Vergewaltigung

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Vergewaltigung

Vergewaltigungen gibt es praktisch in allen heutigen Gesellschaften, auch in den Staaten, von denen bisher keine offiziellen Daten vorliegen. Laut UN-Berichten kommt es in folgenden Ländern häufig zu Vergewaltigungen: Afghanistan, Guyana, Kambodscha, Kolumbien, Mosambik, Namibia, Nepal, Pakistan, Peru, auf den Philippinen, in der Slowakischen Republik, Swaziland, Taiwan, Trinidad und Tobago, Uganda und Zaire. In Deutschland, El Salvador, Mikronesien, Irland, Jordanien, Kenia, Peru, Seychellen, Schweden und Tadschikistan ist eine mehr oder weniger große Zunahme von Vergewaltigungen in letzter Zeit zu beobachten. Nur in Mauretanien, Laos, Georgien und Tunesien scheinen Vergewaltigungen weniger häufig zu sein.

Das tatsächliche Ausmaß an Vergewaltigung ist zahlenmäßig bei weitem nicht erfasst, da die Dunkelziffer extrem hoch ist. Häufig geht man von der Anzahl der polizeilich erfassten Meldungen aus. Eine in Kanada, Neuseeland, Großbritannien, in den USA und in Südkorea durchgeführte Studie ergab, dass 8 bis 15% der Frauen im jungen Erwachsenenalter vergewaltigt worden sind. Werden die versuchten Vergewaltigungen dazugerechnet, ergibt sich eine Rate von 20-27%.

Die Angst vor Vergewaltigung bestimmt bei den meisten Frauen aller Länder den Alltag. Sie beschränken ihren Handlungs- und Bewegungsspielraum und suchen sich männlichen Schutz. Allerdings ist die häufig angenommene, angstauslösende Bedrohung einer überfallartigen Vergewaltigung durch einen Fremden in der Dunkelheit statistisch gesehen relativ selten. Sehr viel öfter geschehen Vergewaltigungen und sexuelle Nötigung im sozialen Umfeld der Frauen (siehe Abschnitt "Gewalt in der Familie"). Allerdings haben Bandenvergewaltigungen (Gruppenvergewaltigungen) in vielen Ländern zugenommen (Papua-Neuguinea, Indien, USA).

Frauen auf der Flucht oder in Flüchtlingslagern sind besonders durch Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen bedroht. Täter sind hier Angehörige von Militär und Behörden, Banditengruppen, männliche Flüchtlinge oder Männer rivalisierender Ethnien. Sexuelle "Gefälligkeiten" müssen zum Austausch von Waren, Geld, männlichem Schutz oder als "Eintrittsgeld" an der Grenze gegeben werden. In vielen Staaten werden weibliche Insassen von Gefängnissen oder polizeilichem oder militärischem Gewahrsam sexuell misshandelt, oder es wird mit sexueller Gewalt gedroht, um ihnen Informationen oder Geständnisse abzupressen.

Der Hintergrund: Vergewaltigung ist eine sexualisierte Form der Ausübung von Macht und Kontrolle und nicht etwa die Befriedigung eines Sexualtriebes. Sie ist tief in den patriarchalen Kulturen verwurzelt. So findet man die Darstellung von Vergewaltigungen schon in Schöpfungsmythen und Legenden. Vergewaltigung dient dazu, Frauen zu demütigen und einzuschüchtern. Die Täter sind meist nicht abnorm oder psychisch gestört. Ziel ist, dem Opfer die Persönlichkeit zu nehmen, indem es auf sein Geschlecht reduziert wird. Deshalb sind Vergewaltigungen für die Opfer psychisch viel belastender als andere aggressive Handlungen.

Folgen:

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physische Folgen: oft schwere Verletzungen, sexuell übertragbare Krankheiten;

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psychische Folgen: Traumatisierung mit langanhaltenden psychischen Symptomen (Angstzustände, Verdrängung, Schlaf- und Essstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Apathie und Depressionen, sexuelle Störungen, niedriges Selbstwertgefühl, Suizidgefährdung, Alkohol- und Drogenmissbrauch);

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soziale Folgen: ungewollte Schwangerschaften, Rückzug und soziale Isolierung, Kommunikationsstörungen in der Familie. Soziale Folgen von Vergewaltigungen lassen sich bis in die dritte, vierte Generation zurückverfolgen.

Besonders belastend für das Opfer ist das Leben mit der Vergewaltigung. In den meisten Gesellschaften können die Frauen nicht mit Unterstützung seitens ihrer Familie, Freunde oder Bekannten rechnen, da oft beim Opfer eine Mitschuld gesucht wird, der Täter dagegen tendenziell eher entlastet wird. Diese Positionen sind nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch beim Personal von Polizei und Gerichten verbreitet, so dass Vergewaltigungen, wenn sie denn angezeigt werden, oft nur geringe Aufmerksamkeit erfahren. Kommt es doch zu einer Verurteilung, haben die Täter mit vergleichsweise geringen Strafen zu rechnen. Die Gerichtsverhandlung führt häufig zu einer erneuten Traumatisierung des Opfers. Lebt die Frau in einer Gesellschaft, in der die Jungfräulichkeit unverheirateter Frauen einen hohen sozialen Wert besitzt, müssen sie damit rechnen, misshandelt oder getötet zu werden (siehe Abschnitt "Ehrenmorde").

Was wird gegen Vergewaltigungen getan? Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen steht in praktisch allen Ländern unter Strafe. Doch noch immer wird Vergewaltigung gesetzlich oft nicht als Angriff auf die körperliche Integrität und das Selbstbestimmungsrecht der Frau geregelt, sondern als Angriff auf die Sitten und die Moral. Folge ist, dass dem Leumund des Opfers größere Aufmerksamkeit beigemessen wird als dem tatsächlichen Verhalten des Täters.

In den meisten Ländern wird unter "Vergewaltigung" der erzwungene vaginale Geschlechtsverkehr verstanden, anderer Geschlechtsverkehr oder etwa das Einführen von Gegenständen fallen höchstens unter den weitaus milder geahndeten Straftatbestand "sexuelle Nötigung", obwohl das Opfer höchstwahrscheinlich jede Art sexueller Misshandlung gleich entwürdigend erlebt. Außerdem gibt es für das Opfer Probleme bei der Beweisführung, falls es keine schwerwiegenden Verletzungen davongetragen hat oder wenn es den Täter kannte. In Pakistan müssen Frauen sogar vier männliche Zeugen beibringen, um ihre Vergewaltigung eindeutig beweisen zu können, andernfalls droht einer verheirateten Frau Anzeige wegen Ehebruchs.

Reformen sollen dazu beitragen, dass Frauen Vergewaltigungen leichter zur Anzeige bringen können. In manchen Ländern wurden spezielle Polizeistationen oder Räumlichkeiten eingerichtet, die mit weiblichem Personal besetzt sind. In Kanada, Australien, Malaysia und vielen Bundesstaaten der USA ist der Einbezug der sexuellen Vergangenheit des Opfers in die Verhandlungen und die Beweisführung nur in Ausnahmefällen erlaubt. In Indien ist bei Bandenvergewaltigungen oder Vergewaltigungen in Haft die Beweislast während der Verhandlung umgekehrt worden: Es wird von einem Geschlechtsverkehr gegen den Willen des Opfers ausgegangen, der Angeklagte muss den gegenteiligen Beweis antreten. In Großbritannien wurde der Tendenz entgegengewirkt, Vergewaltigern nur geringe Strafen beizumessen. Hier schuf man spezielle Richtlinien, nach denen der Täter eine Mindeststrafe von fünf Jahren erhalten soll.

Vergewaltigung im Krieg

Seit Jahrhunderten sind Kriege mit Massenvergewaltigungen verbunden. Deutsche Soldaten vergewaltigten während des Zweiten Weltkrieges sowjetische Frauen, sowjetische Soldaten deutsche Frauen. Japanische Soldaten zwangen koreanische, chinesische und taiwanesische Frauen während des Kolonialismus und des Pazifischen Krieges zur Prostitution (die sogenannten "Trostfrauen", "comfort women"). Während des neunmonatigen bengalisch-pakistanischen Krieges 1971 vergewaltigten pakistanische Soldaten Schätzungen zufolge zwischen 200.000 und 400.000 bengalische Frauen. Vergewaltigungen und sexuelle Folter haben während des Vietnam-Krieges wie auch im Jugoslawienkrieg in großem Ausmaß stattgefunden. Man kann davon ausgehen, dass in jedem der momentanen Konfliktgebiete die bewaffnete Auseinandersetzungen mit sexueller Gewalt einhergehen (Osttimor, Kaschmir, Haiti, Dschibuti etc).

Es ist schwierig, das Ausmaß an Vergewaltigungen in Kriegen abzuschätzen, zum einen deshalb, weil repräsentative Zahlen aus aktuellen Konfliktregionen schwer zu ermitteln sind, zum anderen, weil die Frauen infolge der Traumatisierung oder auch aus Angst vor gesellschaftlicher und familiärer Stigmatisierung meist schweigen. Liegen konkrete Zahlen vor, ist ihr repräsentativer Charakter zu bezweifeln, da sie meist von der jeweiligen gegnerischen Partei zusammengestellt und zu Propagandazwecken genutzt werden.

Der Hintergrund: Es gilt heute als erwiesen, dass Vergewaltigungen im Krieg nicht aus der fehlenden sexuellen Befriedigung herrühren: Vergewaltigungen finden auch statt, wenn willige Frauen oder Prostituierte zur Verfügung stehen. Vergewaltigungen im Krieg dienen vor allem den sozialen Bedürfnissen der Vergewaltiger, der Selbstvergewisserung von Männlichkeit und Macht. Da Soldaten im Krieg ständigen Angst- und Ohnmachtgefühlen ausgeliefert sind, dienen Vergewaltigungen dazu, Machtgefühle zurückzugewinnen und Angst abzubauen. In Armeen wird zweckentsprechend ein archaisches Männlichkeitsideal gepflegt, das mit Gewalt und Dominanz verknüpft ist, während Weiblichkeit und "weibliche" Eigenschaften wie Angst und Empathie mit Verachtung betrachtet werden. Mit diesem Männlichkeitsideal sollen sich die Soldaten identifizieren; so beweisen Vergewaltigungen die "Männlichkeit" der Soldaten.

Vergewaltigungen in Kriegen sind nicht erklärbar ohne die latent vorhandene Frauenverachtung der jeweiligen Gesellschaften, die dadurch befördert wird, dass Regeln, die in Friedenszeiten den Ausbruch solcher Gefühle verhindern, in Kriegszeiten außer Kraft gesetzt werden. Massenvergewaltigungen dienen auch der Demoralisierung des Gegners, dem signalisiert wird, dass er nicht in der Lage sei, seine Familien zu beschützen, womit seine (männliche) Identität angegriffen wird. Daher werden sie auch bewusst als Kriegsstrategie eingesetzt bzw. indirekt gefördert und geduldet.

Folgen von Vergewaltigungen im Krieg

Die psychischen wie auch sozialen Folgen ähneln denjenigen der Vergewaltigungen zu Friedenszeiten. Allerdings sind hier die Traumata nur ein Teil der psychischen Last, die das Opfer wegen der Kriegsfolgen zu tragen hat. Gravierende Folgen trägt die Frau vor allem dann, wenn aus den Vergewaltigungen eine Schwangerschaft entstanden ist. Ehefrauen werden oft von ihren Männern verlassen, manche begehen Selbstmord oder flüchten ins Ausland, um nie wiederzukehren. Damit geht das Konzept der Vergewaltigung als Teil der Demoralisierung und der sozialen Vernichtung des Gegners auf.

Was wird gegen Massenvergewaltigung im Krieg getan? Seit 1949 gilt Vergewaltigung in Kriegen als Verstoß gegen das Völkerrecht. "Die Frauen werden besonders vor jedem Angriff auf ihre Ehre und namentlich vor Vergewaltigung, Nötigung zur gewerbsmäßigen Unzucht und jeder unzüchtigen Handlung geschützt" (4. Genfer Konvention). Dieser Passus hat bisher nichts an der Vergewaltigungspraxis in Kriegen geändert. Erst durch die Verurteilung von Vergewaltigern (erstmals vor dem Internationalen Tribunal in Den Haag) wird Vergewaltigung als Kriegsverbrechen mit allen Konsequenzen betrachtet. Es bleibt abzuwarten, ob diese Vorgehensweise eine abschreckende Wirkung auf künftige Kriegsparteien haben wird.

[Autorin: Dorette Wesemann, Redaktion: Ragnar Müller]

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