| |
Der
folgende Text von Herfried Münkler fasst den Beitrag der Verhaltensforschung
zur Diskussion um Krieg und Frieden zusammen:
"Auf den ersten Blick scheint es, als seien Krieg und Frieden zwei klar
voneinander unterschiedene politische Zustände: Herrscht Frieden, dann ist kein
Krieg und umgekehrt. (...) Krieg und Frieden, voneinander getrennt durch
Kriegserklärung und Friedensvertrag, wären danach einander ausschließende
politische Zustände, von denen immer einer vorherrscht: Krieg oder Frieden, ein
Drittes gibt es nicht. Doch schon der Begriff des „Kalten Krieges“ zeigt,
dass die politische Realität vielschichtiger ist als die binäre Konstruktion
von Krieg und Frieden. (...)
Schon ein flüchtiger Blick auf die Konflikte seit Ende des Zweiten Weltkriegs
zeigt, dass Auseinandersetzungen, die unterhalb der Schwelle des
„regelrechten“ Krieges ausgetragen werden, ständig angewachsen sind.
„Klassische Kriege“ hingegen wie die Nahostkriege zwischen Israel, Syrien,
Ägypten und Jordanien sind selten geworden.
 |
Handelt
es sich bei der Unterscheidung zwischen Krieg und Frieden nur um eine
juristische Fiktion? Die Thesen der Verhaltensforscher, der Ethologen,
scheinen das zu bestätigen. Die Ethologie, die wissenschaftliche
Beobachtung tierischen und menschlichen Verhaltens, spricht von einem
Kontinuum der Aggression, an dessen äußerstem Ende der Krieg steht. So
hat Irenäus Eibl-Eibesfeldt den Krieg zwar von anderen Formen
innerartlicher Aggression (...) abgegrenzt, als er ihn als 'bewaffneten
Konflikt zwischen Gruppen' definierte; aber den von ihm beschriebenen
Zustand des Nicht-Krieges wird man kaum als Frieden bezeichnen können.
Ohnehin ist die strikte Unterscheidung zwischen Krieg und Frieden der
Ethologie fremd; sie geht davon aus, dass der Aggression bei der
weitgehend instinktgebundenen Selbsterhaltung und Selbststeigerung einer
Art (Ausschaltung der Schwachen und Kranken von der Fortpflanzung) und bei
der funktionalen Verteilung knapper Ressourcen eine entscheidende Funktion
zukommt (...). |
Dies
gilt auch für den Krieg: „Der Krieg“, so Eibl-Eibesfeldt, „ist weder auf
entartete, fehlgeleitete, tierische Instinkte noch auf Nekrophilie oder andere
pathologische Entartungen des menschlichen Antriebslebens zurückzuführen. Es
handelt sich nicht um eine funktionslose Entgleisung, sondern um eine spezifisch
menschliche Form der Zwischengruppen-Aggression, mit deren Hilfe Menschengruppen
um Land und Naturgüter konkurrieren.“
Gleichzeitig hat die Ethologie aber auch auf instinktive Tötungshemmungen bei
Tieren und Menschen sowie die sozialen Rituale der Konflikthegung bei Naturvölkern
hingewiesen, wie etwa den Verzicht auf die Verwendung lebensgefährlicher Waffen
oder auf die Verfolgung Flüchtender (...). Für Eibl-Eibesfeldt war die
Entwicklung von Kriegswaffen der entscheidende Schritt bei dem Funktionswandel
der Aggression: „Die Waffe war sicher ein entscheidender Faktor in der
Entwicklung destruktiver Aggression. Die Waffentechnik hat unsere angeborenen
Hemmungen bis zu einem gewissen Grad überlistet. Ein schneller Schlag mit der
Waffe kann einen Mitmenschen ausschalten, bevor er Gelegenheit hat, durch
entsprechende Unterwerfungsgesten an unser Mitleid zu appellieren. Noch besser
gelingt dies, wenn das Töten auf Distanz etwa mit einem Pfeil erfolgt“.
Aus der Sicht der Verhaltensforschung sind Krieg und Frieden also eher
metaphorische Begriffe für zwei nicht eindeutig gegeneinander abgrenzbare Zustände
auf einem Kontinuum arterhaltender und artsteigernder Aggression, wobei die
Entwicklung der Waffentechnik (und der militärische Drill, der den
Fluchtinstinkt ausschaltete) die instinktiven Hemmungen herabsetzten und Krieg
zu einer instinktentbundenen Form innerartlicher Konfliktaustragung werden ließen."
[aus: Herfried Münkler, Krieg und Frieden;
in: Iring Fetscher/Herfried Münkler (Hrsg.), Politikwissenschaft. Begriffe -
Analysen - Theorien, Ein Grundkurs, Reinbek 1985, S. 280-281]
[Seitenanfang]
|