Gewalt
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Typologie
Gewaltverbot

Friedenspädagogik

Gewalt bildet in dem Krieg-Frieden-Kontinuum, das im Rahmen dieses Grundkurses immer wieder thematisiert wird, das zentrale Unterscheidungskriterium. Gewaltsamer Konfliktaustrag findet sich auf der linken, gewaltfreier Konfliktaustrag auf der rechten Seite, der "Friedenshälfte" des Kontinuums. Aber was heißt es eigentlich, wenn man sagt, dass Konflikte gewaltsam ausgetragen werden? Handelt es sich um einen Krieg als Form des Konfliktaustrags, dann ist die Sache relativ klar. Schwieriger wird es in dem Abschnitt des Kontinuums zwischen dem Krieg als Extremform auf der linken Seite und dem Wendepunkt, der Zivilisierung des Konflikts, in der Mitte.


Gewalt ist ein Phänomen, das weder in der Wissenschaft noch im alltäglichen Sprachgebrauch klar definiert und abgrenzbar ist. Wenn im Fernsehen oder in der Presse von Gewalt die Rede ist, dann handelt es sich meist um folgende Gewaltaspekte:

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Gewaltkriminalität (Raub- und Morddelikte), die vor allem in Großstädten auftritt und zu 90% von Männern ausgeübt wird;

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Vandalismus: das vorsätzliche Zerstören von Sachen;

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Krawalle: gewalttätige Ausschreitungen bei Popkonzerten, Fußballspielen oder anderen Massenveranstaltungen;

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fremdenfeindliche Gewalt: gezielte Gewalthandlungen gegen einen ausgewählten Teil der Bevölkerung;

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Gewalt zwischen Streetgangs: gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Jugendbanden;

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politisch motivierte Gewalt.

[nach: Günther Gugel, Seminar Gewaltprävention, Institut für Friedenspädagogik Tübingen, 2003]

Offensichtlich ist Gewalt, wenn sie als direkte physische Gewalt auftritt, wenn also beispielsweise ein Mensch einen anderen tötet oder verletzt. Wenn nun aber zum Beispiel die Konsumgewohnheiten der Menschen in den Industriestaaten, die mit einem hohen Energieverbrauch einhergehen, dazu führen, dass die Erdatmosphäre sich erwärmt, der Meeresspiegel steigt und dadurch kleine Inseln überflutet werden, deren Bewohnern damit die Lebensgrundlage entzogen wird, dann wird im alltäglichen Sprachgebrauch in der Regel nicht von Gewalt gesprochen. Die Friedens- und Konfliktforschung hat deshalb versucht, einen breiteren Gewaltbegriff zu entwickeln:

"Ende der 60er Jahre hat Johan Galtung die Unterscheidung von personaler und struktureller Gewalt in die Diskussion eingeführt und Anfang der 90er Jahre durch den Bereich der kulturellen Gewalt ergänzt. Bei personaler Gewalt sind Opfer und Täter eindeutig identifizierbar und zuzuordnen. Strukturelle Gewalt produziert ebenfalls Opfer, aber nicht Personen, sondern spezifische organisatorische oder gesellschaftliche Strukturen, Lebensbedingungen sind hierfür verantwortlich. Mit kultureller Gewalt werden Ideologien, Überzeugungen, Überlieferungen, Legitimationssysteme beschrieben, mit deren Hilfe direkte oder strukturelle Gewalt ermöglicht und gerechtfertigt, legitimiert werden. Gewalt liegt nach Galtung dann vor, wenn Menschen so beeinflusst werden, dass ihre tatsächliche körperliche und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre mögliche Verwirklichung."

[aus: Günther Gugel, Seminar Gewaltprävention, Institut für Friedenspädagogik Tübingen, 2003]

Galtungs Begriff der strukturellen Gewalt ist der zentrale Bezugspunkt der Diskussion um Gewalt in der Friedens- und Konfliktforschung weltweit. Er hat viel Zustimmung dafür erfahren, dass er den Gewaltbegriff öffnet und damit erlaubt, auch die gewaltsamen Resultate (Verhungern in der Dritten Welt) anonymer Strukturen in den Blick zu nehmen. Er wurde aber auch scharf kritisiert, weil er zu einem inflationären Gebrauch des Gewaltbegriffs geführt hat: Was man nicht in Ordnung findet in der Welt, bezeichnet man als strukturelle Gewalt und denunziert es dadurch.

Als Bezeichnung eines gesellschaftlichen Sachverhaltes mit unterschiedlichen Handlungsinhalten muss der Begriff „Gewalt“ heute nachgerade als Schlüsselbegriff jeglicher Erörterung der Probleme von Krieg und Frieden gewertet werden - definieren wir doch „Krieg“ als Anwendung organisierter militärischer Gewalt zwischen sozialen Großgruppen, „Frieden“ in einer Minimalumschreibung als deren Abwesenheit. Die Gewalt, von der in diesen Kontexten die Rede ist, repräsentiert allerdings nur einen Ausschnitt aus dem breiten Inhaltsspektrum des Gewaltbegriffs: Es handelt sich um die direkte, auf die Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen abhebende physische Gewalt. Der gesellschaftliche Sachverhalt, den der Begriff der direkten oder physischen Gewalt umschreibt, ist der einer eindeutig angebbaren Subjekt-Objekt-Beziehung. Gewalt wird ausgeübt von einem Täter (Subjekt), Gewalt wird erlitten von einem Opfer (Objekt). (...)

Im neueren (...) Sprachgebrauch hat sich der Gewaltbegriff zunehmend auf jenen Eckpunkt des Begriffsfeldes verschoben, der durch den Begriff (...) der (physischen) Gewaltsamkeit, gekennzeichnet ist. Allerdings ist diese Aussage nur dann gültig, wenn wir „Gewalt“ als einen mit der Vorstellung direkten physischen oder psychischen Zwanges verbundenen Handlungsbegriff interpretieren, als einen Begriff, der die Aktionen konkret identifizierbarer Personen bezeichnet. Demgegenüber hat bereits Karl Marx in der Diskussion des Gewaltbegriffs darauf aufmerksam gemacht, dass Gewalt auch in den gesellschaftlichen Verhältnissen selbst begründet sein kann, dass sie in manifester oder latenter Form innerhalb bestimmter Staats- und Gesellschaftsordnungen alle politischen und sozialen Beziehungen durchdringt. Gewaltverhältnisse, die solcherart nicht mehr auf Handlungen konkreter Individuen zurückgeführt werden können. die vielmehr die Totalität institutionalisierter Gewalt in einer Gesellschaft umgreifen, werden identifizierbar als strukturelle Gewalt: der Begriff der Gewalt wandelt sich in dieser Perspektive von einem Handlungsbegriff zu einem (gesellschaftlichen) Strukturprinzip.

[aus: Reinhard Meyers: Grundbegriffe, Strukturen und theoretische Perspektiven der Internationalen Beziehungen, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Grundwissen Politik, 2. Aufl., Bonn 1993, S. 280-282]

Weitere Anregungen zur Beschäftigung mit dem Begriff der Gewalt:

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Gewalttypologie nach Johan Galtung (direkte, strukturelle und kulturelle Gewalt) 

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Das Gewaltverbot in der Charta der Vereinten Nationen

"The intentional use of physical force or power, threatened or actual, against oneself, another person, or against a group or community, that either results in or has a high likelihood of resulting in injury, death, psychological harm, maldevelopment or deprivation."
[Gewaltdefinition der WHO (Weltgesundheitsorganisation) aus: World report on violence and health, Genf 2002, S. 5]

[Autor: Ragnar Müller]

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