Inhaltsverzeichnis
Online-Lehrbuch Demokratie
Einleitung
Was ist Demokratie?
Entwicklung
Antike
Mittelalter
Neuzeit
Staat
Gesellschaft
Probleme |
Entwicklung der Demokratie
Demokratie im Mittelalter: "Stadtluft macht frei"
[Autor: Dr. Ragnar Müller,
Mail an den Autor]
Auf dieser Seite befassen wir uns mit demokratischen Ansätzen im
Mittelalter, die im wesentlichen auf Städte beschränkt waren. Dabei
betrachten wir eine mittelalterliche Stadt genauer, nämlich
Brügge, das "Venedig des Nordens". Wie war eine Stadt im
Mittelalter organisiert, welche demokratischen Elemente können wir
finden? Doch zunächst ein kurzer Einführungstext von Hans-Helmuth
Knütter:
"Im europäischen Mittelalter zeigt
sich in allen politischen Gebilden ein Nebeneinander von
monarchischen, aristokratischen und demokratischen Prinzipien.
Demokratische Mitbestimmung gab es hauptsächlich in den Städten, die
in der Regel eine aristokratische Verfassung hatten. In heftigen
Kämpfen versuchten Handwerker und ihre Verbindungen (Zünfte) den
Patriziern, die meist Kaufleute waren, die Stadtherrschaft streitig
zu machen. Die besitzlosen Schichten blieben aber politisch
einflusslos.
Durch den Grundsatz, dass es in
der Stadt keine Unfreiheit gebe ("Stadtluft macht frei") und dass
die Stadtverwaltung das Wohl der Gesamtheit vertrete, entstand das
Bewusstsein eines Stadtbürgertums, das sich in seinem
Selbstverständnis und in seiner Rechtsstellung deutlich vom
abhängigen "Untertanen" der absoluten Monarchien unterschied.
[Autor: Hans-Helmuth Knütter,
aus: Bundeszentrale für politische Bildung: Demokratie,
Informationen zur politischen Bildung Nr. 165, Neudruck 1992] |
Brügge als Beispiel
Ständeordnung:
1. Adel
2. Klerus
3. Bauern & Arbeiter
(Unfreie)
Städte bilden sich um Burgen und Klöster |
Das mittelalterliche Brügge
Brügge zählte zu den bedeutendsten
Städten im Mittelalter. Der folgende Text stellt dieses
wirtschaftliche und kulturelle Zentrum vor und fragt danach, wie es
um die Demokratie in dieser mittelalterlichen Stadt bestellt war.
Wie frei macht Stadtluft? Anschließend beschäftigen wir uns mit der
Schönheit dieser Stadt, die ihre kulturelle Blüte unter den
Burgunderherzögen erlebte, und den bedeutenden Künstlern, die sie
hervorgebracht hat: Brügge - ein Stadtspaziergang.
Wie frei macht Stadtluft?
"Stadtluft macht frei" lautet
ein altes Sprichwort. Es hat seinen Ursprung im Mittelalter, als
sich langsam Städte bildeten, in denen die Menschen freier leben
konnten als auf dem Land. Der Ursprung der Unfreiheit war die
strenge Ständeordnung des Mittelalters. Die meisten Menschen lebten
als unfreie Leibeigene ihres Herrn auf dem Land.
Die Ständeordnung
Den ersten Stand bildeten die
Adligen. Den zweiten Stand bildeten Angehörige der Kirche, der
Klerus. Der dritte Stand setzte sich aus Bauern und Arbeitern
zusammen. Der größte Teil der Angehörigen des dritten Standes war
unfrei und einem Dienstherrn unterstellt. Sie durften sich nicht
frei bewegen, konnten nicht in einen höheren Stand aufsteigen,
mussten den größten Teil dessen, was sie erwirtschafteten, an den
Dienstherrn abgeben und waren seiner Willkür ausgeliefert. Sie
gehörten praktisch ihrem Herrn vergleichbar mit Sklaven. Freie
Dienstherren waren nur Personen aus den ersten beiden Ständen. Sie
besaßen Grund und Boden.
Entstehung der Städte
In der Regel spielte sich das
Leben auf dem Land ab. Zentren bildeten dabei die Sitze der
Dienstherrn, also Burgen, Klöster und Königliche Paläste. An diese
Zentren siedelten sich im Laufe des 11.und 12. Jahrhunderts immer
mehr Menschen an, so dass sich kleine Städte bildeten. Diese
Menschen stammten ursprünglich aus dem dritten Stand und hatten sich
von ihrem Herrn freigekauft oder waren ihm davongelaufen. Grund und
Boden besaßen sie nicht. Sie versuchten, sich als Handwerker oder
Kaufleute ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Den Dienstherren
gelang es nicht, ihre Leibeigenen in den Städten zu suchen und
wieder zurückzuholen. Daher setzte es sich durch, dass Unfreie, die
ein Jahr und einen Tag in einer Stadt lebten, zu Freien wurden. So
entstand der Spruch "Stadtluft macht frei".
Die Stadt Brügge
Auch in der Region Flandern,
das liegt im heutigen Belgien, machte Stadtluft frei. Flandern
reichte damals von der Maas bis an den Atlantik. Die bedeutendste
Stadt in dieser Region war Brügge. Auch Brügge bestand ursprünglich
aus einer Burg aus dem 9. Jahrhundert und den dazugehörigen
Siedlungen. Diese Burg gehörte dem Grafen von Flandern. Er war durch
Geburt der Landesherr Flanderns und Brügges. Er wurde nicht gewählt.
Die Herrschaft über Flandern wurde vom Vater an den Sohn
weitervererbt. Durch Kriege oder Heirat konnte der Landesherr
wechseln. Die Herrschaft entbehrte also einer demokratischen
Legitimation. Auf Herrschaftswechsel hatte das Volk keinen Einfluss.
Zudem bedrohte ein Herrschaftswechsel die Unabhängigkeit der Städte
und damit auch ihre Gesellschaftsordnung mit den demokratischen
Elementen. Ein neuer Herrscher würde immer versuchen,
Selbstbestimmung zu verhindern und erwirtschaftete Gewinne selbst
abzuschöpfen.
Demokratie in der
mittelalterlichen Stadt?
In unserem Beispiel von der
Fernsehfamilie (siehe "Was ist Demokratie?")
wäre das so, als ob der Vater der Familie vom Großvater die
Fernbedienung geerbt hätte und nun frei darüber verfügen könnte,
ohne dass der Rest der Familie Einfluss auf seine Entscheidung
hätte. Die anderen Familienmitglieder könnten nur mit Gewalt etwas
an ihrer Situation ändern. |
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Die Problematik
des Begriffs "Mittelalter" |
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Der
Gymnasialrektor Christoph Cellarius (1634-1707) hat sein
Kompendium der alten Geschichte zweimal herausgebracht; das
erste Mal (1675) führte er es bis Christi Geburt, das zweite
Mal (1685) bis zu Konstantin.
Zuerst
folgte Cellarius der heilsgeschichtlichen Periodisierung der
Weltgeschichte, die in der Patristik entwickelt und im
"Mittelalter" maßgeblich wurde und unsere Zeitrechnung "nach
Christi Geburt", so wie sie Dionysius Exiguus um 525
errechnete, noch heute bestimmt.
1685
verwendete Cellarius jedoch die Periodeneinteilung der
humanistisch verstandenen Bildungsgeschichte in Antike,
Mittelalter und Neuzeit und projizierte sie — erstmals
universalhistorisch verallgemeinert — auf die
Staatengeschichte.
Die von
Konstantin bis zur Eroberung Konstantinopels reichende Zeit
beschrieb Cellarius sodann (1688) als die "barbarischen
Jahrhunderte" des medium aevum. Daran schloss er (1693) die
Darstellung der historia nova an.
Mit
dieser nunmehr profanen Epocheneinteilung der Weltgeschichte
hat Cellarius in der Geschichte der Geschichtsschreibung
selber Epoche gemacht. Seine Trias hat sich durchgesetzt,
wenngleich mit mehr Erfolg als Recht. Denn sie wird allein
schon den drei Herrschafts- und Kulturbereichen, welche die
antike Mittelmeerwelt ablösten, also dem
griechisch-byzantinischen, dem islamisch-arabischen und dem
lateinisch-fränkischen, nicht gerecht. Sie gilt nur für den
letzten; der erste kennt nicht die "neue" und der zweite
nicht die "antike" Epoche, so dass die "mittlere" auch nicht
ihr Mittel-Alter ist.
Der
Begriff des Mittelalters erfüllt darum nicht das
Erfordernis, klar und deutlich zu sein, sondern bezeichnet
nur vage ein ganz grob gerechnetes und mit je verschiedenen
Grenzen und Gründen zu umfassendes Jahrtausend in der
Geschichte der Nachfolger des Römerreiches.
In diesem
profanhistorisch bestimmten Mittelalter hat jede der drei
Nachfolgekulturen ihrerseits in sakralen Ären die Jahre der
Heilsgeschichte im Hinblick auf ihr Ende gezählt: Byzanz die
Jahre des Bestehens der Welt und der Regierung des
jeweiligen Kaisers, der Weltherrschaft Gottes also und
seines Stellvertreters; der Westen die Dauer des neuen
Bundes als der mittleren Zeit zwischen der Menschwerdung und
der Wiederkunft Christi; der Islam die Jahre des Bestehens
der religiös-politischen Gemeinschaft der Muslime, die mit
der Emigration (hedschra) des Propheten nach Medina begann.
Die
heilsgeschichtliche Deutung bestimmt hier wie dort die
geschichtliche Existenz und ist darum der verbindliche
Rahmen des politischen Tuns und Denkens. So ist Politik als
Praxis und als Theorie "letzten Endes" auf die Religion
bezogen. Die Religion stellt der Politik ihre vornehmsten
heilsgeschichtlichen Aufgaben: den Schutz und die
Ausbreitung des wahren Glaubens. Politische Gemeinschaften
formieren sich darum zugleich als Glaubensgemeinschaften,
die Andersgläubige bei sich allenfalls dulden, sie aber
nicht herrschen lassen können.
Und
umgekehrt folgt die Politik dem weltweiten Missionsauftrag
der monotheistischen Religion (vgl. Matth. 28,19f.; Koran
34,27) durch die Idee monarchischer Weltherrschaft als
Anspruch oder als Fiktion. Aus diesen theologischen
Prämissen der Politik wurden jedoch im byzantinischen,
islamischen und lateinischen Kulturbereich nicht dieselben
Folgerungen abgeleitet.
[Autor:
Dieter Mertens; aus: Hans Fenske u.a., Geschichte der
politischen Ideen. Von Homer bis zur Gegenwart,
Frankfurt/Main 1987] |
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Mit Gewalt einen
Herrschaftswechsel durchzuführen, versuchten auch die Flamen. So mussten
sie sich während des Hundertjährigen Krieges, konkret z.B. 1302, gegen
die Übernahme durch die Franzosen wehren. Flandrische Zünfte ermordeten
französische Besatzer im Mai 1302 in der Mette von Brügge. Im Juli des
gleichen Jahres besiegten bürgerliche Fußtruppen der Flamen das
französische Ritterheer in der Sporenschlacht bei Kortrijk (Courtrai)
vernichtend, wodurch es Flandern gelang, seine Unabhängigkeit zu
bewahren und vorerst vor der Fremdherrschaft verschont zu bleiben. In
der Schlacht kämpften Adel, Patrizier, Handwerker und Bauern gemeinsam.
Die Volkshelden Breydel und Coninck sollen an die 7000 Weber und
Fleischhauer in den Kampf geführt haben. Auf ihren Einsatz im Kampf
begründeten die niederen Stände ein Mitspracherecht, von dem später noch
die Rede sein wird. |
Brügge als Handelszentrum |
Das "Venedig des Nordens"
Flandern war nicht nur in der Schlacht erfolgreich, sondern auch
wirtschaftlich. Es war bekannt für die hohe Qualität des dort
hergestellten Tuches. Im 13. Jahrhundert wurde in ganz Europa ein reger
Handel betrieben. Zunehmend wichtiger wurde der Handel auf dem Seeweg.
Dadurch bildeten sich an wichtigen Routen große Handelszentren. Brügge
wurde auf Grund seiner geographischen Lage und der hochwertigen
Tuchherstellung das bedeutendste Handelszentrum in dieser Region.
Es bezog Stoffe aus den umliegenden ländlichen Regionen und verkaufte
sie an Händler aus Großbritannien, Italien und Deutschland. Vorteilhaft
war dabei der Hafen Brügges, der an der Bucht Zwyn lag, die sogar von
den großen Handelsschiffen angefahren werden konnte. Brügge lebte von
den ausländischen Händlern. In Brügge wurden alle nur erdenklichen
Luxusgüter gegen das teure Tuch getauscht. Brügge besaß internationales
Flair, weshalb es auch das "Venedig des Nordens" genannt wird.
Die neue Schicht der Kaufleute
Durch den regen Handel bildete sich die Schicht der Kaufleute heraus.
Sie waren freie Bewohner der Stadt, die oft ein Vermögen erarbeiten
konnten. Den reichen Bürgern der Städte Flanderns gelang es, dem Grafen
von Flandern die Autonomie der Städte und Privilegien für die Städte
abzuhandeln. Freiheit und Wohlstand zeichneten Handelsstädte wie Brügge
aus. Immer mehr Menschen siedelten sich in Brügge an. Auch die
Hersteller des Tuches, Handwerker wie Weber, Walker und Färber zog es
vom Land nach Brügge. Die Stadt wuchs und muss über 40.000 Einwohner
gehabt haben. |
Herausbildung einer neuen sozialen Ordnung in den Städten |
Das Bürgertum
In der Stadt bildete sich unabhängig von der ländlichen Ständeordnung
eine neue soziale Ordnung. Noch immer war der Landesherr die oberste
Instanz, die Kirche hatten einen enormen Einfluss und Adlige besaßen
bestimmte Sonderrechte. Aber es waren nur wenige Adlige in den Städten.
Die meisten hielten sich auf dem Land auf. Immer mehr Einfluss bekamen
nun aber die reichen Kaufleute und Handwerker, die in der Stadt eine
neue Schicht, das Bürgertum, bildeten.
Innerhalb des Bürgertums muss unterteilt werden in eine kleine, reiche
Oberschicht aus reichen Kaufleuten, eine Mittelschicht aus wohlhabenden
Kaufleuten und Handwerkern wie z.B. Tuchfabrikanten, und eine niedrigere
Schicht aus Handwerkern, die gefolgt wird von den Lohnarbeitern. |
Selbstorganisation in der Stadt
demokratische Ansätze, aber Zensuswahlrecht |
Die Stadtverwaltung
Da die Bürger der Stadt nicht an einen Dienstherrn gebunden waren,
mussten sie sich selbst organisieren. So mussten sie ihre Waren gegen
Plünderer schützen, indem sie z.B. Stadtmauern bauten, wie sie heute
noch in alten Städten zu finden sind. Um den Bau einer Stadtmauer
durchzuführen und zu finanzieren, wurde eine Art Verwaltung gegründet.
In Brügge wurde diese selbständige Verwaltung Ende des 12. Jahrhundert
eingerichtet. Meistens bildete sich ein Rat, in dem die wichtigsten und
reichsten Bürger, in der Regel Kaufleute der Stadt, vertreten waren. In
Brügge wurde diese Funktion von einem gewählten Schöffenrat übernommen.
Dieser Schöffenrat hatte zugleich die wichtige Aufgabe, über
Streitigkeiten zu richten.
Demokratische Ansätze
Einrichtungen wie dieser Schöffenrat waren erste demokratische Elemente
im Mittelalter, die sich in den Städten herausbildeten. Dennoch
entsprachen diese demokratischen Elemente nicht den Anforderungen, die
heute an eine Demokratie gestellt werden. Zeitweise war der Grundbesitz
Voraussetzung, um wählen zu dürfen. Große Teile der Bevölkerung waren
daher von den Wahlen ausgeschlossen. Unter den Wählern gab es auch noch
Unterschiede. So erhielten die Wähler je nach Stand unterschiedlich
viele Stimmen (Zensuswahlrecht), was zu einer aus heutiger Sicht
ungerechten Verschiebung zu Gunsten der ersten beiden Stände führte.
Begünstigt durch solche Regelungen und ihren Reichtum bildeten sich in
den Städten einflussreiche Kaufmannsfamilien, Patrizier, heraus. Sie
bildeten die Oberschicht der Stadt. Zunehmend wurden die Posten in
Gremien wie dem Schöffenrat nur noch an die Mitglieder solcher Familien
vergeben, die ihre Posten zum Teil zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzten.
Dadurch wurde dieses demokratische Element weiter ausgehöhlt. Gegen
diese Ungerechtigkeit begannen die restlichen Bürger sich zur Wehr zu
setzen. Ein wichtige Rolle spielten dabei die Handwerker. |
Zünfte der Handwerker erkämpfen sich Mitspracherecht |
Zünfte
Die Handwerker organisierten sich selbst, indem sie sich zu sogenannten
Zünften zusammenschlossen. Für jeden Handwerksberuf gab es eine Zunft.
Die Zunft überwachte die Herstellung der Produkte. So musste ein
Brötchen ein bestimmtes Gewicht haben. Entsprach ein Brötchen nicht dem
Gewicht, wurde der Bäcker bestraft.
Die Zünfte sorgten aber auch dafür, dass es nicht zuviel Konkurrenz gab.
Sie erschufen strenge Regelungen, die viele Bürger von den
handwerklichen Berufen ausschloss. Selbst wer es in eine Zunft geschafft
hatte, musste sich der Hierarchie in der Zunft beugen. Auch in den
Zünften spielten familiäre Bindungen eine wichtige Rolle. Die Strukturen
innerhalb der Zünfte waren also ebenfalls aus heutiger Sicht
undemokratisch.
In der Verwaltung der Städte hatten die Zünfte und ihre Mitglieder zu
Beginn kein Mitspracherecht. So auch in Brügge. Missernten und das Wüten
der Pest verschärften die wirtschaftliche Situation und riefen starke
soziale Spannungen hervor. Das führte Mitte des 13. Jahrhunderts zu
Revolten in den flandrischen Städten. Die Zünfte setzten sich durch und
erhielten ein Mitspracherecht durch Sitze im Schöffenrat oder eine
zusätzlich Kammer mit Vertretern der Zünfte. Die demokratischen Elemente
wurden dadurch gestärkt und auf einen weiteren Teil der Bürgerschaft
ausgeweitet. Nicht berücksichtigt wurden allerdings Handwerksgesellen
und Lehrlinge, die auch innerhalb der Zünfte kein Mitspracherecht
hatten. Trotz Zusammenschlüssen zu Gesellenverbänden und mehreren
Revolten konnten sie sich nicht gegen Adel, Patriziat und Zünfte
durchsetzen. |
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Brügge und Burgund
Als gegen 1369 Philipp der Kühne, der Herzog von Burgund, die Erbtochter
des Grafen von Flandern, Margarete, heiratete, mussten sogar alle Bürger
Brügges um ihre Unabhängigkeit bangen. Sie fürchteten den Verlust ihrer
Autonomie und hohe Abgaben an Burgund. Daher kämpften die Städte 1375 im
Aufstand der Kommunen darum, eigenständige Stadtrepubliken zu werden.
Obwohl Philipp noch nicht offiziell Herrscher über Flandern war,
schickte er dem Grafen von Flandern seine Truppen zur Hilfe, wodurch der
Aufstand niedergeschlagen werden konnte. Mit dem Tod des Grafen übernahm
der Burgunder 1384 die Herrschaft über Flandern.
Obwohl die Bürger Brügges also die Privilegien der Stadt genossen, haben
sie lange für ein Mitspracherecht und ihre Autonomie kämpfen müssen.
Bestimmte Gruppen, wie niedere Handwerker, Juden und Frauen, kamen
jedoch nie in diesen Genuss. Und auch diejenigen, die ein
Mitspracherecht besaßen, mussten sich vor einem Landesherrn fürchten,
den sie nicht frei wählen konnten und der versuchte, ihnen mit Truppen
ihre Eigenständigkeit und ihren Reichtum zu nehmen. |
Brügge heute
Weitere Fotos bei Wikimedia Commons:
|
[Foto:
Donar Reiskoffer,
Wikimedia Commons] |
"Im Zeitalter Jan van Eycks ... und Hans Memlings ... ist Brügge
unbestreitbar eine der schönsten Städte der Welt"
[Hippolyte Fierens-Gevaert, 1901].
Weitere Informationen bei Wikipedia:
- Brügge
- Jan
van Eyck
- Hans
Memling |
Brügge - ein Stadtspaziergang
Brügge: eine mittelalterliche Welthandelsmetropole
Der Große Markt als Mittelpunkt des alten Brügge ist Ausgangspunkt für
einen Stadtgang, war doch hier der Anfang der Stadt. An der heutigen
Wollestraat und der Oude Burg genannten Straße lag der "Oude Stehen",
die erste flämische Vogtei, bei der bald ein Handelsplatz entstand. Die
Grafenburg wurde im 9. Jahrhundert jenseits der Reie angelegt. Der Ort
Bryggia (Anlegeplatz) wuchs um die Salvatorkirche seit dem 11.
Jahrhundert, der Grafensitz zog Siedler und Handelsleute an. Die Reie
floss durch die Stadt von Süden her im Bogen bis zum van-Eyck-Platz und
weiter nordöstlich in den Zwyn genannten Meeresarm — gute Bedingung für
das Handelszentrum. Von der Reie ausgehende Grachten — mit Wällen und
Mauern Stadtbefestigung — dienten auch dem Transport.
Seit Ende des 12. Jahrhunderts betrieb eine selbständige Stadtverwaltung
planmäßigen Ausbau und Vergrößerung der Stadt. Ein zweiter Grachtenring
bezog als neuer Wasserweg umliegende Klöster mit ein. Im Laufe der Zeit
bestimmten neben den Patriziern — Grundbesitzer und Handelsherren — die
zu Gilden zusammengeschlossenen Handwerker die Stadtgeschichte.
Den Großen Markt beherrschen die Hallen: Lager- und Markthallen um einen
rechteckigen Innenhof, im 13./14. Jahrhundert als Steinbauten errichtet.
In äußeren Laubengängen gab es Läden und Verkaufsstände. Der 108 m hohe
Belfried ist das Bauwerk selbstbewusster Bürger, Symbol für Reichtum,
Machtanspruch und Freiheit des mittelalterlichen Brügge. Das gut
gesicherte Archiv im zweiten Stock barg Stadturkunden und Freibriefe,
Dokumente der Unabhängigkeit. Die Glocken des Turms riefen die Bürger
zusammen, wenn vom Balkon über dem Eingang Gesetze und Verordnungen
verkündet wurden.
Der Belfried ist auch das Wahrzeichen für das Zentrum des damaligen
Welthandels neben Ypern und Venedig. Die Schiffe der Hanse und der
italienischen Handelshäuser gingen in Brügge vor Anker. Es war der
Umschlagplatz für die englische Wolle, die in Flandern zu Tuch
verarbeitet und exportiert wurde, des Salz- und Pelzhandels, durch die
Italiener auch des Gewürzhandels. Bis 1787 stand an der Ostseite des
Marktes anstelle von Provinzverwaltung und Post die 'Waterhalle' über
der Reie; hier wurden die Schiffe entladen, Waren gestapelt und
gehandelt. Von den Patrizierhäusern am Marktplatz gab es einige schon im
16. Jahrhundert. In der Kranenburg wurde 1488 Erzherzog Maximilian von
den rebellierenden Bürgern einige Tage gefangengehalten. Von hier aus
sahen Bürger und Adelige den Turnieren und Spektakeln auf dem Marktplatz
zu.
Im 15. Jahrhundert erreichte Brügge seinen größten Wohlstand; Philipp
der Gute hatte im Prinsenhof seine Hofhaltung, glänzende Feste wurden
gefeiert. Es fanden Ritterturniere statt und die Festlichkeiten während
der Hochzeiten Philipps mit Isabella von Portugal (1430) und Karl des
Kühnen mit Margarete, der Schwester des englischen Königs (1468). Über
den Prinsenhof zogen jährlich am Himmelfahrtstag die großen
Heilig-Blut-Prozessionen mit der kostbaren Reliquie, einem "Blutstropfen
Christi".
Mit Wachstum und Organisation der Stadt bildeten sich — durch Straßen-
und Grachtennamen noch kenntlich — einzelne Stadtviertel heraus: um
Burg- und Marktplatz standen die prächtigen Häuser der Majores und der
Zünfte, um St. Gillis und St. Salvator die einfachen der Handwerker.
Nördlich des Großen Marktes war eines der wichtigsten Quartiere der
Stadt mit Handelshäusern von vierunddreißig Nationen. Nahebei liegt an
der Vlamingstraat der Kranplein. Hier gingen zu Schiff angereiste
Besucher von Bord, hier wurden mit einem großen hölzernen Kran sperrige
Güter entladen. Am heutigen van-Eyck-Plein mussten die Waren durch den
Zoll. Das Zollhaus (1477) mit seinem Blendmaßwerk und der reich
dekorierten Eingangshalle zeugt noch vom Wohlstand durch das
Zollprivileg. Auch das benachbarte Zunfthaus der Lastträger, eines der
schmalsten Häuser der Stadt, ist ein Schmuckstück. Schräg gegenüber
steht das wiederaufgebaute Clubhaus der Poorters, wohlhabender Brügger
Kaufleute, heute Staatsarchiv.
Nahe beim alten Woensdagsmarkt (Mittwochsmarkt) stand das Hansekontor,
das Oosterlingenhuis (1442), das die Stadt den deutschen Kaufleuten
gebaut hatte. Zwischen Vlamingstraat und St. Jakob hatten vor allem die
Italiener ihre Handelshäuser. Man findet noch wenige Zeugen des
damaligen Welthandels: die Faktorei der Genuesen an der Vlamingstraat,
mit Verkaufsraum im Erdgeschoss und einem Festsaal hinter hohen
Maßwerkfenstern (Ende 14. Jh.); schräg gegenüber das Handelshaus der
Republik Florenz. Dieser Platz, an dem auch Venezianer und Katalanen
ihre Kontore hatten, hieß schon auf einem Stadtplan des 16. Jahrhunderts
'Byrsa Brugensis' (Börse von Brügge). Vor dem Haus der Familie van der
Beurze war der geschäftliche Treffpunkt der Kaufleute, die erste Börse.
In Antwerpen, der Handelsnachfolgerin Brügges, gab es seit 1531 ein
Börsengebäude (...).
[Textauszug entnommen aus: Landeszentrale für politische Bildung
Baden-Württemberg, Zeitschrift Deutschland und Europa, Ausgabe 1/1998
"Flandern"] |
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