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Grundkurs 5: Demokratie in der Schule
Politische Bildung als Schulprinzip |
Während wir mit den
didaktischen Prinzipien (Grundkurs
2) und den Methoden (Grundkurs
3, Grundkurs 4) die
zentralen Werkzeuge für den Politikunterricht vorgestellt haben, geht
es in diesem Abschnitt darum, Beispiele aufzuzeigen, wie Demokratie in der
Schule nicht nur vermittelt, sondern tatsächlich eingeübt werden kann.
Demokratie-Lernen bleibt blass, wenn diese praktische Dimension
vernachlässigt wird.
"Die Schul- und Lernkultur selbst sollen Demokratie-Lernen ermöglichen,
indem Schüler und Schülerinnen durch eigene Erfahrungen und eigenes Handeln
in der Schule den Sinn von Politik und Demokratie praktizieren, erleben und
verstehen, um dann durch diese Demokratieerfahrungen politische Mündigkeit
und Demokratiekompetenzen entwickeln zu können. Demokratie-Lernen kann sich
nicht alleine auf Unterricht, auf Information, Analyse, Aufklärung und
verbale Argumentation stützen (...). Politische Bildung ist (...) nicht nur
Unterrichtsfach und Unterrichtsprinzip, sondern stets auch Schulprinzip."
[aus: Peter Henkenborg, Politische Bildung als Schulprinzip:
Demokratie-Lernen im Schulalltag; in: Wolfgang Sander (Hg.), Handbuch
politische Bildung, Bundeszentrale für politische Bildung Schriftenreihe
Band 476, Bonn 2005, S. 265-266]
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Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit |
So unumstritten die
Bedeutung des Praktizierens von Demokratie in der Schule für die Ziele der
politischen Bildung (siehe
Grundkurs 4) auch ist - es lässt sich nicht übersehen, dass gerade hier
die größten Defizite zu verzeichnen sind:
"Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit von Demokratie-Lernen im
Schulalltag betrifft besonders die Idee der Partizipation. Die Erfahrung von
Partizipation ist eine Grundbedingung für Demokratie-Lernen durch kognitive
Anerkennung. Im Schulalltag dominiert (...) allerdings eine Begrenzung der
Partizipationsmöglichkeiten, besonders im Kernbereich von Schule und
Unterricht."
[aus: Peter Henkenborg, Politische Bildung als Schulprinzip:
Demokratie-Lernen im Schulalltag; in: Wolfgang Sander (Hg.), Handbuch
politische Bildung, Bundeszentrale für politische Bildung Schriftenreihe
Band 476, Bonn 2005, S. 272] |
Kritik:
Schule als demokratiefreier Raum
An mangelnden
Partizipationsmöglichkeiten und anderen Defiziten entzündet sich immer
wieder Kritik: "Manche Kritiker unseres Bildungswesens halten unsere Schulen
für einen demokratiefreien Raum, ja machen sie geradezu verantwortlich für
die Anpassungsmentalität und zivile Feigheit der meisten Zeitgenossen.
In der Schule wird meist autoritär, vortragend und gesprächslenkend
unterrichtet. Es wird ständig bewertet und zensiert und mit den Noten auf
die Schüler Druck ausgeübt. In dieser Kritik ist Schule eher eine
Einrichtung der sozialdarwinistischen Konkurrenzgesellschaft als ein Ort zum
Erlernen persönlicher und moralischer Stärke und demokratischer Lebensform."
Nötig ist eine andere Wahrnehmung und eine Öffnung der Schule ...
Vor dem Hintergrund der Kritik nennt der folgende Textausschnitt zwei Wege,
wie aus der Schule (auch) ein Raum der Demokratie werden kann:
"Zum einen gilt es wahrzunehmen, dass die Schule nicht nur eine 'Lehranstalt',
sondern selber ein Sozialgebilde ist, eine Gesellschaft im Kleinen, ein
Lebensort für Kinder und Erwachsene, an dem sich fast alle Probleme, die es
in der politischen und sozialen Realität auch sonst gibt, auffinden lassen.
Die Schule selbst als 'Polis' zu begreifen, in der soziale Wirklichkeit
verstanden und gestaltet wird sowie Bürgertugenden herausgefordert sind -
das ist die erste Möglichkeit derer, die die Demokratie und Bürgerethik in
der Schule wichtig nehmen (...).
Und zum anderen gibt es die Möglichkeit eines Brückenschlags, den Schulen
aus ihrer Umzäunung heraus in die Wirklichkeit der Gesellschaft vornehmen
können, indem sie in Lern- und Erkundungsprojekten, in sozialen Diensten, in
lokalen Initiativen und Forschungen Aufgaben 'praktischen Lernens'
übernehmen, mit denen sie ganz bewusst den Lernraum der Schule überschreiten
und den Ernst politischer Mitwirkung und gesellschaftlicher Konsequenzen
ihres Lernens erfahren."
[beide Zitate aus: Andreas Flitner, Kinder müssen nachdenken - Lehrer müssen
das anerkennen. Was kann die Schule für demokratisches Denken und Handeln
tun?; in: Das Parlament 27/2004, S. 16] |
Gute Gründe
für das Einüben von Demokratie in der Schule ...
"Zivilcourage oder 'sozialer Mut' ist eines der wichtigsten Elemente
gelebter Demokratie. Gewählte Parlamente und gesetzliche Regierungen,
unabhängige Gerichte, Freiheit des Wortes und andere demokratische
Einrichtungen machen ja nur die eine Hälfte der Demokratie aus.
Die andere Hälfte bilden die Lebens- und Umgangsformen: dass es eine
hinreichende Zahl von Bürgerinnen und Bürgern gibt, die das
Gemeinwesen mit erhalten und tragen; dass Menschenrechte jedem
einzelnen zugesprochen werden.
Demokratie kann nur dort als solche gelten, wo nicht Bedrohungs- und
Durchsetzungsverhältnisse herrschen, sondern wo es genügend Bürger
gibt, die sich für Rechtlichkeit, Fairness und freie Rede
verantwortlich fühlen, das heißt, sie auch dort zur Geltung bringen,
wo es nicht selbstverständlich ist und wo es bequemer wäre,
wegzuschauen und den Mund zu halten; dort vor allem, wo Mut dazu
gehört und auch Nachteile für den Mutigen entstehen können."
[aus: Andreas Flitner, Kinder müssen nachdenken - Lehrer müssen das
anerkennen. Was kann die Schule für demokratisches Denken und Handeln
tun?; in: Das Parlament 27/2004, S. 16] |
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Praxisbeispiele
Auf weiteren Seiten im Rahmen dieses Abschnitts werden Praxisbeispiele aus der
Helene-Lange-Schule in Wiesbaden (Deutschland) vorgestellt, deren ungewöhnliche
Vorgehensweise mittlerweile international Beachtung findet. Die Beispiele
beziehen sich auf den Innenraum der Schule. Sie wurden ausgewählt, weil ihre
Umsetzung und Erprobung relativ einfach ist und weil "Demokratie in der Schule"
in der Schule selbst beginnen muss. Sie sollte dort aber nicht stehenbleiben,
sondern durch die Öffnung der Schule, durch Initiativen auf verschiedenen Ebenen
(lokal - global) bereichert werden.
[Autor: Ragnar Müller]
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