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Grundkurs 3:
Wozu braucht man Friedenspädagogik?
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Nach der
einführenden Definition in Grundkurs
1 und der Beschäftigung mit dem politikwissenschaftlichen Hintergrund
in Grundkurs 2 widmet sich
diese Grundkurssequenz den Aufgaben und Zielen der Friedenspädagogik. Günther
Gugel und Uli Jäger vom Institut
für Friedenspädagogik Tübingen unterscheiden im folgenden Text drei
Kernelemente der Friedenserziehung, die untereinander eng verbunden
sind und aufeinander aufbauen: |
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Die Vermittlung von
Friedenskompetenz
Friedenskompetenz ist wichtig, um Zusammenhänge begreifen, Entwicklungen
einordnen und selbständige Analysen und Strategien zur Auseinandersetzung mit
Krieg und Gewalt entwickeln zu können. Friedenskompetenz ist nach unserem Verständnis
in erster Linie Sachkompetenz: Dazu gehören unter anderem das Wissen über die
Ursachen von Krieg und Gewalt, über die individuellen Voraussetzungen von
Friedensfähigkeit sowie deren gesellschaftliche und internationale
Rahmenbedingungen. Zur Friedenskompetenz gehört aber auch die Einsicht in die
eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten. Diese Sachkompetenz kann als Teil
intentionaler Bildungsarbeit in der Schule und in der Erwachsenenbildung oder im
Rahmen von selbstorganisierten Lernprozessen innerhalb von Basisgruppen
vermittelt werden. Ohne Sachkompetenz ist eine verantwortungsbewusste
Friedenserziehung nicht möglich, dennoch reicht diese nicht aus, weitere
Kompetenzen müssen hinzukommen.
Anleitungen zur Erlangung von Friedensfähigkeit
Wie kann die Fähigkeit erworben werden, mit individuellen, gesellschaftlichen
und internationalen Konflikten umzugehen, die dahinter stehenden Interessen
erkennen und Lösungswege suchen zu können? Nachvollziehbare und für alle
Menschen verständliche Hinweise für die Erlangung einer solchen individuellen
Friedensfähigkeit zu geben, gehört zu den schwierigsten Aufgaben der
Friedenserziehung. Selbst FriedenspädagogInnen und FriedensforscherInnen müssen
hier immer wieder um die eigene Glaubwürdigkeit bemüht sein, denn es kann
nicht um die Aufstellung neuer Postulate gehen, sondern vor allem um praktische
Hilfen bei der Bewältigung des pädagogischen Alltags. Individuelle Friedensfähigkeit
bedeutet beispielsweise die Entwicklung von Ichstärke und Selbstbewusstsein -
nicht um andere zu bevormunden, sondern um relativ "störungsfrei"
kommunizieren zu können, um eigene Vorurteile zu erkennen und zu bearbeiten,
aber auch um am politischen Geschehen so teilhaben zu können, dass ein
Engagement in Richtung Gewaltminimierung und Partizipation möglich wird.
Die Kenntnis des eigenen Standorts ist eine wichtige Voraussetzung für
Zivilcourage. Unter Zivilcourage versteht man zum Beispiel, dass die eigene
Meinung - auch gegenüber Vorgesetzten - formuliert wird und dass dies nicht nur
privat, sondern auch öffentlich geschieht. Die für das eigene Handeln
notwendigen moralischen Maßstäbe sollen höher bewertet werden als
opportunistische Anpassung, wobei moralisches Handeln jedoch mit dem Erwerb von
Sachkompetenz verbunden wird. Die mit der Praktizierung von Zivilcourage möglicherweise
verbundenen persönlichen Nachteile müssen bewusst riskiert bzw. in Kauf
genommen werden. Dies setzt voraus, dass eigene Ängste nicht verdrängt werden.
Zivilcourage kann auch bedeuten, nötigenfalls den Gehorsam bzw. die Delegation
von Verantwortung an den/die Vorgesetzten (oder gar an Strukturen) zu
verweigern. Ohne die Übernahme von Verantwortung für das eigene Handeln bzw.
das Unterlassen von Handlungen ist Friedensfähigkeit nicht denkbar.
Für die Friedenserziehung hat diese Einsicht zur Konsequenz, mit Widerspruch,
Einwänden und Gehorsamsverweigerung bei Kindern und Jugendlichen sensibel
umzugehen. Denn diese Verhaltensweisen können eben nicht nur als
"Trotz" oder "Ungezogenheit" gedeutet werden, sondern sind
auch Ausdruck einer sich entwickelnden Selbständigkeit sowie von
Auseinandersetzung mit Autoritäten.
Oft wird Friedensfähigkeit mit übertriebener Friedfertigkeit verwechselt oder
abwertend darauf hingewiesen, dass die sich um Friedensfähigkeit bemühenden
Personen zwar moralisch integer sein mögen, aber ansonsten vom Leben wenig
verstünden, ja sogar in einer Konkurrenzgesellschaft nicht (über-)lebensfähig
seien. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Weder eine Familie, noch eine (Welt-)Gesellschaft
kann überleben, wenn das Konkurrenzprinzip als dominierende Triebfeder gesehen
wird. Lebens- und Überlebensfähigkeit hängt heute wesentlich von kooperativen
und sozialen Fähigkeiten ab: Hierzu gehört es, in und mit Gruppen arbeiten zu
können, die Auswirkungen und Folgen des eigenen Handelns auf andere abschätzen
und berücksichtigen zu können, sowie verantwortungsvoll mit sich und den
anderen und der gemeinsamen Umwelt umzugehen. Um auftretende Problemfelder und
"Stolpersteine" zu erkennen und sie damit auch tendenziell zu überwinden,
ist die Fähigkeit zur Selbstreflexion notwendig. Denn eine immer besser
werdende und tiefer reichende Kenntnis der eigenen Person und damit verbunden
auch der eigenen Reaktionen ist eine wichtige Voraussetzung für Friedensfähigkeit.
Die Friedensforscherin Hanne-Margret Birckenbach vom Projektverbund
Friedenswissenschaften Kiel stellt eine Reihe von persönlichen
"Zumutungen" zur Diskussion, denen sich die Einzelnen heute stellen müssen,
um Friedensfähigkeit zu erreichen: Dabei geht es zunächst um die Bereitschaft
und Fähigkeit, den eigenen persönlichen Beitrag zu einem als verwerflich
erkennbaren politischen Interaktionszusammenhang zu beurteilen. Es geht ferner
darum, eine Vorstellungskraft über die möglichen negativen Folgen des eigenen
Handelns für andere Menschen zu entwickeln. Es geht auch darum, Distanz gegenüber
Konformitätsdruck und Konformitätsneigungen auszubilden sowie Intoleranz gegenüber
Gewalt für sich persönlich und im gesellschaftlichen und kulturellen Bereich
zu entwickeln.
Ein weiterer Bereich besteht darin, persönliche innere
Gewaltpotentiale wahrzunehmen, zu thematisieren und sich damit auseinander zu
setzen sowie selbst auf kulturübliche gewaltförmige Handlungsmuster zu
verzichten und Alternativen hierzu zu entwickeln. Dabei ist auch das Risiko
sozialer Ächtung einzugehen, ohne sich wirklich sozial isolieren zu lassen. Ein
wichtiges Lernfeld liegt darüber hinaus in der kreativen Verbindung des
permanenten Rechtfertigungsdrucks im Konflikt zwischen Pazifierung und Gewalt
mit politischen Veränderungsperspektiven. Dabei können dann auch objektive
Demokratiedefizite angegangen werden. Die Selbstwahrnehmung als Opfer zu
durchbrechen und die Selbstachtung als politisches Subjekt zu gewinnen, ist ein
weiteres Ziel. Wo und wie solche Fähigkeiten und Eigenschaften sich entwickeln
können bzw. zu erwerben sind, ist ein Kernproblem der Friedenserziehung.
Anleitung zum Friedenshandeln
Schließlich
ist die Anleitung zum selbständigen politischen Handeln ein untrennbarer Teil
der Friedenserziehung. Manche erwarten, dass sich die Friedenserziehung als pädagogische
Abteilung der Friedensbewegung versteht. Diese Forderung ist durchaus
sympathisch, doch die Voraussetzungen, Methoden und Adressaten von
Friedenserziehung und Friedensbewegung sind so verschieden, dass trotz aller Übereinstimmung
bei Gewaltkritik und Friedensvorstellungen eine Vereinheitlichung unnötig und
dem gemeinsamen Anliegen nicht förderlich wäre.
Friedenshandeln zielt auf die Beeinflussung politischer Entscheidungen und
Entwicklungen auf kommunaler, staatlicher und internationaler Ebene und kann
unterschiedliche Formen haben. Friedenshandeln im engeren Sinne bedeutet
beispielsweise die Teilnahme an Aktionen des gewaltfreien, zivilen Ungehorsams
gegen Krieg und Kriegsvorbereitungen. Sie reichen von den Blockade-Aktionen vor
Raketenstützpunkten, die vor allem in den achtziger Jahren ein wichtiges
Element der Friedensbewegung waren, über Fastenaktionen, mit denen
beispielsweise auf die Problematik der Atomtests aufmerksam gemacht wird, bis
hin zur Steuerverweigerung. Heute sind Handlungsansätze transnationalen
Friedenshandelns besonders bedeutsam, die sich von Projekten internationalen
Lernens bis hin zu gewaltfreien Interventionen in Krisenregionen erstrecken.
Friedenserziehung hat die Aufgabe, zum politischen Engagement zu ermutigen,
gerade auch dadurch, dass die Grenzen dieses Friedenshandelns sichtbar gemacht
werden und der Handlungsspielraum greifbar ist.
Doch Friedenserziehung muss dazu beitragen, dass sich nicht nur einige wenige
besonders engagierte Menschen das "Friedensengagement" aufgrund ihrer
finanziellen oder familiären Situation "leisten" können, sondern
dass möglichst vielen BürgerInnen, die im normalen Berufs- und Familienalltag
stehen, Möglichkeiten zum Engagement eröffnet werden. Friedenshandeln im
Alltag kann vieles bedeuten. Dazu gehört die Bereitschaft zur
Informationsbeschaffung ebenso wie der Mut, in der Schule, am Arbeitsplatz oder
beim Stammtisch fremdenfeindlichem Gerede oder Gewaltphantasien bezüglich der
Wirksamkeit militärischer Interventionen entgegenzutreten.
Es wird deutlich, wie eng Friedenskompetenz, Friedensfähigkeit und
Friedenshandeln zusammengehören. Deutlich wird aber auch, wie vieler
Anstrengungen es bedarf, um den Ansprüchen von Friedenserziehung gerecht werden
zu können.
[aus:
Günther Gugel / Uli Jäger: Gewalt muss nicht sein. Eine Einführung in
friedenspädagogisches Denken und Handeln, 3. Aufl., Tübingen 1997, S. 16-42;
Internetversion: http://www.friedenspaedagogik.de/themen/f_erzieh/fe3.htm]
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