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Grundkurs 4: Folgeprobleme der Globalisierung
Globalisierung betrifft uns alle
unmittelbar. Diesen Aspekt und die überragende Bedeutung der Thematik deutlich
zu machen, ist ein Ziel dieses Grundkurses. Dabei spielt eine nüchterne Abwägung
von Chancen und Risiken, die sich von den gängigen Verteufelungen bzw.
Lobeshymnen distanziert, eine zentrale Rolle.
„Die Dynamik der
Globalisierung wird von ökonomischen Kräften vorangetrieben, doch fallen
ihre weitreichendsten Folgen in den Bereich der Politik“ (Klaus Müller). |
Auch bei den Folgeproblemen der Globalisierung
wird in der öffentlichen Debatte mit Schlagworten operiert, die es zu
hinterfragen und zu analysieren gilt. Eine Auswahl dieser Schlagworte, die je
nach Situation und Schwerpunkten problemlos ergänzt werden kann, präsentiert das
Schaubild. Ausgangspunkt dieses Abschnitts könnten aktuelle Zeitungsberichte
oder Texte aus dem Internet bilden, auf die man nahezu täglich stößt.
Ein wichtiger Aspekt beim Hinterfragen der Schlagworte schließt an
Grundkurs 2 zu den Dimensionen der
Globalisierung an, wo gefragt wird, welche Aspekte aus den verschiedenen
Dimensionen zur Globalisierung gehören (Schnittmenge) und welche nicht. Analog
wäre hier zu fragen, welche Teilaspekte der genannten Folgeprobleme der
Globalisierung anzulasten sind und für welche andere Ursachen entscheidend sind.
So gibt es etwa für den Bereich der Sozialpolitik zahlreiche differenzierte
Analysen, die die strikte Kausalkette "Globalisierung >
Standortwettbewerb > Sozialdumping" in Frage stellen und
zu klären versuchen, inwieweit der nationalstaatliche Handlungsspielraum in der
Sozialpolitik tatsächlich von den Globalisierungsprozessen eingeschränkt wird.
Erläuterungen zu den Folgeproblemen
Auf einen Aufsatz von Daniel Bell aus den 80er Jahren geht der vielzitierte Satz
zurück, die Nationalstaaten seien zu klein für die großen und zu groß für die
kleinen Probleme. Globale Probleme wie der Treibhauseffekt lassen sich im
einzelstaatlichen Rahmen ebenso wenig lösen wie lokale Probleme etwa im
Schulwesen.
Die Folge: Der Nationalstaat erodiert. Er verschwindet nicht oder wird
überflüssig, wie viele Kommentare suggerieren, sondern er erodiert. Zusätzliche
Problemlösungsebenen ober- wie unterhalb der nationalstaatlichen Ebene treten
hinzu. Die ehemals starren Grenzen von Staatsgebiet, Staatsmacht und -volk
werden durchlässiger. Nicht mehr, aber auch nicht weniger steckt hinter der Rede
von der „Erosion des Nationalstaats“, die
besonders im Europa der EU weit fortgeschritten ist. Hier haben die Staaten
zentrale Kompetenzen bis hin zur Währungshoheit an eine neuartige,
supranationale Organisation abgetreten.
Diese Phänomene sind allesamt nicht neu - sie werden seit den 70er Jahren unter
dem Stichwort Interdependenz diskutiert -, aber die Prozesse haben sich
beschleunigt und qualitativ wie quantitativ neue Dimensionen erreicht. Hierin
liegt das Neue an der Globalisierung.
Das gilt in gleichem Maße für die weiteren, im Schaubild genannten Aspekte.
Umweltzerstörung gab es ebenso wie ungerechte Verteilung bereits
bevor man von Globalisierung zu sprechen anfing. Aber diese Probleme werden
durch die Globalisierung verschärft. Darauf weist die
mittlerweile beträchtliche Bewegung der Globalisierungskritiker mit Nachdruck
hin (siehe gesonderte Seite "ATTAC"). Andererseits schafft
Globalisierung auch die Voraussetzungen, um den globalen Problemen angemessen,
nämlich auf globaler Ebene begegnen zu können.
Zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit im globalen Standortwettbewerb die
Sozialleistungen und damit die Lohnnebenkosten zu senken, wird vor allem seitens
der Wirtschaft als pure Notwendigkeit gefordert, während die Gewerkschaften vor
der Gefahr des „Sozialdumping“ warnen.
Unbestritten ist, dass Arbeiter in Indien weniger
verdienen als in Europa und dass dies in absehbarer Zeit
so bleiben wird. Das verschafft Unternehmen ein erhebliches Drohpotential: Sie
können mit Abwanderung in „Billiglohnländer“ drohen. Aber auch dieser scheinbar
klare Zusammenhang hält einer genaueren Analyse nicht stand.
Standortentscheidungen werden nicht nur aufgrund der Lohnkosten gefällt. Andere
Faktoren, wie zum Beispiel das Ausbildungsniveau oder die Präsenz in Märkten,
spielen ebenfalls eine prominente Rolle.
Globalisierung bedeutet nicht, dass sich alles problemlos überall herstellen
ließe. Aber Globalisierung lässt sich als Argument bzw. als Unterfütterung von
Abwanderungsdrohungen instrumentalisieren.
[Autor: Ragnar Müller]
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