Internationaler UNESCO Bildungsserver für Demokratie-, Friedens- und Menschenrechtserziehung
 
  D@dalos Startseite Deutsche Startseite Grafische Übersicht Kontakt  
 

 

Themen:

 Menschenrechte / Vorbilder / Demokratie / Parteien / EU / UNO / Nachhaltigkeit / Globalisierung / Web 2.0

     

 

Methoden:

 Politikdidaktik / Methoden der politischen Bildung / Friedenspädagogik     ///     Fragen, Kritik, Kommentare?

 
 

 Sie sind hier:

D@dalos > Deutsche Startseite > Demokratie > Was ist Demokratie?

 



Inhaltsverzeichnis


Online-Lehrbuch Demokratie:

Einleitung

Was ist Demokratie?

 Demokratietheorie

 Demokratietypen

Entwicklung

Staat

Gesellschaft

Probleme
















Was ist Demokratie?

[Autor: Dr. Ragnar Müller, Mail an den Autor]


Um uns einer Antwort auf diese grundlegende Frage anzunähern, stellen wir uns eine Gemeinschaft von Menschen vor. Eine solche Gemeinschaft, die jeder kennt, ist die Familie mit Vater, Mutter und Kind. So eine Familie wohnt zusammen, isst zusammen, sie lebt zusammen. Dabei entstehen Probleme, die jeder kennt. Wer bringt den Müll weg, welches Fernsehprogramm wird eingeschaltet und so weiter.

Wer entscheidet denn nun, was gemacht wird? Da gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine Möglichkeit ist, dass einer alleine entscheidet, weil er sich gegen die anderen Familienmitglieder durchsetzen kann. So entscheidet beispielsweise derjenige, der die Fernbedienung für den Fernseher hat, welches Programm läuft.

Es geht aber auch anders. Es können auch alle zusammen entscheiden. In unserem Beispiel kann sich die Familie also auch auf ein Programm einigen. Derjenige mit der Fernbedienung schaltet dann das Programm ein, das alle zusammen ausgewählt haben.

Wie in unserer kleinen Familie gibt es auch in größeren Gemeinschaften wie in der Bevölkerung eines Staates Probleme beim Zusammenleben. Auch hier müssen Entscheidungen getroffen werden. Dabei geht es nicht nur um ein Fernsehprogramm, sondern um das Programm des Staates, also darum, was in einem Staat passiert.


In einem Staat gibt es die gleichen zwei Möglichkeiten wie in unserer kleinen Familie. Auch hier ist die erste Möglichkeit, dass einer bestimmt, was gemacht wird, dass also einer sozusagen die Fernbedienung in der Hand hat. Diesen einen nennen wir einfach einmal Regent, weil er den Staat regiert, also das Programm bestimmt. Dieser Regent hat sehr viel Macht und herrscht über die restlichen Menschen, die Bevölkerung. Die Bevölkerung hat dabei wenig mitzureden, sie hat kaum Rechte. Sie kommt nicht an die Fernbedienung und muss den Regenten deshalb alleine über das Programm entscheiden lassen.

Ganz schön ungerecht, nicht? Aber es gibt ja auch noch die zweite Möglichkeit. Hier hat jeder Mensch Rechte und dadurch ein Stückchen Macht. Alle zusammen bestimmen einen Regenten, dem sie ihre Macht auf Zeit abgeben, damit er das Regierungsprogramm starten kann. Der Regent kann das aber nur, wenn die Bevölkerung damit einverstanden ist. Er kann kein Programm entwerfen, das der Bevölkerung die Rechte wegnimmt oder sie einschränkt. Man kann sich das so vorstellen: Jeder Bürger hat eine Batterie. Dann suchen alle zusammen jemanden aus, den Regenten, dem sie eine riesige Fernbedienung geben. Diese Fernbedienung benötigt viele Batterien, damit sie funktioniert. Deshalb leihen die Bürger dem Regenten ihre Batterien aus. Der Regent hat also nur solange die Macht über die Fernbedienung, wie die Regierten ihm ihre Batterien geben. Wenn die Batterien verbraucht sind und der Regent keine neuen Batterien von der Bevölkerung bekommt, kann er nicht mehr regieren. Die Bevölkerung sollte sich jedoch gründlich überlegen, ob sie dem Regenten keine neuen Batterien mehr gibt.

Das sind die zwei Arten, wie das Zusammenleben zwischen Regenten und Bevölkerung aussehen kann. Für beide Formen lassen sich viele Beispiele finden. Die erste Möglichkeit, die Diktatur, bei der die Bevölkerung kaum Rechte hat, war in Europa bis zum Ende des 18. Jahrhunderts vorherrschend. Erst dann breitete sich allmählich die zweite Möglichkeit, die Demokratie — die mit den Batterien — innerhalb Europas aus, obwohl sie schon über 2000 Jahre alt ist, wie man im Abschnitt zur Entwicklung der Demokratie sehen kann. Im Lauf des 20. Jahrhunderts wurde sie in immer mehr Ländern auf der ganzen Welt in verschiedenen Formen praktiziert.



Zitate zum Thema Demokratie







Definitionsversuche




















 


Dieses kurze Beispiel mit den Batterien und der Fernbedienung hat uns einen ersten Eindruck verschafft, was Demokratie bedeutet. Aufschlussreiche Zitate zu diesem Thema finden sich im rechten Kasten. Und was ist mit einer exakten Definition? "Demokratie" zu definieren, ist ein schwieriges Unterfangen. Sie hat sich im Lauf der Geschichte entwickelt und kennt heute viele Gestalten. Man spricht von verschiedenen Demokratietypen. Zu unterscheiden sind weiterhin zwei prinzipiell andere Zugangsweisen: die Identitäts- und die Konkurrenztheorie der Demokratie. Stellvertretend für viele Versuche der begrifflichen Präzisierung wollen wir uns im folgenden auf einige wenige Definitionsversuche beschränken.

Der erste Text ist ein Auszug aus einem Lexikonartikel zur Demokratie. Er stammt aus dem Bertelsmann Discovery Lexikon von 1997:

Demokratie = [griechisch, "Volksherrschaft"], Staatsform, in der die Staatsgewalt vom Volk ausgeht und direkt oder (und) indirekt von ihm ausgeübt wird. – Die Demokratie entwickelte sich in Europa zuerst in den griechischen Stadtstaaten als direkte oder unmittelbare Demokratie. (...)

Die moderne Demokratie erwuchs zunächst aus den kalvinistischen Glaubenskämpfen des 17. Jahrhunderts, besonders in Schottland, England und den Niederlanden, in denen die Gemeinde als Träger des religiösen und politischen Lebens hervortrat, sodann aus den Lehren der Aufklärung, besonders aus ihren Anschauungen von der Freiheit und Gleichheit aller und von der normativen Bedeutung des vernünftigen Denkens des einzelnen über Staat und Gesellschaft. Grundlegend wurden die Lehren J. J. Rousseaus von der Volkssouveränität als einem unteilbaren und unveräußerlichen Recht des Volkes. (...)

Der erste moderne demokratische Staat waren die USA. In Europa wurde erstmals in der Französischen Revolution ein Staat auf demokratischen Prinzipien gegründet. (...)

Im übrigen zeigt die demokratische Staatsform auch innerhalb des Westens erhebliche Unterschiede: Zunächst gibt es die Scheidung in die plebiszitäre und die repräsentative Demokratie. Die plebiszitäre Demokratie zeichnet sich durch die Möglichkeit unmittelbarer Volksentscheidungen aus, sei es durch die vom Volk vorzunehmende Wahl des höchsten Staatsorgans, sei es durch die Möglichkeit, auf dem Weg über ein Volksbegehren und anschließenden Volksentscheid oder nach Anordnung des Staatsorgans unmittelbar durch Volksentscheid das Volk zum Gesetzgeber zu machen. Doch auch bei dieser Konstruktion bleibt die normale Gesetzgebung dem Parlament vorbehalten. Es handelt sich also bei den plebiszitären Entscheidungen immer nur um seltene Ausnahmefälle. Sehr häufig sind sie allerdings in der Schweiz (Volksentscheid). (...)

Eine weitere wichtige Unterscheidung ist diejenige zwischen der parlamentarischen und der nicht-parlamentarischen Demokratie. Unter Parlamentarismus ist dabei nicht das Vorhandensein und Funktionieren des Parlaments zu verstehen, sondern die Abhängigkeit der Regierung vom Vertrauen der Legislative. – Den Gegentypus bilden die Vereinigten Staaten. Dort ist der Präsident – der zudem noch die beiden Ämter des Staatsoberhaupts und des Regierungschefs in seiner Person vereinigt – keineswegs vom Vertrauen des Kongresses abhängig; Repräsentantenhaus und Senat können den Präsidenten nicht zum Rücktritt zwingen.

Diese Grundtypen der Verwirklichung der demokratischen Staatsform lassen erkennen, welche Unterschiede im einzelnen bestehen. Die Verschiedenheit der nationalen Tradition und die Rücksichtnahme auf jeweils andere soziale Gegebenheiten sowie eine abweichende Beurteilung bestimmter Verhaltensweisen lassen die Demokratie als eine Aufgabe der Neuzeit erscheinen, für die es eine Vielfalt von Formen gibt. Hinter der grundsätzlichen Festlegung, dass die Staatsgewalt beim Volk liegt (und nicht bei einer privilegierten Schicht, einer Klasse oder Gruppe), eröffnen sich zahlreiche Wege und Möglichkeiten für sehr unterschiedliche Gestaltungen. Deshalb wird die Demokratie zu jeder Zeit und für jedes Volk zu einer besonderen Aufgabe.


Der umfangreiche und mit unzähligen weiterführenden Links versehene Wikipedia-Artikel zur Demokratie stellt einen guten Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit dem Thema dar. Er beginnt folgendermaßen:

Demokratie (wörtlich: Herrschaft des Volkes) ist ein politisches System, bei dem das Volk eine wesentliche mitbestimmende Funktion einnimmt. Typische Merkmale einer Demokratie sind freie Wahlen, das Mehrheitsprinzip, die Respektierung politischer Opposition, Verfassungsmäßigkeit und Schutz der Grundrechte (bzw. nur den Staatsbürgern vorbehaltenen Bürgerrechten).

Das Wort „Demokratie“ ist im antiken Griechenland entstanden und bedeutete dort die direkte Volksherrschaft. Der Begriff „Volk“ wurde in jener Zeit sehr eng gefasst, da mit diesem nur einer äußerst begrenzten Gruppe von Bürgern politische Partizipationsrechte eingeräumt wurden. So konnten in einer griechischen Polis nur freie Männer an Volksversammlungen teilnehmen.

[Wikipedia: Demokratie, 07.03.13; siehe Wikipedia verstehen]

 

 

 

Zitate zur Demokratie

 

Die Demokratie ist die schlechteste Staatsform, ausgenommen alle anderen.
[Winston Churchill]

Government of the people, by the people, for the people
[Abraham Lincoln]

Der Geist der Demokratie kann nicht von außen aufgepfropft werden. Er muss von innen heraus kommen.
[Mahatma Gandhi]

If men were angels, no government would be necessary. If angels were to govern men, neither external nore internal controls on government would be necessary.
[Federalist Papers]

Durch Ruhe und Ordnung kann die Demokratie ebenso gefährdet werden wie durch Unruhe und Unordnung.
[Hildegard Hamm-Brücher]

Des Menschen Sinn für Gerechtigkeit macht Demokratie möglich. Seine Neigung zur Ungerechtigkeit macht Demokratie notwendig.
[Reinhold Niebuhr]

Demokratie heißt Entscheidung durch die Betroffenen.
[Carl Friedrich von Weizsäcker]

Diktaturen sind Einbahnstraßen. In Demokratien herrscht Gegenverkehr.
[Albert Moravia]

Die Demokratie schafft kein starkes Band zwischen den Menschen. Sie erleichtert ihnen aber den Umgang miteinander.
[Alexis de Tocqueville]

Ein Demokrat braucht nicht zu glauben, dass eine Mehrheit immer eine weise Entscheidung treffen wird. Woran er glauben soll, ist die Notwendigkeit, dass der Mehrheitsbeschluss, ob klug oder unklug, angenommen werden muss, bis die Mehrheit einen anderen Beschluss fasst.
[Bertrand Russell]

Dass mittels der wählenden Demokraten der Wille eines Volkes ermittelt werden könne, ist natürlich eine Täuschung. Aber sieht man den Versuch vor sich, die Fragen divergierender Interessen nicht mit Messer und Pistole, sondern mittels einer Abstimmung zu entscheiden, so ist das natürlich doch ein humaneres und gesitteteres Verfahren.
[Robert Musil]

Rechtsstaat ist wie das tägliche Brot, wie Wasser zum Trinken und wie Luft zum Atmen, und das Beste an der Demokratie ist, dass nur sie geeignet ist, den Rechtsstaat zu sichern.
[Gustav Radbruch]

Demokratie heißt: Die Spielregeln einhalten, auch wenn kein Schiedsrichter zusieht.
[Manfred Hausmann]

Die Demokratie ist unser wertvollstes Gut. Sie zu erhalten, ist Aufgabe und Verpflichtung zugleich. Das bedeutet ein ständiges, entschiedenes, selbstbewusstes Auseinandersetzen, Anstrengung und Mühen um Kompromisse und dauerhaften Konsens. Dies sind Grundbedingungen der einzigen politischen Ordnung, die Freiheit garantieren kann.
[Wolfgang Thierse]

Demokratie kann man keiner Gesellschaft aufzwingen, sie ist auch kein Geschenk, das man ein für allemal in Besitz nehmen kann. Sie muss täglich erkämpft und verteidigt werden.
[Heinz Galinski]

Ein Leben in Freiheit ist nicht leicht, und die Demokratie ist nicht vollkommen.
[John F. Kennedy]

Unter Demokratie verstehe ich, dass sie dem Schwächsten die gleichen Chancen einräumt wie dem Stärksten.
[Mahatma Gandhi]

Demokratie heißt die Wahl haben. Diktatur heißt, vor die Wahl gestellt werden.
[Jeannine Luczak]

Die demokratischen Einrichtungen sind Quarantäneanstalten gegen tyrannenhafte Gelüste.
[Friedrich Nietzsche]

Demokratie lebt vom Streit, von der Diskussion um den richtigen Weg. Deshalb gehört zu ihr der Respekt vor der Meinung des anderen.
[Richard von Weizsäcker]

Die Demokratie rennt nicht, aber sie kommt sicherer zum Ziel.
[Johann Wolfgang von Goethe]

Die Frage, wer herrschen soll, ist falsch gestellt. Es genügt, wenn eine schlechte Regierung abgewählt werden kann. Das ist Demokratie.
[Karl Popper]

 

 




BpB: Online-Dossiers und gedruckte Publikationen zum Bestellen






Sieg der Demokratie?















Demokratie ist keine "ideale" Ordnung
















Verschiedene Formen der Demokratie







Grundproblem der Demokratie




Abraham Lincoln

Wikimedia Commons



Eine hervorragende Informationsquelle für alle Themen rund um Politik, Demokratie und politische Bildung stellt das Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung dar (www.bpb.de). Die folgenden beiden Textauszüge stammen aus zwei Publikationen der BpB, die mittlerweile vergriffen sind. In diesen Texten - wie auch in den beiden Lexikonartikeln - werden viele Themen angesprochen, die in anderen Abschnitten dieses Online-Lehrbuchs vertieft werden. Man sollte also nicht enttäuscht sein, wenn man nicht alles auf Anhieb versteht. Der erste Text stammt von Hans-Helmuth Knütter:

Warum beschäftigen wir uns heute mit dem Thema Demokratie? Seit 1945 erleben wir in Europa, aber auch in Ländern anderer Erdteile eine Ausbreitung der westlichen liberalen Form der Demokratie gegenüber autoritären Herrschaftsordnungen. Im Jahr 1945 schien mit der Katastrophe der nationalsozialistischen und faschistischen Diktatur die Krise der liberalen Demokratie überwunden, nachdem sie zwischen 1922 und 1939 eine Niederlage nach der anderen hatte hinnehmen müssen. Zahlreiche Diktaturen — Spanien, Portugal, Griechenland, Chile, Argentinien, Uruguay — wandelten sich in den letzten Jahrzehnten hin zu Demokratien. Weltweit schien der Sieg der Demokratie mit dem Zusammenbruch der "realsozialistischen" Systeme Ost- und Mitteleuropas seit 1989. Gerade an diesem Beispiel zeigt sich aber die Notwendigkeit einer kritischen Beschäftigung mit der Demokratie. Verstanden sich doch diese Ordnungen als "Volks-" oder "sozialistische Demokratien". Seitdem dort der Marxismus-Leninismus als alleinige ideologische Grundlage vom Pluralismus und die zentral gelenkte Wirtschaft von der Marktwirtschaft abgelöst wurden, ist auch der Zusammenhang von Demokratie, individueller Freiheit und sozialer Sicherheit deutlich geworden. Viele Menschen haben Schwierigkeiten, den politischen und sozialen Wandel innerlich zu bewältigen und die neue Form der Demokratie zu akzeptieren. Daraus erwachsen gerade im Augenblick des scheinbaren Triumphes neue Gefahren, die es wahrzunehmen gilt. Das geschieht am besten durch Vergegenwärtigung der Entstehungsgeschichte der Demokratie, die im Laufe ihrer Existenz zahlreichen Anfechtungen und Wandlungen unterworfen war. Sie ist immer gefährdet, weil es keine politische Ordnung gibt, die stärker auf einem Konsens der Bürger beruht, um bestehen zu können.

(...) Aber nicht nur Unwissenheit, sondern auch ein falsches, idealisiertes Bild einer harmonischen und problemlos funktionierenden Demokratie kann zu enttäuschter Abwendung führen, wenn der Vergleich von Ideal und Wirklichkeit — wie nicht anders zu erwarten — zum Nachteil des Idealbildes ausfällt. Demokratie ist etwas historisch Gewordenes. Sie hat sich bis zu den gegenwärtigen Formen entwickelt und wird sich weiter verändern. Hier soll versucht werden, die Demokratie in ihrer Entwicklung darzustellen und deutlich zu machen, dass es sich nicht um eine ideale Ordnung von Staat und Gesellschaft handelt, dass aber nach den Erfahrungen der Geschichte heute nur so eine rechtsstaatlich verfasste, menschenwürdige politisch-gesellschaftliche Ordnung möglich ist.

Die Gefahr für die Demokratie liegt nicht so sehr in ihrer Beseitigung durch eine Diktatur, bedroht wird sie vielmehr durch ideologisch verblendeten Massenwahn. Demokratie kann durchaus auf scheinbar demokratischem Wege überwunden und in ihr Gegenteil, in eine Herrschaft ideologisch sich selbst rechtfertigenden Unrechts verwandelt werden. Diese Gefahr ist bereits in der Antike erkannt worden. Das Wort "Demokratie" ist aus der Umgangssprache jedermann bekannt, jedoch bereitet eine genauere Definition Schwierigkeiten. Die Erklärung, das Wort leite sich aus dem Griechischen her und sei mit "Volksherrschaft" zu übersetzen, hilft nicht weiter, weil die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse sich seit der Antike gewandelt haben und nicht klar ist, was "Herrschaft des Volkes" bedeuten soll.

Es gibt in der Tat sehr verschiedene Formen der Demokratie. Während in den kleinen überschaubaren Verwaltungseinheiten der antiken griechischen Polis "das Volk" (und das hieß damals nur: Die freien Männer) zusammenkamen und direkt abstimmten, bedarf es in den heutigen Flächenstaaten der Zwischengewalten. Beauftragte sind nötig, die im Namen der Wähler die Macht ausüben — kontrolliert und zeitlich begrenzt. Hier besteht die Gefahr, dass die Beauftragten der Wähler, also die Abgeordneten und Parteien, die Verbindung zu ihren Wählern verlieren. Dann kann es zu einer Elitenherrschaft über das Volk, eventuell im Namen des Volkes kommen. In der DDR und den anderen Staaten des ehemaligen Ostblocks gab es eine solche Form der "Volksdemokratie" die in Wirklichkeit eine Herrschaft der Parteibürokratie war.

Das Grundproblem der Demokratie ist die Spannung zwischen Freiheit des einzelnen und seiner Bindung an die Gesamtheit (Staat oder Gesellschaft). Die Freiheit wird durch die Bindung an die Ordnung zwar eingeschränkt, andererseits ermöglicht die Ordnung erst die Entfaltung der Freiheit. Freiheit ohne Bindung würde zum Faustrecht führen. Die Vorstellung von der "Volksherrschaft" geht von der Annahme aus, dass das über sich selbst herrschende Volk frei sei — im Gegensatz zur Herrschaft eines oder mehrerer Machthaber über Untertanen. Abraham Lincoln (1809 bis 1865, 16. Präsident der USA 1861 bis 1865) fasste diesen Grundsatz in seiner Gettysburg-Address vom 19. November 1863 in die Worte: "government of the people, by the people, for the people..." Ihre Legitimation findet die Demokratie in der Vorstellung der Volkssouveränität.

Der Begriff Souveränität als Quelle allen Rechts wurde im 16. Jahrhundert von dem französischen Staatstheoretiker Jean Bodin (1530 bis 1596) entwickelt. In der Zeit der absoluten Monarchien war der Herrscher, der seine Legitimation von "Gottes Gnaden" ableitete, der Souverän; in der Demokratie ist es das Volk, in dessen Namen die Herrschaft ausgeübt und Macht übertragen wird. In der Demokratie herrschen die Gesetze, nicht Menschen über Menschen. Gesetze müssen ordnungsgemäß zustande kommen und verkündet werden, damit der Staatsbürger sie kennen und befolgen kann. Es darf keine Geheimgesetze geben. Der Begriff der Rechtsstaatlichkeit steht im engen Zusammenhang mit dem der Demokratie.

Eine weitere Voraussetzung der Demokratie ist die Gleichheit aller Bürger. Es ist sehr umstritten, was unter Gleichheit zu verstehen ist und wie weit sie gehen kann, ohne die Freiheit einzuschränken. Unbestritten ist die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz. Es darf keine Sonderrechte und Sondergerichte geben, die nur für einzelne Gruppen, Schichten oder Klassen gelten. Der Rechtsstaat muss die Gleichheit der Chancen gewährleisten, da die Freiheit in Gefahr gerät, wenn wirtschaftliche und soziale Bedingungen übermäßig ungleich werden. Hier wenden Kritiker ein, dass der Versuch, eine weitgehende oder gar völlige Gleichheit herzustellen, die natürliche Verschiedenheit der Menschen nicht beachte, so dass sie nur mit undemokratischen Mitteln herzustellen wäre.

In einer Demokratie wird die Machtausübung durch allgemeine, gleiche, freie, geheime und direkte Wahl für eine begrenzte Zeit übertragen. Eine Wahl genügt demokratischen Vorstellungen nur, wenn sie eine Auswahl zwischen Alternativen bietet. Eine bloße Bestätigung, eine Abstimmung über einen einzigen Vorschlag mit Ja oder Nein, wäre keine echte Wahl, da nicht unter verschiedenen Möglichkeiten ausgewählt werden kann. Meinungsfreiheit, Meinungsvielfalt, freie Information, Minderheitenschutz und freie Opposition sind Voraussetzungen für demokratische Wahlen.

Aus alldem ergibt sich, dass die Demokratie in der Mitte zwischen anarchischer Auflösung und diktatorischer Reglementierung steht. Sie bietet so viele Freiheiten wie möglich und soviel Ordnung wie nötig. Sie lebt von der Einsicht der Bürger in die Notwendigkeit verbindlicher Regeln. Diese Überzeugung der Staatsbürger, die sich in traditionellen demokratischen Staaten wie England und Amerika in einer jahrhundertelangen Entwicklung herausgebildet hat, oder die wie in Deutschland aus schlechten Erfahrungen mit antidemokratischen Ideologien und Herrschaftssystemen erwachsen ist, wird treffend mit dem Begriff politische Kultur bezeichnet.

[Autor: Hans-Helmuth Knütter; aus: Bundeszentrale für politische Bildung: Demokratie, Informationen zur politischen Bildung Nr. 165, Neudruck 1992]




Grundwerte der Demokratie





















gleiche Freiheit aller BürgerInnen





Menschenwürde




 



Der folgende Textauszug von Waldemar Besson und Gotthard Jasper stammt aus deren Buch "Das Leitbild der modernen Demokratie" und beschäftigt sich mit den Grundwerten der Demokratie:

Die Würde des Menschen und seine Freiheit

(...) Was wir heute unter Demokratie zu verstehen haben, was ihr Wesen ausmacht, ist trotz vielfachen Gebrauchs recht unklar. Zwar sind wir davon überzeugt, dass Demokratie etwas mit der Freiheit der einzelnen Bürger und der Regierung des Volkes zu tun habe, aber wir wissen nicht sicher, ob und wie solche Vorstellung von Demokratie heute verwirklicht werden kann. Zu vieldeutig und zu widerspruchsvoll ist zudem das, was durch die Welt hin als Demokratie und demokratisch ausgegeben wird. Zum Teil beruht die Verwirrung darauf, dass die jeweiligen Interpreten Definitionen der Demokratie aus verschiedenen Zeiten und Gesellschaftsordnungen unreflektiert nebeneinander gebrauchen und nicht zwischen dem prinzipiellen Kern des demokratischen Gedankens und seiner jeweils zeitgebundenen Ausformung unterscheiden.

(...) Was hat es also auf sich mit der schönen Formel, Demokratie sei Herrschaft des Volkes durch das Volk? Hat das Volk, von dem der Theorie nach alle Staatsgewalt ausgehen soll, überhaupt eine Chance, um kompetent politisch entscheiden zu können? Oder, um an eine andere beliebte (liberale) Definition zu erinnern, gibt es heute noch Demokratie als Herrschaft der öffentlichen Meinung, wobei diese in einem Prozess rationaler Diskussion entstehen soll? Wird in unserer Öffentlichkeit überhaupt noch vernünftig argumentiert und nicht vielmehr nur emotional agitiert und reagiert? Was ist ferner die öffentliche Meinung, nach der sich die Politiker richten sollen? Sind es die Ergebnisse der Demokratie oder die veröffentlichten Meinungen und Kommentare, die in den großen Zeitungen und in Funk und Fernsehen von den großen Verbänden und Parteien oder von den Fernsehgewaltigen vertreten werden?

(...) Die gleiche Freiheit aller Bürgerinnen und Bürger ist eine unabdingbare Forderung an die Demokratie. Der heutige Geltungsbereich der klassischen Definition der Demokratie lässt sich deswegen danach abschätzen, wieweit die jeweiligen konkreten Formen der Demokratie, die durch diese Definition gegeben sind, die gleiche Freiheit aller respektieren und ermöglichen. Ob uns historische Erscheinungen der Demokratie noch ein Vorbild sein können, wird danach entschieden werden müssen, wieweit sie diese demokratischen Grundwerte erfüllt haben.

Demokratie geht dabei von einem bestimmten Menschenbild aus. Die Menschen sollen frei sein, d.h. ihre Person nach eigener Entscheidung bilden und entfalten können. Dahinter steht — ob christlich oder humanistisch-idealistisch begründet — die Auffassung, dass jeder Mensch eigene Würde habe, durch die er Person sei und sich vom Tier unterscheide.

(...) Ins Politische gewendet bedeutet das, dass alle Macht und Herrschaft an der unantastbaren Würde jedes einzelnen Menschen ihre Grenzen finden muss. Macht bedarf prinzipiell der Begrenzung und Kontrolle, und sie muss dazu auf die Zustimmung der ihr Unterworfenen gründen, da eine uneingeschränkte Zugriffsmöglichkeit den einzelnen in seiner Würde und Freiheit verletzen und entmündigen würde. Denn alle, insbesondere staatliche Macht hat dem Ziel zu dienen, die Möglichkeit und Chancen eines freien menschenwürdigen Lebens für alle Glieder des Gemeinwesens zu sichern und zu steigern.

Freiheit ist dabei nichts Abstraktes, sondern heißt konkret Freiheit der persönlichen Lebensgestaltung, Religions- und Gewissensfreiheit. Freiheit der Berufswahl, freie Möglichkeit zur Gestaltung des Privatlebens, freie Verfügungsgewalt über das persönliche Eigentum, Freiheit und Unverletzlichkeit der Wohnung, des Brief- und Telefonverkehrs. Freiheit bedeutet ferner Sicherheit vor willkürlicher Verhaftung und die Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens vor Gericht sowie Kontrolle über die Informationen, die der Staat über den einzelnen Bürger sammelt.

(...) Hierunter fallen auch das Recht der freien Meinungsäußerung, die Pressefreiheit, die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, das Recht auf gleichberechtigte Teilnahme an der politischen Willensbildung im jeweiligen Gemeinwesen. Alle die Freiheitsrechte, die hier keineswegs vollständig aufgezählt sind, müssen als Voraussetzung aller politischen Gemeinschaftsbildung gelten. Der Kernbestand dieser Freiheiten, die Würde des Menschen, wird nicht vom Staat großzügig dem einzelnen gewährt, sondern wird vom Staat als vorgegeben und gewährleistet, als unverletzlich und unverzichtbar anerkannt. Sie zu sichern, ist der Sinn jeder demokratischen Verfassung. Freilich gibt es zu beachten, dass die Freiheitsrechte des einzelnen nicht absolut gesetzt werden dürfen. Sie finden ihre Grenze an den Freiheitsrechten der anderen.

(...) Erst von einem solchen Menschenbild her ist das Wesen der Demokratie begreifbar. Demokratisch ist ein Gemeinweisen zu nennen, das unter Anerkennung der Würde des Menschen als letzten Wert darauf abzielt, allen Bürgern in gleicher Weise die Freiheit zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit und zu verantwortlicher Lebensgestaltung zu gewährleisten und dafür auch die sozialen Voraussetzungen zu schaffen.

Demokratie ist darum nicht eine Summe formaler Verfahrensvorschriften, sondern sie bestimmt sich von ihrem inhaltlichen Ziel her, unter den jeweiligen historischen und gesellschaftlichen Bedingungen das größtmögliche Maß an Freiheit, Eigenverantwortung und sozialer Gerechtigkeit zu verwirklichen.

(...) Demokratie setzt das Einigsein über das, was in keinem Fall zur Abstimmung gestellt werden kann, voraus; erst auf dieser Grundlage gemeinsamer Grundüberzeugungen ist dann bei der Gestaltung des politischen Alltags das Prinzip des Mehrheitsentscheides angebracht. Insofern ist Demokratie keine wertneutrale Verfahrensordnung, sondern eine wertgebundene, auf Wertverwirklichung zielende politische Form.

[aus: Waldemar Besson/Gotthard Jasper, Das Leitbild der modernen Demokratie. Bauelemente einer freiheitlichen Staatsordnung, BpB Bonn 1990]







interessante Texte zur Vertiefung




Empfehlung zum Weiterlesen

Hans Vorländer: Demokratie - Informationen zur politischen Bildung, Heft 284, Bonn 2004.

Das Heft umfasst die folgenden Kapitel:

Demokratie - Geschichte eines Begriffes

Grundzüge der athenischen Demokratie

Prinzipien republikanischen Denkens

Wege zur modernen Demokratie

Entwicklungen im 19. und 20. Jahrhundert

Erfolgsfaktoren für stabile Demokratien

Strukturunterschiede und Probleme

Entwürfe globaler Demokratie

Demokratie - die beste Herrschaftsform





Weitere Seiten und Abschnitte zum Thema Demokratie




Die Lexikonartikel und Textauszüge auf dieser Seite haben viele der Themen in einem ersten Zugriff angesprochen, um die es in diesem Online-Lehrbuch zur Demokratie geht. Im vorliegenden Abschnitt werden auf untergeordneten Seiten zwei dieser Aspekte vertieft:


Weitere Abschnitte widmen sich den folgenden Fragen:

 

Nach oben

D@dalos Startseite

Deutsche Startseite

Grafische Übersicht

Kontakt

1998-2013 D@dalos - politische Bildung, Demokratieerziehung, Menschenrechtsbildung, Friedenspädagogik (ein Projekt von Pharos e.V.), Web: Gesellschaft Agora