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Politikdidaktik



Die Wahl der didaktischen Perspektive bildet den zweiten und zentralen Schritt bei der Erstellung einer Unterrichtseinheit für das Fach Politik. Gleichzeitig handelt es sich um einen sehr schwierigen Schritt, da hier in besonderem Maße zum Tragen kommt, dass Politikunterricht mehr noch als andere Fächer Zielen auf verschiedenen Ebenen dient.

Worin liegt die Schwierigkeit?

"Politische Sachverhalte [sind] in der Regel so umfangreich, komplex und aspektreich und [enthalten] so viele Faktoren, dass sie in der zur Verfügung stehenden Unterrichtszeit so gut wie nie vollständig behandelt werden können. Dennoch neigen Lehrer/innen häufig dazu, diese Vollständigkeit zumindest anzustreben und ihren Politikunterricht enzyklopädisch anzulegen. Dahinter verbirgt sich die Einstellung, alles sei wichtig und man könne letztlich nichts weglassen. So verständlich diese Haltung auch sein mag, in der Praxis führt sie in der Regel zu einer unstrukturierten Stoffaddition. Lehrende und Lernende bleiben irgendwann in der Fülle des Stoffes stecken und das Politische geht darin weitgehend verloren. Politikunterricht entwickelt sich zum Merksatzunterricht, der das Kurzzeitgedächtnis der Schülerinnen und Schüler trainiert, aber keine politischen Lernprozesse in Gang setzt. Die politischen Lerneffekte eines solchen Unterrichts werden nur minimal sein."

[Politikdidaktik kurzgefasst. Planungsfragen für den Politikunterricht, hrsg. v. Bundeszentrale für poltitische Bildung, Schriftenreihe Band 326, Bonn 1994, S. 47]

Welchen Zweck erfüllt die didaktische Perspektive?

"Das Politische wird nur dann auch zum Inhalt des Unterrichts werden, wenn es gelingt, einen entsprechenden Schwerpunkt zu bilden, einen Akzent zu setzen, der in die Fülle der Fakten, Informationen und Aspekte eine Schneise schlägt und so die prägenden Elemente des Politischen freilegt. Eine reflektierte und bewusste Akzentsetzung treffen Lehrer/innen, indem sie eine didaktische Perspektive entwickeln. Die didaktische Perspektive enthält die pädagogische Intention, die dem Unterricht zugrunde liegt, die Ziele, die mit der zu planenden Unterrichtseinheit realisiert werden sollen. (...) Die didaktische Perspektive im Politikunterricht ist nichts anderes als die bewusste Verknüpfung von Inhalt und Ziel."

[Politikdidaktik kurzgefasst. Planungsfragen für den Politikunterricht, hrsg. v. Bundeszentrale für poltitische Bildung, Schriftenreihe Band 326, Bonn 1994, S. 47-49]

Wie wählt man die didaktische Perspektive?

"Die didaktische Perspektive wird zuallererst von der Sache her entwickelt. Sie muss sich auf einen politisch zentralen Aspekt des Sach- und Problembereichs beziehen (...). Entsprechend dem Doppelcharakter didaktischer Perspektiven müssen diese aber nicht nur fachwissenschaftlich vertretbar sein, sie sollen auch dazu beitragen, die allgemeinen Ziele des Politikunterrichts zu verwirklichen (...). Haben sich Lehrer/innen nach eingehender Prüfung für eine didaktische Perspektive entschieden, dann wissen sie, was sie mit der zu planenden Unterrichtseinheit bei ihren Schülerinnen und Schülern erreichen wollen und welchen inhaltlichen Akzent sie gesetzt haben. Die didaktische Perspektive ist allein für die Lehrerin oder den Lehrer gedacht. Schüler/innen kommen mit der didaktischen Perspektive nicht direkt in Berührung, sondern sie erfahren sie nur indirekt über das Thema der Unterrichtseinheit, das ihnen zu Beginn des Unterrichts vorgestellt wird oder das sie sich im Einstieg erarbeiten. Lehrer/innen haben also nach der Entscheidung für die didaktische Perspektive die weitere Aufgabe, daraus für den Unterricht ein Thema zu entwickeln. Das Thema ist eine Zuspitzung und eine schülergerechte Umformulierung der didaktischen Perspektive." [siehe Grundkurs 4: Formulierung des Themas]

[Politikdidaktik kurzgefasst. Planungsfragen für den Politikunterricht, hrsg. v. Bundeszentrale für poltitische Bildung, Schriftenreihe Band 326, Bonn 1994, S. 51, 52, 64]

Betroffenheit und Bedeutsamkeit als Hilfsmittel bei der Wahl der didaktischen Perspektive

"Als Entscheidungshilfe bei der Auswahl der didaktischen Perspektive für den konkret zu planenden Politikunterricht sollten Lehrer/innen auch die fachdidaktischen Kategorien Betroffenheit und Bedeutsamkeit heranziehen. Betroffenheit ist eine Kategorie, die das Individuum, das heißt im Politikunterricht die Schülerin und den Schüler betont. Die jeweils individuelle Betroffenheit kann verschiedene Quellen haben.

bulletSchüler/innen sind betroffen, wenn politische und gesellschaftliche Ereignisse sie emotional stark erregen, auch wenn die Ereignisse sie selbst nicht unmittelbar betreffen. In der Regel sind Ereignisse mit diesen Auswirkungen Katastrophen und Kriege. So hat zum Beispiel der Tod amerikanischer Raumfahrer/innen bei der Explosion ihrer Raumfähre oder der Golfkrieg, vor allem in seinen ersten Tagen im Januar 1991, Schülerinnen und Schüler emotional berührt. Die daraus resultierende Betroffenheit lässt sich jedoch selten über längere Zeit aufrechterhalten.
bulletBetroffenheit kann auch daraus entstehen, dass politische Probleme oder Fragen den Neigungs- oder Interessenhorizont der Schülerinnen und Schüler berühren, dass sie in ihrem täglichen Leben davon tangiert sind.
bulletSchließlich kann Betroffenheit aus Empathie entstehen. Schülerinnen und Schüler identifizieren sich mit anderen Personen und deren Situation, versuchen ihre Gedanken und Gefühle zu verstehen und nachzuvollziehen, und sie werden dadurch selbst emotional angerührt, eben betroffen.

Sind Schülerinnen und Schüler in irgendeiner dieser Weisen betroffen, öffnen sie sich einer Sache oder Problemen eher, als wenn diese ihnen fremd sind und für ihre eigene Lebenssituation und -perspektive unbedeutend erscheinen. Bei der Kategorie Betroffenheit geht es aber nicht nur um diesen Motivationsgesichtspunkt, es geht auch um die allgemeinere Frage, wie der Abstand zwischen der Erfahrungswelt der Schülerinnen und Schüler und der 'Welt der Politik' verringert werden kann, welche Möglichkeiten eröffnet werden können, 'in der Mikrowelt die Makrowelt zu entdecken'. Diese Überlegung zeigt aber nun die Notwendigkeit, die Frage nach der subjektiven Betroffenheit der Schüler/innen umzukehren in die Frage nach der Bedeutung der Sache für unsere Gegenwart und absehbare Zukunft. Die Kategorie Bedeutsamkeit fragt nach dem Gewicht eines politischen Problems für soziale Gruppen, für die Gesellschaft als Ganzes oder für die Menschheit insgesamt. Politikunterricht hat dann die Aufgabe der Horizonterweiterung von der subjektiven Betroffenheit hin zur Frage ihrer Bedeutsamkeit für andere, für die Gesellschaft, für die Menschheit oder umgekehrt von der Bedeutsamkeit einer Sache, die den Schülerinnen und Schülern unter Umständen noch gar nicht bewusst ist, hin zu ihrer eigenen Betroffenheit, ihrer eigenen konkreten Lebenssituation."

[Politikdidaktik kurzgefasst. Planungsfragen für den Politikunterricht, hrsg. v. Bundeszentrale für poltitische Bildung, Schriftenreihe Band 326, Bonn 1994, S. 58, 59]

Beispiele

Sachbereich

Mögliche didaktische Perspektive

Arbeitslosigkeit

Schülerinnen und Schüler sollen die Ursachen von Arbeitslosigkeit analysieren, die Auswirkungen auf die Betroffenen kennenlernen sowie ihre ökonomischen, sozialen und politischen Folgen überprüfen.

Arbeitslosigkeit

Schülerinnen und Schüler sollen die rechtlichen Grundlagen des Sozialstaates kennen, sich die wesentlichen Elemente des Systems der sozialen Sicherung erarbeiten und überprüfen, welche Bedeutung sie für Arbeitslose besitzen.

Wahlen

Die Schülerinnen und Schüler sollen prüfen, wie wirksam die Beteiligung an Wahlen im politischen Willensbildungsprozess ist.

Globalisierung

Die Schülerinnen und Schüler sollen sich mit dem Verhältnis von Wirtschaft und Politik auseinandersetzen und bewerten, inwiefern es durch den Prozess der Globalisierung zu Veränderungen gekommen ist.

Globalisierung

Die Schülerinnen und Schüler erarbeiten die Ursachen, die zu Globalisierung führen, und setzen sich mit der zugrundeliegenden Ideologie des Neoliberalismus auseinander.

[Beispiele 1-3 entnommen aus: Politikdidaktik kurzgefasst. Planungsfragen für den Politikunterricht, hrsg. v. Bundeszentrale für poltitische Bildung, Schriftenreihe Band 326, Bonn 1994, S. 67]

... weiter zu Schritt 3 in der Erstellung einer Unterrichtseinheit:
    Formulierung des Themas

[Autor: Ragnar Müller]

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