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Probleme mit der Umsetzung von
Reformvorhaben
"Würde die internationale Gemeinschaft die Vereinten Nationen morgen neu
gründen, so würden diese sicherlich anders aussehen als unsere heutige
Organisation."
[Millenniumsbericht von UN-Generalsekretär
Kofi Annan an die Generalversammlung]
In dem von den Staats- und Regierungschefs
2000 verabschiedeten Reformbericht zum UN-Millenniumsgipfel benennt UN-Generalsekretär
Kofi Annan drei strategische Ziele, die seither einen wichtigen
Referenzpunkt der Reformdebatte bilden:
Entwicklungsagenda: Freiheit von Not
Sicherheitsagenda: Freiheit von Furcht
Umweltagenda: Ökologische Zukunftsfähigkeit |
Obwohl man den
Vereinten Nationen beachtliche Anpassungsfähigkeit bescheinigen kann [siehe
Grundkurs 2], steht spätestens seit den epochalen Umbrüchen der Jahre
1989/90 die Reform der Weltorganisation an prominenter Stelle der
internationalen Agenda. Der folgende Textauszug von Varwick und Knelangen
fasst die wichtigsten Reformerfordernisse zusammen:
"Wenn auch zahlreiche grundlegende Differenzen über die künftige Gestalt und
Funktion der Vereinten Nationen bestehen, herrscht über die Notwendigkeit
einer umfassenden Reform eigentlich kein Dissens. Sowohl die
Charta als auch die
Organisation selbst bedürfen einer gründlichen Überholung:
| Viele Bestimmungen der Charta haben sich
- wie Teile des Kapitels VII - als nicht durchführbar erwiesen oder sind -
wie die so genannten Feindstaatenklauseln - obsolet geworden; |
| dagegen sind neue Aufgabenfelder der
Vereinten Nationen wie Krisenprävention, Umweltschutz, Bevölkerungsfragen
etc. in der Charta nicht oder nur unzureichend repräsentiert; |
| die Zusammensetzung des
Sicherheitsrats widerspiegelt bezüglich seiner Ständigen Mitglieder
die Situation am Ende des Zweiten Weltkriegs, bezüglich der Zahl der
Nichtständigen Mitglieder die Struktur der Vereinten Nationen zu Beginn
der sechziger Jahre; |
| das Vetorecht der fünf Ständigen
Mitglieder wird zunehmend als diskriminierend und auch von seiner Funktion
her nicht mehr als gerechtfertigt empfunden; |
| ein
Hauptorgan - der
Treuhandschaftsrat - hat seine Arbeit mangels zu verwaltender bzw. zu
beaufsichtigender Gebiete suspendiert; |
| die Arbeit der
Generalversammlung ist umständlich und zeitraubend, die Rolle des
Wirtschafts- und
Sozialrats verliert immer weiter an Gewicht, und schließlich ist |
| eine wirksame Koordination des
Gesamtsystems mit seinen
vielfältigen Verschachtelungen und Redundanzen kaum mehr möglich."
[aus: Johannes Varwick/Wilhelm Knelangen, Die Rolle der Vereinten Nationen
in der internationalen Politik; in: Aus Politik und Zeitgeschichte
27-28/2002, Bundeszentrale für politische Bildung Bonn, S. 8-9] |
Eine Mehrzahl der
angesprochenen Reformerfordernisse würde zu ihrer Behebung eine Änderung der
UN-Charta erfordern. Das hierfür in den Artikeln 108 und 109 vorgesehene
Verfahren erfordert allerdings
| eine Zweidrittelmehrheit in der
Generalversammlung, |
| die Ratifikation durch zwei Drittel der
Mitgliedstaaten, |
| wobei darunter alle fünf Ständigen
Mitglieder des Sicherheitsrats sein müssen. |
Damit sind hohe
Hürden errichtet worden. Reformen können bereits von einem der fünf
Ständigen Sicherheitsratsmitglieder verhindert werden. Aber nicht nur die
Verhinderungsmacht ist groß, auch die Hürden für eine Gestaltungsmehrheit
sind beträchtlich, bedenkt man, dass für eine Chartaänderung 127 Staaten in
der Generalversammlung gewonnen werden müssen. |
Typologie der Reformvorschläge
Effizienzsteigerung |
Institutionelle
Reformen |
Grundsätzliche
Umgestaltung |
Reformen zielen auf
größere Leistungsfähigkeit und bessere Wirkungsmöglichkeiten in den
zentralen Aufgabenfeldern der bisherigen UNO |
Reformen zielen auf
institutionelle Umgestaltung bzw. Anpassung an neue Herausforderungen |
Reformen zielen auf
grundsätzliche Umgestaltung der bisherigen Prinzipien der UNO |
Beispiel: |
Beispiel: |
Beispiel: |
Rationalisierungen im
administrativen und finanziellen Bereich |
Reform des
Sicherheitsrats, Schaffung neuer Gremien (z.B. Weltumweltorganisation) |
Aufhebung des
Einmischungsverbots in innere Angelegenheiten, Supranationalisierung der UNO |
Realisierungschancen: |
Realisierungschancen: |
Realisierungschancen: |
z.T. durch die internen
Reformen von Kofi Annan bereits umgesetzt
[siehe Abschnitt "Effizienz"] |
Umsetzung erfordert
Änderung der Charta und ist deshalb schwierig |
Umsetzung ist
unrealistisch |
[leicht verändert nach: Sven Gareis/Johannes
Varwick, Die Vereinten Nationen. Aufgaben, Instrumente und Reformen;
Bundeszentrale für politische Bildung Schriftenreihe Band 403, Bonn 2003, S.
259]
Das 50-jährige Jubiläum der Vereinten Nationen
im Jahr 1995 und die Diskussionen um Global Governance als Antwort auf
die Herausforderungen der Globalisierung haben der Reformdebatte weiteren
Auftrieb verliehen. 1997 legte UN-Generalsekretär Kofi Annan ein Reformprogramm
vor und begann mit der Umsetzung der Maßnahmen, die sein Sekretariat betreffen.
Dabei handelt es sich um Reformen des ersten Typs der Typologie, um Maßnahmen
zur Effizienzsteigerung [siehe Abschnitt
"Effizienz"]. Zu den wichtigsten Reformthemen des zweiten Typs ("institutionelle
Reformen") zählt die Reform des Sicherheitsrats:
"Die Modernisierung des wichtigsten Hauptorgans der Vereinten Nationen stellt
eine der größten Herausforderungen für die Weltorganisation und zugleich einen
entscheidenden Test für ihre Reformfähigkeit überhaupt dar, weil in diesem
Vorhaben alle Schwierigkeiten und Hindernisse der institutionellen Umgestaltung
der Organisation wie in einem Brennglas gebündelt erscheinen."
[aus: Sven Gareis/Johannes
Varwick, Die Vereinten Nationen. Aufgaben, Instrumente und Reformen;
Bundeszentrale für politische Bildung Schriftenreihe Band 403, Bonn 2003, S.
270]
Bislang zeichnet sich keine erfolgreiche Reforminitiative ab. Weder ist in Sicht,
dass sich die Mitgliedstaaten auf neue Ständige Mitglieder einigen könnten, noch
scheint es zu gelingen, die überkommenen Privilegien der bisherigen fünf
Ständigen Mitglieder abzuschaffen. Stimmt man Gareis und Varwick zu, dass es
sich hierbei um einen Test für die Reformfähigkeit insgesamt handelt, muss man
zu einem skeptischen Urteil hinsichtlich der dringend erforderlichen Anpassung
der Vereinten Nationen an die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts kommen.
Weitere Seiten zu den Problemen der
Vereinten Nationen
|
FINANZEN: Die Finanzkrise der Vereinten
Nationen
|
|
FRIEDEN: Die Krise der Friedenssicherung
durch die Vereinten Nationen |
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|
EFFIZIENZ: Die Probleme mit Koordinierung
und Effizienz der Arbeit
|
|
REFORM: Grundlegende Reformvorhaben und die
Probleme der Umsetzung |
|
[Autor: Ragnar Müller]
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