Er konnte nicht ahnen, dass
diese Stadt seinem Leben die entscheidende Wende geben würde
Martin Luther hatte das Vorrecht, die Schule zu
besuchen und anschließend zu studieren. Zielstrebig bereitete er sich auf das
Leben vor. Als er nach einem glänzenden Hochschulabschluss zwischen
verschiedenen aussichtsreichen Stellen wählen konnte, entschied er sich, eine
Stelle in Montgomery anzunehmen. Er konnte nicht ahnen, dass diese Stadt seinem
Leben die entscheidende Wende geben würde.
Montgomery, die Hauptstadt von Alabama, in den Südstaaten der USA gelegen, litt
damals unter den sich immer mehr anbahnenden Rassenspannungen. Der junge Pfarrer
der Baptistenkirche wurde Zeuge ständiger Querelen, denen seine Gemeindeglieder
ausgesetzt waren.
King kam nicht unvorbereitet in diese Situation. Während seines Studiums hatte
er oft die Probleme der Schwarzen im Lande beobachtet. Er hatte auch bezüglich
der strukturellen Veränderungen nachgedacht, die er für das Zusammenleben im
Lande als dringend erforderlich ansah. Wertvolle Hinweise hatte er durch das
Leben und Wirken Gandhis
erhalten. Immer mehr gelangte er zu der Überzeugung, dass Gewalt erneut Gewalt
hervorrufen müsse. Gewaltlosigkeit als Mittel, einen dauerhaften Erfolg zu
erzielen, erschien ihm immer mehr als einzig brauchbarer Weg, die
gesellschaftlichen Probleme auch in Amerika zu lösen. King berief sich dabei
von der Lehre her ganz auf Jesus. Für die praktische Ausführung bediente er
sich der Methoden Gandhis.
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Die schwarze Bevölkerung
beschloss einen Boykott der Omnibusgesellschaft
Die Auseinandersetzung kam sehr bald. Am 1.
Dezember 1955 ereignete sich in Montgomery eine fast alltägliche Geschichte. In
einem der unzähligen Busse, die an jenem Tag die Arbeiterinnen und Arbeiter von
ihren Arbeitsstellen nach Hause fuhren, saß Rosa Parks, Näherin in einem
Kaufhaus. Sie war müde von der Arbeit, döste vor sich hin. Nachdem das für
weiße Fahrgäste reservierte Busabteil besetzt war, forderte der Fahrer einige
Neger auf, ihre Plätze für Weiße zur Verfügung zu stellen, ganz nach hinten
zu gehen und stehend die Fahrt fortzusetzen.
Drei schwarze Fahrgäste
gehorchten; sie hatten sich offenbar an diesen Zustand gewöhnt. Rosa Parks
jedoch war zu müde. Ruhig, aber bestimmt lehnte sie die Aufforderung des
Fahrers ab. Der Busfahrer rief die Polizei. Diese brachte den lästigen Fahrgast
zur Wache und erstattete eine Anzeige. Auch ein alltäglicher Vorfall. Diesmal
sollte dieser Zwischenfall hohe Wellen schlagen.
Die schwarze Bevölkerung
beschloss einen Boykott der
Omnibusgesellschaft, um endlich ihre Rechte zu erreichen. Es wurde zu
einer großen Versammlung eingeladen. Die Mehrheit der Anwesenden hatte sich
für den Streik ausgesprochen. Präsident der Bürgerinitiative wurde der junge
Baptistenpfarrer Dr. Martin Luther King. Er schlug eine gewaltlose Durchführung
des Streiks vor.
Am 21. Dezember 1956 fuhren zum
ersten Mal wieder Schwarze mit den Bussen Montgomerys
Heute ist es noch spannend zu lesen, wie die
schwarzen Bürger Montgomerys keine Mühe scheuten, ohne Busse zurechtzukommen:
zu Fuß und mit Fahrrädern; in Fahrgemeinschaften und mit ihren eigenen Autos
hielten sie die nötigsten Liniendienste aufrecht. Ein gutes Jahr später fiel
die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zugunsten der Streikbewegung aus. Am
21. Dezember 1956 fuhren zum ersten Mal wieder Schwarze mit den Bussen
Montgomerys. Jetzt jedoch ohne die diskriminierenden Einschränkungen der
früheren Jahre.
Martin Luther King hatte sich voll in seine Aufgabe als Präsident
hineingestellt. Als während des Busstreiks ein Bombenattentat auf sein Haus
verübt wurde und dadurch das Leben seiner Familie bedrohte, riefen weite Kreise
der schwarzen Bevölkerung nach einer bewaffneten Auseinandersetzung. King
beschwor die aufgebrachte Menge: "Dieses Problem können wir nicht lösen,
indem wir auf Gewalt mit Gewalt antworten."
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Er verglich die Verfassung und
die Unabhängigkeitserklärung mit einem ungedeckten Scheck
Überall wurde King zu Demonstrationen, zu
Vorträgen und Predigten gerufen. Unermüdlich nahm er seine Aufgabe wahr,
rüttelte die Zuhörer auf und stärkte ihr Bewusstsein für das Anliegen des
gewaltlosen Widerstandes. Der Sieg in Montgomery hatte die Bürgerrechtsbewegung
mutig gemacht. Jetzt galt es, nicht auf halbem Wege stehenzubleiben, sondern die
Rechte der schwarzen Bevölkerung auch im Lande einzufordern.
Im August 1963 kam
es zum Höhepunkt mit dem gewaltlosen Marsch auf Washington. Hunderttausende
waren der Einladung gefolgt. Sie versammelten sich unter freiem Himmel. Martin
Luther King hielt die Rede während dieser einmaligen Demonstration, die in
Amerika einen nachhaltigen Eindruck hinterließ. Er verglich die Verfassung und
die Unabhängigkeitserklärung mit einem Scheck, der im Blick auf die schwarze
Bevölkerung Amerikas bisher nicht eingelöst worden sei, sondern den Stempel
"Keine Deckung vorhanden" erhalten habe. "Aber wir weigern uns zu
glauben, dass die Bank der Gerechtigkeit bankrott ist."
Mit dem Ruf
"Freedom now" (...) geißelte er Polizeibrutalität, Verweigerung des
Zutritts in öffentlichen Einrichtungen, Beschränkung der Freizügigkeit,
Rassentrennung und Entziehung des Wahlrechts. Er beschloss seine Rede mit den
inzwischen weltweit bekannt gewordenen Sätzen:
"Ich habe einen Traum, dass
eines Tages auf den hohen Hügeln in Georgia die Söhne der früheren
Sklavenhalter gemeinsam mit uns an dem Tisch der Brüderlichkeit sitzen können.
Ich habe einen Traum, dass eines Tages selbst der Staat Mississippi, in dem die
Ungerechtigkeit schwelt und mit dem Feuer der Unterdrückung ihr Wesen treibt,
sich in eine Oase der Freiheit und Gerechtigkeit verwandeln wird. Ich habe einen
Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einem Volk leben werden, in
dem man sie nicht nach der Farbe ihrer Haut behandelt, sondern nach dem, was ihr
Charakter aus ihnen macht. Das ist unsere Hoffnung. Und es ist meine Zuversicht,
dass ich zurückgehen werde in den Süden, mit — ja mit diesem Glauben, dass
wir den Berg der Verzweiflung verwandeln können in einen Felsen der
Hoffnung."
[Den kompletten Text der berühmten Rede finden
Sie im Abschnitt "Zitate und Reden": Ich
habe einen Traum]
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Den dritten Sieg erlebte Martin
Luther King nicht mehr
(...) Die Bürgerrechtsbewegung konnte nach und
nach auf Erfolge verweisen. Das Bürgerrechtsgesetz von 1964 bestimmt, dass
Einrichtungen, die Speisen, Unterkunft, Unterhaltung oder Benzin anbieten,
keinerlei Diskriminierung ausüben dürfen. Jeder, der sechs Schuljahre
nachweisen kann, besitzt die bildungsmäßigen Voraussetzungen, an Wahlen
teilzunehmen. Jede Diskriminierung auf den Gebieten des Arbeits- und
Beschäftigungswesens wird untersagt.
1965 gab ein weiteres Gesetz den Südstaatennegern die Möglichkeit verstärkter
Wahlbeteiligung. Den dritten Sieg erlebte King nicht mehr. Am 10. April 1968
wurde eine Gesetzesvorlage angenommen, die eine Beendigung der Diskriminierung
beim Verkauf von Häusern und bei der Vermietung von Wohnungen proklamierte.
Die Welt wurde durch die
Nachricht erschüttert, Dr. Martin Luther King sei einem Attentat zum Opfer
gefallen
Die Welt hatte in vermehrtem Maß Notiz von den
Vorgängen in Amerika genommen. Gewürdigt wurde dies durch die Verleihung des
Friedensnobelpreises. Als Martin Luther King mit seiner Frau Coretta in
Stockholm an der Preisverleihung teilgenommen hatte, besuchten sie mehrere
europäische Städte und warben dabei für die Bürgerrechtsbewegung und den
Gedanken der Gewaltlosigkeit.
Die Welt wurde am 4. April 1968 durch die Nachricht erschüttert, Dr. Martin
Luther King sei einem Attentat zum Opfer gefallen. Er war zu einer großen
Bürgerrechtsversammlung nach Memphis gekommen. Ausschreitungen der Polizei
gegen farbige Müllarbeiter hatten Gewitterwolken am Horizont heraufziehen
lassen. King rechnete damit, dass ihn eines Tages der gewaltsame Tod treffen
könnte. Dennoch konnte ihn dies nicht abhalten, für seine geächteten
Mitbürger einzutreten. Er war davon überzeugt, dass eines Tages die
Überwindung jeglicher Rassendiskriminierung möglich sei.
"Mit Martin Luther King starb das Prinzip der Gewaltlosigkeit. Zu glauben,
dass es noch zu retten ist, wäre Selbstbetrug." Diese harten Worte schrieb
ein Journalist nach dem Mord. Die Zunahme kriegerischer Auseinandersetzungen
scheint diesem Urteil recht zu geben. Was wäre, wenn die Forderung nach
Gewaltlosigkeit verstummte? Die Idee der Gewaltlosigkeit darf nicht sterben.
[entnommen aus: Gerhard Zimmermann, Sie
widerstanden, Neukirchen-Vluyn 1995, 55ff.]