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Das Patriarchat Matrilineare Urgesellschaften Fragt man nach Entstehung und Entwicklung der Ungleichbehandlung der Frauen, erhält man in der Regel den Hinweis auf die traditionelle Verwurzelung des Patriarchats. Noch immer hält sich die Idee hartnäckig, dass die patriarchale Gesellschaft, wie sie — in Abstufungen und unterschiedlichen Ausprägungen — heute fast überall auf der Welt besteht, schon immer existiert habe. WissenschaftlerInnen haben in den letzten Jahrzehnten jedoch ein anderes Bild der geschichtlichen Entwicklung gezeichnet. Viele Belege weisen darauf hin, dass in der Jungsteinzeit, also ab etwa 7000 vor unserer Zeitrechnung, hochentwickelte Ackerbaukulturen im Raum Europas und Kleinasiens siedelten. Frauen spielten in diesen Gesellschaften eine wichtige Rolle: ökonomisch als Ackerbäuerinnen, religiös als Priesterinnen zur Göttinnenverehrung und gesellschaftlich. Das Verwandtschaftsgefüge wurde wahrscheinlich matrilinear, also von der Mutter auf die Tochter, gerechnet. Männer nahmen als Handwerker und Händler wichtige Positionen ein, Kriege dagegen scheint es nicht gegeben zu haben. Wichtige Zentren dieser frühen Kulturen waren der Balkanraum (z.B. bei Lepenski Vir in Serbien) und das Gebiet der heutigen Türkei (z.B. Catal Hüyük). Die Entstehung des Patriarchats Als Wissenschaftler das Phänomen matrilinearer Urgesellschaften entdeckt hatten, stellten sie sich darunter ein "Matriarchat" vor, also eine Gesellschaft, die analog zum Patriarchat in einer Herrschaft der Frauen bestanden habe. Sie stellten die Theorie auf, dass sich die Entwicklung vom "Matriarchat" zum Patriarchat gesetzmäßig — gewissermaßen vom Niederen zum Höheren — vollzogen habe. Die geschichtliche Entwicklung und die jeweilige gesellschaftliche Struktur der Völker ist jedoch viel komplexer. Es gibt heute viele verschiedene Erklärungsansätze. Europas Bevölkerung der Urzeit entwickelte sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht "natürlich" in Richtung Patriarchat. Die Veränderungen sind vielmehr auf den Einfluss asiatischer Reiterstämme zurückzuführen, die wegen Notsituationen (Dürren, Bevölkerungswachstum) aus ihrer Heimat auswandern mussten. Dieser Prozess vollzog sich schon sehr früh (ab etwa 3500 v.u.Z.). Die Formung des Patriarchats durch die Marginalisierung der Frau und bewaffnete Konflikte entstanden früh im asiatischen Raum und gehen auf eine gemeinsame Wurzel zurück. Auch nach der Eroberung Europas durch die asiatischen (indoeuropäischen) Stämme setzten sich einige Sitten der Ureinwohner in vielen Kulturen bis zum Beginn des sogenannten "Klassischen Altertums" fort, so z.B. bei den Minoern, Lydiern, Lykiern und Etruskern. Manche Rechte, z.B. das matrilineare Erbrecht, hielten sich bis zum Ende des 18.Jahrhunderts bei den Basken in Südfrankreich (bis zur Übernahme der bürgerlichen Gesetze in Form des Code Napoléon) und auf den Inseln in der Ägäis: "Auf den meisten Inseln übernimmt die
älteste Tochter als ihr Erbe einen Teil des Hauses zusammen mit den Möbeln und
einem Drittel des mütterlichen Besitzes, was in Wirklichkeit in den
meisten Fällen auf den größten Teil des Familienvermögens hinausläuft;
wenn die anderen Töchter dann nach und nach heiraten und aus dem Haus gehen,
wird ihnen ebenfalls ein Teil des Hauses sowie das restliche Vermögen zu
gleichem Teil übereignet. Diese Beobachtungen trafen auf die Inseln Lesbos,
Lemnos, Scopelos, Naxos, Siphnos, Santorin und Kos zu, wo ich entweder
persönlich Informationen eingeholt oder sie über andere erhalten habe." Ständige Eroberungen und Kriege führten zur Dominanz einiger weniger patriarchaler Kulturen. Diese wurden zum zentralen Bezugspunkt der entstehenden europäischen Zivilisation (Griechenland, Römisches Reich). Das letzte Zentrum einer alten, von Frauen geführten landwirtschaftlichen Hochkultur in Europa war das minoische Reich auf Kreta, das in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrtausends vor unserer Zeit infolge von Naturkatastrophen verschwand. [Autorin: Dorette Wesemann, Redaktion: Ragnar Müller]
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