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Grundkurs 5: Welche Probleme gibt es auf dem Weg zur
nachhaltigen Entwicklung?
In Grundkurs 1 wurde deutlich,
dass Nachhaltigkeit ein anspruchsvolles Konzept ist, da es grundlegende
Änderungen in allen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Bereichen erfordert. Grundkurs 2
hat aufgezeigt, was jeder Einzelne dazu beitragen kann, dass eine Wende hin zur
Nachhaltigkeit eingeleitet wird. In
Grundkurs 3 wurde das bislang erfolgreichste Modell für die Umsetzung des
Konzepts der Nachhaltigkeit vorgestellt, die Agenda 21 bzw. die Lokale Agenda
21. Grundkurs 4 hat sich
exemplarisch mit einem der drängendsten globalen Probleme beschäftigt, dem
Klimawandel.
Im abschließenden
Grundkurs 5 geht es darum, einige Probleme auf dem Weg zur nachhaltigen
Entwicklung, wie sie in den bisherigen Grundkursen immer wieder zur Sprache
gekommen sind, gebündelt darzustellen. Diese Probleme sind grundsätzlicher
Natur. Es reicht nicht, im Prinzip so weiterzumachen wie bisher, und
lediglich die eine oder andere Weiche anders zu stellen. Vielmehr muss das
komplette Schienennetz, der Fahrplan und die Lokomotive ausgetauscht werden.
Die Ausgangslage hierfür ist nicht gerade glänzend: Während in den 1980er
Jahre die Diskussion von Umweltproblemen (erinnert sei an die Katastrophen
von Seveso, Bhopal, Tschernobyl, Basel) ganz oben auf der internationalen
Agenda stand und 1992 beim wegweisenden "Erd-Gipfel" von Rio de Janeiro
ihren Höhepunkt erreichte (siehe
Chronologie),
gewann die Globalisierungsdebatte spätestens ab Mitte der 1990er Jahre die
Oberhand:
"Eine illusionslose Bilanz muss festhalten, dass der Diskurs der
Nachhaltigkeit schon sehr bald nach Rio von den Verheißungen und den
Erfolgsgeschichten der Globalisierung übertönt wurde. Diese beherrschen bis
heute weltweit das Denken in den Unternehmen und in den Regierungen (...).
Seit kurzem sind sie jedoch in ein Trommelfeuer wütender Kritik geraten. Der
Gedanke der sozialen und globalen Gerechtigkeit gewinnt wieder an Boden. Zur
gleichen Zeit wurde in der Mitte der Gesellschaft das 'Festungsdenken'
populär und politisch wirksam. |
Barrieren für
ein umweltbewusstes Verhalten
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Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung:
Umweltprobleme sind nicht unmittelbar erfahrbar |
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Schwierigkeiten der Information:
Kausale Vernetzungen sind schwer zu denken |
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Barrieren auf emotionaler Ebene:
Ängste, Verdrängungen, Ausreden |
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Schwierigkeiten der Vermittlung:
Eingängige Informationen und Bilder fehlen |
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Anthropologische Barrieren: Die
ökologische Zivilisierung widerspricht elementaren Verhaltensmustern |
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Soziokulturelle Barrieren:
Umweltverhalten ist nur schwer mit geltenden Werten vereinbar |
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Schwierigkeiten durch Abwälzen der
Lasten: das ökologisch-soziale Dilemma (Allmende-Klemme) |
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Schwierigkeiten der
Zeit-Perspektive: Konsequenzen eines bewussten Verhaltens kann
der Einzelne oft nicht erleben
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[aus: Horst
Neumann, Agenda 21. Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung; in:
Politik & Unterricht 4/1999, S. 21] |
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Es verstärkte sich nach den Schockwellen der
Terroranschläge in den USA und artikuliert sich im lautstarken Ruf nach
Sicherheit durch Abschottung und Besitzstandswahrung: Ich will, dass es
wenigstens hier und heute - und vielleicht noch morgen - so bleibt, wie es ist,
und wenn alles ringsum in Elend und Gewalt versinkt. Wenn dann die Regenwälder
kahlgeschlagen sind, der Golfstrom kippt, die Flüchtlingsströme unbeherrschbar
geworden sind, ist es allerdings zu spät für die Einsicht, dass 'sustainable
development' vermutlich der bessere Weg zur globalen - und individuellen -
Sicherheit gewesen wäre."
[aus: Ulrich Grober, Konstruktives braucht Zeit. Über die langsame Entdeckung
der Nachhaltigkeit; in: Aus Politik und Zeitgeschichte 31-32/2002, S. 6,
Online-Version]
Marktwirtschaft und Nachhaltigkeit
Einiges spricht dafür, dass Nachhaltigkeit und Kapitalismus - zumindest in
seiner gegenwärtigen Form - hinsichtlich der Ziele und Leitbilder inkompatibel
sind. In seinem berühmten Weltbestseller "Die Kunst des Liebens" aus dem Jahr
1956 diagnostiziert der Psychoanalytiker und Sozialpsychologe Erich Fromm:
[Erich Fromm, 1900-1980] |
"Der moderne
Kapitalismus braucht Menschen, die in großer Zahl reibungslos funktionieren,
die immer mehr konsumieren wollen (...). Er braucht Menschen, die sich frei
und unabhängig vorkommen und meinen, für sie gebe es keine Autorität, keine
Prinzipien und kein Gewissen - und die trotzdem bereit sind, sich
kommandieren zu lassen, zu tun, was man von ihnen erwartet, und sich
reibungslos in die Gesellschaftsmaschinerie einzufügen (...). Was kommt
dabei heraus? Der moderne Mensch ist sich selbst, seinen Mitmenschen und der
Natur entfremdet (...)". Er "überwindet ... seine unbewusste Verzweiflung
durch die Routine des Vergnügens (...), außerdem durch die Befriedigung,
ständig neue Dinge zu kaufen und diese bald wieder gegen andere
auszuwechseln (...). Unser Charakter ist darauf eingestellt, zu tauschen und
Dinge in Empfang zu nehmen, zu handeln und zu konsumieren. Alles und jedes -
geistige wie materielle Dinge - wird zu Objekten des Tausches und des
Konsums."
[aus: Erich Fromm, Die Kunst des Liebens, München 2000, S. 100-102] |
Mit Blick auf die Wende hin zu einer
nachhaltigen Entwicklung stimmt diese Analyse nachdenklich. In der Tat basiert
unser wirtschaftliches Denken nach wie vor auf dem "Schneller, höher, weiter,
mehr", auf dem Vertrauen darauf, dass sich die Probleme mit mehr Wachstum lösen
lassen. Demgegenüber finden neue Wohlstandsmodelle wie das "Langsamer, weniger,
besser, schöner" kaum Gehör (siehe
"Die Vision vom solaren
Zeitalter").
Bewusstseinswandel: Vom mechanistischen Weltbild ...
Erforderlich sei, so der berühmte Physiker und Vordenker einer ganzheitlichen
Weltsicht, Fritjof Capra, ein grundlegender Wandel der Weltbilder und
Wertvorstellungen. Dieser Wandel habe zwar begonnen, konnte sich aber noch nicht
durchsetzen. Im Bereich der Wissenschaft wurde er ausgelöst von den
bahnbrechenden Entdeckungen in der Physik Anfang des 20. Jahrhunderts. Im
gesellschaftlichen Bereich sieht er eine Vorreiterrolle der weltweiten Ökologie-
und Frauenbewegung.
Das Hauptproblem auf dem Weg zur nachhaltigen Entwicklung besteht nach
Capra darin, dass wir an einem überholten Weltbild festhalten, an einem
mechanistischen Bild des Lebens, das auf der Physik Newtons basiert. Dieses
überholte Paradigma charakterisiert er in seinem einflussreichen Buch "The
Turning Point" (1982) folgendermaßen:
[Fritjof Capra,
www.fritjofcapra.net] |
"Das Weltbild oder
Paradigma, das jetzt langsam zurücktritt, hat unsere Kultur mehrere hundert
Jahre lang beherrscht und hat während dieser Zeit die ganze Welt wesentlich
beeinflusst. Es enthält eine Anzahl von Ideen und Wertvorstellungen:
darunter die Auffassung, das Universum sei ein mechanisches System, das aus
materiellen Grundbausteinen besteht; das Bild des menschlichen Körpers als
einer Maschine; die Vorstellung des Lebens in der Gesellschaft als eines
ständigen Konkurrenzkampfes um die Existenz; den Glauben an unbegrenzten
materiellen Fortschritt durch wirtschaftliches und technisches Wachstum; und
- nicht zuletzt! - den Glauben, dass eine Gesellschaft, in der das Weibliche
überall dem Männlichen untergeordnet ist, einem grundlegenden Naturgesetz
folgt. Alle diese Annahmen haben sich während der letzten Jahrzehnte als
sehr begrenzt erwiesen und bedürfen einer radikalen Neuformulierung."
[aus: Fritjof Capra, Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild, Vorwort
zur deutschen Taschenbuchausgabe, München 1991, S. IX] |
... zum ganzheitlichen Weltbild
Diese Neuformulierung folgt einem neuen Paradigma, einer ganzheitlichen oder
ökologischen Weltsicht. Capra verwendet auch den Begriff "systemisches Denken":
"In der Naturwissenschaft bietet nämlich die in den letzten Jahrzehnten
entwickelte Theorie lebender Systeme den idealen wissenschaftlichen Rahmen zur
Formulierung des neuen ökologischen Denkens (...).
Lebende Systeme sind integrierte Ganzheiten, deren Eigenschaften sich nicht auf
die kleineren Einheiten reduzieren lassen. Statt auf Grundbausteine konzentriert
sich die Systemtheorie auf grundlegende Organisationsprinzipien. Beispiele für
Systeme gibt es in der Natur in Hülle und Fülle. Jeder Organismus - von der
kleinsten Bakterie über den weiten Bereich der Pflanzen und Tiere bis hin zum
Menschen - ist ein integriertes Ganzes und somit ein lebendes System. Dieselben
Ganzheitsaspekte zeigen sich auch in sozialen Systemen, zum Beispiel in einer
Familie oder einer Gemeinschaft, und ebenso in Ökosystemen, die aus einer
Vielzahl von Organismen in ständiger Wechselwirkung mit lebloser Materie
bestehen."
[aus: Fritjof Capra, Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild, Vorwort zur
deutschen Taschenbuchausgabe, München 1991, S. X]
Zentral für die systemische Sicht ist die Erkenntnis, dass das Ganze immer etwas
anderes ist als die bloße Summe seiner Teile. In dieser Sicht sind nur
diejenigen Maßnahmen akzeptabel, die auch langfristig tragfähig sind, die also
die lebenden Systemen nicht schädigen. Insofern bildet dieses neue ökologische
Paradigma eine ideale Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung. Umrisse des
daraus folgenden Wertewandels zeigt das folgende Schaubild.
Weitere Abschnitte im Rahmen von Grundkurs 5
| Globalisierung und The Tragedy of the
Commons: Der Markt alleine reicht als Steuerungsinstrument nicht aus.
Er sorgt nicht für Umweltschutz. Das ist die Aufgabe regulierender Politik.
Aber viele Probleme haben globale Ausmaße erreicht, während Politik nach wie
vor im wesentlichen auf nationaler Ebene gemacht wird ... [...
mehr]
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| Entwicklung als schwieriges Konzept:
Viele Befürworter des Konzepts der Nachhaltigkeit beklagen die Tatsache, dass
man nun von "nachhaltiger Entwicklung" als Leitbild spricht, denn sie
halten den Entwicklungsbegriff für problematisch ... [...
mehr]
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| Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit
hängen eng zusammen. Der Nord-Süd-Konflikt bildet ein wesentliches Hindernis
auf dem Weg zur nachhaltigen Entwicklung. Hier kommt auch die Rolle der
letzten verbliebenen Supermacht ins Spiel ... [...
mehr]
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"Notwendig ist eine
holistische, die gesamte Schöpfung umfassende und nicht mehr nur
anthropozentrische Ethik. Dazu müssen wir die Grundlagen des heutigen
Wirtschaftsdenkens ... in Frage stellen."
[José Lutzenberger,
Wegbereiter der Rio-Konferenz] |
[Autor: Ragnar Müller]
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