen sei, von Ellenbogengesinnung und elitärem Gehabe der oberen Zehntausend im Lande.

[aus: Hartmut Wasser: Politische Parteien in den USA; in: W.P. Adams u.a. (Hg.), Länderbericht USA I, Bonn BpB 1990]

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Gelegentlich haben auch dritte Parteien die eingespielten Machtrelationen zwischen den beiden Großen ins Wanken gebracht, indem sie heiße Eisen aufgriffen und Teile der demokratischen oder republikanischen Stammwählerschaften für sich mobilisieren konnten. Die etablierten Parteien mussten reagieren, alternative Problemlösungsmodelle entwickeln, mit polarisierten Positionen auf die neue Herausforderung antworten, was die Wählergruppen in Bewegung und Machtverschiebungen in Gang setzte.

(...) Aufs Ganze gesehen geriet das Zweiparteiensystem kaum je ernsthaft in Bedrängnis. Demokraten und Republikaner pflegten Themen und Programme von Drittparteien in dem Augenblick "aufzusaugen", wo diese Gruppierungen eine gewisse Durchschlagkraft zu gewinnen schienen. Selbst deren Personal wurde im allgemeinen integriert. Gerade weil das Zweiparteiensystem der USA stets flexibel, dezentral und kompromissfähig gewesen ist, konnte es solche "Aufsaugfunktionen" erfüllen; es verlieh damit dem Regierungssystem ein hohes Maß an Stabilität und ermöglichte in realignment-Phasen auch politischen Wandel oder erfüllte im damit verbundenen Austausch des Führungspersonals das Verfassungsgebot der Machtbalance und Herrschaftskontrolle.

[Hartmut Wasser; aus: Informationen zur politischen Bildung 199, "Politisches System der USA", Bonn BpB 1997]

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Organisationsprinzipien

Auch hinsichtlich ihrer inneren Ordnung nehmen die US-Parteien eine Sonderstellung ein. Jegliche organisierte Mitgliedschaft ist ihnen ebenso fremd wie die straffe Formalisierung des Willensbildungsprozesses zwischen der Parteiführungsspitze und den unteren Gliederungen. Was meint überhaupt der Begriff der Parteimitgliedschaft?

"Herr A. mag sich für einen Demokraten halten und auch als solcher gelten; Herr B. für einen Republikaner und Herr C. für einen Sozialisten, und häufig wird darunter verstanden, dass sie ,Mitglieder' der betreffenden Partei seien. Für die meisten Leute ist Mitgliedschaft in einer Partei jedoch ein reichlich vager und schwer definierbarer Begriff. Wenn eine Person irgendeiner anderen Organisation angehört — einer Kirche, einer Loge oder einer Berufsorganisation —, dann geht man davon aus, dass sie ihr durch irgendeinen positiven Akt beigetreten ist, dass sie Beiträge zahlt oder sonstige Zuwendungen macht, möglicherweise in einem Ausschuss tätig ist, ein Amt bekleidet oder anderweitig am inneren Verbandsleben aktiven Anteil nimmt. Bei den großen politischen Parteien kann nichts derartiges mit Sicherheit angenommen werden. Es bestehen keine Verfahrensregeln oder Zeremonien für den Beitritt. Es gibt in der Regel keine Mitgliedschaft. Die Partei erhält keine schriftliche Verpflichtung, die ein Bekenntnis zu dem Parteiprogramm enthält, sie erhebt keine Beiträge (obgleich gelegentlich Anstrengungen gemacht worden sind, ein System regelmäßiger Beitragszahlungen einzuführen), sie hat keine Statuten, die sie durchzusetzen in der Lage ist und keine Mittel, ein Mitglied zu maßregeln, außer, dass es die Partei ablehnt, es zu unterstützen, wenn es sich um ein öffentliches Amt bewirbt. Man ist ein Demokrat oder ein Republikaner, wenn man dies von sich behauptet, jedenfalls, wenn man ständig der einen oder anderen Partei bei den Wahlen seine Unterstützung gibt. Und das ist alles, was hierüber zu sagen ist. Außerdem kann man seine Meinung und seine Parteitreue so oft ändern, wie es einem passt. Es bleibt jedermann überlassen, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie viele Mitglieder eine Partei besitzt, und dies gilt auch dann, wenn es zuverlässigere Kriterien darüber gäbe, wer als Parteimitglied angesehen werden kann und auf wen dies nicht zutrifft." (Ogg/Ray)

In der Vergangenheit wirkte dennoch das Merkmal ausgeprägter Parteitreue von Individuen und Gruppen als wichtiger Faktor der Berechenbarkeit und Stabilität des politischen Systems. Gesellschaftliche Schichten entwickelten nach Herkunft, Bildung und Beruf, ethnischer und religiöser Zugehörigkeit, nach Wohnsitz und Region eindeutige Sympathien für eine der beiden großen Parteien, die sich in der Kalkulierbarkeit ihres Wahlverhaltens niederschlugen. War man im Vorstadt-Bereich, in Vermont, Pennsylvania oder Kansas überwiegend republikanisch gesonnen, lebten in den Zentren der Großstädte, in South Carolina, Alabama oder Georgia "geborene" Demokraten. Wählte die Oberschicht traditionell republikanisch, identifizierten sich Geschäftsleute mit der Republikanischen Partei, der Grand Old Party (GOP), stimmten die unteren Schichten eher für die Demokraten, bekannten sich die Industriearbeiter zum Esel, dem politischen Wappentier der Demokraten. Schrieb die WASP-Herkunft, die Zugehörigkeit zur weißen, angelsächsisch-protestantischen Schicht, die republikanische Stimmabgabe (das republikanische Wappentier ist der Elefant) fest, fühlten sich traditionellerweise die katholischen Slawen, Italiener, Iren, auch die Juden, zur Demokratischen Partei hingezogen. Bessere Erziehung und höheres Alter schufen republikanische, durchschnittliche Schulbildung und Jugend demokratische Präferenzen.

Die politische Gegenwart hingegen wird durch den Abbau traditioneller Parteibindungen geprägt, durch die zunehmende Unbeständigkeit im Beziehungsgeflecht zwischen Parteien, Gruppen und Individuen, durch eine Zunahme der Wechselwähler (floating vote) und der independents, der sich zu keiner der beiden Parteien bekennenden Bürger, ohne dass die Sozialwissenschaften derzeit schon die Ursachen solchen Wandels eindeutig feststellen oder seine politischen Auswirkungen widerspruchsfrei bestimmen könnten.

Die Eigentümlichkeiten der amerikanischen Parteien setzen sich im organisatorischen Aufbau fort. Die einzelnen Ebenen von der lokalen Basis über die Bezirksebene (county) zur Staatenorganisation, die ihrerseits in die nationale Repräsentation einmündet, aktivieren sich in autonomen Komitees, die von den Parteimitgliedern durch Delegation über parteiinterne oder staatlich regulierte Vorwahlen beschickt werden. Von oben nach unten verlaufende Befehlsstränge sind unbekannt. Da die Parteien primär als Wahlkampfvereine wirken, die öffentliche Ämter für ihre Kandidaten erobern wollen (weshalb auch die Organisation der Parteien seit den 1870er Jahren der räumlichen Einteilung der Wahlgebiete in Wahlbezirke [voting districts] angepasst ist), ist sogar das Gewicht der Ortsverbände und county committees besonders groß, weil heute die meisten Wahlämter auf kommunaler und county-Ebene zu besetzen sind. Auf einzelstaatlicher Ebene koordiniert die Partei vor allem das Geschäft der Kongresswahlen, versucht die Vielzahl der Komitees zur Kommunikation anzuhalten, entwirft die politische Gesamtkonzeption der Partei im Lande und treibt Geld zur Finanzierung der verschiedenen Tätigkeiten auf.

Auf nationaler Ebene haben die amerikanischen Parteien drei Kristallisationskerne entwickelt: den Parteivorsitzenden (national chairman), den Parteivorstand (national committee) und den Parteitag (national convention). Sie bilden aber keinesfalls die Spitze einer Hierarchie nach europäisch-deutschem Muster, die nach "unten" Weisungen erteilen könnte. Der Parteivorsitzende, in der Regel vom jeweiligen Präsidentschaftskandidaten der Partei im Einvernehmen mit dem Parteivorstand ernannt, soll die Parteiarbeit auf Bundesebene koordinieren, Medienpflege betreiben, Kontakte zu den Einzelstaatsorganisationen halten und Wahlen auf nationaler Ebene vorbereiten. Er wird dabei von dem selten tagenden Parteivorstand unterstützt, der Delegierte aller fünfzig Einzelstaaten umfasst und ein äußerst heterogenes Gebilde darstellt.

Der Parteitag (national convention) hat wichtige Funktionen zu erfüllen. Er nominiert den Parteikandidaten für die Ämter des Präsidenten und Vizepräsidenten und verabschiedet sowohl das Parteiprogramm (party platform) als auch die Parteistatuten. Die Parteitage beider Parteien treten alle vier Jahre zusammen und setzen sich aus einzelstaatlichen Delegierten zusammen. Deren Zahl errechnet sich nach einem komplizierten Verteilerschlüssel: 1992 setzte sich der Demokratische Bundeskonvent aus 4282 Delegierten (und 1170 Ersatzdelegierten, den sogenannten alternaties), derjenige der Republikaner aus 2206 Delegierten und ebenso vielen alternaties zusammen. Der Föderalismus ist also auch im Bereich des Parteiwesens stark entwickelt. Lediglich im Präsidentschaftswahljahr treten die Parteien als überregionale Kraft in Erscheinung, sieht man von der Dauerrepräsentanz der Kongressfraktion von Demokraten und Republikanern in Washington ab.

Gesetze der Einzelstaaten regeln im wesentlichen auch den rechtlichen Rahmen des Parteiwesens, ein Minimum innerparteilicher Demokratie, die Verfahren der Kandidatennominierung für Parteiämter und gemeinsam mit Bundesvorschriften wenigstens ansatzweise den schwierigen Bereich der Parteienfinanzierung. Diese beruht fast ausschließlich auf freiwilligen Spenden, wenn man von staatlichen Zuschüssen bei Präsidentschaftswahlen einmal absieht.

[Hartmut Wasser; aus: Informationen zur politischen Bildung 199, "Politisches System der USA", Bonn BpB 1997]

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