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Überblick über die Grundkurs-Sequenzen
Grundkurs 1: Was ist Globalisierung? (Definitionsversuche)
Grundkurs 2:
Dimensionen der Globalisierung (Multidimensionalität)
Grundkurs 3:
Ursachen der Globalisierung (Multikausalität)
Grundkurs 4:
Folgeprobleme der Globalisierung
Grundkurs 5:
Lösungsansätze: Global Governance
Grundkurs 1: Was ist Globalisierung?
Die Schwierigkeiten mit Globalisierung fangen bereits bei der Begriffsbestimmung
an. Es gibt weder in der wissenschaftlichen noch der breiten öffentlichen
Debatte eine anerkannte Definition. Die folgende Tabelle stellt verschiedene
begriffliche Annäherungen an Globalisierung zusammen:
Globalisierung ist ... |
„... ein Prozess der Überwindung von
historisch entstandenen Grenzen. Sie ist daher gleichbedeutend mit der
Erosion (also nicht mit dem Verschwinden) nationalstaatlicher Souveränität
und stellt sich als ‚Entbettung‘ der Marktökonomie aus den moralischen
Regeln und institutionalisierten Bindungen von Gesellschaften dar ...“
[Elmar Altvater] |
„... Intensivierung weltweiter sozialer
Beziehungen, durch die entfernte Orte in solcher Weise miteinander verbunden
werden, dass Ereignisse am einen Ort durch Vorgänge geprägt werden, die sich
an einem viele Kilometer entfernten Ort abspielen, und umgekehrt ...“
[Anthony Giddens] |
„... quantitative und qualitative
Intensivierung grenzüberschreitender Transaktionen bei deren gleichzeitiger
räumlicher Ausdehnung ...”
[Ulrich Menzel] |
„... größte wirtschaftliche und
gesellschaftliche Umwälzung seit der industriellen Revolution ...“
[Dirk Messner / Franz Nuscheler] |
„... die zunehmende wechselseitige
Abhängigkeit und Integration der verschiedenen Ökonomien rund um den Globus
...”
[Meghnad Desai] |
„... Prozess steigender Verbindungen zwischen
Gesellschaften und Problembereichen ...“
[Johannes Varwick] |
„... durch die Globalisierung intensiviert
sich der Wettbewerb auf den Märkten ...“
[C. Christian von Weizsäcker] |
„... Entfesselung der Kräfte des Weltmarktes
und ökonomische Entmachtung des Staates ...“
[Schumann/Martin] |
„... ist zu einem Schlagwort geworden, das in
politischen, publizistischen und wissenschaftlichen Debatten seit einiger
Zeit inflationär gebraucht und dabei einerseits als ‚Bedrohung‘,
andererseits als ‚Chance‘ betrachtet wird ...“
[Johannes Varwick] |
„... a social process in which the constraints
of geography on social and cultural arrangements recede and in which people
become increasingly aware that they are receding (...). Globalization does
not necessarily imply homogenization (...). Globalization merely implies
greater connectedness and de-territorialization ...”
[Malcolm Waters] |
„Die Dynamik der Globalisierung wird von
ökonomischen Kräften vorangetrieben, doch fallen ihre weitreichendsten
Folgen in den Bereich der Politik“
[Klaus Müller]. |
Die Komplexität des Themas
Globalisierung erfordert eine intensive Auseinandersetzung auch und gerade auf
der begrifflichen Ebene, bei der vor allem die folgenden Punkte in einem ersten
Zugriff angesprochen und diskutiert werden sollten:
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Der zentrale Aspekt der
Entgrenzung und die damit verbundenen Folgen für den Nationalstaat (Stichwort
„Erosion”);
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die epochale Bedeutung, die dem
Prozess der Globalisierung (analog zur Industrialisierung) oftmals beigemessen
wird;
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die Frage, ob es sich um einen
neuartigen Prozess handelt, oder ob es Globalisierung schon lange gibt, die
Prozesse sich lediglich seit Ende der 80er Jahre beschleunigt haben (die
Variante, nach der Globalisierung ein reiner „Mythos” sei, findet sich in der
Debatte kaum noch);
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die Unterscheidung zwischen den
beiden grundsätzlich unterschiedlichen Zugängen zum Begriff Globalisierung,
nämlich dem Begriffsverständnis im engeren, wirtschaftlichen Sinn (z.B. die
Definitionen von Desai oder Weizsäcker) auf der einen, im weiteren, alle
sozialen Beziehungen umfassenden Sinn (z.B. die Definition von Giddens) auf der
anderen Seite;
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die verbindenden Elemente über
alle Unterschiede hinweg, vor allem die zentrale Rolle, die der Interdependenz,
der wechselseitigen Abhängigkeit, in nahezu allen Definitionen zukommt.
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Erläuterungen zu den
Definitionsversuchen
Die wirtschaftliche Dimension der
Globalisierung besitzt zweifellos große Bedeutung und bildet eine wichtige
Ursache und Triebkraft für Globalisierungsprozesse in anderen Bereichen. Dabei
darf aber nicht übersehen werden, dass Globalisierung weit mehr umfasst als die
zunehmende Integration der Weltwirtschaft und deshalb nicht auf wirtschaftliche
Prozesse verkürzt werden darf, was nach wie vor häufig geschieht (siehe
Grundkurs 2: Dimensionen der Globalisierung).
Die verschiedenen beteiligten Wissenschaftsdisziplinen (in erster Linie
Wirtschafts-, Geschichts-, Politikwissenschaft und Soziologie) tun sich schwer
mit einer Begriffsbestimmung. Das kann nicht verwundern, ähnelt die Aufgabe doch
der berühmten Quadratur des Kreises, der begrifflichen Eingrenzung der „Entgrenzung”.
Die Kurzzitate verweisen auf den außerordentlich bedeutsamen Aspekt der
Entgrenzung und die Folgen für den Nationalstaat (Altvater). Es findet sich das
Verständnis von Globalisierung im engen wirtschaftlichen Sinn (Desai, Weizsäcker).
Die epochale Bedeutung der Prozesse, die unter dem Schlagwort Globalisierung
zusammengefasst werden, wird an der Gleichsetzung mit der industriellen
Revolution deutlich (Messner/Nuscheler).
Auf einer Metaebene spricht Varwick von der Funktion des Begriffs im
öffentlichen Diskurs, was nachdrücklich darauf hinweist, dass über
Globalisierung nicht angemessen gesprochen werden kann, ohne darüber zu sprechen,
wie über Globalisierung gesprochen wird.
Mehrfach wird die grundlegende Bedeutung der Interdependenz (wechselseitige
Abhängigkeit), der Verbindung (Integration) bzw. des Austausches angesprochen (Menzel,
Desai, Giddens, Varwick). Viele Bestimmungsversuche begnügen sich dann auch mit
diesem Aspekt der „steigenden Verbindungen” (Varwick, Menzel), der zwar
unkritisch, dafür aber weitgehend inhaltsleer ist.
Bei Altvater und Schumann/Martin scheint eine wichtige Stoßrichtung der
Globalisierungskritik auf, nämlich die Verselbständigung der Wirtschaft, die von
der Politik nicht mehr kontrolliert oder „eingebettet” werden kann.
[Autor: Ragnar Müller]
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