| |
[Bild:
www.globalwater.org] |
Probleme auf dem Weg zur nachhaltigen
Entwicklung:
Gerechtigkeit und Nord-Süd-Konflikt
Die Geschichte der Beziehungen zwischen den reichen Ländern, dem "Norden",
und den armen Ländern, dem "Süden", ist eine Geschichte grundlegender
Ungerechtigkeit. Deren Formen haben sich gewandelt: Von der direkten
Ausbeutung und Unterdrückung im Zeitalter des Kolonialismus über die
indirekte Ausbeutung nach der Unabhängigkeit im letzten Drittel des 20.
Jahrhunderts bis hin zur Marginalisierung im gegenwärtigen Zeitalter der
Globalisierung.
Notdürftig kaschiert wird diese Ungerechtigkeit bis heute dadurch, dass man
die armen Länder "Entwicklungländer" nennt. Dahinter steht der Gedanke, dass
es sich um (bislang) unterentwickelte Länder handelt, denen aber (im Prinzip)
der Weg der Entwicklung offensteht. Entwicklung bedeutet in diesem
Verständnis nachholende Entwicklung mit dem Ziel, so zu werden, wie der
industrialisierte Norden schon ist, im Idealfall sogar auf einem kürzeren
und besseren Weg, der einige Pathologien im Entwicklungsprozess des Nordens
auslässt (zu weiteren Problemen des Entwicklungskonzepts siehe die Seite
"Entwicklung").
|
Mit globalen Problemen wie dem
Klimawandel (siehe Grundkurs 4)
kommt eine weitere Dimension von Ungerechtigkeit hinzu: Während die Probleme
überproportional im Norden verursacht werden, betreffen die Folgen wie
Verwüstung oder extreme Wetterereignisse überproportional den Süden. Dies reicht
bis zur existentiellen Bedrohung zahlreicher kleiner Inselstaaten, die es bei
einem weiteren Anstieg des Meeresspiegels nicht mehr geben wird.
Der Norden lebt über seine Verhältnisse
"Von der lokalen bis zur globalen Ebene zeigen viele Erfahrungen, dass
Ressourcen (Wasser, Holz, Erdöl, Bodenschätze usw.), Nutzflächen (Gelände für
Bauvorhaben, Siedlungen und Infrastruktur) und Senken (Böden, Meere, Atmosphäre)
als natürliche Inputs für das Wirtschaftswachstum knapp oder instabil geworden
sind. Als eine Folge davon ist das Versprechen, dass Entwicklung für immer
anhalten wird, in sich zusammengefallen.
So würden sich, wenn alle Länder dem industriellen Beispiel folgen und jährlich
pro Kopf durchschnittlich 11,4 Tonnen Kohlendioxid ausstoßen würden, die
Emissionen der sechs Milliarden Menschen auf ungefähr 68,4 Milliarden belaufen,
was mehr als fünfmal so viel wäre wie die 13 Milliarden Tonnen, die die Erde
absorbieren kann. Mit anderen Worten: Wenn man alle Länder auf den jetzigen
Lebensstandard der reichen Länder bringen würde, wären fünf Planeten nötig, um
als Quellen für die Inputs und als Ressourcen des wirtschaftlichen Fortschritts
zu dienen."
[aus: Wolfgang Sachs, Nach uns die Zukunft. Der globale Konflikt um
Gerechtigkeit und Ökologie, Frankfurt/Main 2002, S. 71]
Deutlich wird, dass "Entwicklung" im herkömmlichen Sinn keine Option mehr
darstellt. Diesen grundlegenden Konflikt, der die Ungerechtigkeit offen zutage
treten liesse, überdeckt die Kombination "nachhaltige Entwicklung". Hier kommt
zum ursprünglichen, mittlerweile unverantwortbar gewordenen Entwicklungskonzept
"irgendwie" die dringend gebotene Dimension des Umweltschutzes hinzu, ohne dass
man - als Zugeständnis an die Länder des Südens - auf die Perspektive "Entwicklung"
verzichten müsste.
Perspektive des Südens
Das ändert
allerdings nichts daran, dass sich die Sache aus der Perspektive des Südens
so darstellt, dass sich der Norden zunächst durch ungezügeltes Wachstum auf
Kosten des Südens bereichert und ein hohes Wohlstandsniveau erreicht habe,
nun die "Grenzen des Wachstums" für gekommen erkläre und den Süden an einer
nachholenden Entwicklung hindere. Genau diese Kritik begleitete die
internationale Umweltpolitik von Beginn an (siehe
Chronologie).
Politik der USA
Wasser auf die Mühlen dieser Kritik bedeutet die Politik der einzig
verbleibenen Supermacht USA, die gleichzeitig der mit Abstand größte
Emittent des Treibhausgases Kohlendioxid ist. Unrühmliche Beispiele hierfür
sind das Diktum des damaligen Präsidenten George Bush sen. im Vorfeld und
auf der Rio-Konferenz, dass der amerikanische Lebensstil nicht verhandelbar
sei, sowie der durch seinen Sohn als Präsidenten vollzogene Ausstieg aus dem
Kyoto-Protokoll. |
"Quer durch die
Geschichte der Nachhaltigkeitsdebatte gab es zwei unterschiedliche
Themenstränge, einer für die entwickelte Welt, ein anderer für die
Entwicklungsländer. Typischerweise beschäftigte man sich in der ersten
Gruppe mit Fragen wie saurer Regen, Ozonloch, Klimawandel,
demographisches Nullwachstum, Drogenmissbrauch und Verlust der
Artenvielfalt. Für die zweite Gruppe dagegen lauteten die Prioritäten
Bodenverarmung, Vordringen der Wüsten, Wasserqualität und der Zugang
dazu, rasches Bevölkerungswachstum, Unruhen und Krieg."
[Moss Mashishi,
Direktor der Johannesburg World Summit Company; zit. nach: Wolfgang
Sachs, Nach uns die Zukunft. Der globale Konflikt um Gerechtigkeit und
Ökologie, Frankfurt/Main 2002, S. 41] |
|
Nachhaltigkeit und
Gerechtigkeit
Diese knappen Stichworte zum Nord-Süd-Konflikt, zur globalen Ungerechtigkeit,
dürften genügen, um ein zentrales Problem auf dem Weg zur nachhaltigen
Entwicklung deutlich zu machen, nämlich das Spannungsverhältnis von
Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben,
wie der folgende Textauszug von Wolfgang Sachs betont:
"In welcher Arena auch immer - ob Klima, biologische Vielfalt oder Handel: Wenn
es dem Norden nicht gelingt, umweltpolitische Abkommen zu erzielen, die der
Süden als fair empfindet, dann bleibt Nachhaltigkeit auf der Strecke. Ohne
Gerechtigkeit eben keine Ökologie. Wenn freilich seinerseits der Süden im Grunde
nur einen größeren Anteil an der Raubwirtschaft einfordert, dann bleibt
Nachhaltigkeit ebenfalls auf der Strecke. Gerechtigkeit verträgt sich nicht mit
Umweltschutz, es sei denn, sie wird im Rahmen einer umweltfreundlichen
Entwicklung angestrebt. Deshalb gilt auch umgekehrt: Ohne Ökologie keine
Gerechtigkeit."
[aus: Wolfgang Sachs, Nach uns die Zukunft. Der globale Konflikt um
Gerechtigkeit und Ökologie, Frankfurt/Main 2002, S. 39]
[Autor: Ragnar Müller]
[Seitenanfang]
|