Benotung
Nach oben Ziele Planungsfragen Benotung Herausforderung Delors-Bericht

 

Politikdidaktik

Benotung im Politikunterricht - das Problem der Lernkontrolle

Der folgende Text widmet sich dem wichtigen Problem der Lernkontrolle, das sich im Politikunterricht in besonderem Maße stellt, da es hier mehr noch als in anderen Fächern um Ziele auf verschiedenen Ebenen geht (siehe Ziele der politischen Bildung):

"Die Frage, ob und in welcher Form politischer Unterricht auch Lernkontrolle im engeren Sinne einschließen soll, wird in der fachdidaktischen Diskussion unter pragmatischen, pädagogischen und lernpsychologischen Gesichtspunkten kontrovers diskutiert. Von den Praktikern der politischen Bildung, besonders in den Schulen, wird die Lernkontrolle aus rechtlichen und pädagogischen Gründen dagegen selten grundsätzlich in Frage gestellt. Doch auch bei vorwiegend anwendungsbezogener Betrachtung der verschiedenen Methoden der Leistungsmessung sind einige gravierende Probleme zu bedenken:

1. Kann man Leistungen im politischen Unterricht überhaupt beurteilen (wenn ja, in welcher Form?), oder ist dies unmöglich aufgrund der besonderen Eigengesetzlichkeit des Fachs, infolge seiner starken affektiv-wertgebundenen Komponente und seiner komplexen, oft langfristigen Lernprozesse, die einer Bewertung durch Außenstehende nicht zugänglich sind? (...)

2. Wenn man jedoch auf bewertende Lernkontrolle nicht verzichten möchte (...) oder vor diese Alternative erst gar nicht gestellt wird (z.B. wegen der Anforderungen in Lehrplänen ...), sieht man sich erheblichen Schwierigkeiten und Problemen gegenüber. Zunächst gilt nach wie vor die Feststellung, daß die meisten Curricula nur selten Hinweise zur Lernerfolgskontrolle in einem objektivierten Sinne enthalten. Hier ergeben sich Fragen, die zentrale Aspekte des Selbstverständnisses der politischen Bildung berühren:

a) Wie weit sollen und können Lehrziele des politischen Unterrichts operationalisiert werden, um am Ende von Lernprozessen als »beobachtbares Verhalten« erfasst und einer Evaluation zugänglich gemacht zu werden? Politische Bildung zielt auch auf Qualifikationen im Sinne von Verhaltensdispositionen, die nicht zu jedem Zeitpunkt des Lernprozesses operationalisierbar und damit testbar sind. Lernerfolgskontrollen im politischen Unterricht können daher nie eine umfassende Effektivitätsmessung darstellen, geben also immer nur Teilergebnisse wieder. Sie beziehen sich daher nur auf die kognitiven Lernintentionen (z.B. kontroverse Auffassungen, Alternativen) und auf formale Qualifikationen, nicht auf Wertentscheidungen oder Verhaltensweisen.

b) Können Leistungen in allen Bereichen des politischen Unterrichts gemessen werden, oder gilt dies nur für die »Instruktionsprozesse«, während die »Reflexionsprozesse«, der Diskurs, einer Evaluation entzogen sind? Da politische Bildung mehr intendiert als »Erwerb oder Steigerung einer bestimmten objektiv beschreibbaren (und deshalb auch objektiv nachprüfbaren) Kompetenz«, die in zielgerichteten »Instruktionsprozessen« vermittelt wird, ergibt sich das Problem, wie individuelle »Suchbewegungen« ohne vorgegebenes Ende und Prozesse der »Selbstreflexion« (...) in Lernkontrollen erfasst werden können (...).

c) Wie kann die Schwierigkeit einer adäquaten Beurteilung/Benotung von Lernleistungen bewältigt werden? Einerseits könnte man den »persönlich-privaten Wertbereich« (F. Marz) ganz aussparen und sich auf positivistische Fragen beschränken, die eine eindeutige Bewertung nach »richtig« oder »falsch« ermöglichen (»Wer wählt den Bundespräsidenten?«). Dadurch erhielte die Lernkontrolle freilich den Charakter eines naturwissenschaftlichen Tests und politische Bildung (...) würde auf mechanisch-formales Lernen beschränkt. Das Ergebnis wäre eine Zurückdrängung der bewusstseinsbildenden Zielkomponente: Politische Bildung wäre weitgehend auf die Vermittlung sachlich-fachlicher Kenntnisse (»Institutionenkunde«) reduziert.

Ein Ausweg aus dem Dilemma

Da die »reflexiven« Bereiche des politischen Unterrichts nur schwer operationalisiert und bewertet werden, aber wegen ihrer zentralen Bedeutung nicht ausgeklammert werden können, stellt die Beschränkung auf Qualifikationen und Kriterien formaler Art einen Ausweg dar; es soll nicht erfragt und beurteilt werden, welche Meinung der Lernende vertritt, sondern wie er das Problem analysiert und sein Urteil begründet. Diese formalen Maßstäbe können auch den Lernenden vermittelt und mit ihnen anhand von Beispielen diskutiert werden, was sicherlich zur Transparenz der Bewertung von Lernkontrollen beiträgt. Deshalb müssen vor allem die Beurteilungskriterien offengelegt werden.

Bei der Feststellung und Einschätzung des Lernerfolges ist stets die Möglichkeit im Auge zu behalten, dass der Lernende sich nur äußerlich an bestimmte Ziele und Anforderungen des Unterrichts anpasst, da er ja weiß, »worauf es ankommt«. Auch sollte sich der Lehrende bewusst sein, daß er unbewusst vielleicht die inhaltliche Tendenz der Arbeit eines Lernenden durch besondere Betonung von »Argumentationsschwächen« und »fehlenden Begründungen« negativ bewertet, um (schein-) objektive Belege für eine schlechte Beurteilung vorweisen zu können (oder umgekehrt). Diese Gefahren sind zu minimieren durch kritische Selbstbeobachtung des Lehrenden und ein offenes Verhältnis »symmetrischer Kommunikation« zwischen ihm und den Lernenden.

Die schriftliche Lernkontrolle

Vor dem Hintergrund der dargestellten Probleme stellt sich die Frage nach dem Stellenwert der schriftlichen Form der Lernkontrolle im politischen Unterricht. Sollte diese überwiegend oder völlig zurücktreten gegenüber der mündlichen Überprüfung des Lernerfolgs? Rein pragmatisch steht dieser Problemlösung - vor allem im Bereich des staatlichen Ausbildungssystems (...) - die Tatsache entgegen, daß nolens volens den formalen Anforderungen entsprochen werden muss, und diese fordern auch und in - unterschiedlich - starkem Maße schriftliche Lernerfolgskontrollen. Für den Alltag des politischen Unterrichts folgt daraus die Notwendigkeit, auf diese Form der Überprüfung von Lernergebnissen vorzubereiten, d.h. methodisch-instrumentelle Fertigkeiten zu vermitteln und zu üben sowie die psychische Belastbarkeit zu trainieren.

Aber auch aus grundsätzlichen Überlegungen erscheint es sinnvoll, auf schriftliche Arbeiten nicht zu verzichten: Auf diese Art wird nicht nur »Wettbewerbsgleichheit, die im mündlichen Unterricht allein nicht erreicht werden kann«, wiederhergestellt (W. Mickel), es wird auch intensiver und konzentrierter als durch die Auswertung mündlicher Äußerungen von Lernenden überprüfbar, inwieweit die Lehrziele, sofern sie operationalisierbar sind, erreicht wurden. Auch die sich einer Operationalisierung verschließenden »Reflexionsprozesse« können durch schriftliche Arbeiten, die in diesem Fall den Rahmen von nur begrenzten Lernkontrollen überschreiten, vorbereitet und fortgeführt werden, zumal diese auch der Herausbildung allgemeiner Qualifikationen der geistigen Arbeit dienen (Befähigung zu konzentrierter schriftlicher Darstellung einer Auseinandersetzung mit einem Problem und Formulierung einer eigenen Meinung; Förderung der schriftsprachlichen Kompetenz) (...).

Konsequenzen für die Praxis

Abschließend sollen thesenartig die Konsequenzen zusammengefasst werden, die sich aus den vorangegangenen Überlegungen für die Praxis des politischen Unterrichts ergeben:

1. Grundsätzlich sollte schon bei der Planung von Lehrprozessen auch die Form einer Ergebnisüberprüfung bedacht werden, die als Rückkoppelung für den Lehrenden wie als Möglichkeit der Selbsteinschätzung für den Lernenden wichtige Funktionen besitzt. Um jedoch Offenheit und Flexibilität des Unterrichts nicht zu verhindern und der Gefahr einer Programmierung nach dem Input-Output-Muster zu entgehen, kann die Lernkontrolle - in welcher Form auch immer - stets nur am Ende der Lerneinheit im Detail konzipiert und formuliert werden.

2. Zumindest für den Bereich des staatlichen Schul- und Ausbildungssystems stellt sich derzeit aufgrund der institutionellen Zwänge und des konzeptionellen Entwicklungsstandes der politischen Bildung nicht die Frage, ob auf bewertende Lernkontrollen im politischen Unterricht verzichtet werden kann. Das heißt jedoch nicht, daß jede Lernerfolgsmessung unbedingt bewertet werden muss; dies sollte vielmehr der Ausnahmefall bleiben, um ein möglichst angstfreies und offenes Lernen zu ermöglichen (...).

3. Eine Lernkontrolle im politischen Unterricht kann sowohl in mündlicher als auch in schriftlicher Form erfolgen. Im Bereich des Mündlichen erscheint es sinnvoller, die Überprüfung des Lernergebnisses in den laufenden Unterricht zu integrieren und auf eine Schematisierung zu verzichten (»Was haben wir in der letzten Stunde durchgenommen?«), um individuelle Lernfortschritte besser erfassen zu können und der Lernkontrolle eine gestaltende Funktion im Unterrichtsprozess zu geben, z.B. als Rück- und Ausblick. So könnte in der Mitte einer Lerneinheit über »Randgruppen« der Lehrer einen Schüler bitten, die wesentlichen Randgruppen in der Gesellschaft (...) und die jeweiligen spezifischen Probleme ihrer Lage zu nennen (Wiedergabe des Gelernten) und ihn fragen, ob und wie seiner Meinung nach der Staat auf diese Situation reagieren sollte. Durch diesen weiterführenden Impuls ist auch die affektive Dimension des Lernprozesses berührt.

Die schriftliche Lernkontrolle sollte auf jeder Stufe des politischen Unterrichts ihren festen Platz haben. Jedoch widerspricht die Form des »Wissenstests«, der nur Kenntnisse abfragt, zentralen Zielen und Intentionen des politischen Unterrichts und sollte nur in begrenzten Ausnahmefällen gewählt werden.

Zu Beginn des politischen Unterrichts an der Schule (...) sind auch gemischte Aufgabenstellungen möglich, die einerseits die Reproduktion von Gelerntem verlangen, andererseits die Lernenden zur Problematisierung bestimmter Sachverhalte und zur eigenen kritischen Urteilsbildung anregen. In einem fortgeschrittenen Stadium (...) sollte die Lernkontrolle die Form einer aufgabengeleiteten Auseinandersetzung mit einem Problem (möglichst auf einer Materialgrundlage) annehmen, die für Lehrende und Lernende tiefergehende Erkenntnisse und Einsichten ermöglicht (...)."

[Andreas Unger, Lernkontrolle und Leistungsmessung; in: Wolfgang W. Mickel (Hrsg.), Handbuch zur politischen Bildung, hg. v. Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Band 358, Bonn 1999, S. 293-297]

[Seitenanfang]

 

horizontal rule

Themen: neu: Web 2.0 I  Menschenrechte  I  Vorbilder  I  Demokratie  I  Parteien  I  Update: Europa  I  Globalisierung  I  Vereinte Nationen  I  Nachhaltigkeit

Methoden:    Politikdidaktik    II    Friedenspädagogik    II    Methoden

     


 

Dieses Onlineangebot zur politischen Bildung wurde von agora-wissen entwickelt, der Stuttgarter Gesellschaft für Wissensvermittlung über neue Medien und politische Bildung (GbR). Bei Fragen oder Anmerkungen wenden Sie sich bitte an uns. Trägerorganisation des Bildungsprogramms D@dalos ist der Verein Pharos Stuttgart/Sarajevo.