Die
Nähe zur Umwelt-, Dritte-Welt- und Menschenrechtserziehung
"(...) Es (reicht) nicht aus, den Gegenstandsbereich der
Friedenserziehung nur auf die Rüstungs- und Sicherheitsproblematik zu beziehen.
Hans Nicklas und Änne Ostermann, die sich bei der Hessischen
Stiftung Friedens- und Konfliktforschung mit Friedenspädagogik beschäftigen,
schlagen vor, unter systematischen Gesichtspunkten zumindest diejenigen Aspekte
der Umwelt- und Dritte-Welt-Problematik mit zum Gegenstandsbereich der
Friedenserziehung zu zählen, welche Gewalt implizieren oder Gewalt hervorrufen.
Ein spezieller friedenspädagogischer Zugang zur Nord-Süd-Problematik ist zum
Beispiel die Auseinandersetzung mit den Folgen der Rüstungsexporte der
Industriestaaten in die Länder der Dritten Welt. Auch die Ursachen der
Migrationsbewegungen und die abwehrenden Reaktionen in Europa oder das neu
aufkeimende "Feindbild Islam" sind Themen, anhand derer die Nord-Süd-Problematik
mit persönlichen Bezügen und Erfahrungen aufgearbeitet werden kann. Die ökologische
Dimension der Friedenserziehung ergibt sich zum Beispiel in der
Auseinandersetzung mit Konflikten, die aufgrund ökologischer Problemlagen
entstehen (Streit um wichtige Ressourcen wie z.B. Wasser).
In der pädagogischen Praxis gibt es sowohl hinsichtlich der angesprochenen
Inhalte als auch der angebotenen Methoden und didaktischen Modelle viele Überschneidungen
zwischen der Friedenserziehung und den anderen Disziplinen der häufig so
genannten "Überlebenserziehung": der Umwelt- und der
Dritte-Welt-Erziehung. Überschneidungen und Zusammenarbeit werden sich in
Zukunft verstärken, denn die inhaltliche Verschachtelung der globalen Probleme
und damit auch deren Dramatik nimmt zu.
So gibt es seit Jahren kontroverse Diskussionen, inwieweit sich die
unterschiedlichen pädagogischen Ansätze und Erfahrungen zusammenführen
lassen, um das Lernen und Handeln angesichts globaler Probleme und einer
wachsenden Internationalisierung von Lebenswelten (z.B. durch weltweite
Kommunikationstechnologien) zu unterstützen bzw. neu zu organisieren. Hinzu
kommt jedoch auch, dass die für die pädagogischen und politischen Gegenmaßnahmen
zur Verfügung stehenden Kapazitäten geringer werden und eine vertiefte
Zusammenarbeit nicht nur inhaltlich fruchtbar sein könnte, sondern auch
politisch-praktisch notwendig wird.
Ähnliche Ansätze wie die Friedenserziehung verfolgt auch die
Menschenrechtserziehung, welche vor allem von internationalen
Menschenrechtsorganisationen wie amnesty
international gefördert wird. Dabei geht es hauptsächlich um die
Vermittlung von Kenntnissen über die Ursachen von Menschenrechtsverletzungen,
neuerdings auch um Hilfen für die Auseinandersetzung mit der Frage, ob (und
welche) Menschenrechte universelle Gültigkeit beanspruchen können oder
inwieweit sich mit dem Hinweis auf Menschenrechtsverletzungen Interventionen
rechtfertigen lassen.
Es geht aber auch um die Frage, wie diese Kenntnisse in konkretes Handeln
umsetzbar sind: "Eine wirksame Menschenrechtserziehung ist folglich daran
zu messen, inwieweit es durch Konfrontation mit Menschenrechtsverletzungen
gelingt, objektive Erkenntnisse zu subjektiver Betroffenheit zu erweitern. (...)
Die Konfrontation mit Menschenrechtsverletzungen als "Erkenntnis- und
Lernprinzip" sollte jedem einzelnen vermitteln, dass die Menschenrechte als
politische Handlungskriterien und universale Moral im eigenen Land (für jeden
selbst) aufs engste verbunden sind mit ihrer Verwirklichung in jedem anderen
Land (für jeden anderen)" (Hildegard Karig).
(...) Die Entwicklungspädagogik
beschäftigt sich mit der Frage, was und wie in den Industriestaaten über die Länder
in der "Dritten Welt" sowie über die "Nord-Süd-Beziehungen"
gelernt wird und gibt Anregungen für die pädagogische Praxis. Ein wichtiger
Schwerpunkt der Entwicklungspädagogik lag in der Vergangenheit auf der
Entwicklung von Lernmodellen für die Grundschule, ein Bereich, welcher von der
Friedenserziehung sehr vernachlässigt worden ist.
Verfolgt man die Diskussion in der Entwicklungspädagogik, so steht diese
Disziplin vor vergleichbaren Problemen wie die Friedenspädagogik. Trotz
erheblicher theoretischer Fortschritte, einer großen Zahl von Lernmitteln (in
den vergangenen dreißig Jahren sind mehr als zweieinhalbtausend
entwicklungspolitische Unterrichts- und Arbeitsmaterialien erschienen!) und
trotz relativ großer Fördermöglichkeiten ist heute von einer "Krise der
Entwicklungspädagogik" die Rede.
Begründet wird diese These mit vier Beobachtungen: Die Entwicklungspädagogik
habe erstens ihren Gegenstand verloren, weil man aufgrund zunehmender
Ausdifferenzierung immer weniger von der "Dritten Welt" reden könne.
Die zahlreichen didaktischen Materialien und die praktizierte Methodenvielfalt führe
zweitens zu einer Verunsicherung im Gebrauch von Methoden und einer
"Kultivierung des pädagogischen Zufalls". Schließlich sei drittens
keine Theorietradition entstanden und es bleibe viertens die
Institutionalisierung der Entwicklungspädagogik im Gesamtkontext der
bildungsrelevanten sozialen Systeme marginal (...).
Für alle vier Problembereiche lassen sich auch in der Friedenspädagogik
Beispiele finden. Dem Verlust des Gegenstandes "Dritte Welt"
entspricht in der Friedenspädagogik der Verlust des Gegenstandes
"Ost-West-Konflikt", auf welchen über Jahrzehnte hinweg viele Kräfte
konzentriert wurden. Allerdings müsste man von einer vergleichbaren Krise auf
unterschiedlichem Niveau reden, denn sowohl die Theoriebildung als auch der Grad
der Institutionalisierung der Entwicklungspädagogik sind weiter
vorangeschritten als dies bei der Friedenspädagogik der Fall ist."
[Günther
Gugel / Uli Jäger: Gewalt muss nicht sein. Eine Einführung in friedenspädagogisches
Denken und Handeln. 3. Aufl., Tübingen 1997; Internetversion: http://www.friedenspaedagogik.de/themen/f_erzieh/fe3.htm]