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Der sozialistische
Parteibegriff
In der marxistisch-leninistischen Tradition spielen Parteien - oder besser: die
Partei - eine völlig andere Rolle als in liberaldemokratischen Systemen. Der
folgende Text stellt die beiden unterschiedlichen Verständnisse von Parteien
dar und versucht, die wesentlichen Unterschiede herauszuarbeiten. Zunächst zur
Erinnerung nochmals die wichtigsten Elemente des Parteienbegriffs
pluralistischer Demokratien, wie wir sie unter anderem in Grundkurs
1 dargelegt haben:
Der Parteienbegriff liberaldemokratischer Systeme
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Das Schaubild
illustriert ein ganz zentrales Merkmal von Parteien in
liberaldemokratischen Systemen: Eine Partei verbindet "das
Volk" mit dem politischem System, dem "Staat". Diese
Verbindung erfolgt in zwei Richtungen: Zum einen artikuliert eine Partei
die Interessen der Bürgerinnen und speist sie in das
Entscheidungszentrum eines Gemeinwesens ein. Zum anderen informiert sie
den Bürger über die vom politischen System getroffenen Entscheidungen.
Die Aufgabe der Vermittlung zwischen
Gesellschaft und politischem System erfüllt sie dabei keineswegs
alleine. Vielmehr agieren eine Vielzahl anderer - parteiunabhängiger -
politischer Organisationen und Institutionen, wie zum Beispiel
Verbände, Bürgerinitiativen, andere politische Parteien und Medien, in
diesem sogenannten intermediären Raum. Der Begriff des Pluralismus
bringt genau diesen Sachverhalt zum Ausdruck. |
Von diesen anderen Mittlerorganisationen und
-institutionen unterscheiden sich die Parteien allerdings in bezug auf einen
ganz wesentlichen Punkt: Sie streben eine direkte Mitwirkung an den
Entscheidungen des politischen Systems im Rahmen von Parlamenten und anderen
Staatsorganen an. Zu diesem Zweck beteiligen sie sich an Wahlen. Zwar versuchen
auch andere Organisationen - wie vor allem Verbände - an der
Entscheidungsfindung teilzunehmen; diese Teilnahme wird allerdings nicht durch
den Wahlauftrag des Bürgers legitimiert. Als einzige der intermediären
Organisationen ragen die Parteien gewissermaßen in den Bereich des
"Staates" hinein.
Eine Definition
von Parteien in liberaldemokratischen Systemen könnte also etwa folgendermaßen
ausfallen:
Eine Partei ist eine
Vereinigung von Bürgern, die die Gesellschaft im Rahmen eines
pluralistischen Gemeinwesens mit dem politischen System verbindet. Sie
übernimmt insofern eine Mittlerrolle. Darüber hinaus wirkt sie an den
Entscheidungen des politischen Systems mit oder strebt eine solche
Mitwirkung an. Eine derartige Beteiligung wird durch den Wahlauftrag des
Bürgers legitimiert. |
Der Parteibegriff
sozialistischer Systeme
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Ein erster
wesentlicher Aspekt, den das Schaubild verdeutlicht, besteht darin, dass
die Kommunistische Partei in die Bereiche "Staat" und
"Volk" hineinragt und alles überlagert. Die Partei ist nicht
Teil eines intermediären Systems zwischen den Bürgerinnen und dem
politischen System, sondern sie selbst ist weitgehend dieses
System. Die Partei artikuliert nicht die Interessen der Bevölkerung,
sondern speist statt dessen ihre eigenen Interessen in das politische
System ein. Infolgedessen ist die (Einheits-)Partei kein Mittler
zwischen der Gesellschaft und dem politischen System im oben
dargestellten Sinne. |
Weiterhin ist die Zahl der Akteure in den
beiden Schaubildern unterschiedlich groß. Hier finden sich keine
Bürgerinitiativen, Verbände oder Medien und nur eine Partei. Der Hintergrund
ist folgender: In sozialistischen Staaten gibt es keine Bürgerinitiativen.
Zudem besitzt die Kommunistische Partei ein verfassungsrechtlich garantiertes
Machtmonopol, was die Existenz anderer, zumindest anderer autonomer Parteien
ausschliesst. Wahlen in sozialistischen Ländern sind demnach auch keine freie
Wahlen im liberaldemokratischen Sinne, bei denen die Wählerin zwischen
Alternativen aus"wählen" kann. Die Rolle der Partei legitimiert sich
damit letztlich auch nicht aus dem Wählerauftrag. Stattdessen leitet sie ihre
Stellung im wesentlichen aus der marxistisch-leninistischen Ideologie ab.
Verbände und
Medien sind im Gegensatz zu liberaldemokratischen Systemen keine
parteiunabhängigen, autonomen Akteure. Sie werden von der Partei
dominiert und fungieren im großen und ganzen als Transmissionsriemen
für die Umsetzung der Parteipolitik. So dienen beispielsweise die
Gewerkschaften im allgemeinen dazu, die Arbeiterschaft zum Zwecke der
Erfüllung der von der Partei aufgestellten Wirtschaftspläne zu
mobilisieren und zu disziplinieren. Die Besetzung von wichtigen Posten
innerhalb der Gewerkschaft erfolgt durch die Partei. In der Regel sind
hohe Gewerkschaftsmitglieder gleichzeitig auch hohe Parteifunktionäre.
Was für die Gewerkschaften in ganz besonderem Maße gilt, kann auch auf
andere Bereiche der Gesellschaft übertragen werden. Die Partei übt
eine sehr weitreichende Rolle bei der Besetzung von Ämtern in jedem
Bereich des Gemeinwesens aus. Auch die Medien sind keine wirklich
autonomen Institutionen. Sie sollen die Bevölkerung im Sinne der Partei
erziehen und werden durch sie angewiesen und kontrolliert. Sie fungieren
gleichsam als "Sprachrohr" der Partei und unterliegen der
Zensur. |
Die
Führungsrolle der Partei
Die
Parteilehre Lenins besagt, dass sich die anzustrebende
sozialistische Revolution und der folgende Ausbau des
Sozialismus unter der Führung der Kommunistischen Partei zu
vollziehen habe. Nur sie verfüge nämlich über das am
höchsten entwickelte gesellschaftliche Bewusstsein und die
richtigen Einsichten in die jeweiligen Erfordernisse der
gesellschaftlichen Entwicklung. Die Führungsrolle der Kommunistischen
Partei, die sich auf alle Bereiche des politischen und
gesellschaftlichen Lebens erstreckt, wird demnach aus deren
Erkenntnismonopol abgeleitet. |
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Ein vierter Aspekt, der unmittelbar ins Auge
sticht und von enormer Bedeutung ist, betrifft die "Ausmaße" der
Partei: Das politische System wird komplett von der Partei überlagert. Im
Gegensatz zu politischen Parteien in westlichen Demokratien, in denen diese
Organisationen nur in das politische System hineinragen, nimmt die Partei in
sozialistischen Staaten nämlich nicht nur Einfluss auf die politische
Willensbildung und wirkt an Entscheidungen des politischen Systems mit; sie
dominiert vielmehr die Entscheidungsprozesse innerhalb des politischen Systems
und dies sowohl personell als auch inhaltlich. Daneben
ragt die Partei auch viel weiter in den Bereich der Gesellschaft hinein. Dies
bringt zum Ausdruck, dass die Kommunistische Partei viele als gesellschaftlich
zu qualifizierende Bereiche lenkt und kontrolliert. Ihr Einfluss reicht dabei
nicht nur bis in die wirtschaftlichen Betriebe, sondern macht auch vor dem
Privatleben der Menschen nicht halt.
[Foto oben: Lenin] |
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Demokratischer
Zentralismus
Der
von Lenin konzipierte demokratische Zentralismus war das
grundlegende Organisationsprinzip der Kommunistischen Partei und
gehörte zum festen Bestandteil der Statuten aller
marxistisch-leninistischen Parteien. Es umfasste die folgenden
Elemente:
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Wählbarkeit
aller leitenden Organe der Partei von unten nach oben; |
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regelmäßige
Rechenschaftslegung der Parteiorgane vor ihren
Parteiorganisationen und übergeordneten Organen; |
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straffe
Parteidisziplin und Unterordnung der Minderheit unter die
Mehrheit; Verbot von Fraktions- und Gruppenbildung; |
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unbedingte
Verbindlichkeit der Beschlüsse der höheren Organe
gegenüber den unteren Organen. |
In
der Realität dominierten die beiden zentralistischen Elemente
und legitimierten die Machtkonzentration in den Händen des
Parteisekretariats und des Politbüros.
Was
das demokratische Element der Wahl von unten nach oben angeht,
so wurde die Parteileitung zwar gewählt, doch bedurften schon
die Kandidaturen der Bestätigung durch übergeordnete
Parteiinstanzen. Das zweite demokratische Merkmal, die Pflicht
der Berichterstattung, diente mehr der Weitergabe von
Anweisungen oder der Propaganda als der Kontrolle und Korrektur
von unten nach oben. |
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Wie kann der sozialistische Parteibegriff vor
diesem Hintergrund bestimmt werden? Die folgende Definition
versucht, die wichtigsten Merkmale auf den Punkt zu bringen:
Die Kommunistische
Partei in sozialistischen Systemen ist eine Vereinigung von Bürgern,
die das gesamte Gemeinwesen monopolartig lenkt und beherrscht. Diese
Führungsrolle leitet die Partei von der marxistisch-leninistischen
Ideologie ab. |
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