Die Darstellung
der Entwicklung der Vereinten Nationen in
Grundkurs 2 hat dem Bereich
Friedenssicherung - der zentralen Aufgabe der Organisation - besondere
Aufmerksamkeit geschenkt. Hier wurde deutlich, dass die Weltorganisation auf
diesem Gebiet zwar Beachtliches geleistet hat - wie die Verleihung des
Friedensnobelpreises an die UN-Blauhelme im Jahr 1988 und an Kofi Annan im
Jahr 2001 nachdrücklich bestätigt -, dass aber auch schwere Krisen und
Rückschläge zu verzeichnen waren.
Zunächst ist festzuhalten, dass sich das in der
UN-Charta vorgesehene
Instrumentarium zur Friedenssicherung, das kollektive Sicherheitssystem, als
untauglich erwiesen hat. Häufig wird darauf hingewiesen, dass solche Systeme
gar nicht funktionieren könnten, weil sie strukturelle Defizite
aufweisen würden (siehe Kastentext rechts). Sicher ist, dass das für die
Friedenssicherung maßgebliche Organ, der
Sicherheitsrat,
in den ersten vier Jahrzehnten durch den Ost-West-Konflikt blockiert war.
Die "Erfindung" der Blauhelme
waren eine innovative Antwort auf die Konstruktionsmängel der Charta und die
Blockade des Sicherheitsrats. Doch schon früh, in der Kongo-Krise Anfang der
1960er Jahre, zeigten sich die Grenzen dieses Instruments, und die
Katastrophe von Srebrenica bildete den traurigen Höhepunkt der Krise der
Friedenssicherung [Grundkurs 2
zeichnet die Entwicklung der UN-Friedenssicherung detaillierter nach].
Johannes Varwick fasst die Reformdiskussion zusammen: "Die ursprüngliche und
durchaus erfolgreiche Ausrichtung der Vereinten Nationen auf die
Verhinderung zwischenstaatlicher Kriege hat sich mit dem Wandel des
Kriegsbildes in Richtung innerstaatlicher Auseinandersetzungen radikal
verändert. Spektakuläre Fehlschläge wie Ruanda, Srebrenica oder Sierra Leone
haben den Reformdruck in diesem Bereich erhöht. Gemäß Kapitel VII der Charta
stünde den Vereinten Nationen ein hinreichendes Instrumentarium an Maßnahmen
bei Bedrohung oder Bruch des Friedens zur Verfügung, in der Praxis wurde
aber von diesen Bestimmungen bisher kaum Gebrauch gemacht.
Nach den Vorschlägen einer Expertengruppe unter dem Vorsitz des ehemaligen
algerischen Außenministers Lakhdar Brahimi vom August 2000 sollen die
UN-Truppen ... in Zukunft grundsätzlich ein robustes Mandat erhalten und nur
in Einsätze geschickt werden, wenn die Regeln dafür eindeutig sind, sie
hinreichend geführt werden können und gut ausgerüstet sind (...). Insgesamt
soll damit das System der Friedenssicherung effektiver werden und auch der
vorbeugenden Diplomatie sowie der Friedenskonsolidierung mehr Aufmerksamkeit
geschenkt werden.
Eine offene Frage bleibt, ob der Sicherheitsrat tatsächlich das Monopol im
Bereich der Friedenssicherung hat, oder ob es akzeptabel ist, wenn in
Sonderfällen - wie etwa beim Einsatz der NATO in Jugoslawien im Jahr 1999 -
auch ohne eindeutiges Mandat des Sicherheitsrats eingegriffen wird."
[aus: Johannes Varwick, Vereinte Nationen; in: Wichard Woyke (Hg.),
Handwörterbuch Internationale Politik, Bundeszentrale für politische
Bildung, Schriftenreihe Band 404, 8. Auflage, Bonn 2000, S. 503] |
Konstruktionsfehler des Konzepts der Kollektiven Sicherheit
"Immer wieder ist darauf hingewiesen worden, dass die beiden
Voraussetzungen, an die ein kollektives Sicherheitssystem gebunden
ist: Übereinstimmung und Erzwingung, sich gegenseitig widersprechen
und sich daher ausschließen. Entweder stimmen die Großmächte überein,
dann bedarf es nicht der Erzwingung. Wird sie von den Großmächten
gegen kleinere Staaten angewendet, so hat dies nichts mehr mit
Kollektiver Sicherheit, sondern mit einem Großmächtediktat ... zu tun.
Oder aber die Großmächte sind nicht 'in concert', dann sind
Gewaltmaßnahmen überhaupt unmöglich, ist das System arbeitsunfähig.
Schließlich lässt sich sogar argumentieren, dass die zunehmende
Bipolarisierung des Staatensystems nach 1946 das System der
Kollektiven Sicherheit, das nur funktionieren kann, wenn eine
zureichend große Anzahl möglichst gleichstarker Akteure gegeben ist,
veralten liess, bevor es überhaupt in Aktion treten konnte (...).
Die beiden Verwirklichungen des Konzeptes der Kollektiven Sicherheit,
Völkerbund und Vereinte Nationen, zeigen damit noch einmal deutlich,
dass diesem Ansatz auf globaler Ebene kein Erfolg beschieden ist.
Seine Begrifflichkeit verhüllt nur, dass er einen Konsens voraussetzt,
der weltweit auf absehbare Zeit nicht gegeben ist.
Er ist regional anzutreffen, beispielsweise in der Europäischen
Gemeinschaft. Sie enthält zwar kein System Kollektiver Sicherheit,
bedarf seiner auch nicht, weil die Sicherheit längst gewährleistet und
durch höhere Formen der Zusammenarbeit ergänzt worden ist (...).
Wenn die Verfahrensprinzipien der Kollektiven Sicherheit sich als
unbrauchbar, weil verfrüht, erwiesen haben, muss das gleiche nicht für
das Gesamtkonzept der Internationalen Organisation gelten (...). Die
Vereinten Nationen, die mit der 'uniting for peace'-Resolution von
1950 das Prinzip der Kollektiven Sicherheit noch auf eine breitere,
die Generalversammlung miteinschließende Basis gestellt hatten, gaben
es 1956 zugunsten eines ganz anderen Prinzips, nämlich des 'peace-keeping'
... auf.
Die Bedeutung dieses Vorgangs kann nicht hoch genug gewertet werden.
Er zeigt zum ersten Mal, dass die friedensstrategische Funktion der
Internationalen Organisation nicht nur nicht an die kollektive
Gewaltanwendung gebunden, sondern um so stärker ist, je mehr sie sich
davon entfernt (...).
Dag Hammarskjöld stellt 1956 die Funktion der Friedenssicherung auf
das Prinzip des Konsenses, der Zustimmung, um. Die
Friedenssicherungstruppe der Vereinten Nationen konnte nur dann und
dort eingesetzt werden, wenn und wo die Konfliktparteien zustimmten.
Die Truppen waren auch nicht dazu bestimmt, eine konkrete Lösung des
Konflikt durchzusetzen, sondern lediglich dessen gewaltsamen Austrag
zu verhindern.
Diese Aufgabe lag nicht mehr in der Perspektive dessen, was die
Kollektive Sicherheit erreichen wollte und wurde vor allem ganz
anderen Mitteln anvertraut. Sie verzichteten auf die Schuldzuweisung
und auf die Bestrafung; sie banden ihren Einsatz an die Zustimmung der
Konfliktparteien (...).
Hammarskjöld verschaffte damit nicht nur den Vereinten Nationen ihre
ersten wirklichen und dauerhaften Erfolge auf dem Gebiet der
Friedenssicherung (so minimal sie auch erscheinen mögen); er führte
auch die Internationale Organisation an ein neues, angemessenes
Verständnis ihrer Möglichkeiten und Fähigkeiten auf dem Gebiet der
Sicherheit heran."
[aus: Ernst-Otto Czempiel,
Friedensstrategien. Systemwandel durch Internationale Organisationen,
Demokratisierung und Wirtschaft, Paderborn u.a. 1986, S. 96-98] |
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